5Ob615/77 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sobalik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold, Dr. Griehsler, Dr. Wurz und Dr. Vogel als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) J*, Landmaschinenvertreter, und 2) M*, Landwirtin, beide in *, wohnhaft und beide vertreten durch Dr. Werner Ungeringer, Rechtsanwalt in Mattighofen, wider die beklagten Parteien 1) * F*, Landwirt, und 2) E*, Landwirtin, beide in *, wohnhaft und beide vertreten durch Dr. Hans Estermann, Rechtsanwalt in Mattighofen, wegen Vertragserfüllung (Streitwert S 12.000,--), infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgerichtes vom 7. Dezember 1976, GZ R 207/76 36, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 28. Juni 1976, GZ C 25/75 27, infolge Berufung sämtlicher Parteien aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird mit der Maßgabe bestätigt, daß der Auftrag an das Erstgericht, eine ergänzende Verhandlung durchzuführen, zu entfallen hat.
Die Kläger haben die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Kläger behaupten, es seien ihnen von den Beklagten mit dem in Form eines Notariatsaktes am 12. Juni 1973 errichteten Übergabsvertrag die landwirtschaftlich genutzten Liegenschaften EZ 54 und 191 des Grundbuches über die Katastralgemeinde S* mit Ausnahme eines noch zu vermessenden Teiles des Grundstückes Nr 112/1 Wald, der im Eigentum der Beklagten verbleiben sollte, übergeben worden, doch weigerten sich die Beklagten, die vertragsgemäß auf ihre Kosten vorzunehmende Vermessung des von der Übereignung ausgenommenen Grundstücksteiles durchführen zu lassen, obwohl über die Grenzen dieses Grundstücksteiles Einigkeit erzielt worden sei; sie verhinderten dadurch die Verbücherung des Übergabsvertrages. Die Kläger begehrten, die Beklagten schuldig zu erkennen, einen Zivilingenieur für Vermessungswesen unwiderruflich mit der Teilung des Grundstückes Nr 112/1 Wald aus dem Gutsbestand der EZ 5 KG S* zu beauftragen und die Vermessung so durchführen zu lassen, daß dieses Grundstück in zwei ungefähr gleich große Teilflächen geteilt wird und die Grenze zwischen den Teilungsgrundstücken an der Nordseite jenes der beiden in der Natur vorhandenen Wege verläuft, der am weitesten im Norden das angeführte Grundstück in Ost West Richtung durchzieht, und einzuwilligen, daß das auf solche Art gebildete nördliche Teilstück des genannten Grundstück vom Gutsbestand der Liegenschaft EZ 54 KG S* unter Mitübertragung des Eigentumsrechtes der beklagten Parteien abgeschrieben werde, sowie die Kosten der Vermessung zu bezahlen. Hilfsweise begehrten die Kläger, die Beklagten schuldig zu erkennen, die Vermessung so durchführen zu lassen, daß das Grundstück Nr 112/1 Wald a) in zwei ungefähr gleich große Teilflächen geteilt wird und die Grenze zwischen den Teilgrundstücken ungefähr in Ost West Richtung (ungefähr parallel zur Grenze zwischen 112/1 und 111) verläuft und die Größe des südlichen Teilstückes zumindest 90 % des nördlichen Teilstückes beträgt. (1. Eventualbegehren), oder b) derart in zwei Teilflächen geteilt wird, daß die Grenze dieser beiden Teilflächen an der nördlichen Seite jenes in der Natur vorhandenen Weges verläuft, der vom Grundstück Nr 112/6 ungefähr in Ost West Richtung das Grundstück Nr 112/1 durchzieht und dieses Grundstück in zwei gleich große Teile teilt.
Die Beklagten haben die Abweisung des Klagebegehrens beantragt und unter anderem eingewendet, daß keine Willensübereinstimmung der Parteien des Übergabsvertrages vom 12. Juni 1973 über den Teil des Grundstückes Nr 112/1 Wald zustande gekommen sei, der im Eigentum der Beklagten verbleiben und von der Übergabe ausgenommen sein sollte.
