JudikaturOGH

8Ob119/76 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. September 1976

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Fedra als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Benisch, Dr. Thoma, Dr. Petrasch und Dr. Kralik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, Pensionist, *, vertreten durch Dr. Hans Radl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) F*, Angestellter, *, 2.) A* Versicherungs-AG, Landesdirektion *, beide vertreten durch Dr. Werner Thurner, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 2.916,40 samt Anhang infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 21. April 1976, GZ. 1 R 82/76 21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 25. November 1975, GZ. 4 C 655/75 17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.122,43 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 76,03 und die Barauslagen von S 96,--) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am. 29. März 1975 kam es in Graz auf der durch Lichtzeichen automatisch geregelten Kreuzung der K*straße mit der W*gasse zu einem Zusammenstoß zwischen dem von der K*straße nach rechts in die W*gasse (Richtung K*brücke) einbiegenden, vom Kläger gelenkten PKW und dem – in Fahrtrichtung des Klägers gesehen – von links durch die W*gasse kommenden, vom Erstbeklagten gelenkten PKW. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des vom Erstbeklagten gelenkten PKWs.

Der Kläger begehrt Ersatz seines Fahrzeugschadens von S 5.832,80 und behauptet Alleinverschulden des Erstbeklagten. Er sei bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren und habe beim Einbiegen wegen einer den Schutzweg überquerenden Fußgängerin anhalten müssen. Der Erstbeklagte sei bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren und gegen seinen PKW gefahren.

Die Beklagten machen Alleinverschulden des Klägers geltend, der bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei und wenden einen Fahrzeugschaden des Erstbeklagten von S 3.000, aufrechnungsweise als Gegenforderung ein (AS. 8).

Der Fahrzeugschaden des Klägers steht mit S 5.832,80 und der des Erstbeklagten mit S 2.486, außer Streit (AS. 36 und 64).

Das Erstgericht, das von einer gleichteiligen Schadensaufteilung ausging, stellte die Klagsforderung mit S 2.916,40, die Gegenforderung mit S 1.243, als zu Recht bestehend fest, sprach demgemäß dem Kläger S 1.673,40 zu und wies das Mehrbegehren von S 4.159,40 ab.

Das Berufungsgericht, das vom Alleinverschulden des Erstbeklagten ausging, änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Klagsforderung mit S 5.832,80 als zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend erkannte und – unter Einbeziehung des nicht in Beschwerde gezogenen Teiles – der Klage zur Gänze stattgab.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrunde des § 505 Z. 4 ZPO mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes abzuändern.

Der Kläger stellt den Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Untergerichte gingen von folgendem wesentlichen Sachverhalt aus, wobei die westlich der K*straße auf dem nördlichen Gehsteig der W*gasse befindliche Standsäule der Verkehrssicherungsanlage zum Bezugspunkt gewählt wurde:

