3Ob59/24h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V* Limited, *, vertreten durch Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Stufenklage nach Art XLII EGZPO, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. Dezember 2023, GZ 35 R 255/23v 15, womit das Teilurteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 5. Juni 2023, GZ 33 C 117/23p 8, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte mit Sitz in Malta bietet auf ihrer (auch auf Österreich ausgerichteten) Website www.* Online Glücksspiele und Online-Sportwetten an. Sie verfügt über eine Lizenz der Malta Gaming Authority, jedoch über keine Konzession in Österreich für die Durchführung elektronischer Lotterien. Der in Österreich wohnhafte Kläger spielte über die Website der Beklagten diverse Online Glücksspiele.
[2] Mit seiner Stufenklage begehrt der Kläger , die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm 1.) eine Aufstellung sämtlicher Beträge , die er bei ihr einbezahlt und in der Folge für Glücksspiele iSd § 1 GSpG eingesetzt habe, sowie aller Auszahlungen aus Gewinnen im Rahmen von Glücksspielen zu übermitteln, die die Beklagte an ihn geleistet habe, und 2.) den sich aus der Differenz zwischen Ein- und Auszahlungen zu berechnenden Verlust zuzüglich 4 % Zinsen zu zahlen. Die Beklagte weigere sich, ihm eine solche Aufstellung zu übermitteln, aufgrund derer er die Höhe seiner Glücksspielverluste errechnen könnte. Er habe bei mehreren Anbietern von illegalem Glücksspiel in Österreich gespielt und neben Slots auch Sportwetten getätigt und wisse nicht, wie hoch seine Verluste bei welchem Anbieter seien. Aus seinem privaten Kontoauszug ergebe sich dies nicht, weil darauf nur der verwendete Zahlungsanbieter ersichtlich sei und sich sämtliche Online Casinos derselben Zahlungsanbieter bedienten. In seinem virtuellen Spielerkonto bei der Beklagten könne man nur einige Monate zurückschauen und erhalte daher keine Übersicht über sämtliche getätigten Transaktionen. Er habe meistens in der Nacht in einem regelrechten Spielwahn gespielt. Einen Teil seiner Einzahlungen habe er auch über Paysafekarten getätigt, die er in Tankstellen und Lebensmittelgeschäften erworben habe und die bis zu einem Wert von 100 EUR anonym seien; auch insoweit könne er daher nicht mehr nachvollziehen, wie viel er bei der Beklagten verspielt habe. Er habe Schadenersatz- und Bereicherungsansprüche gegen die Beklagte, weil diese Glücksspiele in Österreich ohne Konzession nach dem GSpG anbiete.
[3] Die Beklagte wendete insbesondere ein, die Stufenklage sei unzulässig. Gebe es – wie der Kläger behaupte – keinen wirksamen Vertrag, könne daraus auch keine Rechnungslegungspflicht abgeleitet werden. Nach Zustellung der Klage habe sie das Spielerkonto des Klägers gesperrt, weil ihr die Fortführung des Vertrags mit einer Partei, die sich nach Konsum der angebotenen Dienstleistungen auf die angebliche Nichtigkeit des Glücksspielvertrags berufe, nicht zumutbar sei. Der Kläger habe die Ein- und Auszahlungen auf das und vom Spielerkonto selbst vorgenommen und die jeweiligen Spiele selbst gespielt. Über sein Konto bei der Beklagten seien keinerlei Geschäfte mit Dritten abgewickelt worden, über deren Ausmaß er im Ungewissen sein könnte. Insofern unterscheide sich daher ein Spielerkonto bei der Beklagten von einem Bankkonto, auf dem jederzeit Zahlungen Dritter eingehen könnten, von denen der Kontoinhaber ohne Rechnungslegung durch die Bank im Zweifel keine Kenntnis hätte. Schon das Wesen des Glücksspielvertrags bringe daher keine besonderen Schwierigkeiten mit sich, die es rechtfertigen würden, im Wege der Stufenklage einen unzulässigen Erkundungsbeweis „durch die Hintertür“ einzuführen. Im Allgemeinen sei es Vertragspartnern der Beklagten möglich, sich Kenntnis über die Höhe allfälliger Schadenersatz- und Bereicherungsansprüche zu verschaffen. Wenn dies dem Kläger nicht gelungen sei, lägen die Gründe dafür in seiner Sphäre. Während des aufrechten Vertragsverhältnisses ermögliche es die Beklagte ihren Kunden, die vom Rechtsvertreter des Klägers schriftlich angefragten Informationen selbst abzurufen, weil bei den Kundenkonten eine Gesamtübersicht über Ein- und Auszahlungen verfügbar sei.
