JudikaturDSB

K120.848/0003-DSK/2004 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
21. Dezember 2004

Text

[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein.]

B E S C H E I D

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. BLAHA, Dr. DUSCHANEK, Dr. HEISSENBERGER, Dr. KOTSCHY und Mag. PREISS sowie des Schriftführers Mag. FLENDROVSKY in ihrer Sitzung vom 21. Dezember 2004 folgenden Beschluss gefasst:

S p r u c h

Über die Beschwerde des Egon S*** (Beschwerdeführer) aus G***, vertreten durch Dr. U***, Rechtsanwalt in ***0 E*****, T***straße ******/*4/9*, vom 2. Jänner 2003, abgeändert zuletzt mit Schriftsatz vom 29. Mai 2003, gegen die Bezirkshauptmannschaft F*** (Beschwerdegegnerin) wegen Feststellung einer Verletzung im Recht auf Löschung personenbezogener Daten durch Nichterhalt einer Mitteilung gemäß § 27 Abs 4 Datenschutzgesetz 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr 165/1999 idF BGBl I Nr 136/2001, und Verletzung im Recht auf Löschung durch Nichtlöschung von Daten aus der zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden, wird gemäß §§ 1 Abs 3 Z 2, 4 Z 6, 27 Abs 1 Z 2 und 31 Abs 2 DSG 2000 sowie §§ 63 Abs 1 und 90 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991 idF BGBl I Nr 104/2002, wie folgt entschieden:

[Anmerkung Bearbeiter: Spruchpunkt 2. aufgehoben gemäß Erkenntnis des VfGH vom 13. Oktober 2007, Zl. B 198/05-8]

B e g r ü n d u n g:

A) Verfahrensgang und Vorbringen der Beteiligten :

Mit am 2. Jänner 2003 erhobener Beschwerde brachte der Beschwerdeführer unter Urkundenvorlage vor, bei der Beschwerdegegnerin am 11. Oktober 2002 die Löschung sämtlicher zu seiner Person verarbeiteter Daten im Zusammenhang mit § 209 StGB (idF vor BGBl I Nr 134/2002), insbesondere auch in der Zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden gemäß § 57 SPG, beantragt zu haben. Da innerhalb der Achtwochenfrist keine Reaktion der Beschwerdegegnerin erfolgt sei, betrachte er sich als im Recht auf Löschung verletzt. Er beantragte, die Rechtsverletzung festzustellen und der Beschwerdegegnerin die Mitteilung gemäß § 27 Abs 4 DSG 2000 aufzutragen.

Die Beschwerdegegnerin brachte, von der Datenschutzkommission zur Stellungnahme aufgefordert, mit Stellungnahme vom 28. Februar 2003 (samt Ergänzung vom 31. März 2003), GZ: 2-**/*5-01, vor, der Beschwerdeführer sei im Gefolge der vom Gendarmerieposten F*** zu GZ: B1/4***/2001- sto am 1. September 2001 wegen Verdachts nach § 209 StGB und versuchter Nötigung erstatteten Strafanzeige von der Staatsanwaltschaft Innsbruck vor Gericht gebracht und mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Dezember 2001, *9 Hv **80/01z, der teils versuchten, teils vollendeten 'geschlechtlichen' (gemeint wohl: gleichgeschlechtlichen) Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren für schuldig befunden, vom Vorwurf der versuchten Nötigung hingegen freigesprochen worden. Gemäß Erlässen des Bundesministers für Inneres, Zlen. 3200/182-II/BK/10/S/02 vom 24. April 2002 und 3200/225-II/BK/2.3/03 vom 5. Februar 2003, sei die Beschwerdegegnerin verpflichtet, Daten hinsichtlich Strafanzeigen nach § 209 StGB trotz Aufhebung dieser Strafnorm bei erfolgten rechtskräftigen Verurteilungen nicht aus dem KPA zu löschen.

Der Beschwerdeführer replizierte darauf mit Stellungnahme vom 29. Mai 2003 (in dem die Beschwerdegegnerin fälschlicherweise auch abwechselnd als 'BH D***' bezeichnet wird), der Beschwerdeführer nehme die Verweigerung der Löschung zur Kenntnis und verzichte auf den beantragten Auftrag zur Abgabe einer Mitteilung nach § 27 Abs 4 DSG 2000. Durch die Verweigerung der Löschung erachte er sich aber weiterhin in seinem Recht auf Löschung als verletzt. Die weitere Speicherung von Daten zu einer Strafanzeige wegen einer in dieser Form nicht mehr strafbaren Tat knüpfe für den Beschwerdeführer an die an sich schon grundrechtswidrige Verurteilung weitere negative Folgen. An der Rechtswidrigkeit dieser Speicherung würden auch Erlässe einer Oberbehörde nichts ändern, da diese als Weisungen nur die Beschwerdegegnerin binden, nicht aber in subjektive Rechte des Beschwerdeführers eingreifen könnten. Er beantragte, die Feststellung, durch die Verweigerung in seinem Rechte auf Löschung verletzt zu sein, sowie den Auftrag, die Beschwerdegegnerin zur Löschung der Daten samt Mitteilung an den Beschwerdegegner zu verpflichten.