Das Erstgericht hat, ohne über die anderen Klagebegehren spruchgemäß zu erkennen, dem zweiten Klage Eventualbegehren der Kläger stattgegeben. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
In Ansehung des nun strittigen Grundstückes Nr 112/1 der EZ 54 KG S*, habe der Erstbeklagte etwa 14 Tage vor Errichtung des Notariatsaktes über den Übergabsvertrag sein Einverständnis erklärt, nur mehr die Hälfte davon zurückbehalten zu wollen. Die Parteien hatten sich vor der Errichtung des Übergabsvertrages praktisch nie über die Grenzen des abzutrennenden Waldgrundstückes unterhalten und auch nie in der Natur allenfalls zu bildende Grenzen gemeinsam besichtigt. Es war nur von etwa der Hälfte des Waldes bzw von einem Weg als Grenze gesprochen worden. Hievon war dann auch beim Notar (der den Übergabsvertrag errichtete) die Rede. Der Erstbeklagte sprach dabei auch den Wunsch aus, er wolle sich den „Hügel“ – womit er das Grundstück Nr 112/1 meinte – Vorbehalten, doch wurde darauf beider Verfassung des Vertrages keine Rücksicht genommen. Der Notar wies die Streitteile an, mit der Vermessung einen Geometer zu beauftragen, um die grundbücherlichen Arbeiten bezüglich des Übergabsvertrages in Angriff nehmen zu können. Übereinstimmung herrschte zwischen den Vertragsparteien, daß nur ein Teil des Waldes auf dem Grundstück Nr 112/1 den Beklagten verbleiben sollte. Es war jedoch vor dem Vertragsabschluß zwischen den Parteien nichts genaues über die Grenze gesprochen worden, sondern beim Notar nur von der Hälfte des Waldes und davon die Rede, daß „der Weg“ die Grenze bilden sollte. Die vier Vertragspartner waren sich nicht darüber einig, wie weit nach Osten die neue Grenze zu verlegen ist. Durch das Grundstück Nr 112/1 führen zwei Wege. Während der Erstkläger den nördlichen der beiden Wege als Grenze deutete, wußte die Zweitklägerin nicht, welcher der beiden Wege gemeint war. Die Zweitbeklagte hat ebenfalls an den nördlichen Weg als Grenze gedacht, der Erstbeklagte jedoch wollte nur den südlichen Weg als Grenze sehen.
Das Erstgericht kam zu der Schlußfolgerung, daß dem zweiten Klagehilfsbegehren Folge zu geben sei, weil Einigkeit zwischen den Parteien zumindest über das Ausmaß des Grundstückteiles bis zum südlichen Weg bestehe; da dieser Weg ein Fahrt- und Gehweg sei, während der nördliche Weg nur als Steig bezeichnet werden könne, falle es zum Nachteil der Kläger aus, daß sie nicht deutlich zum Ausdruck brachten, nicht der augenscheinliche „schöne“ Weg sei die Grenze, sondern der nördlichere „Steig“.
Das Gericht zweiter Instanz hob in Stattgebung der Berufungen sämtlicher Parteien dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück; es sprach aus, daß das Erstgericht das Verfahren erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen habe.
Das Berufungsgericht führte aus, es könne aus den Feststellungen des Erstgerichtes eine Einigung der Parteien hinsichtlich der Lage der zu übergebenden Liegenschaften und somit über die Leistung der Übergeber nicht abgeleitet werden. Es sei von den erstgerichtlichen Feststellungen auszugehen, die Streitteile hätten sich vor der Vertragserrichtung praktisch nie über die Grenze des abzutrennenden Waldgrundstückes unterhalten, der Erstbeklagte hätte vor dem Notar den Wunsch geäußert sich den „Hügel“ vorzubehalten, worauf jedoch bei der Textierung des Vertrages keine Rücksicht genommen worden sei, und von der Übernahme sei nach dem Vertragstext ein noch zu vermessender Teil des Grundstückes Nr 112/1 ausgenommen gewesen. Es verwies darauf, daß das Erstgericht ausgeführt habe, daß alle vier Beteiligten eigentlich voneinander abweichende Vorstellungen über den Grenzverlauf hatten, daß das Erstgericht jedoch nicht festgestellt habe, was die Parteien „wollten“. Diese Feststellungen des Erstgerichtes reichten zu einer erschöpfenden Beurteilung der Sache nicht aus. Das Erstgericht werde festzustellen haben, ob sich die Parteien im Zeitpunkt der Vertragserrichtung über die Grenzen des abzutrennenden Grundstückes einig gewesen seien, und wo diese Grenzen nach ihrem „Willen“ verlaufen sollten. Lasse sich eine derartige Feststellung nicht treffen, so wäre ein Hauptpunkt des Vertrages offen geblieben, der sich auch nicht im Wege der Vertragsauslegung oder -ergänzung schließen lasse. Wenn ein Teil eines Grundstückes übergeben bzw zurückbehalten werden sollte, müsse nicht nur über das Flächenausmaß, sondern auch über die Grenzen und damit über die Lage des Grundstückes Einigung erzielt werden. Andernfalls sei gemäß § 869 ABGB kein Vertrag zustande gekommen.
