1Ob1/23p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragsteller 1. B*, 2. J*, 3. A*, 4. Mag. M*, 5. C*, 6. R*, 7. R*, 8. J*, 9. S*, 10. A*, 11. J*, und 12. W*, jeweils vertreten durch Dr. Wolfgang Lang, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die Antragsgegnerin Wassergenossenschaft *, vertreten durch Mag. Siegfried Berger und Mag. Harald Brandstätter, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, wegen Festsetzung von Beitragsleistungen nach § 86 Abs 1 WRG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 3. Oktober 2022, GZ 1 R 84/22m 116, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 4. Juli 2022, GZ 1 Nc 5/17v-108, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Der Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung „im Verwaltungsverfahren auf zwangsweise Einbeziehung der Antragsteller in die Genossenschaft vor der zuständigen Wasserbehörde“, wird abgewiesen.
II. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, den Antragstellern binnen 14 Tagen die mit 3.422,62 EUR (darin enthalten 570,44 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Antragsgegnerin ist eine Wassergenossenschaft mit dem Zweck der Errichtung von Schutz- und Regulierungsbauten an einem Bach. Ihre Mitglieder sind Eigentümer von Grundstücken in dessen Überschwemmungsbereich. Den Antragstellern gehören ebenfalls Grundstücke im Bereich des Bachs, sie sind aber keine Mitglieder der Wassergenossenschaft. Die von der Genossenschaft angerufene Wasserrechtsbehörde verpflichtete die Antragsteller zur Zahlung von Kostenbeiträgen für deren Einrichtungen (§ 86 Abs 1 WRG).
[2] Dagegen riefen die Antragsteller fristgerecht das Gericht an (§ 117 Abs 4 WRG). Sie begehren die Feststellung, zu keinen Kostenbeiträgen verpflichtet zu sein. Hilfsweise seien diese im gesetzlichen Ausmaß festzulegen. Sie zögen keinen bzw nur geringen Nutzen aus den Schutz- und Regulierungsbauten der Genossenschaft, weil ihre Grundstücke weit vom Bach entfernt lägen, ein höheres Niveau aufwiesen und ihre Gebäude baulich vor Hochwasser geschützt seien. Allfällige Kostenbeiträge stünden nur auf Basis des konkreten Nutzens zu, der sich aus dem Entfall der tatsächlichen Gefährdung ihrer Grundstücke ergebe.
[3] Das Erstgericht verpflichtete die Erst- sowie Viert- bis Zehntantragsteller zur Zahlung von Kostenbeiträgen zwischen 15,96 EUR und 7.217,88 EUR. Die Zweit- und Dritt- sowie Elft- und Zwölftantragsteller treffe keine Beitragspflicht.
[4] Ob die Antragsteller einen wesentlichen Nutzen aus den Einrichtungen der Wassergenossenschaft zögen, sei danach zu beurteilen, ob dadurch eine bestehende Hochwassergefährdung ihrer Grundstücke abgewendet werde. Dies hänge von den tatsächlichen Gegebenheiten unter Berücksichtigung bestehender Hochwasserschutzmaßnahmen ab. Ein wesentlicher Nutzen ergebe sich für jene Grundstücke, die ohne die Einrichtungen der Genossenschaft zumindest teilweise von Hochwasser betroffen wären. Die konkrete Höhe der Kostenbeiträge bemesse sich nach dem Ausmaß der überschwemmungsgefährdeten Flächen und dem dafür in der Satzung der Genossenschaft (pro Quadratmeter bzw – bei Gebäuden – Kubikmeter) vorgesehenen Kostenanteil unter Berücksichtigung der konkreten Nutzung und Bebauung der betroffenen Flächen.
[5] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts sowie dessen Begründung und ließ den Revisionsrekurs zur Frage zu, ob bei Beurteilung des wesentlichen Nutzens, den ein Nichtmitglied einer Wassergenossenschaft aus deren Einrichtungen zieht, auf bestehende Hochwasserschutzmaßnahmen einzelner Grundstücke Bedacht zu nehmen sei.
[6] Die Antragsgegnerin erhob gegen diese Entscheidung einen Revisionsrekurs in dem sie (wie schon in erster Instanz) die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem von ihr eingeleiteten Verfahren auf Einbeziehung der Antragsteller in die Genossenschaft beantragte.
