JudikaturDSB

K202.041/0004-DSK/2005 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
01. Februar 2005

Text

[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein.]

BESCHEID

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. DUSCHANEK, Mag. HUTTERER, Dr. KOTSCHY, Mag. PREISS und Dr. STAUDIGL, sowie der Schriftführer Mag. SUDA und Frau HAAS in ihrer Sitzung vom 1. Februar 2005 folgenden Beschluss gefasst:

Spruch

Über den Antrag der A in M (Antragstellerin) vom 23. August 2004 auf Erteilung einer Genehmigung für die Verwendung von Daten für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik wird gemäß § 46 Abs. 3 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr. 165/1999 idF BGBl I Nr. 136/2001, entschieden:

I. Dem Antrag wird Folge gegeben und die Genehmigung zur Verarbeitung (§ 4 Z 9 DSG 2000) personenbezogener Daten

1. aus der Dienstgeber- und Dienstnehmerkartei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse

2. aus den Meldebüchern des Kommunalarchivs der Gemeinde Sierning (OÖ)

für Zwecke einer Forschungsarbeit, welche den Arbeitsalltag und die Herrschaftsstrukturen im ehemaligen Steyr-Daimler-Puch-Zweigwerk Letten zum Gegenstand hat, erteilt.

Die folgenden Datenarten sind hiervon umfasst:

Von der vorliegenden Genehmigung nicht umfasst sind Übermittlungen (§ 4 Z 12 DSG 2000), insbesondere nicht eine Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in personenbezogener Form.

Die Bewilligung wird unter der Auflage erteilt, dass die Verarbeitung der Daten einzig und allein durch die Antragstellerin erfolgt. Die Heranziehung von Dienstleistern wird nicht gestattet.

II. Gemäß § 78 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG), BGBl Nr. 51/1991 idF BGBl I Nr. 65/2002, iVm §§ 1, 3 Abs 1 und TP 1 Bundesverwaltungsabgabenverordnung 1983, BGBl Nr. 24 i.d.F. BGBl II Nr. 460/2002(BVwAbgV), hat die Antragstellerin eine Verwaltungsabgabe in Höhe von

Euro 6,50

zu entrichten.

Begründung:

Die Antragstellerin begehrt die Genehmigung zur Verwendung von Daten der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse sowie der Gemeinde Sierning für das im Spruchpunkt I. bezeichnete Forschungsprojekt, welches im Rahmen einer Adaption und Erweiterung ihrer zeithistorischen Diplomarbeit für eine Publikation durchgeführt werden soll.

Der folgende Sachverhalt steht fest:

Die Antragstellerin ist promovierte Historikerin und Soziologin. Sie ist beruflich am Institut für Soziologie der Universität Innsbruck tätig.

Thema der im September 1996 approbierten zeithistorischen Diplomarbeit der Antragstellerin mit dem Titel ‚ „Wir schmieden das Schwert“ Arbeits- und Alltagserfahrungen eines Rüstungsarbeiters im Zweiten Weltkrieg’, war die Gewehrlauffertigung im ehemaligen Steyr-Daimler-Puch AG Zweigwerk Letten in Sierning in Oberösterreich, die Anfang 1944 in das Konzentrationslager Gusen verlagert wurde. Im Gutachten zur Arbeit heißt es:

'Insgesamt ist dies eine der besten Arbeiten, die der Begutachter in seiner Zeit als akademischer Lehrer zu beurteilen hatte. Sie verdient ohne jede Einschränkung die Klassifikation „sehr gut“.'

Darüber hinaus erhielt die Antragstellerin im November 1997 für die Arbeit von der Oberösterreichischen Kammer für Arbeiter und Angestellte den AK-Wissenschaftspreis. Im April 2003 schloss die Antragstellerin ihr Doktoratsstudium an der University of London mit der Verleihung des Grades „Doctor of Philosophy“ ab.

Nunmehr beabsichtigt die Antragstellerin, ihre seinerzeitige Diplomarbeit zu erweitern, die sodann als Monographie im Studienverlag M erscheinen soll. Im Zuge dessen plant sie eine Untersuchung hinsichtlich Beschäftigungsstand und Beschäftigungsdauer der Zwangsarbeiter im Werk Letten, der Zusammensetzung der Zwangsarbeiterbelegschaft gegliedert nach Alter, Geschlecht und Nationalität, der Entlohnung der Arbeiter sowie der Frage, welchen Repressionen und gesundheitlichen Gefährdungen diese Arbeiter ausgesetzt waren.

Entsprechende Daten dazu – nämlich die im Spruch bezeichneten - sind in den Dienstnehmer- und Dienstgeberkarteien der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse verfügbar. Um aus der Dienstgeberkartei die von der Steyr-Daimler-Puch AG im Werk Letten beschäftigten Dienstnehmer zu ermitteln, ist zuvor ein Abgleich mit Namen und Geburtsdaten aus den Meldebüchern der Gemeinde Sierning (in deren Gebiet sich das Werk befand) erforderlich.

Die Antragstellerin beabsichtigt, die Verarbeitung mittels einer MS-Access-Datenbank durchzuführen.

Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf dem schlüssigen Vorbringen der Antragstellerin, welches von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse in deren Schreiben vom 18. November 2004 bestätigt wurde.

Sowohl das Oberösterreichische Landesarchiv als auch das Bundesministerium für Inneres haben jedenfalls erhebliches Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens.

Beweiswürdigung : Diese Feststellung beruht auf Schreiben des Landesarchivs vom 25. November 2004 bzw. des Bundesministeriums vom 19. November 2004.

