4Ob141/77 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Leidenfrost als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger und Dr. Friedl, sowie die Beisitzer Dr. Fritz Miklau und Johann Friesenbichler als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, Malergehilfe, *, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Firma K* GesmbH, *, vertreten durch Dr. Otto Pichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 8.000,--, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 30. Juni 1977, GZ. 44 Cg 126/77 9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 29. März 1977, GZ 2 Cr 139/77 3, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 1.534,38 (einschließlich S 190,-- Barauslagen und S 99,58 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der beklagten Partei vom 17. Oktober 1947 b is 25. Jänner 1953 und vom 20. April 1953 bis 28. Jänner 1 977 zuletzt als Malergeselle mit einem Wochenlohn von S 1.600,-- netto beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde durch Kündigung seitens des Arbeitgebers beendet. Im Betrieb der beklagten Partei waren in den letzten Jahren vor der Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers 5 Arbeiter und 3 Angestellte beschäftigt.
Der Kläger begehrt unter Berufung auf den einschlägigen Kollektivvertrag eine Abfertigung von 7 Wochenlöhnen. Die beklagte Partei behauptet, daß die Bestimmungen über die Abfertigung nach dem einschlägigen Kollektivvertrag für Betriebe bis zu fünf Arbeitnehmern, worunter nur Arbeiter zu verstehen seien, nicht anzuwenden seien. Dem Kläger stehe daher eine Abfertigung nicht zu. Jedenfalls betrage die Höhe der Abfertigung wegen der Unterbrechung des Dienstverhältnissen nur 5 Wochenlöhne.
Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Betrag von S 8.000,-- zu und wies das Me hr begehren von S 3.200,-- ab. Es ging davon aus, daß sowohl nach dem Kollektivvertrag für das Glasergewerbe als auch nach jenem für das Maler-, Anstreicher-, Lackierer-, Schildermaler- und Industriemalergewerbe, die beide Angestellte im Sinn des Angestelltengesetzes von ihrem Geltungsbereich ausschließen, die Bestimmungen über die Abfertigung „für Betriebe bis zu fünf Arbeitnehmern“ ke in e Abwendung finden und für die Feststellung der Anzahl der Arbeitnehmer die letzte Meldung bei der Sozialversicherung maßgebend sei. Im übrigen Text der beiden Kollektivverträge werde teils der Ausdruck „Arbeitnehmer“ und teils der Ausdruck „Arbeiter“ verwendet. Nach allgemeinem Sprachgebrauch seien unter dem Begriff „Arbeitnehmer“ sowohl die Arbeiter als auch die Angestellten zu verstehen, sodaß die beklagte Partei mehr als 5 „Arbeitnehmer“ (nämlich 5 Arbeiter und 3 Angestellte im Sinne des Angestelltengesetzes) beschäftigt habe. Die Bestimmungen der Kollektivverträge über die Abfertigung seien daher auch auf den Betrieb der beklagten Partei anzuwenden, sodaß dem Kläger die Abfertigung – allerdings nur in der Höhe von 5 Wochenlöhnen – zustehe.
Das Berufungsgericht wies über Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren zur Gänze ab. Es ging nach Neudurchführung der Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGerGes vom selben Sachverhalt wie das Erstgericht und davon aus, daß außer Streit stehe, daß auf das Dienstverhältnis der Kollektivvertrag für das Glasergewerbe in der Fassung vom 6. Jänner 1975 anzuwenden sei. Bei der Auslegung des Wortes „Arbeitnehmer“ in der Bestimmung über die Mindestzahl für die Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Abfertigung und jener über die Feststellung dieser Mindestzahl müsse davon ausgegangen werden, daß Kollektivverträge – gemeint offenbar: deren normativer Teil –wie Gesetze, also nach den Vorschriften der §§ 6 und 7 ABGB, auszulegen seien. Es müsse der Wortsinn, aber auch der Zusammenhang der auszulegenden Worte mit anderen Worten und Sätzen des betreffenden Kollektivvertrages beachtet werden. Es dürfe nicht am buchstäblichen Sinn eines Wortes gehaftet werden, es müsse vielmehr die Absicht des Normengebers, soweit sie im Wortlaut des Kollektivvertrages einen objektiv erkennbaren Ausdruck gefunden habe, erforscht werden. Daraus ergebe sich, daß