B) Ermittlungsverfahren und verwendete Beweismittel :

Die Datenschutzkommission hat ein Ermittlungsverfahren durchgeführt und Beweis aufgenommen durch Einholung der bereits zitierten Stellungnahme der Beschwerdegegnerin auf Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegte Urkunde (Löschungsbegehren vom 11. Oktober 2002).

C) Sachverhaltsfeststellung samt Beweiswürdigung :

Für die Datenschutzkommission steht folgender Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer wurde vom Gendarmerieposten F*** zu GZ: B1/4***/2001-sto nach entsprechenden sicherheitsbehördlichen Vorerhebungen im Dienste der Strafjustiz am 1. September 2001 wegen Verdachts nach damals noch in Geltung stehendem § 209 StGB (Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren) und versuchter Nötigung bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck zur Anzeige gebracht. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck stellte gegen den Beschwerdeführer Strafantrag, und er wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Dezember 2001, *9 Hv **80/01z, der teils versuchten, teils vollendeten gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren für schuldig befunden, vom Vorwurf der versuchten Nötigung hingegen freigesprochen.

Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf der glaubwürdigen und vom Beschwerdeführer den Fakten nach nicht bestrittenen Darstellung der Beschwerdegegnerin in der Stellungnahme vom 28. Februar 2003, GZ: 2-**/*5-01.

Daten zur gegen den Beschwerdeführer erstatteten Strafanzeige werden von der Beschwerdegegnerin als Sicherheitsbehörde erster Instanz in der Datenanwendung gemäß § 57 Abs 1 Z 6 SPG (kriminalpolizeilicher Aktenindex – KPA) im Informationsverbundsystem 'Zentrale Informationssammlung der Sicherheitsbehörden' verarbeitet.

Beweiswürdigung : wie zuletzt.

Der Beschwerdeführer richtete, bereits anwaltlich vertreten, am 11. Oktober 2002 ein Löschungsbegehren, gestützt auf § 27 DSG 2000 und § 63 SPG, an die Beschwerdegegnerin. Dieses hatte den Inhalt, ' sämtliche zur Person des A [gemeint damit offenkundig der Beschwerdeführer, Unterstreichung durch die Datenschutzkommission] (automationsunterstützt oder konventionell) im Zusammenhang mit § 209 StGB – aber nicht nur – zu dem o.a. Vorfall bzw. den sicherheitsbehördlichen Ermittlungen und der Anzeige an die StA Innsbruck, verarbeiteten Daten, insb. auch die in der Zentralen Informationssammlung gem. § 57 SPG zur Person des A hinsichtlich § 209 StGB verarbeiteten Daten, zu löschen'.

Dieses Löschungsbegehren blieb bis zur Beschwerdeerhebung unbeantwortet.

Beweiswürdigung : Diese Feststellungen gründen sich auf das glaubwürdige, unwidersprochen gebliebene Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde vom 2, Jänner 2003 samt der als Beilage vorgelegten Urkundenkopie (Auskunftsbegehren vom 11. Oktober 2002 samt Aufgabeschein).

§ 209 StGB wurde durch Art I Z 19b BGBl I Nr 134/2002 mit Wirkung vom 14. August 2002 (Art IX BGBl I Nr 134/2002 e contrario, da sich die angeordnete Legisvakanz ausdrücklich nicht auf die Aufhebungsklausel Art 1 Z 19b leg.cit. erstreckt) außer Kraft gesetzt. Der Verfassungsgerichtshof hatte bereits davor mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002, VfSlg 16.565, § 209 StGB als verfassungswidrig mit Ablauf des 28. Februar 2003 aufgehoben.

Beweiswürdigung : Es handelt sich um verfassungsmäßig kundgemachte Gesetzgebungsakte bzw. zur zitierten Fundstelle veröffentlichte höchstgerichtliche Rechtsprechung.

D) rechtliche Beurteilung :

a) anzuwendende Rechtsvorschriften :

Die Verfassungsbestimmung § 1 Abs 1 bis 4 DSG 2000 lautet unter der Überschrift 'Grundrecht auf Datenschutz':

'§ 1. (1) Jedermann hat, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.

