JudikaturOGH

2Ob76/77 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. April 1977

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Fedra, Dr. Reithofer und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma P* Gesellschaft m.b.H. und Co. KG Mineralöltransportunternehmen, *, vertreten durch Dr. Otto Philp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*, vertreten durch Dr. Konrad Kuderna, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlicher S 1.835, samt Anhang infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS. Wien als Berufungsgerichtes vom 28. Jänner 1977, GZ. 42 R 788/76 11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16. Juli 1976, GZ. 38 C 142/75 7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wieder hergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 813,60 (davon S 57,60 Umsatzsteuer und S 16, Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 918,53 (davon S 60,93 Umsatzsteuer und S 96, Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 22. 4. 1975 gegen 17 Uhr kam es in Wien XI., auf der Kreuzung * zu einem Verkehrsunfall, an dem der der Klägerin gehörende, von H* gelenkte Tankwagenzug mit dem polizeilichen Kennzeichen * und * und ein Straßenbahnzug der Linie 6, der von F* geführt wurde, beteiligt waren. Dabei wurde der Tankwagenzug beschädigt. Daraus entstand der Klägerin ein Schaden von S 3.670, .

Die Klägerin begehrt Ersatz dieses Betrages mit der Behauptung, der Fahrer des Straßenbahnzuges habe den Unfall allein verschuldet, denn er habe außer acht gelassen, daß der Beiwagen des nach rechts einbiegenden Straßenbahnzuges ausschwenkt und dadurch den Tankwagenzug streift.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, der Lenker des Tankwagenzuges habe den Unfall allein verschuldet, weil er zum rechten Fahrbahnrand einen zu großen Abstand eingehalten habe und dadurch mit dem Straßenbahnwagen in Kontakt geraten sei. Der Fahrer des Straßbahnzuges habe keinen Grund gehabt, nicht in die Sedlitzkygasse einzubiegen, denn sein Fahrstreifen sei frei gewesen und er habe durch das Einbiegen andere Verkehrsteilnehmer nicht behindert.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens.

Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

H* lenkte den Tankwagenzug der Klägerin durch die Grillgasse in Richtung zur Simmeringer Hauptstraße, die er überqueren wollte, um dann durch die Krausegasse in Richtung Lobau weiterzufahren. In entgegengesetzter Fahrtrichtung stand in der Grillgasse ein Straßenbahnzug der Linie 6, der – in seiner Fahrtrichtung gesehen – nach rechts in die Sedlitzkygasse einbiegen sollte. An diesem Straßenbahnzug war der rechte Blinker eingeschaltet. H* hielt den Tankwagenzug im Kreuzungsbereich so an, daß die Straßenbahn ohne Behinderung daran hätte vorbeifahren können. Er herrschte damals starker Verkehr. In der Sedlitzkygasse waren die Straßenbahngleise durch Personenkraftwagen blockiert. Der Straßenbahnzug konnte daher nicht in die Sedlitzkygasse einbiegen. In Fahrtrichtung des Tankwagenzuges war „alles leer“. Die Verkehrsampel zeigte für den Tankwagenzug Grünlicht. Der Zugsführer des nachfolgenden Straßenbahnzuges gab dem Lenker des Tankwagenzuges ein Handzeichen, daß er fahren möge. H* wollte die Verkehrssituation entschärfen und fuhr mit dem Tankwagenzug an dem zunächst noch stillstehenden Straßenbahnzug der Linie 6 vorbei. Dabei hielt er die äußerste rechte Fahrspur ein. Weiter rechts hätte er wegen des dort befindlichen Gehsteiges in der Grillgasse nicht fahren können. Außerdem befinden sich dort die Säulen, die die Oberleitung der Straßenbahn tragen. Für den Fahrer des Straßenbahnzuges löste sich dann die Verkehrsstauung und die Blockierung der Gleise in der Sedlitzkygasse und er setzte das Rechtseinbiegen von der Grillgasse in die Sedlitzkygasse fort. Dadurch wurde durch den linken hinteren Teil des Straßenbahnbeiwagens die linke Seite des Anhängers des Tankwagenzuges von der Mitte bis zu den hinteren Räderpaaren gestreift. Als H* merkte, daß sich der Straßenbahnzug in Bewegung setzt, blieb er sofort stehen und hupte, weil er wußte, daß es zu einer Kontaktierung kommen müsse. Der Straßenbahnzug fuhr bis zur Mitte der Sedlitzkygasse weiter.

Als H* den Tankwagenzug in Bewegung setzte, stand der Beiwagen des Straßenbahnzuges noch ganz fahrbahnparallel in der Grillgasse. Als der Straßenbahnzug losfuhr, befand, sich das letzte Drittel des Beiwagens etwa auf Höhe des Führerhauses des Tankwagenzuges.

