JudikaturOGH

3Ob166/22s – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Muhri Wehrschitz Rechtsanwalts-Partnerschaft in Graz, gegen die beklagte Partei N*, Rechtsanwältin, *, wegen 100.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Mai 2022, GZ 2 R 50/21a 28, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin investierte als Verbraucherin im Dezember 2014 in ein Wohnbauprojekt einer (damals neu gegründeten) Gesellschaft, über deren Vermögen Anfang des Jahres 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Investition bestand in einem (bis zum Jahresende 2017 bzw „spätestens“ mit dem „Projektabschluss/Übergabe sämtlicher Wohneinheiten“ befristeten) Darlehen an diese Gesellschaft, wobei die Klägerin im Rang nach der das Projekt finanzierenden Bank ein Pfandrecht eingeräumt erhielt. Die nun beklagte Rechtsanwältin, die in der Werbebroschüre der Gesellschaft als „Projektbeteiligte“ genannt war, erstellte die Vertragsunterlagen und wies darin ausdrücklich darauf hin, dass sie die Gesellschaft (Darlehensnehmerin) vertrete. Sie hatte den Auftrag, die Pfandrechte für die Investoren einzuverleiben, was sie auch durchführte. Weder hatte sie die Kreditbeträge auf einem Treuhandkonto zu verwalten, noch fand eine treuhändige Abwicklung statt. Die Klägerin erteilte der Beklagten vor Unterfertigung nie einen Auftrag, sie über die Investition zu beraten. Im Jahr 2014 gab es keinen Anhaltspunkt für eine drohende Insolvenz der Gesellschaft. In der Werbebroschüre fand sich der Hinweis darauf, dass die „tatsächlichen Entwicklungen und Ergebnisse sowie die Finanz-, Ertrags- und Vermögensanlage (...) wesentlich von den geäußerten Erwartungen und Annahmen abweichen“ könnten.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das gegen die Beklagte erhobene Schadenersatzbegehren der Klägerin ab.

Rechtliche Beurteilung

[3] Mit ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[4] 1. Die Frage, wie weit rechtsanwaltliche Belehrungs und Aufklärungspflichten jeweils reichen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0023549 [T16]) und begründet in der Regel keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0026419 [T10]; RS0026584 [T21]; RS0026349 [T17]). Zur Haftung eines berufsmäßigen Vertragserrichters (Rechtsanwalt oder Notar) gemäß § 1299 ABGB existiert eine umfangreiche Judikatur (RS0023549; RS0026349; RS0026380; RS0026419). Dass Rechtsprechung zu einem völlig gleich gelagerten Sachverhalt fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (vgl RS0110702; RS0102181; RS0107773). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Streitfall mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann und gelöst wurde (RS0042742 [T13]; RS0042656 [T48]).

[5] 2. Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung zur Haftung eines berufsmäßigen Vertragserrichters (Rechtsanwalts) zutreffend wiedergegeben. Danach ist der Vertragserrichter allen Vertragspartnern gegenüber zur sorgfältigen Wahrung ihrer Interessen verpflichtet; er hat daher alle Vertragsparteien mit gleicher Sorgfalt zu behandeln und vor Interessengefährdung zu bewahren; Belehrungspflichten und Aufklärungspflichten treffen ihn somit allen Vertragspartnern gegenüber. Allerdings darf die Pflicht zur Beratung und Belehrung nicht überspannt werden (RS0023549 [T17]).

[6] 3. Das Berufungsgericht verneinte eine Verletzung der Belehrungs und Aufklärungspflichten durch die Beklagte im Wesentlichen mit der Begründung, dass diese keine Kenntnis über die Personen der Investoren hatte und man sonst letztlich fordere, dass sie als Vertragserrichterin von sich aus Nachforschungen über die Vertragspartner ihrer Mandantin hätte anstellen und diesen ihre Beratung hätte anbieten müssen; der Klägerin sei es hingegen ohne Weiteres möglich gewesen, von sich aus Kontakt mit der Beklagten aufzunehmen und sie zum Vertragsinhalt zu befragen. Dass die Projektgesellschaft in der Folge die ihr gewährten Kredite widmungswidrig verwenden würde, sei für die Beklagte nicht vorhersehbar gewesen und Anhaltspunkte für eine spätere Insolvenz der Gesellschaft habe es bei Vertragsabschluss nicht gegeben. Damit hält sich das Berufungsgericht im Rahmen der wiedergegebenen Judikaturgrundsätze. Überdies verlangt die Rechtsprechung auch bei einer Anlageberatung in der Regel keine besondere Aufklärung über das jeder Fremdveranlagung immanente Risiko einer schadenskausalen Veruntreuung des Geldes (vgl RS0124492).

[7] 4. Der Klägerin ist letztlich auch der Nachweis der Kausalität einer allfälligen Aufklärungspflichtverletzung nicht gelungen, weil nicht festgestellt werden konnte, ob sie die Investition auch bei vorherigem Hinweis auf einen möglichen (Teil )Verlust ihrer Anlage wegen späterer Insolvenz der Gesellschaft getätigt hätte.

[8] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§  10 Abs 3 ZPO).

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