JudikaturOGH

19Ob2/19m – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. September 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Klaar als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller Dr. A***** R*****, 2. Mag. N***** N*****, 3. Mag. C***** R*****, 4. Dr. E***** S*****, 5. Mag. K***** K*****-T*****, 6. Dr. T***** E*****, 7. Mag. S***** S*****, alle Rechtsanwälte in Wien, alle vertreten durch Urbanek Rudolf Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Anfechtung der am 23. Mai 2019 durchgeführten engeren Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters der Rechtsanwaltskammer Wien, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anfechtung der am 23. Mai 2019 durchgeführten engeren Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters der Rechtsanwaltskammer Wien wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Die Antragsteller fochten mit dem am 30. Mai 2019 beim Obersten Gerichtshof im ERV eingebrachten Schriftsatz die am 23. Mai 2019 durchgeführte engere Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters der Rechtsanwaltskammer Wien (fortan: RAK) gemäß § 24b RAO an. Sie begründen diese Anfechtung im Wesentlichen wie folgt:

Bereits bei der Vorbereitung der Wahlen bei der Plenarversammlung der RAK vom 25. 4. 2019 seien näher bezeichnete Fehler unterlaufen, nämlich insbesondere eine fehlerhafte und irreführende Kundmachung der Wahlvorschläge, die Verwendung fehlerhafter und irreführender Stimmzettel und die unzulässige Zurückziehung eines Wahlvorschlags. Nach dem ersten Wahlgang zur Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters sei deren Ergebnis zu Unrecht dahin bekannt gegeben worden, dass keiner der beiden Kandidaten gewählt worden sei, was auf einer unrichtigen Ermittlung der erforderlichen absoluten Mehrheit unter Berücksichtigung auch der ungültigen Stimmen geschehen sei. Tatsächlich sei bereits im ersten Wahlgang Mag. R***** S***** gewählt gewesen, weshalb eine engere Wahl nicht hätte stattfinden dürfen. Diese hätte auch nicht vor der Entscheidung über die Anfechtung der in der Plenarversammlung der RAK vom 25. April 2019 erfolgten Wahlen (19 Ob 1/19i) anberaumt werden dürfen.

Die Rechtsanwaltskammer Wien schloss sich (nunmehr) im Ergebnis der Ansicht der Antragsteller betreffend die Berechnung der absoluten Mehrheit (ohne Berücksichtigung ungültiger Stimmen) an und beantragte, die engere Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters der RAK vom 23. Mai 2019 aufzuheben und für nichtig zu erklären. Sie regte weiters an, das Verfahren zu unterbrechen und beim Verfassungsgerichtshof gemäß § 140 Abs 1 lit a B-VG ein Gesetzesprüfungsverfahren dahin einzuleiten, ob § 24 Abs 5 Satz 1 RAO aufgrund der Wortfolge „der an der Wahl teilnehmenden Kammermitglieder“ gegen Art 26 Abs 1 bzw Art 120c Abs 1 B-VG verstößt.

Dr. E***** H***** beantragte, die Wahlanfechtung als verspätet zurückzuweisen, ihr in eventu keine Folge zu geben.

Folgender Sachverhalt steht fest:

Am 25. April 2019 fand in Wien die Plenarversammlung der RAK statt, bei der (ua) die Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters vorgesehen war. Auf die Plenarversammlung war die vom BMVRDJ genehmigte Geschäftsordnung 2017 (GeO 2017) anzuwenden, welche den Charakter einer von der Plenarversammlung erlassenen Verordnung hat.

Die Einladung zur Plenarversammlung wurde an die Mitglieder der RAK am 28. Februar 2019 verschickt. Die Einladung enthielt (ua) die Aufforderung, Wahlvorschläge bis längstens fünf Wochen vor dem Tag der Plenarversammlung mit einer entsprechenden Anzahl von Unterstützungserklärungen im Kammeramt einzubringen.

Betreffend die Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters wurde von den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten „S*****/B***** et al“ Rechtsanwalt Mag. R***** S***** und von den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten „W*****-H***** et al“ Rechtsanwalt Dr. E***** H***** vorgeschlagen.

