JudikaturOGH

19Ob1/23w – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilprozessrecht
16. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Weixelbraun-Mohr sowie die Anwaltsrichter Dr. Klaar und Dr. Buresch als weitere Richter in der Rechtssache der 1. Mag. C* F*, Rechtsanwältin, *, und 2. Mag. S* B*, beide vertreten durch Mag. Claudia Fahrner, Rechtsanwältin in Zell am See, wegen Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter und Ausstellung einer Legitimationsurkunde gemäß § 15 RAO, über deren Berufung gegen den Beschluss des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Salzburg vom 7. Februar 2023, AZ RAK/FITCL, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Berufung wird, soweit sich diese gegen die Verweigerung der Ausstellung einer Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs 4 RAO richtet, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird der Berufung teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass diese wie folgt zu lauten hat:

Die Zweitberufungswerberin Mag. S* B* wird per 3. November 2022 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter der Rechtsanwaltskammer Salzburg eingetragen und es wird ihr eine Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs 1 und 2 RAO ausgestellt.

Text

Begründung:

[1] Die Berufungswerberinnen beantragten mit Eingabe vom 3. 11. 2022 die Eintragung der Zweitberufungswerberin Mag. S* B* in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter der Rechtsanwaltskammer (RAK) Salzburg und die Ausstellung einer Legitimationsurkunde gemäß § 15 RAO per 17. 10. 2022. Mit diesem Antrag wurde gleichzeitig eine eidesstättige Erklärung der Zweitberufungswerberin sowie eine Strafregisterbescheinigung der Stadtgemeinde Saalfelden vom 4. 11. 2022 vorgelegt.

[2] Nach den Unterlagen im Personalakt der Zweitberufungswerberin hat diese folgende Ausbildungszeiten absolviert:

Gerichtspraxis im Ausmaß von 9 Monaten vom 1. 3. 2015 bis 30. 11. 2025 sowie Zeiten als Rechtsanwaltsanwärterin bei einem inländischen Rechtsanwalt im Ausmaß von 5 Jahren und 28 Tagen von 11. 1. 2016 bis 15. 10. 2017, von 16. 10. 2017 bis 30. 10. 2019 sowie von 18. 11. 2019 bis 28. 2. 2021.

[3] Am 22. 10. 2019 hat die Zweitberufungswerberin Mag. S* B* erfolgreich die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt.

[4] Der RAK Salzburg liegen Bestätigungen darüber vor, dass die Zweitberufungswerberin Ausbildungsveranstaltungen im Ausmaß von 38 Halbtagen absolviert hat.

[5] Mit Bescheid vom 22. 11. 2022 wies die zuständige Abteilung des Ausschusses der RAK Salzburg den Antrag der Berufungswerberinnen auf Eintragung der Zweitberufungswerberin in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter der RAK Salzburg und die Ausstellung einer Legitimationsurkunde für diese gemäß § 15 RAO per 17. 10. 2022 ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die Zweitberufungswerberin nach den Unterlagen in deren Personalakt die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche Ausbildungszeit gemäß § 2 Abs 2 RAO erfüllt sowie die Rechtsanwaltsprüfung bereits abgelegt habe. Weiters lägen der RAK Salzburg Bestätigungen über die Absolvierung von 38 Halbtagen an Ausbildungsveranstaltungen vor. Da die Zweitberufungswerberin alle Anforderungen hinsichtlich der Dauer der praktischen Verwendungszeit, welche als eine Voraussetzung für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs nach § 2 RAO zu absolvieren ist, erfüllt und die Ausbildung zur Rechtsanwältin abgeschlossen habe, sei eine neuerliche Eintragung als Rechtsanwaltsanwärterin, verbunden mit der Einräumung einer Vertretungsbefugnis nach § 15 Abs 1 und 2 RAO gesetzlich nicht gedeckt. Inwieweit die zur Erfüllung der erforderlichen Ausbildungsveranstaltungen im Ausmaß von 42 Halbtagen nach § 1 Abs 2 lit f RAO zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach dem Aktenstand noch fehlenden vier Halbtage bereits absolviert worden seien, könne offen bleiben. Allenfalls noch fehlende Halbtage könne die Berufungswerberin vor der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte absolvieren.

[6] Die Berufungswerberinnen erhoben gegen diesen Bescheid fristgerecht Vorstellung an den zuständigen Ausschuss der RAK Salzburg, machten inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend und beantragten, die Wiedereintragung der Zweitberufungswerberin in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter zu genehmigen und eine Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs 1 und 2 RAO per 17. 10. 2022 auszustellen.

