JudikaturOGH

6Ob55/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. September 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei r *, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*, vertreten durch die Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.540.820,10 EUR sA, im Verfahren über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Dezember 2022, GZ 5 R 143/22v, 5 R 144/22s 66, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Juni 2022, GZ 22 Cg 24/20b-51, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit Art 73 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass der Betrag, den ein Werkbesteller dem Werkunternehmer auch dann schuldet, wenn die (vollständige) Ausführung des Werks unterbleibt, aber der Werkunternehmer zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Werkbestellers liegen (zum Beispiel die Abbestellung des Werks), daran gehindert worden ist, der Mehrwertsteuer unterliegt?

2. Das Verfahren über die Revision der klagenden Partei vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG unterbrochen und nur über Antrag fortgesetzt.

Text

Begründung:

A. Sachverhalt

[1] Zwischen den Streitteilen (beide Gesellschaften mit beschränkter Haftung) wurde Ende März 2018 ein Werkvertrag abgeschlossen, wonach die Klägerin als Werkunternehmerin für die Beklagte als Werkbestellerin bei einem Bauvorhaben Trockenbauarbeiten ausführen sollte. Als Werklohn waren 5.377.399,69 EUR, darin enthalten 896.233,28 EUR an zwanzigprozentiger U msatzsteuer, vereinbart.

[2] Nachdem die Klägerin mit den Arbeiten begonnen hatte, teilte Ende Juni 2018 die Beklagte der Klägerin mit, sie wolle die Leistungen der Klägerin nicht mehr in Anspruch nehmen.

[3] Hintergrund der Beendigung war, dass der Geschäftsführer der Beklagten mit dem Geschäftsführer der Klägerin die Geduld verloren und er darüber hinaus ein günstigeres Angebot bei dem anderen Unternehmen eingeholt hatte.

[4] Am 19. 12. 2018 legte die Klägerin Schlussrechnung (vertragliche r Anspruch wegen ungerechtfertigter Abbestellung des Gewerks), die sich zuzüglich 20 % Umsatzsteuer und abzüglich 3 % Haftrücklass auf 1.607.695,07 EUR belief.

[5] Die Klägerin ersparte sich aufgrund der Abbestellung Kosten

• für Material, Geräte und Fremdleistungen von 1.362.979 EUR

• für Löhne von 1.578.591 EUR

• für Bauzinsen (1 %) von 42.584 EUR und

• für das projektbezogene Wagnis von 21.292 EUR,

insgesamt somit von 3.005.446 EUR.

B. Vorbringen der Parteien

[6] Die Klägerin begehrt 1.540.820,10 EUR. Sie bringt vor, der Rücktritt vom Werkvertrag liege nicht in ihrer Sphäre. Daher habe sie nach § 1168 ABGB grundsätzlich Anspruch auf den vollen Werklohn. Nach Anrechnung von Ersparnissen stünden ihr wegen ungerechtfertigten Vertragsrücktritts 1.252.995 EUR netto, somit 1.503.594 EUR brutto, zu. Dazu kämen 37.226,10 EUR für schon erbrachte Werkleistungen abzüglich bereits erhaltener Zahlungen. A us der Summe des Brutto betrags wegen ungerechtfertigten Vertragsrücktritts und restlichem Werklohn errechne sich der Klagsbetrag.

[7] Die Beklagte bestritt das Zustandekommen eines Werkvertrags. Die Klägerin habe für die rechtsgrundlos erbrachten Trockenbauarbeiten einen angemessenen Lohn schon erhalten. Ein darüber hinausgehender Entgeltanspruch aufgrund von § 1168 ABGB scheide aus.

C. Bisheriges Verfahren

[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte das Zustandekommen eines Werkvertrags. Die Beklagte sei ohne rechtfertigenden Grund vom Vertrag zurückgetreten. Der Klägerin stehe daher trotz teilweisen Unterbleibens der Ausführung des Werks der Werklohn abzüglich der Ersparnisse nach § 1168 Abs 1 ABGB zu. Ohne dies näher zu begründen, sprach das Erstgericht der Klägerin auch die im Klagsbetrag enthaltene Umsatzsteuer in Höhe von 250.599 EUR hinsichtlich der nicht mehr erbrachten, aber gemäß § 1168 ABGB zu entlohnenden Werkleistungen zu.