[4] Das Erstgericht gab dem Rechnungslegungsbegehren mit Teilurteil statt, wobei es den Anspruch des Klägers nicht nach Art XLII EGZPO, sondern nach § 304 ZPO prüfte und bejahte.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge . Das Erstgericht habe zwar aufgrund seiner unrichtigen Rechtsansicht keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs getroffen. Allerdings habe die Beklagte das Vorbringen des Klägers, wonach man in seinem virtuellen Spielerkonto nur einige Monate zurückschauen könne, nicht „substantiell“ (gemeint: substanziiert) bestritten, sondern selbst vorgebracht, dass ihr Kundendienst das Ersuchen des Klägers um eine Aufstellung seiner Ein und Auszahlungen mit der Begründung abgelehnt habe, dass dies nur zur Vorbereitung einer Klage und damit nicht ihren Interessen diene. Es sei daher als unstrittig zugrunde zu legen , dass der Kläger die erforderlichen Daten auf seinem – nach Einbringung der Klage von der Beklagten gesperrten – Spielerkonto tatsächlich nur einige Monate zurückverfolgen habe können, und dass die Beklagte ihm die Auskunft über seine Ein und Auszahlungen verweigere, obwohl sie über entsprechende Aufstellungen verfüge. Ausgehend davon sei aber das Rechnungslegungsbegehren berechtigt, weil sich analog zur Auskunftspflicht einer Bank die Auskunftspflicht des Glücksspielunternehmens über sämtliche Ein und Auszahlungen bereits aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Rahmenvertrag ergebe. Es sei entschuldbar, dass der Kläger nicht über sämtliche Ein- und Auszahlungen bei der Beklagten in Kenntnis sei, weil er bei mehreren Glücksspielanbietern gespielt habe, die denselben Zahlungsanbieter verwendeten, er überdies teilweise Paysafekarten verwendet habe und er auch Sportwetten getätigt habe. Da es aufgrund der zahlreichen Verfahren gegen Glücksspielunternehmen notorisch sei, dass die Betreiber über Transaktionslisten verfügten, sei der Beklagten die Auskunftserteilung über sämtliche Ein- und Auszahlungen nach redlicher Verkehrsübung zumutbar.
[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob ein Online-Glücksspielbetreiber, der nicht über die erforderliche inländische Glücksspiellizenz verfügt, gegenüber Spielern, die sich auf die Nichtigkeit der mit ihm abgeschlossenen Glücksspielverträge berufen, zur Bekanntgabe ihrer gesamten Ein und Auszahlungen auf das Spielerkonto verpflichtet ist.
[7] Mit ihrer Revision strebt die Beklagte primär die Abweisung des Klagebegehrens an; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[8] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt .
[10] 1. Nach ständiger (jüngerer) Rechtsprechung erzeugen verbotene Spiele nicht einmal eine Naturalobligation. Der Verlierer kann die gezahlte Wett- oder Spielschuld zurückfordern, ohne dass dem die Bestimmung des § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB oder § 1432 ABGB entgegenstünde, weil die Leistung nicht „zur Bewirkung“ der unerlaubten Handlung, sondern als „Einsatz“ erbracht wurde. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern, widerspräche dem Zweck der Glücksspielverbote (RS0025607 [T1]; RS0134152).
[11] 2. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann nicht gesagt werden, dass die vom Kläger geltend gemachte Nichtigkeit des Glücksspielvertrags eine vertragliche Rechnungslegungspflicht jedenfalls ausschließe. Im Gegenteil begründet auch ein nichtiger Vertrag zwischen den Parteien gewisse Verbindlichkeiten, so insbesondere die Pflicht zur Auskunftserteilung (RS0016465).
[12] 3. Der Rechnungslegungsanspruch gemäß Art XLII Abs 1 erster Fall EGZPO steht an sich jedem zu, der gegen einen ihm aus materiell-rechtlichen Gründen zur Auskunftserteilung Verpflichteten ein bestimmtes Klagebegehren auf Leistung nur mit erheblichen Schwierigkeiten, die durch eine solche Abrechnung beseitigt werden können, zu erheben vermag, wenn dem Verpflichteten die Auskunftserteilung nach redlicher Verkehrsübung zumutbar ist (RS0106851). Eine Verpflichtung zur Rechnungslegung besteht nach der Rechtsprechung insbesondere überall dort, wo es das Wesen des Rechtsverhältnisses mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang des Vermögens im Ungewissen, der Verpflichtete aber in der Lage ist, unschwer eine solche Auskunft zu erteilen, und diese Auskunft dem Verpflichteten überdies nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auch zugemutet werden kann (RS0035050). So ist etwa ein Kreditinstitut dem Kunden nach der Rechtsprechung jederzeit zur Auskunft über den Stand der Konten oder über Einzelheiten der Geschäftsbeziehung verpflichtet (vgl RS0013538).
[13] 4. Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechung grundsätzlich zutreffend auch auf den hier zu beurteilenden Glücksspielvertrag angewendet. Ihm ist auch dahin zuzustimmen, dass der unstrittige Umstand, dass sich sämtliche Anbieter von Online-Glücksspielen in Österreich desselben Zahlungsdienstleisters bedienen und die Verwendung von Paysafekarten die Nachvollziehbarkeit der Zahlungsflüsse ebenfalls erschwert, für einen Auskunftsanspruch der Beklagten spricht.
[14] 5. Wie die Beklagte zutreffend aufzeigt, hat das Berufungsgericht allerdings übersehen, dass es im Verfahren gerade nicht unstrittig war, dass der Kläger, wie von ihm behauptet, über sein Spielerkonto bei der Beklagten nur die Ein und Auszahlungen der letzten Monate einsehen konnte. Vielmehr hat die Beklagte ausdrücklich vorgebracht, dass der Kläger bis zur Sperre seines Kontos ( also jedenfalls bis zur Zustellung der Klage an die Beklagte) sämtliche Ein und Auszahlungen einsehen hätte können (ON 6 Rz 19).
[15] 6. Das Erstgericht wird daher diese strittige Frage im fortgesetzten Verfahren zu klären und anschließend neuerlich zu entscheiden haben.
[16] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.