Rechtliche Beurteilung
I. Zum Unterbrechungsantrag:
[7] Dem Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens ist nicht Folge zu geben, weil nicht ersichtlich ist und auch nicht dargelegt wird, inwiefern dies zu einer verfahrensökonomischen Verbesserung im vorliegenden Verfahren führen könnte (8 Ob 2/22k mwN). Auch zur Präjudizialität der Entscheidung der Wasserrechtsbehörde für das vorliegende Verfahren enthält der Unterbrechungsantrag keine Ausführungen.
II. Zum Revisionsrekurs:
[8] Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch des Rekursgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig :
[9] 1. Soweit sich die Revisionsrekurswerberin dagegen wendet, dass ihrem Rekurs gegen die Abweisung ihres in erster Instanz gestellten Unterbrechungsantrags nicht Folge gegeben wurde, enthält ihr Rechtsmittel dazu weder inhaltliche Ausführungen noch einen Rechtsmittelantrag.
[10] 2. Zur behaupteten unrichtigen Beweiswürdigung ist darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nur Rechtsinstanz ist (RS0006737).
3. Zur Rechtsrüge:
[11] 3.1. Die Antragsgegnerin argumentiert, dass der Nutzen, den die Antragsteller aus ihren Schutz- und Regulierungsbauten zögen, nicht danach zu beurteilen sei, inwieweit dadurch eine konkrete Hochwassergefährdung einzelner Grundstücksflächen bzw darauf errichteter Gebäude – unter Berücksichtigung bestehender Schutzmaßnahmen – abgewendet werde. Vielmehr komme es darauf an, ob die Grundstücke der Antragsteller im Gefahrenzonenplan als Hochwassergebiet ausgewiesen seien und dies aufgrund der Schutz- und Regulierungsbauten der Wassergenossenschaft nicht mehr erforderlich wäre.
[12] 3.2. Gemäß § 86 Abs 1 WRG sind Eigentümer von Liegenschaften, die einer Wassergenossenschaft nicht angehören, aus deren Einrichtungen aber einen wesentlichen Nutzen ziehen, auf Antrag der Genossenschaft zu einem angemessenen Kostenbeitrag zu verhalten. § 78 Abs 3 WRG (zur Kostenaufteilung zwischen den Genossenschaftsmitgliedern) findet sinngemäß Anwendung. Nach dessen lit e sind die Kosten nach dem Verhältnis der zu erlangenden Vorteile oder zu beseitigenden Nachteile aufzuteilen. Welcher Kostenbeitrag demnach angemessen ist, ist nach billigem Ermessen zu beurteilen (1 Ob 1/95 und 1 Ob 30/11k: „sachgerechte und billige Aufteilung“; in diesem Sinn auch Grabmayr / Rossmann , Das österreichische Wasserrecht² [1978] § 117 WRG Anm 6; zur Kostenaufteilung zwischen Genossenschaftsmitgliedern nach dem Gesichtspunkt der Billigkeit siehe Thunhart , Kostentragung innerhalb der Wassergenossenschaft, ÖJZ 2002, 401 [402]). Ermessensentscheidungen kommt aber grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0042405 [T14]). Dass die Vorinstanzen den ihnen zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hätten, zeigt die Rechtsmittelwerberin nicht auf.
[13] 3.3. Nach der zu 1 Ob 27/76 ergangenen Entscheidung des Fachsenats kommt es gemäß § 86 Abs 1 WRG auf den aus Einrichtungen einer Wassergenossenschaft gezogenen „faktischen Nutzen“ an. Dieser ist nach den konkreten Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Entscheidung (vgl Krzizek , Kommentar zum Wasserrechtsgesetz [1972] 314) zu bestimmen. Dabei sind auch bestehende Schutzmaßnahmen einzelner Grundeigentümer zu berücksichtigen, weil sich deren faktischer Nutzen aus genossenschaftlichen Schutz- und Regulierungsbauten sonst nicht beurteilen ließe. Für eine solche konkrete Beurteilung spricht auch § 78 Abs 4 WRG, wonach besondere Vorteile Einzelner entsprechend zu berücksichtigen sind; ebenso, dass § 78 Abs 5 WRG bei erheblich verschiedenen Vorteilen abgestufte Beitragsleistungen vorsieht. Wenngleich diese Bestimmungen die Kostenaufteilung zwischen Genossenschaftsmitgliedern regeln und § 86 Abs 1 WRG nur auf § 78 Abs 3 WRG verweist, so legen dessen Absätze 4 und 5 doch nahe, auch den von Nichtmitgliedern aus genossenschaftlichen Anlagen gezogenen Nutzen nach den konkreten Gegebenheiten zu beurteilen (zur differenzierenden Kostenaufteilung zwischen Genossenschaftsmitgliedern vgl VwGH 18. 10. 1961, 1426/60; 26. 4. 1995, 92/07/0192; siehe auch Kaan / Rose / Rausch , Handbuch der Wassergenossenschaft und Wasserverbände [1991] 160; Krzizek aaO 316). Dass die Vorinstanzen den Nutzen der Antragsteller aus den Einrichtungen der Antragsgegnerin auf Basis der tatsächlichen Gefährdung ihrer Grundstücke und nicht nur anhand deren – hinsichtlich der Höhenlage ungenauen und im Übrigen nicht „parzellenscharfen“ – Darstellung im Gefahrenzonenplan beurteilten, begegnet daher keinen Bedenken.
