7Ob201/15g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G***** H*****, als Insolvenzverwalter in der Insolvenz über das Vermögen des S*****, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Kurt Berger und Dr. Mathias Ettel, Rechtsanwälte in Wien, und den Nebenintervenienten 1. KR P***** S*****, vertreten durch Dr. Karl Klein, Rechtsanwalt in Wien, und 2. Ing. W***** B*****, vertreten durch Mag. Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wegen 125.000 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juli 2015, GZ 11 R 115/15k 33, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21. April 2015, GZ 29 Cg 41/14h 22, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit Urteil vom 26. 3. 2013 des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien (57 Cg 81/12v), bestätigt durch das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 5. 8. 2013 (15 R 146/13w), wurde mit Wirkung zwischen dem Verein „S*****“ (in Folge: Schuldner) und dem Beklagten rechtskräftig festgestellt, dass der vom Beklagten in der Sitzung des geschäftsführenden Vorstands vom 27. 1. 2012 gefasste Beschluss, mit dem der Schuldner ausgeschlossen wurde, unwirksam und dieser daher weiterhin Mitglied des Beklagten ist. Begründet wurde dies damit, dass in Ansehung von Satzungen von Vereinsstatuten eine verstärkte Grundrechtsbindung zu bejahen sei und daher auch dann, wenn die Satzungen keine vorherige Anhörung des auszuschließenden Mitglieds vorsehen, diesem Gelegenheit gegeben werden müsse, sich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich zu den behauptenden Ausschlussgründen zu äußern. Hier sei der Schuldner erst im Nachhinein von dem bereits erfolgten Ausschluss schriftlich in Kenntnis gesetzt worden. Das Schreiben habe zudem keine detaillierte Auflistung der behaupteten Verstöße enthalten. Diese Vorgehensweise sei rechtswidrig gewesen.
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von 125.000 EUR. Der Schuldner habe ab Mitte 2011 mit einem Sponsor intensive Verhandlungen wegen Vereinssponsorings geführt. Diese seien spätestens Ende Jänner 2012 soweit gediehen gewesen, dass der Abschluss eines Sponsoringvertrags bevorgestanden sei. Der Sponsor habe die fixe Absicht gehabt, mit dem Kläger einen fünfjährigen Sponsorvertrag über 125.000 EUR für die Laufzeit 2012 bis 2016 abzuschließen. Es sei eine weitere Verlängerung um fünf Jahre geplant gewesen. Der Gesamtbetrag wäre im Jahr 2012 fällig gewesen. Durch den rechtswidrigen Ausschluss des Schuldners sei seiner Vereinstätigkeit in wesentlichen Teilen der Boden entzogen worden und der Sponsor habe sich zurückgezogen.
Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Sponsoringvertrag sei nicht abgeschlossen worden. Ein derartiger Vertrag eines Privatmanns mit einer fünfjährigen Laufzeit und einer Summe von 125.000 EUR mit einer Verlängerungsoption um weitere fünf Jahre sei im österreichischen Schwimmsport unüblich und außergewöhnlich. Der Schaden sei daher nicht adäquat verursacht worden. Darüber hinaus liege keine Rechtswidrigkeit vor, da die Vereinsstatuten die Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht vorgesehen hätten. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang sei zudem nicht gegeben, weil die Wahrung des rechtlichen Gehörs nur den Zweck habe, Mitglieder nicht nach Gutdünken auszuschließen. Die Norm habe nicht den Zweck, den Auszuschließenden vor einem möglichen Schaden zu schützen. Ein reiner Vermögensschaden sei nur dann zu ersetzen, wenn die Interessen des Schädigers wesentlich geringer zu bewerten seien als die des Geschädigten. Hier sei es zu Verfälschungen von Wettkämpfen gekommen, woraus folge, dass das Verhalten des Beklagten anlässlich seiner Beschlussfassung keinesfalls auf eine schädigende Wirkung auf den Schuldner abgezielt habe. Der Beklagte habe vielmehr sicherstellen wollen, dass Wettkämpfe entsprechend den Wettkampfbestimmungen des Beklagten abgehalten und Manipulationen verhindert würden.
Der Erstnebenintervenient und der im Berufungsverfahren beigetretene Zweitnebenintervenient schlossen sich im Wesentlichen dem Vorbringen des Beklagten an.
Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 125.000 EUR. Positiver Schaden und nicht entgangener Gewinn liege bereits dann vor, wenn eine rechtlich gesicherte Position bestehe, den Gewinn zu erzielen. Hier hätten der Schuldner und der Sponsor einen rechtswirksamen Sponsoringvertrag über 125.000 EUR abgeschlossen, den der Sponsor sodann aus wichtigem Grund (Ausschluss des Schuldners und die dadurch entstandenen negativen Folgen) aufgelöst habe. Aufgrund rechtswidrigen Verhaltens sei nur für jenen verursachten Schaden zu haften, den die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern wollte. Da es sich bei dem vom Beklagten verletzten Grundrecht auf Gewährung beiderseitigen rechtlichen Gehörs um eine der zentralen Normen aller bekannter Verfahrensrechte handle, die alle Schäden hintanhalten wolle, die denkmöglich aufgrund deren Verletzung entstehen könnten, sei der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen. Die Beweislast für die Haftungsbefreiung wegen Eintritt des Schadens auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten treffe den Beklagten, ein entsprechender Nachweis sei ihm aber nicht geglückt.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn ab. Es unterstellte der von den Berufungswerbern bekämpften disloziert in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts enthaltenen Feststellung, dass der Sponsor den Sponsoringvertrag aus wichtigem Grund aufgelöst habe, die Bedeutung, dass eine einvernehmliche mündliche Vertragsauflösung des Sponsoringvertrags erfolgt sei, und auch rechtlich von einer einvernehmlichen Vertragsauflösung auszugehen sei. Dass der Sponsor berechtigt gewesen wäre, den Vertrag wegen des Ausschlusses des Schuldners unverzüglich durch eine einseitige Willenserklärung aufzulösen, sei nicht vorgebracht. Auch die Ergebnisse des Beweisverfahrens würden hiefür keine Anhaltspunkte bieten, zumal angesichts der seit langem gefestigten höchstgerichtlichen Judikatur von Anfang an klar gewesen sei, dass der Schuldner die Unwirksamkeit seines Ausschlusses wegen Verletzung seines rechtlichen Gehörs erfolgreich werde bekämpfen können. Der Sponsor hätte daher den Ausgang des gegen den Beklagten anzustrengenden Feststellungsprozesses abwarten müssen; wenn der Schuldner dort wider Erwarten unterlegen wäre, hätte der Sponsor wohl wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Möglichkeit gehabt, als Sponsor „abzuspringen“. Daraus folge aber, dass die einvernehmliche Auflösung des Sponsoringvertrags und der dadurch hervorgerufene Entgang von 125.000 EUR auf einem selbständigen, durch den Ausschluss nicht herausgeforderten Entschluss des Schuldners beruhte, weshalb der Beklagte für diesen Schaden nicht einzustehen habe.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben. Die Nebenintervenienten beteiligten sich am Revisionsverfahren nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Eine Verletzung des Unmittelbarkeits grundsatzes durch das Berufungsgericht liegt vor, wenn dieses von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung oder aufgrund einer unvollständigen Wiederholung der mit dem Beweisthema zusammenhängenden Beweise, auf die das Erstgericht entscheidende Feststellungen gestützt hat, abgeht oder wenn es ohne Beweiswiederholung Feststellungen aufgrund der in erster Instanz aufgenommenen Beweise ergänzt (RIS Justiz RS0043057). Betreffen die ergänzten Feststellungen einen für die Entscheidung wesentlichen Umstand stellt die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes auch eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS Justiz RS0043057 [T11]).
Das Erstgericht traf disloziert in seiner rechtlichen Beurteilung die Feststellung, dass der Sponsor den Sponsoringvertrag mit dem Schuldner aus wichtigem Grund (Ausschluss des Schuldners aus dem Beklagten und dadurch entstandene negative Folgen) auflöste. Das Berufungsgericht kam unter Heranziehung der Ergebnisse des Beweisverfahrens zu dem Schluss, dass diese Feststellung im Sinne einer einvernehmlichen mündlichen Vertragsauflösung zu verstehen sei. Diese Interpretation ist vom Wortlaut der Feststellung nicht gedeckt. Die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, ohne Vornahme einer Beweiswiederholung unter Bewertung der in erster Instanz aufgenommenen Beweise von der vom Erstgericht getroffenen Feststellung abzuweichen, bewirkt einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz und damit eine wesentliche Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens.
2.1 Das Berufungsgericht argumentiert über die von den erstgerichtlichen Feststellungen nicht gedeckte Annahme einer „echten“ einvernehmlichen Auflösung des Sponsoringvertrags hinaus , dass der Sponsor den Ausgang des gegen den Beklagten anzustrengenden Feststellungsprozesses abwarten hätte müssen, bevor er die Möglichkeit gehabt hätte, wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage als Sponsor „abzuspringen“. Damit das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Auflösung des Sponsoringvertrags zu verneinen, ist verfehlt. Es liegt auf der Hand, dass das Interesse des Sponsors schon dann wegfallen kann, wenn der gesponserte Verein über längere Zeit keine Trainingsmöglichkeiten hat und nicht an Wettkämpfen teilnehmen kann, zumal ja auch völlig unklar ist, ob der ausgeschlossene Verein nach einer möglicherweise Jahre dauernden wenn auch letztlich erfolgreichen Prozessführung gegen den Ausschluss, überhaupt noch über eine solche Bedeutung verfügt, die für einen Sponsor Wert hat.
2.2 Im Übrigen schließt die Zustimmung des Vertragspartners zu einer einseitigen Auflösungserklärung nicht ohne weiteres jegliche Schadenersatzforderung aus, wenn etwa ein wichtiger Grund vorliegt, der den einen Vertragspartner zur einseitigen vorzeitigen Auflösung des Dauerschuldverhältnisses berechtigt und dies der andere bloß akzeptiert.
3. Eine abschließende Beurteilung ist im vorliegenden Fall aber noch nicht möglich, sodass trotz Verstoßes des Berufungsgerichts gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz die Rechtssache gleich an das Erstgericht zurückzuverweisen war:
3.1 Ein Dauerschuldverhältnis ist ein Vertrag, der nicht durch einmaligen Austausch von Leistung und Gegenleistung erfüllt wird, sondern durch ein dauerhaftes Verhalten oder wiederkehrende, sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Einzelleistungen. Die herrschende Vertragsfreiheit erlaubt es den Parteien, Dauerrechtsverhältnisse zu vereinbaren, die im Gesetz nicht typisiert sind (RIS Justiz RS0008962 [T1]).
Ein auf fünf Jahre beabsichtigter Sponsoringvertrag, der für die jährliche Zurverfügungstellung eines Sponsorbetrags von 25.000 EUR als Gegenleistung die Erwähnung des Unternehmenszugs des Sponsors in Ausschreibung, Urkunden und Transparenten vorsieht, stellt ein befristetes Dauerschuldverhältnis dar.
3.2 Dauerschuldverhältnisse können aus einem wichtigen Grund vorzeitig aufgelöst werden (RIS Justiz RS0020919 [T1]). Ein wichtiger Grund für die Auflösung eines Dauerrechtsverhältnisses ist gegeben, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wegen des Verlusts des Vertrauens in den Partner, schwerwiegende Leistungsstörungen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage unzumutbar geworden ist (RIS Justiz RS0013628 [T2]). Auch die unvorhergesehene und erhebliche nachträgliche Erschwerung der geschuldeten Leistung kann einen wichtigen Grund für die Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses bilden (RIS Justiz RS0018811).
3.3 Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass auch bei rechtlicher Sonderverbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem dieser den Eintritt des behaupteten Schadens, dessen Höhe und den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Schadenseintritt zu behaupten und zu beweisen hat (RIS Justiz RS0022862 [T7, T10]).
3.4 Im vorliegenden Fall hat nun der Kläger vorerst vorgebracht, dass der unmittelbar bevorstehende Abschluss des Sponsoringvertrags an seinem rechtswidrigen Ausschluss scheiterte, wodurch er den geltend gemachten Schaden (entgangenen Gewinn) erlitten habe. An späterer Stelle brachte er vor, dass sein Sponsor „abgesprungen“ sei, weil ihm durch den rechtskräftigen Ausschluss die Ausübung des Schwimmsports unmöglich gemacht worden sei.
Dieses Vorbringen deutete das Erstgericht offenbar dahingehend, dass der Sponsor den ursprünglich zustande gekommenen Vertrag unter Geltendmachung eines wichtigen Grundes auflöste. Dieser Inhalt ist der aufgezeigten Formulierung nicht ohne Weiteres zu entnehmen. Im gegebenen Zusammenhang ist vielmehr die Klarstellung angebracht, ob der Kläger Ersatz für entgangenen Gewinn wegen des nicht zustande gekommenen Sponsoringvertrags begehrt oder aber für den positiven Schaden, der aus der Auflösung des bereits rechtswirksamen Sponsoringvertrags resultiert. Im letzteren Fall sind darüber hinaus konkrete Behauptungen dahin erforderlich, ob und welche Gründe der Sponsor seiner Auflösungserklärung zugrunde legte und wie der Kläger darauf reagierte. Das Erstgericht wird daher mit dem Kläger zu erörtern haben, wodurch nun der behauptete Schaden eingetreten sein soll.
Erst nach Treffen entsprechender Feststellungen kann über die Rechtssache entschieden werden.
4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.