Ein zuvor eingegangener, von Rechtsanwalt Prof. Dr. M***** B***** übermittelter Wahlvorschlag der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte „K***** et al“ vom 11. März 2019, in dem ebenfalls Mag. S***** zur Wahl zum Präsidenten-Stellvertreter vorgeschlagen war, wurde mit Schreiben vom 21. März 2019 von Dr. B***** als Bevollmächtigten zurückgezogen und nicht kundgemacht, was vom Ausschuss der RAK zustimmend zur Kenntnis genommen wurde.

Für die Wahl wurden Stimmzettel verwendet, welche zusätzlich zu den Namen der Kandidaten auch Hinweise auf jene Personen enthielten, die den Wahlvorschlag für den jeweiligen Kandidaten unterstützten.

Für die Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters wurden von Rechtsanwälten 979 Stimmen abgegeben, davon 89 ungültig oder leer, gültig somit 890. Von Rechtsanwaltsanwärtern wurden 255 Stimmen abgegeben, davon ungültig oder leer 23, gültig daher 232. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Kandidaten Mag. S***** bei den Rechtsanwälten 466 und bei den Rechtsanwaltsanwärtern 79; auf den Kandidaten Dr. H***** bei den Rechtsanwälten 424 und bei den Rechtsanwaltsanwärtern 153.

Da die Stimme eines Rechtsanwalts zwei Stimmen von Rechtsanwaltsanwärtern entspricht (§ 24 Abs 3 RAO) ermittelte das Skrutinium die „gewichteten Stimmen“ derart, dass es die Zahl der abgegebenen Stimmen der Rechtsanwälte verdoppelte und die Anzahl der abgegebenen Stimmen der Rechtsanwaltsanwärter hinzuzählte. Von den so gewichteten gültigen Stimmen entfielen auf den Kandidaten Mag. S***** 1.011 und auf den Kandidaten Dr. H***** 1001. Das Skrutinium vertrat die Rechtsansicht, es seien die Bestimmungen des § 24 Abs 1 Z 1 und Abs 3 sowie Abs 5 RAO so zu interpretieren, dass die absolute Mehrheit 50 Prozent plus eine Stimme der Wahlzahl beträgt, welche aus allen gewichteten Stimmen inklusive ungültiger Stimmen zu bilden sei. Demnach betrug die gewichtete Wahlzahl 1.106,50, welche von keinem der Kandidaten erreicht wurde. Als Ergebnis der Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters wurde bekannt gemacht, dass „kein Kandidat gewählt (ist) und ein zweiter Wahlgang gem. § 24 (5) RAO (…) erforderlich (ist)“. Dieses Ergebnis wurde in Entsprechung des § 25 Abs 5 RAO am 26. April 2019 im Internet auf der Website der RAK veröffentlicht.

In der Folge wurde von der RAK die engere Wahl in den Räumlichkeiten der Kammer für den 23. Mai 2019 anberaumt. Bei diesem zweiten Wahlgang wurden von Rechtsanwälten 925 Stimmen abgegeben, davon ungültig oder leer 21, gültig sohin 904; von Rechtanwaltsanwärtern 161, davon ungültig oder leer 3, gültig sohin 158.

Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Kandidaten Mag. S***** bei den Rechtsanwälten 424, bei den Rechtsanwaltsanwärtern 46; auf den Kandidaten Dr. H***** bei den Rechtsanwälten 480, bei den Rechtsanwaltsanwärtern 112. Von den gültigen gewichteten Stimmen entfielen daher auf Mag. S***** 894, auf Dr. H***** 1.072. Es wurde daher Dr. H***** als gewählt erklärt.

Zur Beweiswürdigung ist auszuführen, dass die getroffenen Feststellungen auf dem dazu von den Parteien übereinstimmend erstatteten Vorbringen sowie den vorgelegten unbedenklichen Urkunden beruhen und im Übrigen unstrittig sind.

Rechtliche Beurteilung

In rechtlicher Beurteilung wird erwogen:

1. Zur Rechtzeitigkeit:

1.1. Gemäß § 24b Abs 1 RAO kann eine Wahl nach § 24 Abs 1 RAO von jedem Wahlberechtigten binnen einer Woche nach Veröffentlichung des Wahlergebnisses (§ 25 Abs 5 RAO) angefochten werden. Soweit sich die Anfechtung der Antragsteller gegen die am 23. Mai 2019 durchgeführte engere Wahl richtet, ist der am 30. Mai 2019 beim Obersten Gerichtshof im ERV eingebrachte Anfechtungsantrag rechtzeitig.