[14] 3.4. Die Argumente der Revisionsrekurswerberin lassen keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG erkennen:
[15] Ihrem Einwand, die von den Vorinstanzen bemessenen Kostenbeiträge der Antragsteller widersprächen „dem Wesen der Genossenschaft“, weil diese von jenen der Genossenschaftsmitglieder abwichen, hielt schon das Rekursgericht zutreffend entgegen, dass die Bestimmungen des WRG über Wassergenossenschaften keine solche Gleichbehandlung erfordern. Auch der Fachsenat ging zu 1 Ob 305/00k davon aus, dass für den Kostenbeitrag nach § 86 Abs 1 WRG nicht einfach der in der Satzung für die Genossenschaftsmitglieder festgelegte Aufteilungsschlüssel heranzuziehen sei.
[16] Dafür, dass der wesentliche Nutzen nach dieser Bestimmung nicht „parzellenscharf“ beurteilt und die Höhe der Kostenbeiträge nicht nur auf Basis der von Hochwasser bedrohten Grundflächen bemessen werden dürfte (sondern dafür die gesamte Fläche eines bloß teilweise überschwemmungsgefährdeten Grundstücks zu berücksichtigen sei), bietet das WRG keine Anhaltspunkte. Die Herstellungskosten der Anlagen der Antragsgegnerin haben die Vorinstanzen bei der Bemessung der Kostenbeiträge ohnehin berücksichtigt, legten sie dieser doch die aus den Projektkosten abgeleiteten Kostenanteile entsprechend der Satzung der Antragsgegnerin zugrunde. Deren Höhe zieht diese ebenso wenig in Zweifel wie die von den Vorinstanzen – unter Heranziehung des dafür in der Satzung vorgesehenen Aufteilungsschlüssels – vorgenommene Differenzierung nach Nutzung und Bebauung der hochwassergefährdeten Grundstücksflächen.
[17] Dass die bereits bei Gründung der Genossenschaft bestehenden Schutzmaßnahmen der Antragsteller nur temporär bestehen bleiben sollen, behauptet die Antragsgegnerin nicht. Allfällige aus diesen objektbezogenen Maßnahmen resultierende Nachteile für ober- oder unterliegende Grundstücke wären bei der von den Vorinstanzen vorgenommenen konkreten Gefährdungsbeurteilung ohnehin zu berücksichtigen gewesen. Dass dies nicht der Fall gewesen wäre, behauptet die Antragsgegnerin nicht. Dass objektbezogene Schutzmaßnahmen aufgrund der Anlagen der Wassergenossenschaft künftig obsolet würden, vermag nicht zu begründen, warum ein bestehender Hochwasserschutz bei der Beurteilung des wesentlichen Nutzens iSd § 86 Abs 1 WRG unberücksichtigt bleiben sollte.
[18] 4. Der nach § 117 Abs 6 Satz 2 WRG anzuwendende § 44 Abs 2 EisbEG 1954 sieht zwar einen Kostenersatzanspruch ausschließlich des Enteigneten vor. Weder die Stellung der Antragsteller noch jene der Antragsgegnerin (1 Ob 305/00k) entspricht jedoch (sinngemäß) der eines Enteigneten. Die Kostenentscheidung beruht daher auf § 117 Abs 6 WRG iVm § 30 Abs 2, § 24 Abs 1 EisbEG sowie § 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG. Anderslautende Entscheidungen, die noch zum AußStrG 1854 ergangen sind (zuletzt 1 Ob 305/00k) sind durch die Änderung der allgemeinen Kostenersatzregel des Außerstreitverfahrens überholt. Die Revisionsrekursgegner haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RS0122774).