5Ob26/62 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Kisser als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Turba, Dr. Graus, Dr. Greissinger und Dr. Mihatsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Herbert Josef R*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten Jugendamt, diese vertreten durch Dr. Emil Krasser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Heinrich H*****, vertreten durch Dr. Kurt Pilger, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Vaterschaft und Unterhalt, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 13. Dezember 1961, GZ R 624/61 31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 30. Oktober 1961, GZ C 661/60 24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die Kosten des Revisionsverfahrens im Betrage von 758,40 S binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der minderjährige Kläger, der den Beklagten auf Feststellung der außerehelichen Vaterschaft und auf Unterhaltsleistung belangt, wurde von Maria R***** am 11. 7. 1958 geboren. Die Mutter und der Beklagte gaben übereinstimmend an, dass sie am 24. und am 27. 11. 1957 einander beigewohnt haben. Die vom Sachverständigen Univ Doz. Dr. Paul S***** nach den Methoden ABO, M N, Rhesus System einschließlich C, c, D, d, E, e, C w durchgeführte Blutprobe hat keinen Ausschluss der Vaterschaft des Beklagten ergeben. Nach dem Tragzeitgutachten liegt die größte Wahrscheinlichkeit für die Zeugung des reif zur Welt gekommenen Klägers in der Dekade zwischen dem 14. 10. und dem 23. 10. 1957. Auch einige Dekaden vor oder nach dieser sind als Zeitpunkt der Zeugung noch möglich. Eine Zeugung am 24. 11. oder am 27. 11. 1958 wurde jedoch als höchst unwahrscheinlich bezeichnet. Das Erstgericht hielt die gesetzliche Vermutung des § 163 ABGB durch das Tragzeitgutachten für widerlegt und wies die Klage ab. Das Urteil wurde in der zweiten Instanz bestätigt und erwuchs in Rechtskraft.
Das Kind belangte sodann Othmar P*****, mit dem die Mutter einen Mehrverkehr zugegeben hatte, jedoch ergab die vom gleichen Sachverständigen durchgeführte Blutprobe, dass das gemischt erbige Cc Kind, das von einer reinerbigen CC Mutter geboren wurde, nicht von P*****, einem reinerbigen CC Mann, gezeugt worden sein könne und dessen Vaterschaft auszuschließen sei. Die Klage wurde abgewiesen und das Urteil erwuchs in Rechtskraft (34 C 1517/59 des BG Innere Stadt Wien).
Nachdem das Kind ein Alter von zwei Jahren erreicht hatte, beantragte es die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Beklagten zur Durchführung der erb biologisch anthropologischen Untersuchung, die im Hauptprozess wegen seines zu geringen Alters noch nicht möglich war. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. Karl T***** lautet dahin, die Vaterschaft des Beklagten sei vom anthropologischen Standpunkt aus als wahrscheinlich anzusehen. Bei der graphischen Darstellung innerhalb eines Winkels von 0 o (= praktisch erwiesen) bis 180 o (= praktisch ausgeschlossen) ergebe die Berechnung einen Winkel von 22 o . Das Erstgericht bewilligte die Wiederaufnahme und in diesem Punkte erwuchs das Urteil in Rechtskraft, sodass das frühere im Hauptprozess ergangene Urteil außer Kraft getreten ist. Im wiederaufgenommenen Verfahren holte das Erstgericht ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. Paul S***** ein, der neben den klassischen Blutgruppen die Faktoren Kk, Fy (a , a +) und Hp (Haptoglobin) untersuchte. Er kam zum Ergebnis, dass nach dem Haptoglobin System die Vaterschaft des Beklagten auszuschließen sei. Der Kläger, ein reinerbiges Hp 2 Hp 2 Kind, das von einer reinerbigen Hp 2 Hp 2 Mutter geboren wurde, könne nicht vom Beklagten, einem reinerbigen Hp 1 Hp 1 Mann, gezeugt worden sein. Der Widerspruch zwischen dem Blutgruppen und dem erbbiologisch antrohpologischen Gutachten veranlasste das Erstgericht, ein weiteres Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität Wien einzuholen, dem die Blutvergleichung unter Einschluss der Rhesusfaktoren und der Faktoren Kell und Duffy, sowie der Haptoglobine aufgetragen wurde. Die Begutachtung ergab, dass die Vaterschaft des Beklagten nach den klassischen Blutgruppen, den Faktoren M N, Kell Cellano, Duffy und den Rhesusfaktoren nicht ausgeschlossen werden kann, dass aber die Vaterschaft nach der Verteilung der Haptoglobintypen in einem so hohen Grad unwahrscheinlich ist, dass dies einem Ausschluss gleichkomme. Der Sachverständige Univ. Prof. Dr. Leopold B***** fügte bei, es liege eine Stellungnahme des dänischen Medical Legal Council vor, wonach beim gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand einem Ausschluss durch das Hp System die gleiche Beweiskraft wie bei den Blutfaktoren, Rh, K und P zuzuerkennen ist. Das Erstgericht war der Ansicht, zu der schon im Vorprozess aufgrund des Tragzeitgutachtens getroffenen Feststellung, dass eine Zeugung des Kindes durch den Beklagten mit Rücksicht auf die Reifemerkmale bei der Geburt und die Tragzeitdauer mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, seien nun die Gutachten über die Haptoglobinvergleichung getreten, an deren Richtigkeit infolge der übereinstimmenden Befunde nicht gezweifelt werden kann. Dem Beklagten sei damit trotz des etwas gegen ihn sprechenden erbbiologisch antropologischen Gutachtens die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des § 163 ABGB gelungen.