Das Berufungsgericht äußerte sich auch noch zu einer Reihe ihm erheblich erscheinender Fragen des materiellen Privatrechtes und des Verfahrensrechtes, die aber, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergeben wird, bedeutungslos sind, sodaß ihre Darstellung hier nicht erforderlich ist.
Gegen den Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs der Kläger mit dem Hauptantrag, diesen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht aufzutragen, über die Berufungen der Kläger und der Beklagten neuerlich in dem Sinn zu entscheiden, daß der Berufung der Kläger stattgegeben und jener der Beklagten nicht stattgegeben werde; hilfsweise begehren die Kläger, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die unrichtigen Rechtsansichten und Aufträge entfallen sollen, der Berufung der Beklagten nicht Folge gegeben, dagegen der Berufung der Kläger stattgegeben werde, wobei das Erstgericht bei seiner neuerlichen Entscheidung von den in diesem Rechtsmittel angeführten Rechtsansichten auszugehen habe.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Dem Berufungsgericht ist voll in der Ansicht beizustimmen, daß für das Zustandekommen eines Vertrages die Einigung der Vertragspartner über den Vertragsinhalt erforderlich ist und diese erst angenommen werden kann, wenn über sämtliche Vertragsbestimmungen Einigkeit besteht. Solange über einzelne Vertragsbestimmungen noch keine Einigkeit erzielt wurde, die Einigung darüber also noch offen ist, kann der Vertrag nicht zustande kommen (JBl 1973, 617 uva, zuletzt 1 Ob 502/77). Die Vereinbarung über die Übereignung von Teilen eines Grundstückes bedarf zu ihrem Zustandekommen nicht nur der Einigkeit der Vertragspartner über das Flächenausmaß, sondern auch über den Verlauf der künftigen Grundstücksgrenze, sodaß die Lage des zu übereignenden Grundstücksteiles in der Natur feststeht oder doch durch einen Geometer festgestellt werden kann. Haben die Vertragsteile die genaue Bestimmung des Grenzverlaufes unterlassen, weil sie sich darüber nicht einig waren, so ist der Vertrag nicht zustande gekommen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes waren sich die Parteien über den Verlauf der Grenze des Grundstückes Nr 112/1 der EZ 54 KG S*, das nur zur Hälfte ins Eigentum der Kläger übertragen werden sollte, deshalb nicht einig geworden, weil sie divergierender Ansicht waren, welcher von zwei dort verlaufenen Wegen die Grenze bilden soll. Das Berufungsgericht ist selbst von der Feststellung des Erstgerichtes ausgegangen, daß sich die Streitteile praktisch nie über die Grenze des abzutrennenden Waldgrundstückes unterhalten haben (S 14) und daß aus den Feststellungen des Erstgerichtes eine Einigung der Parteien über die Lage der zu übergebenden Liegenschaften nicht hergeleitet werden kann (S 24). Es hat also offenbar gegen die Richtigkeit dieser Feststellungen des Erstgerichtes keine Bedenken gehabt, da es sonst eine Wiederholung der vom Erstgericht aufgenommenen Beweise vorgenommen hätte, wozu es in diesem Falle verpflichtet gewesen wäre. Sein Auftrag an das Erstgericht, festzustellen, ob sich die Parteien im Zeitpunkt der Vertragserrichtung über die Grenzen des abzutrennenden Grundstückes einig waren und wo diese Grenzen verlaufen sollten, ist demnach unnötig, denn das Erstgericht hat diese Frage bereits ausreichend beantwortet, sodaß die Sache im Sinne einer Abweisung des Klagehaupt- und der beiden Klagehilfsbegehren entscheidungsreif ist. Da allerdings, wie dem Berufungsgericht beizupflichten ist, vor der Entscheidung über ein Klagehilfsbegehren erst über das Klagehauptbegehren und, wenn in wertender Reihenfolge zwei Hilfsbegehren gestellt wurden, über das zweite erst nach der Entscheidung über das erste erkannt werden darf, das Erstgericht jedoch ohne Ausspruch über das Klagehauptbegehren und das erste Klagehilfsbegehren gleich über das zweite Klagehilfsbegehren entschieden hat, erweist sich der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes im Ergebnis doch als berechtigt, weshalb dem Rekurs der Kläger keine Berechtigung zukommt.
Das Erstgericht kann auf Grund der von ihm getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sogleich das Klagehauptbegehren und die beiden Klagehilfsbegehren abweisen, ohne daß eine weitere Verhandlung erforderlich ist. Aus diesem Grunde hat der Auftrag des Berufungsgerichtes an das Erstgericht, eine ergänzende Verhandlung durchzuführen, zu entfallen.
Der Ausspruch über die Kosten des Rekurses beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO