JudikaturOGH

6Nc18/15x – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Oktober 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Patricia K*****, geboren am ***** 2003, vertreten durch die Mutter S***** L*****, beide *****, AZ 23 Pu 58/15g des Bezirksgerichts Fürstenfeld, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 17. 7. 2015 verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Bruck an der Leitha wird genehmigt.

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom 17. 7. 2015 (ON 253) übertrug das Bezirksgericht Fürstenfeld die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache dem Bezirksgericht Bruck an der Leitha, das die Übernahme jedoch ablehnte (ON 254). Dem Argument des übertragenden Gerichts, der aktuelle ständige Aufenthalt des Kindes bei seiner Mutter (der nach der Aktenlage auch die Alleinobsorge zukommt) liege im Sprengel des übertragenen Gerichts, hielt dieses entgegen, eine Aktentrennung bei Geschwistern erscheine nicht sinnvoll; im Übrigen werde „auf die Praxis hingewiesen, wonach sich die örtliche Zuständigkeit nach dem ältesten Kind richtet“. Tatsächlich hat das Kind einen am ***** 2001 geborenen Bruder (Sebastian), der bei seinem Vater im Sprengel des Bezirksgerichts Fürstenfeld lebt; die Obsorge steht im Teilbereich Pflege und Erziehung dem Kinder und Jugendhilfeträger zu, der Sebastian bei seinem Vater untergebracht hat.

Nach Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses legte das Bezirksgericht Fürstenfeld den Akt (neuerlich) zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof vor und wies darauf hin, dass auch die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha (als Kinder und Jugendhilfeträger) bereits die Zuständigkeit übernommen habe.

Rechtliche Beurteilung

Die verfügte Genehmigung ist berechtigt.

Nach § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn es im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit ist dabei immer das Kindeswohl (RIS Justiz RS0047074). Dabei wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch das Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält. Eine Zuständigkeitsübertragung ist daher grundsätzlich zu genehmigen, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes in den Sprengel eines anderen als des bisher zuständigen Bezirksgerichts verlagert wird (10 Nd 503/01; 6 Ob 10/05f uva).

In der Rechtsprechung wurde zwar immer wieder betont, dass eine Aufsplitterung des Pflegschaftsverfahrens für mehrere Kinder aus einer Lebensgemeinschaft oder einer Ehe nach Tunlichkeit vermieden werden sollte, weil es in der Regel zweckmäßig sei, wenn die Pflegschaft bei einem Gericht geführt wird (10 Nd 503/01; 4 Nd 507/95; 6 Ob 10/05f; 5 Nc 21/12a; vgl weitere Nachweise bei Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG [2013] § 111 JN Rz 14 FN 44; ebenso Mayr in Rechberger , ZPO 4 [2014] § 111 JN Rz 3 unter Hinweis auf § 420 Abs 4 Geo). Tatsächlich wurde eine Zuständigkeitsübertragung hinsichtlich eines von mehreren Geschwistern aber immer wieder genehmigt, wenn sich deren Lebensmittelpunkte in verschiedenen Bezirksgerichtssprengeln befanden (10 Nd 503/01; 8 Nc 31/15y); in der zuletzt genannten Entscheidung verwies der Oberste Gerichtshof insbesondere auf das bereits „fortgeschrittene Alter“ der Kinder (diese waren in einem ähnlichen Alter wie Patricia und Sebastian) und den Umstand, dass die Wohnsitze der betreuenden Eltern und der Kinder ohnehin getrennt seien. Auch in der Literatur wird eine „Aufsplitterung der Pflegschaftsverfahren“ dann für zulässig erachtet, wenn es „gar keine Gemeinsamkeiten mehr gibt“ ( Gitschthaler aaO).

Angesichts der faktischen Trennung der Lebensbereiche der beiden Geschwister (dem Vater steht hinsichtlich des Patricia betreffenden Pflegschaftsakts sogar lediglich eingeschränkte Akteneinsicht zu), kommt dem Einwand des übertragenen Gerichts, eine Aktentrennung sei bei Geschwistern nicht sinnvoll, keine Berechtigung zu; dessen Hinweis auf eine Praxis, wonach sich die örtliche Zuständigkeit nach dem ältesten Kind richte, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.

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