Der Berufung der klagenden Partei wurde nicht Folge gegeben.
Gestützt auf § 503 Z 4 ZPO beantragt die klagende Partei, entweder der Klage stattzugeben oder die Rechtssache an eines der Untergerichte zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die klagende Partei vertritt die Meinung, ein Ausschluss nach dem Haptoglobinsystem könne nur dann als Entscheidungsgrundlage verwendet werden, wenn er im Zusammenhalt mit anderen Beweisergebnissen ein zusätzliches Indiz bildet. Dies sei hier nicht der Fall, denn das Tragzeitgutachten spreche nur von einer Unwahrscheinlichkeit des Zeugungstermins und im erbbiologisch antropologischen Gutachten werde die Vaterschaft des Beklagten als wahrscheinlich erklärt. Die Rechtsvermutung des § 163 ABGB sei daher nicht widerlegt worden.
Diese Ausführungen enthalten nicht, wie in der Revisionsbeantwortung geltend gemacht wird, eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung. Es ist überwiegende Rechtsprechung, dass die aus Abstammungsgutachten zu ziehenden Schlüsse in Bezug auf die Widerlegung der Rechtsvermutungen der §§ 138 und 163 ABGB in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung gehören (7 Ob 149/57, 7 Ob 571/57, 2 Ob 127/58, 6 Ob 222/58, 5 Ob 171/59, 6 Ob 263/61). Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrfach mit dem Hapotoglobinsystem befasst und dieser Untersuchungsmethode eine immer größeren Bedeutung zuerkannt, ohne allerdings bisher so weit zu gehen, den Haptoglobinausschluss für sich allein als zur Widerlegung der gesetzlichen Vaterschaftsvermutungen ausreichend zu erklären (EvBl 1960, Nr 159, 6 Ob 263/61, 6 Ob 264/61). Mittlerweile sind, wie von Univ. Prof. Dr. Paul S***** im September Heft 1961 der ÖRZ (S 125) berichtet wurde, über dieses System weitere Erfahrungen gesammelt worden mit dem Ergebnis, dass der Wert des Hp Systems in Abstammungsfragen außer Zweifel stehe und einem in diesem System gefundenen Vaterschaftsausschluss ein an Sicherheit grenzender Grad der Wahrscheinlichkeit der Nichtvaterschaft zuzusprechen sei. Es ist jedoch infolge der in der Praxis bekannt gewordenen Fälle unrichtiger aus Blutfaktorenbestimmungen gezogener Schlüsse bei der Bewertung der Blutgruppenuntersuchung als einziges Beweismittel immer besondere Vorsicht geboten (5 Ob 226/60, JBl 1953, S 209, 2 Ob 586/54). Die Behauptung des Revisionswerbers, die Untergerichte haben ihre Entscheidung allein auf den Haptoglobinausschluss gestützt, trifft nicht zu. Auch das Tragzeitgutachten hat ergeben, dass eine Zeugung durch den Beklagten als höchst unwahrscheinlich zu betrachten ist. Das Tragzeitgutachten hat hier besonderes Gewicht, weil die Zeitpunkte der Beiwohnung einwandfrei feststehen. Der Haptoglobinausschluss wird daher durch einen weiteren, der praktischen Sicherheit nahekommenden Ausschluss unterstützt und ergänzt. Damit ist, wie in der Revision gefordert, ein weiteres wichtiges Indiz gegeben. Ein Widerspruch mit dem erbbiologisch antropologischen Gutachten liegt nicht vor. Bei dieser Methode wird eine große Zahl verschiedener Körpermerkmale der Vergleichspersonen untersucht und miteinander verglichen und aus der Summe aller dieser weitwendigen Untersuchungs und Vergleichsmerkmale auf den Grad der Ähnlichkeit zwischen dem in Frage kommenden Mann und dem Kind geschlossen (polysymptomatischer Ähnlichkeitsbeweis). Dass sich ein Überwiegen der ähnlichen Merkmale gegenüber den unähnlichen ergeben hat, schließt nicht aus, dass der Vergleich mit einem anderen Mann eine größere Übereinstimmung von Merkmalen ergeben könnte. Die Untergerichte haben nahezu alle nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft zur Wahrheitsfindung möglichen Untersuchungsmethoden ausgeschöpft und sind aufgrund der Ergebnisse der Haptoglobinvergleichung und des Tragzeitgutachtens ohne Rechtsirrtum zur Ansicht gelangt, dass dadurch die Rechtsvermutung des § 163 ABGB widerlegt ist.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den Bestimmungen der §§ 41, 50, 52 ZPO.