6Ob96/23w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Daniel Charim und Mag. Jakob Charim, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A*, vertreten durch Stolitzka Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung und Leistung, über die „außerordentliche Revision“ der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. März 2023, GZ 2 R 147/22k-65, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25. Juli 2022, GZ 10 Cg 29/20z-59, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt (zusammengefasst)
1. die Feststellung des Bestehens einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen den Streitteilen;
2. in eventu zu 1. die Feststellung, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen den Streitteilen sei infolge Kündigung durch den Beklagten mit 31. 12. 2021 aufgelöst;
3. die Feststellung, der Beklagte dürfe bestimmte zur Eintragung angemeldete Immaterialgüterrechte nur mit Zustimmung der Klägerin verwerten;
4. den Beklagten zu Änderungen an einer Webseite zu verpflichten und
5. den Beklagten zur Aktivierung eines E Mail Kontos zu verpflichten.
[2] Die Klägerin bewertete die Feststellungsbegehren (insgesamt) mit 20.000 EUR und die Leistungsbegehren (insgesamt) mit 10.000 EUR.
[3] Das Erstgericht wies das Begehren zu 1. (unangefochten) ab und gab dem übrigen Klagebegehren statt.
[4] Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts in seinem Punkt 2. (Eventualbegehren) auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung auf, wobei es nicht aussprach, dass gegen diesen Aufhebungsbeschluss der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Im Übrigen wies das Berufungsgericht mit Teilurteil das Klagebegehren zu 3. bis 5. ab, sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
[5] Gegen dieses Teilurteil (aber – wie aus dem Rechtsmittelantrag ersichtlich – auch gegen den Aufhebungsbeschluss) richtet sich die „außerordentliche Revision“ der Klägerin, die das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vorlegte.
Rechtliche Beurteilung
[6] Diese Aktenvorlage ist verfehlt.
[7] 1. Die Revisionswerberin meint, beim Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts liege aus verschiedenen Gründen eine krasse Unterbewertung vor, an die der Oberste Gerichtshof nicht gebunden sei. Vielmehr liege der Wert des Entscheidungsgegenstands über 30.000 EUR, sodass der Oberste Gerichtshof die Revision als außerordentliche zu behandeln habe.
[8] 1.1. Der Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts ist grundsätzlich unanfechtbar (§ 500 Abs 4 Satz 1 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung besteht – ausnahmsweise – nur dann keine Bindung des Obersten Gerichtshofs an die Bewertung des Berufungsgerichts, wenn dieses im Gesetz angeführte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt oder eine offenkundige Unterbewertung vorliegt (RS0042385 [T16]).
[9] 1.2. Der erste Fall (Verletzung zwingender Bewertungsvorschriften) liegt nicht vor.
[10] 1.3. Entgegen den Argumenten der Revision liegt jedoch auch keine offenkundige Unterbewertung vor:
[11] 1.3.1. Zunächst ist festzuhalten, dass die Frage, ob eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen den Streitteilen bestanden habe und diese aufgelöst sei (Eventualbegehren 2.), nicht (meritorischer) Gegenstand des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof ist, weil mangels Ausspruchs des Berufungsgerichts, gegen seinen Teilaufhebungsbeschluss sei der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig, das Rechtsmittel insoweit absolut unzulässig ist.
[12] 1.3.2. Betreffend das verbleibende Klagebegehren (3.–5.) ist mit der subjektiven Einschätzung beider Parteien, die gegenständlichen Immaterialgüterrechte seien mehr als 1 Mio EUR wert, dieser Wert keineswegs offenkundig , können beide Parteien dabei doch über den (möglicherweise viel geringeren) tatsächlichen objektiven Wert geirrt haben. Soweit die Revision die behauptetermaßen 30.000 EUR weit übersteigenden Aufwendungen der Klägerin zur Verwertung der Erfindung des Beklagten ins Treffen führt, ist ihr zu entgegnen, dass der Ersatz dieser Aufwendungen nicht den Gegenstand des (verbleibenden) Klagebegehrens bildet, sondern (im Wesentlichen) die Ausübung und Verwertung der Immaterialgüterrechte, deren von der Revision behaupteter (hoher) Wert – wie ausgeführt – nicht offenkundig ist.
[13] 1.4. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende offenkundige Unterbewertung durch das Berufungsgericht liegt somit nicht vor.
[14] 2. Die Zulässigkeit der Revision richtet sich daher nach § 502 Abs 3 ZPO, weil der berufungsgerichtliche Entscheidungsgegenstand zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen ist auch ein außerordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Eine Partei kann in einem solchen Fall nur gemäß § 508 Abs 1 ZPO einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass das ordentliche Rechtsmittel doch für zulässig erklärt werde. Mit demselben Schriftsatz ist das ordentliche Rechtsmittel auszuführen. Dieser Antrag, verbunden mit dem ordentlichen Rechtsmittel, ist beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen und gemäß § 508 Abs 3 und 4 ZPO vom Rechtsmittelgericht zu behandeln. Erhebt in den dargestellten Fällen eine Partei ein Rechtsmittel, so ist dieses gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Gericht zweiter Instanz vorzulegen. Das gilt auch dann, wenn das Rechtsmittel als „außerordentliches“ Rechtsmittel bezeichnet wird und wenn es an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist; auch dieser darf hierüber nur und erst entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei.
[15] Das Erstgericht wird somit das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen haben, das über den hilfsweise gestellten Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nach § 508 ZPO zu entscheiden haben wird.