Die K*straße ist durch einen Fahrbahnteiler in zwei Fahrbahnhälften geteilt. Von der Haltelinie in der K*straße bis zum Bezugspunkt wird im Bogen eine Entfernung von 23 m gemessen. Der Fußgängerverkehr auf dem auf Höhe der Bezugslinie (westlich der Kreuzung) über die W*gasse führenden, 4 m breiten Schutzweg ist mit der Grünphase in der K*straße gleichgeschaltet. Wenn die Ampel in der K*straße Grünlicht ausstrahlt, besteht auch für den Fußgängerverkehr auf diesem Schutzweg Grünphase. Strahlt die über der Mitte des – östlich der Kreuzung – über die W*gasse führenden Schutzweges befindlichen Ampel Grünlicht aus, zeigt die Ampel in der K*straße Rotlicht an. Die Gelbphase beider Verkehrsampeln dauert 3 Sekunden. Der Kläger näherte sich der Kreuzung auf der K*straße von Norden her und hielt an der Haltelinie vor dem Schutzweg an, da die Verkehrsampel in seiner Fahrtrichtung Rotlicht anzeigte. Als die Ampel auf Grünlicht schaltete, bog er mit einem Seitenabstand zum Gehsteig von rund 3/4 bis 1 m nach rechts in die W*gasse zur K*brücke ein. Wegen einer Fußgängerin, die den in seiner Fahrtrichtung über die W*gasse führenden Schutzweg überquerte, hielt er seinen PKW in rechtsschräger Einbiegeposition 4,5 m vor dem späteren Unfallspunkt an. Der Erstbeklagte, der die Absicht hatte, die Kreuzung geradeaus in Richtung K*brücke zu überqueren, näherte sich der Kreuzung auf der W*gasse von Osten her. Da die Verkehrsampel für ihn zunächst Rotlicht anzeigte, verringerte er die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges auf 20 km/h und ließ dieses an die Kreuzung heranrollen. Als er sich 20 m vor der Verkehrsampel und 56 m vor der Bezugslinie befand, schaltete die Ampel auf Rot-Gelb. Der Erstbeklagte erhöhte die Geschwindigkeit auf ca. 40 km/h und fuhr, ohne anzuhalten, in der Umschaltphase Gelb-Grün in die Kreuzung so ein, daß in seiner Position auf Höhe der Ampel diese gerade auf Grün schaltete. 38 m vor der Bezugslinie konnte der Erstbeklagte die gesamte Kreuzung übersehen. Er bemerkte auch den PKW des Klägers, der nach dem kurzen Anhalten in Schrittgeschwindigkeit weiterfuhr. Der Erstbeklagte fuhr zunächst mit unverminderter Geschwindigkeit weiter, da er meinte, der Kläger werde noch anhalten und nicht in seine Fahrlinie gelangen. Als er 20 m vor der Bezugslinie feststellte, daß sich der Kläger weiter in die Kreuzung hineinbewegte und nur mehr 1,5 m vom späteren Unfallspunkt entfernt war, verriß er seinen PKW ohne zu bremsen nach links. Er stieß 7 m vor der Bezugslinie in einem Abstand von 4 m vom rechten Gehsteigrand der W*gasse mit dem rechten hinteren Kotflügel seines PKWs streifend gegen die linke vordere Ecke des PKWs des Klägers, der sich in Bewegung befand. 1,5 m vor dem Unfallspunkt hatte der PKW des Klägers eine Schrägstellung erreicht, daß dem Kläger die Beobachtung der hinter ihm liegenden Fahrbahn der W*gasse weder durch den Innen- noch durch den Außenspiegel möglich war. Der Anhalteweg des PKWs des Erstbeklagten aus einer Geschwindigkeit von 40 km/h hätte bei einer mittleren Bremsverzögerung von 6,5 m/sec 2 und 1 Sekunde Reaktionszeit 20 m betragen. Hätte der Kläger in dem Zeitpunkt, in dem er den PKW des Erstbeklagten über die Haltelinie fahren sehen konnte, in einer Position 4,5 m vor dem späteren Unfallspunkt ein Bremsmanöver eingeleitet, so wäre ihm ein Anhalten auf 3,3 m vor dem späteren Unfallspunkt möglich gewesen. Hätte der Kläger beim Einbiegen zum rechten Gehsteigrand nur einen Abstand von 30 bis 40 cm eingehalten, so wäre bei einem gleichen Linksausweichmanöver des PKWs des Erstbeklagten diesem ein berührungsfreies Vorbeikommen möglich gewesen.

Das Erstgericht lastete dem Erstbeklagten an, er sei in „fliegendem Start“ ohne die hiefür erforderliche gespannte Aufmerksamkeit und mit zu hoher Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren, obwohl er damit habe rechnen müssen, daß kurz nach Beginn der Grünphase in seiner Richtung noch nicht alle Fahrzeuge des Querverkehrs die Kreuzung geräumt haben. Den Kläger treffe aber ein gleichteiliges Mitverschulden, da er mit Rücksicht auf die Verzögerung beim Einbiegen durch das Anhalten vor dem Schutzweg beim Erkennen des beginnenden Querverkehrs das weitere Einfahren in die Kreuzung hätte unterlassen oder das Einbiegemanöver mit erhöhter Aufmerksamkeit ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer hätte abschließen müssen.