[9] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es dem Klagebegehren im Betrag von 1.290.221,10 EUR sA stattgab und das Mehrbegehren von 250.599 EUR sA abwies. Ein Werkvertrag sei zustande gekommen. Der Entgeltanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB werde fällig, wenn die Ausführung des Werks trotz Leistungsbereitschaft des Werkunternehmers endgültig aufgrund von Umständen auf Seite des Bestellers unterbleibe. Der Werkunternehmer müsse zwar zu diesem Zeitpunkt leistungsbereit sein, mit der Abbestellung erlösche aber die Leistungspflicht des Werkunternehmers ex nunc. Der eingeschränkte Werklohnanspruch werde vom Werkbesteller nicht um einer Gegenleistung des Werkunternehmers willen erfüllt und unterliege – mangels Leistungsaustauschs – auch nicht der Umsatzsteuer. Die im Klagsbetrag enthaltene Umsatzsteuer betrage 250.599 EUR. In diesem Umfang sei das Klagebegehren abzuweisen.

[10] Der von beiden Seiten angerufene Oberste Gerichtshof wies mit Beschluss vom heutigen Tag die Revision der Beklagten , in der die Beklagte weiterhin das Zustandekommen eines Werkvertrags zwischen den Parteien bestreitet, mit der wesentlichen Begründung, die Beurteilung der Vorinstanzen, der Werkvertrag sei zustande gekommen, sei nicht korrekturbedürftig, zurück. Von dieser rechtlichen Beurteilung ist somit für das weitere Verfahren auszugehen.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Oberste Gerichtshof hat nunmehr noch über die Revision der Klägerin zu befinden, womit diese im Wesentlichen die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts mit der Begründung anstrebt, ihr stehe für den Anspruch nach § 1168 ABGB auch die Umsatzsteuer zu, weil dieser Anspruch aus näher dargestellten unionsrechtlichen Erwägungen der Umsatzsteuer unterliege.

D. Anzuwendendes Unionsrecht

[12] Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl 2006, L 347, S 1, im Folgenden: Richtlinie) sieht vor, dass „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“ , der Mehrwertsteuer unterliegen.

[13] Art 9 Abs 1 der Richtlinie bestimmt:

„Als 'Steuerpflichtiger' gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als 'wirtschaftliche Tätigkeit' gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

[14] Art 24 Abs 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Als 'Dienstleistung' gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“

[15] Art 73 dieser Richtlinie bestimmt:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

E. Nationales Recht

E.1. Zivilrecht

[16] § 1168 ABGB enthält Regelungen für den im vorliegenden Fall zu beurteilenden Werkvertrag. Abs 1 Satz 1 der Bestimmung lautet wie folgt:

„Unterbleibt die Ausführung des Werkes, so gebührt dem Unternehmer gleichwohl das vereinbarte Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Bestellers liegen, daran verhindert worden ist; er muss sich jedoch anrechnen, was er infolge Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.“

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung hat d er Unternehmer keinen Anspruch auf Ausführung oder Vollendung des Werks. Der Besteller kann vielmehr nach seinem Belieben die Inangriffnahme oder die Fortsetzung und die Vollendung des Werks hindern (RS0021809; vgl auch RS0021831; RS0025771). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die im Juni 2018 von der Beklagten ausgesprochene Weigerung, weitere Leistungen der Klägerin in Anspruch zu nehmen, zum (endgültigen) Unterbleiben der Ausführung des (noch ausstehenden) Werks und somit zur Anwend barkeit der zitierten Bestimmung führt. Die Abbestellung des Werks führt – als weitere Rechtsfolge – zur vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses. Mit der Abbestellung entfällt die Pflicht des Unternehmers zur (weiteren) Herstellung, ohne dass ein Rücktritt des Unternehmers nötig ist (7 Ob 43/14w; 8 Ob 131/17y). Der Anspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB ist ein Entgeltanspruch und kein Schadenersatzanspruch (RS0021875).

E.2. Steuerrecht

[17] Nach § 1 Abs 1 Z 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) unterliegen d ie Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Umsatz aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt.

[18] Zur Frage, ob das hier nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB zu zahlende „Entgelt“ nach § 1 Abs 1 Z 1 UStG umsatzsteuerpflichtig ist, existiert keine (höchstgerichtliche) Rechtsprechung.