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Für die Verwendung von Daten für Zwecke der statistischen bzw.

wissenschaftlichen Forschung enthält das DSG 2000 in seinem

§ 46 eine Sondervorschrift. Diese lautet:

„Wissenschaftliche Forschung und Statistik

§ 46 (1) Für Zwecke wissenschaftlicher oder statistischer

Untersuchungen, die keine personenbezogenen Ergebnisse zum Ziel haben, darf der Auftraggeber der Untersuchung alle Daten verwenden, die

(2) Bei Datenanwendungen für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik, die nicht unter Abs. 1 fallen, dürfen Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, nur

(3) Eine Genehmigung der Datenschutzkommission für die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik ist zu erteilen, wenn

1. die Einholung der Zustimmung der Betroffenen mangels ihrer Erreichbarkeit unmöglich ist oder sonst einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet und

2. ein öffentliches Interesse an der beantragten Verwendung besteht und

3. die fachliche Eignung des Antragstellers glaubhaft gemacht wird.

Sollen sensible Daten übermittelt werden, muß ein wichtiges öffentliches Interesse an der Untersuchung vorliegen; weiters muß gewährleistet sein, daß die Daten beim Empfänger nur von Personen verwendet werden, die hinsichtlich des Gegenstandes der Untersuchung einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen oder deren diesbezügliche Verläßlichkeit sonst glaubhaft ist. Die Datenschutzkommission kann die Genehmigung an die Erfüllung von Bedingungen und Auflagen knüpfen, soweit dies zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, insbesondere bei der Verwendung sensibler Daten, notwendig ist.

(4) Rechtliche Beschränkungen der Zulässigkeit der Benützung von Daten aus anderen, insbesondere urheberrechtlichen Gründen bleiben unberührt.

(5) Auch in jenen Fällen, in welchen gemäß den vorstehenden Bestimmungen die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik in personenbezogener Form zulässig ist, ist der direkte Personsbezug unverzüglich zu verschlüsseln, wenn in einzelnen Phasen der wissenschaftlichen oder statistischen Arbeit mit nur indirekt personenbezogenen Daten das Auslangen gefunden werden kann. Sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes vorgesehen ist, ist der Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist.“

Zunächst ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass hinsichtlich der Daten, deren Verwendung die Antragstellerin beabsichtigt, weder die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 DSG 2000 noch jene des Abs. 2 Z 1 oder 2 erfüllt sind. Somit kommt diese gemäß § 46 Abs. 2 Z 3 DSG 2000 nur mit Genehmigung der Datenschutzkommission nach Abs. 3 in Betracht, sodass der Antrag zulässig ist.

Wie die Antragstellerin zutreffend darlegt, handelt es sich bei den Betroffenen um einen relativ großen Personenkreis, wobei davon auszugehen ist, dass viele der Betroffenen bereits verstorben sind oder über zahlreiche Länder verteilt leben. Somit ist von einer Unverhältnismäßigkeit des Aufwands iSd § 46 Abs. 3 Z 1 DSG 2000 auszugehen.

Da die Antragstellerin auch die Verarbeitung sensibler Daten im Sinn des § 4 Z 2 DSG 2000, nämlich der (ethnischen) Herkunft sowie der Krankenstände beabsichtigt, rechtfertigt erst ein wichtiges öffentliches Interesse den durch die Genehmigung bewirkten Grundrechtseingriff gegenüber den Betroffenen. Im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Untersuchung der NS-Zeit geht die Datenschutzkommission regelmäßig von einem wichtigen öffentlichen Interesse aus, mit der Begründung, dass die Erforschung und objektive Aufarbeitung der NS-Vergangenheit dem Ansehen Österreichs in der Welt nützlich sein wird (vgl. etwa die Bescheide vom 25. Februar 2000, K202.001/3-DSK/00 bzw. K202.002/2-DSK/00, sowie vom 24. April 2001, K202.010/2-DSK/01, abrufbar im Rechtsinformationssystem des Bundes unter www.ris.bka.gv.at). Darüber hinaus ist ein wichtiges öffentliches Interesse zusätzlich durch das vom Oberösterreichischen Landesarchiv sowie dem Bundesministerium für Inneres gezeigte Interesse dokumentiert.

Die nach Z 3 leg. cit erforderliche fachliche Eignung der Antragstellerin ergibt sich schließlich durch ihre in mehrfacher Hinsicht dokumentierte Erfahrung und erfolgreiche Tätigkeit im Bereich der zeithistorischen Forschung. Somit war die beantragte Bewilligung zu erteilen. Dabei war allerdings, insbesondere im Hinblick auf die bereits erörterte Verwendung sensibler Daten, ausdrücklich in Form einer Auflage auszusprechen, dass nur die Antragstellerin selbst die Verarbeitung vornimmt, da sich nur hinsichtlich ihrer Person die nach § 46 Abs. 3 DSG 2000 erforderliche ausreichende Verlässlichkeit, und zwar aus ihrer Beschäftigung an der Universität M und ihrer Bewährung bei einschlägigen Forschungen, ergibt.

Auf die sich aus § 46 Abs. 5 DSG 2000 ergebende Verpflichtung, den Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist, wird an dieser Stelle nochmals hingewiesen.

Die Verwaltungsabgabe war gemäß § 78 Abs. 1 AVG iVm §§ 46 Abs. 3, 53 Abs. 1 DSG 2000 vorzuschreiben. Demnach ist für Anträge nach § 46 Abs. 3 DSG 2000 keine Befreiung von Verwaltungsabgaben normiert.

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