JudikaturOGH

1Ob144/22s – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*, 2. Dr. M*, 3. D* und 4. S*, sämtliche vertreten durch die Heiss Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Parteien Dr. M*, vertreten durch Dr. Ganner Lawfirm Rechtsanwalts GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. H*, vertreten durch die CHG Czernich Haidlen Gast Partner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen 853.409 EUR sA (Erstkläger), 79.778,25 EUR sA (Zweitklägerin), je 11.963,94 EUR sA (Drittklägerin und Viertkläger), über den Rekurs der Kläger gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 5. Juli 2022, GZ 8 Nc 5/22p 4, mit welchem der Ablehnungsantrag der Rekurswerber gegen den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck * und den Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck * abgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie zu lauten hat:

„Der Senatspräsident des Oberlandesgerichts Innsbruck * und der Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck * sind als Mitglieder des * Senats im Verfahren über die Berufung der klagenden Parteien zur AZ 4 R 18/22m befangen. Die Prozesshandlungen, an denen die befangenen Richter in diesem Verfahren mitgewirkt haben, insbesondere das Berufungsurteil, werden als nichtig aufgehoben.“

Die Kosten des für nichtig erklärten Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien zu Handen der Klagevertreterin die mit 4.034,75 EUR (darin 673,96 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Das Landesgericht Feldkirch wies mit Urteil vom 7. 12. 2021 das auf den Titel der Amtshaftung gestützte Klagebegehren im Anlassverfahren ab. Der Klage liegt die Behauptung zugrunde, aufgrund unvertretbarer Handlungen des Gerichtskommissärs (Nebenintervenient auf Seite der Beklagten) bzw von dessen Notarsubstituten und des Richters in einem Verlassenschaftsverfahren sei nicht den Klägern als gesetzlichen Erben des Verstorbenen, sondern einer Scheinerbin eingeantwortet worden. Die Scheinerbin habe das gesamte Nachlassvermögen widerrechtlich verbracht. Der Herausgabeanspruch der erfolgreichen Erbschaftskläger sei uneinbringlich.

[2] Der gegen das abweisende Ersturteil erhobenen Berufung der Kläger gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 29. 3. 2022, GZ 4 R 18/22m 70, nicht Folge. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist.

[3] Mit dem – mit der ordentlichen Revision verbundenen – Schriftsatz vom 18. 5. 2022 lehnten die Kläger den Vorsitzenden und einen Richter des Berufungssenats als befangen ab. Die beiden hätten sich in einem vom Erstkläger gegen den Rechtsanwalt * und die * Rechtsanwalts GmbH im Zusammenhang mit dem Verlassenschaftsvermögen geführten Schadenersatzprozess für befangen erklärt, weil sie seit Jahren mit dem Rechtsanwalt befreundet seien. Diesem Rechtsanwalt und der Rechtsanwalts GmbH habe die Beklagte im Anlassverfahren den Streit verkündet. Damit sei ein massives Interesse des Rechtsanwalts an einer klageabweisenden Entscheidung im Amtshaftungsverfahren offenkundig. Darüber hinaus habe er sich in dem gegen ihn geführten Verfahren zur Untermauerung seines Rechtsstandpunkts auf die im Amtshaftungsverfahren ergangenen Entscheidungen berufen. Die Besorgnis einer Befangenheit der beiden Mitglieder des Berufungssenats bestehe daher auch hier.

[4] Die abgelehnten Richter erklärten in ihrer Stellungnahme zum Ablehnungsantrag, dass der im Verfahren gegen den Rechtsanwalt und die Rechtsanwalts GmbH festgestellte Befangenheitsgrund im Amtshaftungsverfahren nicht vorliege.

[5] Die Beklagte und der Nebenintervenient auf Seite der Beklagten traten in ihren Revisionsbeantwortungen dem Ablehnungsantrag entgegen.

[6] Mit der angefochtenen Entscheidung wies der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Innsbruck funktionell als erste Instanz den Ablehnungsantrag als unbegründet ab. Der Rechtsanwalt * und die * Rechtsanwalts GmbH seien trotz Streitverkündung durch die Beklagte dem Anlassverfahren nicht als Nebenintervenienten beigetreten und daher nicht Parteien des Verfahrens geworden. Im Amtshaftungsverfahren sei zu klären, ob der Gerichtskommissär und der Verlassenschaftsrichter vertretbar die ihnen von der Scheinerbin übergebene Verfügung als Testament gewertet und die gesetzlichen Erben nicht zur Abhandlung geladen hätten. Im Verfahren gegen den Rechtsanwalt und die Rechtsanwalts GmbH, in dem sich die beiden Mitglieder des Berufungssenats für befangen erklärt hätten, werde dem Rechtsanwalt vorgeworfen, sich von der Scheinerbin treuhändisch überlassenes Verlassenschaftsvermögen unrechtmäßig als Honorar zugewendet zu haben. Zwischen diesen beiden Verfahren bestehe kein Zusammenhang, zumal der Rechtsanwalt die Vertretung der Scheinerbin erst nach deren Einantwortung übernommen habe.

[7] D agegen richtet sich der Rekurs der Ablehnungswerber mit dem Antrag, die Befangenheit der beiden abgelehnten Richter auszusprechen und das Berufungsurteil für nichtig zu erklären.