[19] Im Schrifttum wird überwiegend folgende Ansicht vertreten: Dem gegenständlichen Entgelt nach § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB steht (keine reale Leistung, sondern) die bloße Leistungs bereitschaft des Anspruchsberechtigten gegenüber, die ohne Hinzutreten weiterer Umstände grundsätzlich nicht umsatzsteuerbar ist ( Tanzer , Das leistungslose Entgelt – Die Auflösung eines Werkvertrags nach § 1168 ABGB im Umsatzsteuerrecht, ÖStZ 1979, 38 ff; Schopper in Klang³ § 1168 Rz 88; ders , Ausgewählte Fragen zum eingeschränkten Werklohnanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB, in FS zum 40-jährigen Bestehen der Österreichischen Gesellschaft für Baurecht und Bauwirtschaft [2019] 381, 389 f; Ruppe/Achatz , UStG 5 § 1 Rz 222; Wieland in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig , UStG-ON³ § 1 Rz 34, 36 f; Windsteig in Melhardt/Tumpel , UStG³ § 1 Rz 22).

[20] Auch die nur an die Finanzbehörden gerichtete Richtlinie des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen vom 4. 11. 2015, BMF 010219/0414-VI/4/2015 („UStR 2000“), sieht in Rz 15 vor, dass Zahlungen, die ein Vertragsteil (in der Regel der Käufer) aufgrund seines vorzeitigen Rücktritts vom Vertrag zu leisten hat, nicht umsatzsteuerbar sind.

F. Begründung der Vorlagefrage

[21] F.1. Wie unter E.2. dargestellt, wäre nach herrschender österreichischer Ansicht der klageweise geltend gemachte Anspruch nicht umsatzsteuerpflichtig und daher die – nur die im Klagebegehren enthaltene Umsatzsteuer betreffende – Revision der Klägerin nicht berechtigt.

[22] F.2. Im Hinblick auf die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu ähnlichen Fallkonstellationen wie im vorliegenden Fall ergeben sich jedoch Zweifel, ob die herrschende österreichische Ansicht dem Unionsrecht entspricht.

[23] F.2.1. In den verbundenen Rechtssachen Air France/KLM C-250/14 und Hop!-Brit Air SAS C-289/14 (ECLI:EU:C:2015:841) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 23. 12. 2015 ausgesprochen, da ss  Art 2 Nr 1 und Art 10 Abs 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 1999/59/EG des Rates vom 17. Juni 1999 und dann durch die Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 geänderten Fassung dahin auszulegen sind, dass das Ausstellen von Flugscheinen durch eine Fluggesellschaft mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn die Fluggäste die ausgegebenen Flugscheine nicht benutzt haben und sie für diese keine Erstattung erhalten können.

[24] F.2.2. In der Rechtssache Meo Serviços de Comunicações e Multimédia C-295/17 (ECLI:EU:C:2018:942) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 22. 11. 2018 ausgesprochen, dass

1. Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen ist, dass der im Vorhinein festgelegte Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestbindungsfrist durch seinen Kunden oder aus einem diesem zuzurechnenden Grund bezieht und der dem Betrag entspricht, den dieser Wirtschaftsteilnehmer ohne diese vorzeitige Beendigung für die restliche Laufzeit erhalten hätte – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist –, als Gegenleistung für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung anzusehen ist und als solche der Mehrwertsteuer unterliegt;

2. für die Qualifizierung des im Dienstleistungsvertrag im Vorhinein festgelegten Betrags, den der Kunde bei dessen vorzeitiger Beendigung schuldet, die Umstände nicht entscheidend sind, dass der Zweck dieses Pauschbetrags darin besteht, die Kunden von der Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist abzuhalten und den Schaden des Betreibers durch die Nichteinhaltung dieser Frist auszugleichen, dass die von einem Handelsvermittler erhaltene Vergütung für den Abschluss von Verträgen mit Mindestbindungsfrist höher ist als jene, die im Rahmen von Verträgen ohne eine solche Frist vorgesehen ist, sowie dass dieser Betrag nach nationalem Recht als Konventionalstrafe zu qualifizieren ist.

[25] F.2.3. In der Rechtssache Vodafone Portugal C 43/19 (ECLI:EU:C:2020:465) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 11. 6. 2020 ausgesprochen, dass Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen ist, dass Beträge, die ein Wirtschaftsteilnehmer erhält, falls ein Dienstleistungsvertrag, der als Gegenleistung für die Gewährung vorteilhafter Konditionen an einen Kunden die Einhaltung einer Mindestbindungsfrist vorsieht, aus bei diesem Kunden liegenden Gründen vorzeitig beendet wird, als Vergütung für die Erbringung einer entgeltlichen Dienstleistung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind.