Das Berufungsgericht führte aus, der Erstbeklagte habe seiner Verpflichtung, die Räumung der Kreuzung durch die noch darauf befindlichen Fahrzeuge abzuwarten und die Kreuzung mit der gebotenen Vorsicht zu überqueren, nicht entsprochen. Er habe es auch unterlassen, rechtzeitig zu bremsen, obwohl ihm beim Erkennen der Gefahr ein rechtzeitiges Anhalten noch möglich gewesen wäre. Dem Kläger könne jedoch kein Mitverschulden angelastet werden. Er sei bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren und habe sich auf der Kreuzung befunden, als er sein Fahrzeug wegen einer, den Schutzweg überquerenden Fußgängerin 4,5 m vor dem späteren Unfallspunkt habe anhalten müssen. Mit seinem Weiterfahren habe er nur dem Gebot des § 38 Abs. 2 StVO entsprochen, die Kreuzung bei Gelblicht so rasch als möglich zu verlassen. Eine Verpflichtung, zu diesem Zeitpunkte den Querverkehr zu beobachten, habe nicht bestanden, zumal er darauf habe vertrauen dürfen, daß sein Vorrang beachtet werden würde.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Daß den Erstbeklagten ein Verschulden trifft, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

Zum Mitverschulden des Klägers machen die Beklagten geltend, die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß ein Fahrzeuglenker, der die Kreuzung verlassen wolle, bei einsetzendem Querverkehr nicht anzuhalten habe, sei verfehlt. Bei einsetzendem Querverkehr sei die Gelbphase bereits vorüber. Das Fahrzeug des Klägers habe sich bereits unzulässigerweise in der für den Kläger geltenden Rotphase auf der Kreuzung befunden. Ein Fahrzeuglenker, der sich bei Beginn der Grünphase für den Querverkehr noch auf der Kreuzung befindet, müsse jedenfalls anhalten, wenn dieses Anhalten die geringere Gefahr bedeute als der Versuch, die Kreuzung zu verlassen. Der Kläger hätte nicht versuchen dürfen, die Kreuzung zu verlassen, sondern hätte anhalten müssen.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Bei der Lösung des Problems des Verhaltens der bei Grün in die Kreuzung Einfahrenden zu den Nachzüglern aus der vorher freigegebenen Richtung im Kreuzungsbereich ist von den Bestimmungen des § 38 Abs. 2 StVO, die den bei gelbem Licht auf der Kreuzung befindlichen Fahrzeuglenkern die möglichst rasche Räumung der Kreuzung gebietet, und von der Vorschrift des § 38 Abs. 4 2. Satz StVO auszugehen, wonach Fahrzeuglenker bei grünem Licht weiterzufahren oder einzubiegen haben, wenn es die Verkehrslage zuläßt. Nach der Rechtsprechung bedeutet das Aufleuchten von grünem Licht kein absolutes Gebot, das Zeichen „Freie Fahrt“ zu befolgen und befreit den Verkehrsteilnehmer nicht von seiner Verpflichtung, die Verkehrslage zu beobachten und seine Weiterfahrt danach einzurichten, insbesondere darauf Rücksicht zu nehmen, daß nach Beginn der Grünphase in seiner Fahrtrichtung noch nicht alle Fahrzeuge, die aus der Querrichtung gekommen sind, die Kreuzung geräumt haben (vgl. Kammerhofer , StVO 5. Auflage, Anm. 4 zu § 38; ZVR 1967/33, ZVR 1971/95). Da das dem Rot vorausgehende Gelb den in die Kreuzung eingefahrenen Fahrzeuglenkern deren Räumung befiehlt, ergibt sich damit im Zusammenhang der Verpflichtung, beim Weiterfahren bei Grünlicht auf die Verkehrslage Bedacht zu nehmen, für das Verhalten gegenüber den Nachzüglern der Grundsatz, daß die bei Grünlicht Einfahrenden den Fahrzeugen des Querverkehrs, die auf der Kreuzung vom Phasenwechsel überrascht worden sind und die Kreuzung nicht mehr rechtzeitig verlassen konnten, die Räumung der Kreuzung zu ermöglichen haben (vgl. Kammerhofer aaO, Anm. 4 zu § 38; Müller , Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage, Band III, Seite 700, Anm. 8 und Seite 702 Anm. 11; Jagusch , Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage, Seite 316; BGH NJW 1971, 1407 und VRS 21, 17). Aber auch für den Nachzügler, der noch bei Grün in die Kreuzung eingefahren ist und dort aufgehalten wurde, bis die Lichtsignale wieder umschalteten, ergibt sich die Verpflichtung, die Kreuzung vorsichtig zu verlassen. Wer im Kreuzungsbereich aufgehalten wird, muß auf einen möglichen einsetzenden Querverkehr achten (vgl. Müller aaO Seite 707 Anm. 23; Jagusch aaO Seite 317; 2 Ob 5/75).

