13Os23/89 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16.März 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Telfser als Schriftführers in der Strafsache gegen Ernst H*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 14.Dezember 1988, GZ. 6 b Vr 6593/88-51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB. sowie im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Nach dem in Beschwerde gezogenen Schuldspruch (§ 87 Abs. 1 StGB.) hat der Angeklagte am 12.Juni 1986 Robert H*** absichtlich mit einem Messer eine schwere Körperverletzung (Schulterdurchstich, Stich in die Leistengegend mit einer Verletzung der Hauptschlagader) zugefügt.
Rechtliche Beurteilung
Mit Recht rügt der Angeklagte (sachlich aus § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO.), daß das Schöffengericht die von ihm reklamierte und vom Opfer teilweise bestätigte (S. 399 ff) Notwehrlage mit der irrigen Rechtsansicht abgetan habe, daß eine solche von vornherein nicht gegeben sei, weil der Angeklagte es unterlassen habe, der Konfrontation auszuweichen, was insbesondere auch beim Angriff eines Betrunkenen gelte (S 417 f).
Die Erstrichter haben sonach die von ihnen als "herrschende neuere Rechtsprechung" bezeichnete Judikatur in Wahrheit nicht gekannt, weil diese den gegenteiligen Standpunkt vertritt. Auch gegenüber Betrunkenen besteht das Interesse der Rechtsbewährung in vollem Umfang und deshalb keine Pflicht zum Ausweichen vor ihren Angriffen, zumal Betrunkene - anders als Minderjährige und zur gehörigen Besorgung ihrer Angelegenheiten Unfähige (§ 21 Abs. 1 ABGB.) - nicht unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehen und durch Alkohol enthemmte Personen in der Regel besonders gefährlich sind (siehe statt vieler EvBl. 1987 Nr. 158 mit ausführlichen Judikaturzitaten sowie Kapfer MTA15 S. 16 Anm. zu § 19 ABGB.). Angesichts der irrigen Rechtsansicht der Tatrichter fehlt es daher an Konstatierungen zu einer vorhanden gewesenen oder auszuschließenden Notwehrlage. Diese Feststellungen müssen daher im zweiten Rechtsgang nachgeholt werden.
Infolgedessen mußte der Beschwerde des Angeklagten aus dem Grund der Z. 9 lit. b stattgegeben und der angefochtene Schuldspruch in nichtöffentlicher Beratung sofort kassiert werden (§ 285 e StPO.). Davon sind auch der Strafausspruch und die Anrechnung der weiterhin andauernden Vorhaft betroffen.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf den beseitigten Strafausspruch zu verweisen.