[26] F.3. Die zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union haben mit dem vorliegenden Fall gemeinsam, dass es um einen Geldbetrag geht, der aus einem Vertrag für eine ursprünglich vertraglich geschuldete Leistung das Entgelt darstellte und auch dann (zumindest teilweise) geschuldet wird, wenn die Leistung aus vom Abnehmer (Käufer, Werkbesteller) stammenden Gründen nicht in Anspruch genommen wird.

[27] Dies spricht dafür, dass auch das hier gegenständliche „Entgelt“ nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB mehrwertsteuerpflichtig (umsatzsteuerpflichtig) ist.

[28] F.4. Dennoch unterscheiden sich die Sachverhalte der zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom hier vorliegenden Sachverhalt:

[29] F.4.1. In den verbundenen Rechtssachen Air France/KLM C-250/14 und Hop!-Brit Air SAS C-289/14 (ECLI:EU:C:2015:841) schuldete die jeweilige Fluglinie ihren Kunden die jeweilige Flugleistung im Zeitpunkt des gebuchten Abflugs bzw während des Gültigkeitszeitraums noch. Die (fix oder nur in einem bestimmten Gültigkeitszeitraum geschuldete) Leistung konnte von der Fluglinie nur deshalb nicht erbracht werden, weil sich der Kunde durch Nichterscheinen bzw Nichtabrufen der Leistung während des Gültigkeitszeitraums in Annahmeverzug befand.

[30] Im vorliegenden Fall hingegen schuldete die klagende Werkunternehmerin die (restliche) Werkleistung ab dem Zeitpunkt der Abbestellung durch die beklagte Werkbestellerin nicht mehr (vgl E.1.). Auch wenn die Mehrwertsteuerpflicht grundsätzlich unabhängig von Bestand und Gültigkeit eines zugrundeliegenden Vertragsverhältnisses zu beurteilen ist ( Ruppe/Achatz , UStG 5 § 1 Rz 19 mwN), könnte gegenständlich – ungeachtet des Ausdrucks „Entgelt“ in § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB – mit Blick auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses bezweifelt werden, ob die Voraussetzung des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erhaltenen Gegenleistung und der erbrachten Leistung (vgl EuGH Meo Serviços de Comunicações e Multimédia C 295/17 [ECLI:EU:C:2018:942] Rz 39 ff) vorliegt und es sich insofern bei der klagenden Werkunternehmerin noch um einen „Lieferer“ bzw „Dienstleistungserbringer“ und bei der beklagten Werkbestellerin noch um einen „Erwerber“ bzw „Dienstleistungsempfänger“ im Sinn von Art 73 der Richtlinie handelt.

[31] F.4.2. In den Rechtssachen Meo Serviços de Comunicações e Multimédia C-295/17 (ECLI:EU:C:2018:942) und Vodafone Portugal C-43/19 (ECLI:EU:C:2020:465) handelte es sich – anders als im vorliegenden Fall eines Werkvertrags als Zielschuldverhältnis – um Dauerschuldverhältnisse.

[32] Weiters ergibt sich aus beiden Entscheidungen, dass der zu zahlende Betrag im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestbindungsfrist durch den Kunden in gewisser Weise weiterhin Entgelt charakter hat, soll doch „die Kündigung des Vertrags während der Mindestbindungsfrist eine Gegenleistung als Ausgleich rechtfertige[n], um die 'Kosten, die mit der Subventionierung von Endgeräten, der Installierung und Aktivierung der Dienste oder anderen Vorzugskonditionen zusammenhängen', wiederzuerlangen“ ( C-43/19 Rn 24) bzw „den Schaden des Betreibers durch die Nichteinhaltung dieser Frist aus[zu]gleichen , dass die von einem Handelsvermittler erhaltene Vergütung für den Abschluss von Verträgen mit Mindestbindungsfrist höher ist als jene, die im Rahmen von Verträgen ohne eine solche Frist vorgesehen ist“ ( C-295/17 zweite Antwort).

[33] Ein damit vergleichbarer Entgeltcharakter kommt dem hier in Rede stehenden Anspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB nicht zu.

[34] G. Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG (vgl RS0110583 [T2]).

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