das Wort „Arbeitnehmer“ in den angeführten Kollektivvertragsbestimmungen nur als Umschreibung jener Gruppe von Personen verstanden werden könne, für die der Kollektivvertrag in persönlicher Hinsicht gelte, nämlich: „alle Arbeiter und Lehrlinge mit Ausnahme der Angestellten im Sinn des Angestelltengesetzes und der kaufmännischen Lehrlinge“. Im Kollektivvertrag werde bei vielen – näher angeführten – Bestimmungen ohne ersichtlichen sachlichen Grund bald das Wort „Arbeitnehmer“ und bald das Wort „Arbeiter“ offensichtlich mit gleicher Bedeutung in Bezug auf die grundlegende Bestimmung über den persönlichen Geltungsbereich im Sinn dieser Umschreibung verwendet. Der Ausdruck „Arbeitnehmer“ werde daher in diesem Kollektivvertrage in einem von der allgemein gebräuchlichen Bedeutung abweichenden Sinn gebraucht und auf die sich aus der Beschreibung des persönlichen Geltungsbereiches ergebende Bedeutung eingeschränkt. Diese Verwendung erfolge insbesondere auch in der Regelung des Anspruches auf Abfertigung. Es sei kein Anhaltspunkt gegeben, daß dieser Ausdruck gerade bei der Berechnung und Feststellung der Mindestgröße des Betriebes dafür, daß die Bestimmungen über die Abfertigung auf ihn überhaupt anwendbar sind, anders zu verstehen sei. Es wäre wohl eine Abgrenzung dieser Mindestgröße des Betriebes sowohl nach der Zahl aller darin insgesamt Beschäftigten (Arbeiter und Angestellte) als auch nach der Zahl der darin beschäftigten Arbeiter durchaus sinnvoll. Es müsse aber jener Abgrenzung der Vorzug gegeben werden, die in der betreffenden Norm ihren Ausdruck gefunden habe. Daraus folge, daß die Bestimmungen des Kollektivvertrages über die Abfertigung auf den Betrieb der beklagten Partei nicht anwendbar seien, sodaß der Anspruch des Klägers nicht begründet sei.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es aufzuheben oder im Sinne einer Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht sei zu Unrecht davon ausge g an g en, daß auf das Dienstverhältnis der Kollektivvertrag für das Glasergewerbe anzuwenden sei. In Wahrheit unterliege es dem Kollektivvertrag für das Maler- und Anstreichergewerbe. Es stimmten zwar beide Kollektivverträge im wesentlichen überein, doch würde im Kollektivvertrag für das Maler- und Anstreichergewerbe überwiegend der Ausdruck „Arbeitnehmer“, im Kollektivvertrag für das Glasergewerbe dagegen überwiegend der Ausdruck „Arbeiter“ verwendet. Durch die Zitierung des Kollektivvertrages für das Glasergewerbe habe sich daher „die Position“ des Klägers „zwangsläufig verschlechtern“ müssen; es hätte auch der Kollektivvertrag für das Maler- und Anstreichergewerbe berücksichtigt werden müssen. Da der Kollektivvertrag über die Einführung der Abfertigung erst nach Inkrafttreten des Arbeitsverfassungsgesetzes abgeschlossen worden sei, müsse davon ausgegangen werden, daß die Kollektivvertragspartner den Begriff „Arbeitnehmer“ aus diesem Gesetz übernommen hätten.
Diesen Ausführungen kann nicht zugestimmt werden.
Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß der normative Teil eines Kollektivvertrages nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (§§ 6 und 7 ABGB) auszulegen ist ( Floretta-Strasser Arbeitsverfassungsgesetz 22, Kuderna RdA 1975 161 ff, ArbSlg 9198, EvBl 1976/94 u.a.). Darnach muß einer Norm jene Bedeutung beigelegt werden, die aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Normengebers hervorleuchtet. Das bedeutet, daß zunächst zu beurteilen ist, welche Bedeutung einem Ausdruck nach allgemeinem Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des betreffenden Normengebers zukommt. Einzelne Worte können aber je nach dem Zusammenhang, in dem sie gebraucht werden, verschiedene Bedeutung haben. Der übliche, normale Wortsinn ist ein Hinweis, aber nicht mehr für die Auslegung einer Norm; der noch mögliche Wortsinn begrenzt diese Auslegung ( Koziol Welser Grundriß 4 I 18 f). Es ist auch zu berücksichtigen, daß verschiedene Normengeber denselben Ausdruck in einem anderen Sinne verwenden können, sodaß zunächst zu prüfen ist, ob der Normengeber, der die strittige Bestimmung gesetzt hat, dem Ausdruck erkennbar eine bestimmte Bedeutung gegeben hat.