[8] Rekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Rekurs ist gemäß § 24 Abs 2 JN zulässig , er ist auch berechtigt .

[10] 1. Ein Richter ist nach § 19 Z 2 JN befangen, wenn – bei objektiver Betrachtungsweise – ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Im Interesse des Ansehens der Justiz ist bei der Beurteilung, ob Befangenheit vorliegt, ein strenger Maßstab anzuwenden (RS0045949 ) . Daraus hat der Oberste Gerichtshof auch schon abgeleitet, dass die Befangenheit nicht restriktiv auszulegen ist, sondern dass im Zweifelsfall die Befangenheit anzunehmen sein wird (RS0045975 [T15]; RS0046024 [T13]). Es genügt, dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit – also der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche Motive (RS0045975) – entstehen könnte (RS0045949 [T4]), auch wenn der Richter tatsächlich subjektiv unbefangen sein sollte ( RS0045949 [T5] ). Die Befürchtung einer Befangenheit muss sich auf konkrete Umstände stützen, die im Zusammenhang mit den konkreten Verfahren und dessen Parteien stehen (RS0045975 [T10]).

[11] Als Befangenheitsgründe kommen insbesondere private Beziehungen zu einer Prozesspartei oder deren Vertreter in Betracht, die über einen reinen kollegialen Kontakt hinausgehen ( RS0045935 ). Aber auch ein Naheverhältnis des Richters zu einer Person, die zu einer der Verfahrensparteien eine eindeutige Nahebeziehung aufweist und mit dem Verfahren befasst ist oder war, ist zur Begründung einer Befangenheit geeignet ( RS0045935 [T21] ).

[12] 2. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts lassen die von den Klägern im Ablehnungsantrag geltend gemachten Tatsachen den äußeren Anschein einer Befangenheit des Senatspräsidenten und eines weiteren Mitglieds des Berufungssenats entstehen :

[13] Die beiden Richter haben im vom Erstkläger gegen den Rechtsanwalt und die Rechtsanwalts GmbH geführten Verfahren selbst erklärt, sich wegen ihrer langen Freundschaft mit dem Rechtsa nwalt zu einer völlig unvoreingenommen Entscheidung außerstande zu fühlen . Dass dieses Verfahren und das Amtshaftungsverfahren nicht – wie das Erstgericht meint – gänzlich unabhängig voneinander sind, zeigt sich schon daran, dass der Rechtsanwalt und die Rechtsanwalts GmbH dort die im Amtshaftungsverfahren ergangenen Urteile zum Beweis dafür vorgelegt haben, dass die vom Rechtsanwalt von Anfang an eingenommene Rechtsansicht vertretbar gewesen sei und (zum Zeitpunkt der Honorarvereinbarung mit der Scheinerbin) begründete Aussicht auf einen Erfolg im Erbschaftsprozess (und damit auf ein Nichtbestehen des Rückerstattungsanspruchs der Kläger) bestanden habe.

[14] Entscheidend ist aber die unter ausdrücklicher Bezugnahme auf dieses andere Verfahren erfolgte Streitverkündung im Anlassverfahren: Die Streitverkündung indiziert ein über die Bestärkung des eigenen Rechtsstandpunkts hinausgehendes Interesse des Rechtsanwalts und der Rechtsanwalts GmbH am Ausgang des Amtshaftungsverfahrens, drohte ihnen die Beklagte doch für den Fall des Prozessverlusts mit einem Regress. D abei kommt es nicht darauf an, dass der Rechtsanwalt und die Rechtsanwalts GmbH dem Verfahren nicht als Nebenintervenienten beigetreten sind, weil sich die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils grundsätzlich auch auf denjenigen erstrecken, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte (vgl RS0107338). Diese Bindungswirkung übersieht die Begründung des Erstgerichts, es sei keine Befangenheit der beiden Mitglieder des Berufungssenats zu befürchten, weil der Rechtsanwalt und die Rechtsanwalts GmbH nicht Parteien des A mtshaftungs verfahrens geworden seien.

[15] Die insbesondere auch auf die Streitverkündung gestützte Vermutung der Kläger, die abgelehnten Richter könnten in ihrer Willens bildung durch ihre ( einer unparteiischen Entscheidung bereits in dem anderen Verfahren im Wege stehenden ) Freundschaft zu dem am Verfahrensausgang interessierten Rechtsanwalt beeinflusst werden, ist durch objektiv fassbare Umstände nicht widerlegbar (vgl 17 Ob 30/08y).

[16] 3. Dem Rekurs ist daher Folge zu geben und die Befangenheit der betroffenen Richter festzustellen. Zugleich waren die von den abgelehnten Richtern vorgenommenen Prozesshandlungen als nichtig aufzuheben (§ 25 JN).

[17] 4 . Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO. An der Nichtigkeit des Berufungsverfahrens trifft keine der Parteien ein Verschulden.

[18] Das Ablehnungsverfahren bildet einen Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des zugrundeliegenden Verfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist, wenn eine Partei einen Antrag stellt und die andere diesem Antrag – wie hier – entgegentritt (RS0126588). Allerdings sind nur die Kosten des Rekursverfahrens vom allgemeinen Verfahrensaufwand klar abgrenzbar und daher zuzusprechen (vgl 1 Ob 80/22d).

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