Bei der Beurteilung der Frage, ob im vorliegenden Falle den Kläger ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden trifft, ist zu berücksichtigen, daß er bereits in schräger Einbiegeposition wegen einer den Schutzweg überquerenden Fußgängerin anhielt, nach kurzem Anhalten seine Fahrt in Schrittgeschwindigkeit fortsetzte und von diesem Anfahren bis zum Unfallspunkt 4,5 m zurücklegte, für die er bei Schrittgeschwindigkeit rund 3,2 Sekunden benötigte. Demgegenüber legte der Erstbeklagte vom Überfahren der Haltelinie vor der Kreuzung bis zum Unfallspunkt rund 28,5 m zurück (bei einer Entfernung der Haltelinie von der Bezugslinie von 36 m und einer Entfernung des Unfallspunktes von der Bezugslinie von 7 m). Für die Zurücklegung dieser Strecke benötigte er bei 40 km/h rund 2,7 Sekunden. Da die Grünphase erst im Zeitpunkte des Überfahrens der Haltelinie durch den Erstbeklagten einsetzte, befand sich daher der Kläger im Zeitpunkt seines Anfahrens nach dem Anhalten noch in der Gelbphase oder – wenn man keine Ungenauigkeiten in den geschätzten Entfernungen und Wegzeiten in Betracht zieht – zumindest erst am Beginn der Grünphase für den Querverkehr. Bei dieser Sachlage brauchte der Kläger nicht von vorneherein damit zu rechnen, daß der für ihn erstmals wahrnehmbare Erstbeklagte, der die Haltelinie gerade erreichte und immerhin rund 25 m hinter ihm war, ihn beim Verlassen der Kreuzung behindern oder gefährden werde, zumal die Geschwindigkeit eines gerade auftauchenden Fahrzeuges nur schwer abschätzbar ist. Er war unter den gegebenen Umständen nicht verpflichtet, sofort beim Auftauchen des Fahrzeuges des Erstbeklagten anzuhalten. Er hätte aber den Unfall nur durch ein sofortiges Anhalten verhindern können. Aber auch eine allfällige nicht allen Gegebenheiten voll Rechnung tragende Fahrweise des Klägers tritt gegenüber dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Erstbeklagten, der mit unverminderter Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl er das einbiegende Fahrzeug des Klägers rechtzeitig bemerken konnte, derart an Bedeutung zurück, daß der Kläger auch unter dem Gesichtspunkte der Ausgleichspflicht nach § 11 EKHG nicht zur Mithaftung heranzuziehen ist.

Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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