Der Fahrer des Straßenbahnzuges muß den Tankwagenzug gesehen haben. Wäre er nicht plötzlich losgefahren, wäre es nicht zu der Kontaktierung gekommen. Zur Zeit der Kontaktierung war der Tankwagenzug nicht mehr in Bewegung. H* konnte den Zusammenstoß nicht vermeiden.

Das Erstgericht ging von einem Alleinverschulden des Fahrers des Straßenbahnzuges aus. Dieser habe den Tankwagenzug nicht entsprechend berücksichtigt und das Ausschwenken des Beiwagens beim Rechtseinbiegen nicht bedacht. Er hätte sich nicht darauf verlassen dürfen, daß er das Einbiegen ohne Kontakt mit dem Tankwagenzug ausführen könne. Er hätte daher nicht plötzlich losfahren dürfen. Irgendein Mitverschulden des H* sei bei dieser Sachlage zu verneinen.

Die Berufung der Beklagten hatte teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, es wir aber aus rechtlichen Erwägungen der Ansicht, daß den Fahrer des Tankwagenzuges ein gleichteiliges Mitverschulden treffe, und es änderte das Ersturteil dahin ab, daß es die Beklagte nur zur Zahlung von S 1.835, samt Anhang verurteilte und ein gleich hohes Mehrbegehren abwies. Das Berufungsgericht war der Ansicht, den Bestimmungen der §§ 28 Abs. 2 und 23 Abs. 1 und 2 StVO sei zu entnehmen, daß ein Fahrzeuglenker sein Fahrzeug nicht so aufstellen dürfe, daß es in das Lichtraumprofil der Straßenbahn rage. H* habe mit einem Ausscheren des Beiwagens des Straßenbahnzuges rechnen müssen. Wenn er sein Fahrzeug so weit vorgezogen habe, daß es notgedrungen in das Lichtraumprofil des Straßenbahnzuges geragt habe, dann sei ihm dies zum Verschulden zu rechnen. Auch den Fahrer des Straßenbahnzuges treffe ein Verschulden. Zu seinen Pflichten gehöre die richtige Einschätzung des Raumbedarfes beim Ausschwenken im Kurvenbereich. Er hätte daher den Straßenbahnzug nicht ungeachtet der durch H* geschaffenen Behinderung in Bewegung setzen dürfen. Auslösende Ursache des Unfalles sei somit der jeweilige Schätzfehler der beteiligten Verkehrsteilnehmer gewesen, die daher im gleichen Ausmaß zum Unfall beigetragen haben.

Dagegen richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist gerechtfertigt.

Die Klägerin wendet sich mit Recht gegen die Annahme des Berufungsgerichtes, daß der Lenker des Tankwagenzuges diesen im Lichtraumprofil der Straßenbahn aufgestellt habe. Sie weist zutreffend darauf hin, daß H* den Tankwagenzug „im Kreuzungsbereich angehalten“ hat, und zwar so, daß die Straßenbahn daran ohne Behinderung hätte vorbeifahren können. Von einer Behinderung der Straßenbahn durch den zum Stillstand gekommenen Tankwagenzug kann daher keine Rede sein. Daß die Verkehrsampel an der Kreuzung für den Tankwagenzug Grünlicht zeigte, spricht nicht gegen die Beurteilung des zum Stillstandbringens des Tankwagenzuges als „Anhalten“ (§ 2 Abs. 1 Z. 26 StVO.), weil es mit Rücksicht auf das erwartete Einbiegen des Straßenbahnzuges in die Sedlitzkygasse erfolgte. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Bestimmungen der §§ 23 und 28 StVO kommen daher für die Beurteilung des Fahrverhaltens des Lenkers des Tankwagenzuges nicht in Betracht.

Nach den vorliegenden Feststellungen konnte die Straßenbahn verkehrsbedingt ihre Fahrt, also das Einbiegen in die Sedlitzkygasse, nicht fortsetzen, während für den Tankwagenzug die Fahrt an dem stehenden Straßenbahnzug vorbei möglich war. Ob der Lenker des Tankwagenzuges an dem noch stehenden Straßenbahnzug vorbeifahren durfte, ist nach §  7 StVO zu beurteilen. Die Frage ist zu bejahen, weil der stehende Straßenbahnzug durch den langsam daran vorbeifahrenden Tankwagenzug weder behindert noch gefährdet wurde. Wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, hätte der Fahrer des Straßenbahnzuges diesen nur in Bewegung setzen dürfen, wenn er sich vergewissert hätte, daß er dadurch andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet oder behindert, wobei insbesondere eine Gefährdung oder Behinderung durch den ausschwenkenden Beiwagen in Frage gekommen wäre. Das bedeutet aber, daß der Lenker des Tankwagenzuges damit rechnen durfte, daß der Straßenbahnzug nicht vor seiner Vorbeifahrt in Bewegung gesetzt wird. Ihm kann daher die Verletzung einer Verkehrsvorschrift nicht angelastet werden. Da das alleinige Verschulden beim Fahrer des Straßenbahnzuges liegt, war der Revision Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, die über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41 und 50 ZPO.

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