1.2. Soweit sich jedoch die Anfechtung auf Gründe stützt, die die Wahl vom 25. April 2019 betreffen, ist die Frist des § 24 Abs 1 RAO nicht mehr gewahrt. Dies gilt namentlich für die zu den Wahlvorgängen am 25. April 2019 (auch schon zu 19 Ob 1/19i) behaupteten Mängel betreffend die vermeintlich nicht unverzüglich erfolgte Bekanntmachung von Wahlvorschlägen (vgl § 11 Abs 1 GeO 2017), die Bezeichnung der Unterstützer auf den Wahlvorschlägen und Stimmzetteln, irreführende Informationen zum Ausfüllen der Stimmzettel und auf den Stimmzetteln selbst, die nur eventualiter mögliche Wahl von Kandidaten für den Fall des Ausscheidens des Amtsinhabers sowie die behauptete Unzulässigkeit der Zurückziehung von Unterstützungserklärungen. Die Geltendmachung aller dieser angeblichen Mängel der am 25. April 2019 durchgeführten Wahlen kann nicht mehr anlässlich der engeren Wahl vom 23. Mai 2019 erfolgen, sondern ist verfristet.

2. Die Anfechtungsgründe nach § 24b Abs 1 RAO:

2.1. Vor dem Verfassungsgerichtshof kann die Anfechtung von Wahlen nach Art 141 Abs 1 lit a, b, h, i und j B-VG (ganz allgemein) auf eine behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens gegründet werden. Im Gegensatz dazu können gemäß § 24b Abs 1 RAO Wahlen nach § 24 Abs 1 RAO von jedem Wahlberechtigten (nur dann erfolgreich) angefochten werden, wenn eine Person zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen, zur Wahl zugelassen oder als gewählt erklärt worden ist.

2.2. Dem Obersten Gerichtshof steht daher nach dem Wortlaut des § 24b Abs 1 RAO bei Wahlanfechtungen nach der RAO eine vergleichsweise nur sehr eingeschränkte Prüfungsbefugnis zu (vgl dazu auch 19 Ob 2/18k; OBDK Bkv 6/10). Mangels einer gesetzlichen Grundlage ist es dem Obersten Gerichtshof demnach verwehrt, gleichsam jeden Mangel oder jede Unzweckmäßigkeit eines Wahlverfahrens wahrzunehmen, sofern diese nicht einen der in § 24b Abs 1 RAO normierten Anfechtungsgründe herbeigeführt haben.

2.3. Rohregger (in Engelhart/ Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 24b Rz 3) nennt allerdings als vierten (gesetzlich nicht ausdrücklich genannten) Anfechtungsgrund jenen Fall, dass jemand zu Unrecht als nicht gewählt erklärt wurde. Soweit in solchen Konstellationen jemand nicht nur zu Unrecht als nicht gewählt erklärt wurde, sondern zugleich auch ein anderer zu Unrecht für die betreffende Funktion als gewählt erklärt wurde, wird regelmäßig infolge Konnexität ohnehin ein untrennbarer Zusammenhang und damit jedenfalls ein ausdrücklich genannter Anfechtungsgrund verwirklicht sein (vgl auch dazu Rohregger in Engelhart/ Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 24b Rz 3). Falls allerdings – wie im Anlassfall – ausschließlich ein „Übergehen“ (für nicht gewählt erklärt werden) aller Kandidaten infolge einer behaupteten unrichtigen Ermittlung des Wahlergebnisses vorliegt, besteht auch nach Ansicht des erkennenden Senats insoweit eine Regelungslücke in § 24b Abs 1 RAO. Nach einer Wahl, nach der – wie hier – als Ergebnis kundgemacht wird, dass keiner der Kandidaten als gewählt erklärt wird, liegt ein den ausdrücklich genannten Anfechtungsgründen gleichwertiger Prüfungsbedarf vor, könnte doch dadurch einem – entgegen der Einschätzung des Skrutiniums – rechtswirksam gewählten Kandidaten die betreffende Funktion vorenthalten werden, indem er für nicht gewählt erklärt und zu Unrecht eine neue Wahl angeordnet wird. Diese Regelungslücke ist durch Analogie dahin zu schließen, dass auch jener Fall, bei dem (nur) jemand zu Unrecht als nicht gewählt erklärt wurde, als Anfechtungsgrund § 24b Abs 1 RAO geltend gemacht werden kann.

2.4. Für den Anlassfall folgt daraus, dass die Wahl zum Präsidenten-Stellvertreter am 25. April 2019 aus dem zuvor genannten Grund anfechtbar und damit die Rechtsansicht des Skrutiniums über die für die absolute Mehrheit (50 % plus eine Stimme) notwendige Wahlzahl aus allen gewichteten Stimmen überprüfbar war. Dies hätte allerdings die Anfechtung der am 25. April 2019 erfolgten Wahl zum Präsidenten-Stellvertreter erfordert, was innerhalb der dafür offenen Frist (vgl dazu auch Punkt 1.2.) nicht geschehen ist und nicht mehr im Weg der Anfechtung der engeren Wahl vom 23. Mai 2019 nachgeholt werden kann. Damit ist das am 25. April 2019 erzielte Ergebnis der Wahl zum Präsidenten-Stellvertreter infolge unterbliebener Anfechtung rechtswirksam und zwar ohne dass die Richtigkeit der Rechtsansicht des Skrutiniums über die notwendige Wahlzahl einer Überprüfung bedürfte. Mangels Entscheidungsrelevanz dieser Frage ist auch die dazu von der RAK angeregte Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ausgeschlossen.

3. Zur engeren Wahl vom 23. Mai 2019:

3.1. Da das am 25. April 2019 erzielte und kundgemachte Ergebnis der Wahl zum Präsidenten-Stellvertreter infolge unterbliebener Anfechtung rechtswirksam geworden ist (vgl Punkt 2.4.) kann die Anfechtung der engeren Wahl vom 23. Mai 2019 nicht erfolgreich darauf gestützt werden, dass diese engere Wahl gar nicht hätte stattfinden dürfen.

3.2. Da somit in der Plenarversammlung vom 25. April 2019 – nach der infolge unterbliebenen Anfechtung nicht mehr zu überprüfenden Rechtsansicht des Skrutiniums – keiner der Kandidaten die für das Amt des Präsidenten-Stellvertreters notwendige absolute Mehrheit erreicht hatte, beruhte die Anberaumung der engeren Wahl für den 23. Mai 2019 auf § 12 Abs 8 GeO 2017. Dafür ist eine Frist von höchstens fünf Wochen nach dem Tag der ursprünglichen Plenarversammlung vorgesehen, wenn die erstreckte Plenarversammlung „einzig der Durchführung der engeren Wahl dient“, was hier der Fall war.

3.3. Warum der Umstand, dass in der gegebenen Konstellation vor Durchführung der engeren Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters nicht die Entscheidung über die (letztlich als nicht berechtigte erkannte) Wahlanfechtung zu 19 Ob 1/19i abgewartet wurde, einen Anfechtungsgrund nach § 24b Abs 1 RAO verwirklichten sollte, vermögen die Antragsteller nicht substanziell aufzuzeigen und es ist dies auch dem Senat nicht erkennbar.

3.4. Im Übrigen gilt auch für diese engere Wahl vom 23. Mai 2019 die schon angesprochene Einschränkung des Anfechtungskalküls (vgl dazu Punkt 2.2.). Daher verwirklichen einzelne Aspekte des Wahlvorgangs und namentlich politische Aussagen eines Kandidaten im Zusammenhang mit der Wahl eines Präsidenten-Stellvertreters keinen Anfechtungsgrund nach § 24b Abs 1 RAO.

4. Ergebnis:

Die Wahrnehmung allfälliger Mängel bei der Wahl zum Präsidenten-Stellvertreter am 25. April 2019 war infolge unterbliebener Anfechtung des dabei erzielten Wahlergebnisses ausgeschlossen. Betreffend die engere Wahl vom 23. Mai 2019 zeigen die Antragsteller keinen für den Wahlausgang erheblichen Anfechtungsgrund im Sinn des § 24b RAO auf. Die Wahlanfechtung war daher abzuweisen.

Rückverweise