[7] Der Ausschuss der RAK Salzburg wies mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. 2. 2023 die Vorstellung der Berufungswerberinnen und die darin gestellten Anträge als unbegründet ab. Begründend führt der Ausschuss der RAK Salzburg aus, dass ein Rechtsanwaltsanwärter ein Auszubildender sei, der die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte anstrebe. Die Zweitberufungswerberin habe alle Anforderungen an die Dauer der praktischen Verwendungszeit nach § 2 Abs 2 RAO erfüllt und am 22. 10. 2019 die Rechtsanwaltsprüfung erfolgreich abgelegt. Da die für die praktische Ausbildung vorgeschriebenen Zeiten absolviert seien und somit ausreichend Zeit für die Berufsanwärterin bestanden habe, eigene praktische Erfahrung zu sammeln, bestehe für die Inanspruchnahme des Vertretungsprivilegs nach § 15 RAO kein Raum mehr.

Rechtliche Beurteilung

[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige Berufung der Berufungswerberinnen mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Stattgebung der Begehren auf Eintragung der Zweitberufungswerberin und Ausstellung einer Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs 1 und 2 RAO per 17. 10. 2022. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Berufungswerberinnen machen zum einen Rechtswidrigkeit geltend und führen aus, dass nach § 15 Abs 2 RAO lediglich das Vorliegen der Rechtsanwaltsprüfung Voraussetzung für die Substitutionsberechtigung sei. Sofern die Rechtsanwaltsprüfung noch nicht abgelegt worden sei, gebe es unter gewissen Voraussetzungen dennoch die Möglichkeit, eine Substitutionsberechtigung nach § 15 Abs 2 RAO zu beantragen. Nach der Rechtsprechung sei die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter zwar dann zu verweigern, wenn der Eintragungswerber in der Vergangenheit bereits in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen gewesen sei. Dieser Fall liege jedoch nicht vor, weil die Zweitberufungswerberin lediglich in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen gewesen sei. Ein Rechtsanwaltsanwärter könne dagegen bis zum Ende seiner Berufstätigkeit, also bis zu seinem Ruhestand, stets Rechtsanwaltsanwärter bleiben (ad infinitum prolongierbarer „Status als Rechtsanwaltsanwärter“). Es bestehe daher nach der RAO keine Verpflichtung zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte.

[9] Zum anderen machen die Berufungswerberinnen auch Verfassungswidrigkeit geltend und führen aus, dass der Ausschuss der RAK Salzburg dem anzuwendenden Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt habe: Die Zweitberufungswerberin habe sich im Oktober 2020 aufgrund von Mutterschutz und Karenz aus der Liste der Rechtsanwaltsanwärter austragen lassen müssen. Wäre sie keinem Beschäftigungsverbot nach MSchG („Mutterschutz“) unterlegen und hätte sie Karenz iSd MSchG nicht in Anspruch genommen, wäre sie bis dato zulässigerweise noch als Rechtsanwaltsanwärterin eingetragen. Diese Rechtslage diskriminiere jedoch Frauen, die sich bis zum Inkrafttreten des neu geschaffenen § 32 RAO bedingt durch Mutterschutz und Karenz aus der Liste der Rechtsanwaltsanwärter hätten streichen lassen müssen und widerspreche demnach dem Gleichheitsgrundsatz und verletze das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit gemäß Art 6 StGG.

[10] Die Berufung ist teilweise berechtigt:

[11] 1. Nach der Judikatur handelt es sich bei der in § 2 Abs 2 RAO vorgeschriebenen Gesamtzeit der praktischen Verwendung eines Rechtsanwaltsanwärters von fünf Jahren um eine Mindestdauer. Ein Rechtsanwaltsanwärter kann bis zum Ende seiner Berufstätigkeit, also bis zu seinem wodurch immer beginnenden Ruhestand, stets Rechtsanwaltsanwärter sein und bleiben (ad infinitum prolongierbarer „Status als Rechtsanwaltsanwärter“; OGH 2. 12. 2002 Bkv 3/02 RS0117212). Dabei kann es mangels sachlicher Rechtfertigung keinen Unterschied machen, ob ein Rechtsanwaltsanwärter durchgehend als Rechtsanwaltsanwärter tätig ist oder sich aus der Liste der Rechtsanwaltsanwärter aus- und wiedereintragen lässt. Weder sieht die RAO eine zwingende Austragung aus der Liste der Rechtsanwaltsanwärter bei Erreichung der vorgeschriebenen Mindestdauer der praktischen Verwendung vor, noch verlangt § 30 RAO als Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter, dass die Mindestdauer der praktischen Verwendung gemäß § 2 Abs 2 RAO noch nicht erreicht wurde.

[12] 2. Allein die einmal erfolgte Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte verhindert nach der Judikatur eine nachfolgende Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter (OBDK 1. 2. 1993, Bkv 11/92, AnwBl 1993, 945; VfSlg 13.841 AnwBl 1995/5025 [ Strigl ]; OGH 2. 12. 2002 Bkv 3/02, RS0071989 [T3]). Nach der Judikatur des VfGH ist die „Ungleichbehandlung“ von Personen, die einmal als Rechtsanwalt eingetragen waren, gegenüber solchen, die stets als Rechtsanwaltsanwärter eingetragen waren, aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich: Jene Personen, die sich für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte entschieden haben, um den Rechtsanwaltsberuf – einschließlich seiner Chancen und Risiken – auszuüben, unterscheiden sich bereits in diesem Punkt grundlegend von Rechtsanwaltsanwärtern, die keinen Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte gestellt haben. Diese Rechtsprechung, auf die sich auch der Ausschuss der RAK Salzburg beruft, ist für den vorliegenden Fall allerdings deshalb nicht einschlägig, weil hier noch keine Eintragung der Zweitberufungswerberin in die Liste der Rechtsanwälte erfolgt ist.

[13] 3. Den Berufungswerberinnen ist zudem dahin beizupflichten, dass ein Gesetzesverständnis, wonach nur eine durchgehende Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärter ad infinitum möglich wäre, gegen den Gleichheitsgrundsatz verstieße:

[14] 3.1. Der Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG; Art 2 StGG) verbietet eine unsachliche Differenzierung zwischen Normadressaten (Sachlichkeitsgebot). Der VfGH leitet aus diesem Grundsatz ab, dass ohne sachliche Rechtfertigung Gleiches nicht ungleich und Ungleiches nicht gleich zu behandeln sind (vgl etwa VfGH 28. 2. 1991, B 482/89 VfSlg 12.641/1991 mzN).

[15] 3.2. Die Berufungswerberinnen führen insofern aus, dass die Zweitberufungswerberin durch das Beschäftigungsverbot nach § 3 MSchG sowie die darauffolgende Karenz zwingend aus der Liste der Rechtsanwaltsanwärter ausgetragen worden sei. Das Versagen der Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter würde dann die Zweitberufungswerberin aufgrund ihres Geschlechts diskriminieren, weil eine solche Konstellation hauptsächlich Frauen betreffe und nicht sachlich gerechtfertigt sei.

[16] 3.3. Dem Ausschuss der RAK Salzburg ist zwar beizupflichten, dass die RAO – auch vor Inkrafttreten des § 32 RAO – keine zwingende Streichung aus der Liste der Rechtsanwaltsanwärter im Falle eines Beschäftigungsverbots nach § 3 MSchG oder einer Karenz nach § 15 MSchG bzw § 2 VKG vorsah und vorsieht. Aufgrund der monatlichen Beitragspflichten, die mit der Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter einhergehe und dem gleichzeitigen Ruhen des Entgeltanspruchs während einer Karenz gemäß § 15 MSchG bzw § 2 VKG, wäre jedoch die Verpflichtung von Rechtsanwaltsanwärterinnen – sowie auch Rechtsanwaltsanwärtern – die einem Beschäftigungsverbot unterliegen oder eine Elternkarenz in Anspruch nehmen, in der Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen zu bleiben, um den ad infinitum prolongierbaren Status als Rechtsanwaltsanwärter zu erhalten, sachlich nicht gerechtfertigt.

[17] 3.4. Durch ein solches Regelungsverständnis wären insbesondere Frauen, die defacto nach wie vor hauptsächlich Karenz in Anspruch nehmen, in unsachlicher Weise benachteiligt und überdies wäre die Gruppe der Eltern an sich diskriminiert.

[18] 4.1. Die Voraussetzungen für die Eintragung der Zweitberufungswerberin in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter liegen somit vor.

[19] 4.2. Die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter kann gemäß § 30 Abs 1 letzter Satz RAO erst mit dem Tag des Einlangens des Antrags auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter erfolgen. Der Antrag der Berufungswerberinnen auf Eintragung der Zweitberufungswerber in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter der Salzburger RAK wurde mit Eingabe vom 3. 11. 2022 gestellt, weshalb (erst) dieser Tag maßgeblich ist.

[20] 5. Die Ausstellung einer Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs 4 RAO ist hier als solche nicht strittig, sondern hängt nach dem Verständnis aller Beteiligten nur von der Frage der Eintragung der Zweitberufungswerberin in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter ab. Es wird der Zweitberufungswerberin daher die Legitimationsurkunde auszustellen sein. Die Frage der Verweigerung der Ausstellung einer Legitimationsurkunde ist allerdings per se vor dem Obersten Gerichtshof nicht aufgreifbar (vgl OBDK 10. 6. 1991, Bkv 2/91 [taxative Aufzählung des § 30 Abs 4 RAO]; B. Fink in Murko/Nunner Krautgasser [Hrsg], Anwaltliches und notarielles Berufsrecht, § 31 RAO Rz 4 [Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht]), weshalb insoweit mit der Zurückweisung der Berufung vorzugehen war.

[21] 6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Rückverweise