Daraus folgt für den vorliegenden Fall, daß der Ausdruck „Arbeitnehmer“ nicht ohne weiters nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach der im Arbeitsverfassungsgesetz (§ 36 „im Sinne des II. Teiles“, also auch nicht allgemein) gegebenen Umschreibung ausgelegt werden kann, wenn dem Kollektivvertrag eine bestimmte Bedeutung dieses Begriffes zu entnehmen ist. Dazu hat das Berufungsgericht mit Recht darauf verwiesen, daß im Kollektivvertrag für das Glasergewerbe einerseits der persönliche Geltungsbereich auf „alle Arbeiter, Arbeiterinnen und Lehrlinge mit Ausnahme der Angestellten im Sinne des Angestelltengesetzes und der kaufmännischen Lehrlinge“ beschränkt ist und andererseits bei der Festlegung der einzelnen Rechte und Pflichten für diese bald das Wort „Arbeitnehmer“ und bald das Wort „Arbeiter“ gebraucht wird. Daß damit keine Gegenüberstellung von Rechten und Pflichten von „Arbeitern“ im engeren Sinn und solcher von „Arbeitnehmern“ im Sinne eines Oberbegriffes für alle Beschäftigten (einschließlich der Angestellten im Sinn des Angestelltengesetzes) gemeint sein konnte, ergibt sich nicht nur aus der angeführten Beschränkung des persönlichen Geltungsbereiches des Kollektivvertrages, sondern auch daraus, daß beide Ausdrücke mehrmals im selben Ansatz einer Bestimmung über ein und denselben Gegenstand (z. B. über Entgeltzahlung bei Arbeitsverhinderung wegen Krankheit oder Unfall) verwendet werden. Bei der Bestimmung über die Abfertigung werden die Dienstnehmer durchwegs mit dem Ausdruck „Arbeitnehmer“ bezeichnet. Darunter kann zwanglos nur der Personenkreis verstanden werden, auf den sich der persönliche Geltungsbereich des Kollektivvertrages erstreckt, weil diese Bestimmungen darüber hinaus nicht verbindlich wären (§ 11 ArbVerGes und für § 9 Abs 1 KollVG). Wenn bei den Bestimmungen über die Mindestgröße der Betriebe, für welche die Regelung über eine Abfertigung überhaupt gilt, und den Richtlinien dafür, wie die maßgebliche Dienstnehmeranzahl zu ermitteln ist, ebenfalls der Ausdruck „Arbeitnehmer“ gebraucht wird, kann ihm in diesem Zusammenhang keine andere Bedeutung beigelegt werden, als die, daß damit auch jene Dienstnehmer gemeint sind, auf welche sich der persönliche Geltungsbereich des Kollektivvertrages erstreckt. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch darauf verwiesen, daß diese Regelung deswegen durchaus sinnvoll ist, weil in den Betrieben, für welche dieser Kollektivvertrag gilt, allgemein wesentlich mehr Arbeiter als Angestellte beschäftigt sind. Die vom Berufungsgericht aus dem Inhalt des Kollektivvertrages für das Glasergewerbe abgeleiteten Erwägungen gelten uneingeschränkt auch für den Kollektivvertrag für das Maler- und Anstreichergewerbe, weil auch in diesen der persönliche Geltungsbereich in gleicher Weise umschrieben und die Worte „Arbeiter“ und „Arbeitnehmer“ in gleicher Weise gebraucht werden. Auch die Bestimmungen über die Abfertigung, die Mindestgröße der B etrie b e, auf welche diese Bestimmungen anzuwenden sind, und die Feststellung dieser Mindestgröße stimmen in beiden Kollektivverträgen völlig überein. An den aus dem Inhalt der betreffenden Bestimmungen hinsichtlich der Bedeutung des Ausdruckes „Arbeitnehmer“ bei der strittigen Bestimmung zu ziehenden Folgerungen ändert es auch nichts, wenn tatsächlich der eine oder der andere Ausdruck nicht in beiden Kollektivverträgen genau im selben zahlenmäßigen Verhältnis gebraucht worden sein sollte. Es begründet daher keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, wenn das Berufungsgericht seine Erwägungen nicht auf den Kollektivvertrag für das Maler- und Anstreichergewerbe abstellte. Sie sind jedenfalls auch bei Zugrundelegung dieses Kollektivvertrages sachlich richtig.
Daraus folgt, daß der Revision ein Erfolg zu versagen war, da das Berufungsgericht mit Recht die kollektivvertraglichen Bestimmungen über die Abfertigung auf den Betrieb der beklagten Partei nicht anwendbar beurteilte, sodaß eine Grundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch fehlt und sein Klagebegehren daher mit Recht abgewiesen wurde.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.