(2) Soweit die Verwendung von personenbezogenen Daten nicht im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen oder mit seiner Zustimmung erfolgt, sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen zulässig, und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen, die aus den in Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, genannten Gründen notwendig sind. Derartige Gesetze dürfen die Verwendung von Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen. Auch im Falle zulässiger Beschränkungen darf der Eingriff in das Grundrecht jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden.

(3) Jedermann hat, soweit ihn betreffende personenbezogene Daten zur automationsunterstützten Verarbeitung oder zur Verarbeitung in manuell, d.h. ohne Automationsunterstützung geführten Dateien bestimmt sind, nach Maßgabe gesetzlicher Bestimmungen

(4) Beschränkungen der Rechte nach Abs. 3 sind nur unter den in Abs. 2 genannten Voraussetzungen zulässig.

§ 27 Abs 1 DSG 2000 lautet unter der Überschrift 'Recht auf Richtigstellung oder Löschung':

'§ 27. (1) Jeder Auftraggeber hat unrichtige oder entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes verarbeitete Daten richtigzustellen oder zu löschen, und zwar

§ 57 Abs 1 Z 6 SPG idF BGBl I Nr 104/2002 lautet unter der Überschrift 'Zentrale Informationssammlung; Zulässigkeit der Ermittlung, Verarbeitung und Übermittlung':

'§ 57. (1) Die Sicherheitsbehörden dürfen Namen, Geschlecht, frühere Namen, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnanschrift, Namen der Eltern und Aliasdaten eines Menschen ermitteln und im Rahmen einer Zentralen Informationssammlung samt dem für die Speicherung maßgeblichen Grund, einer allenfalls vorhandenen Beschreibung des Aussehens eines Menschen und seiner Kleidung und einem allenfalls erforderlichen Hinweis auf das gebotene Einschreiten für Auskünfte auch an andere Behörden verarbeiten, wenn

[...]

6. gegen den Betroffenen Ermittlungen im Dienste

der Strafrechtspflege eingeleitet worden sind;'

§ 58 Abs 1 Z 6 SPG idF BGBl I Nr 104/2002 lautet unter der Überschrift ' Zentrale Informationssammlung; Sperren des Zugriffes und Löschen':

'§ 58. (1) Personenbezogene Daten, die gemäß § 57 Abs. 1 evident gehalten werden, sind für Zugriffe der Sicherheitsbehörden als Auftraggeber zu sperren

[...]

6. in den Fällen der Z 6, wenn gegen den Betroffenen kein Verdacht mehr besteht,

eine strafbare Handlung begangen zu

haben, spätestens jedoch fünf Jahre

nach der Aufnahme in die Zentrale

Informationssammlung, im Falle mehrerer

Speicherungen gemäß Z 6 fünf Jahre nach

der letzten;

[...]

Nach Ablauf von zwei weiteren Jahren sind die Daten auch physisch zu löschen. Während dieser Zeit kann die Sperre für Zwecke der Kontrolle der Richtigkeit einer beabsichtigten anderen Speicherung gemäß Abs. 1 aufgehoben werden.'

§ 59 Abs 1 SPG idF BGBl I Nr 104/2002 lautet unter der Überschrift 'Richtigstellung, Aktualisierung und Protokollierung von Daten der Zentralen Informationssammlung':

'§ 59. (1) Die Sicherheitsbehörden haben die von ihnen in der Zentralen Informationssammlung verarbeiteten Daten unter den Voraussetzungen der §§ 61 und 63 Abs. 1 zu aktualisieren oder richtig zu stellen. Eine Aktualisierung oder Richtigstellung von Namen, Geschlecht, früheren Namen, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnanschrift, Namen der Eltern und Aliasdaten darf auch jede andere Sicherheitsbehörde vornehmen. Hievon ist jene Sicherheitsbehörde, die die Daten verarbeitet hat, zu informieren. Bei Einstellung von Ermittlungen oder Beendigung eines Verfahrens einer Staatsanwaltschaft oder eines Strafgerichtes hat die Sicherheitsbehörde die Daten, die sie verarbeitet hat, durch Anmerkung der Einstellung oder Verfahrensbeendigung und des bekannt gewordenen Grundes zu aktualisieren.'

§ 63 SPG idF BGBl I Nr 104/2002 lautet samt Überschrift 'Pflicht zur Richtigstellung oder Löschung':

'§ 63. (1) Wird festgestellt, daß unrichtige oder entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes ermittelte Daten aufbewahrt werden, so ist unverzüglich eine Richtigstellung oder Löschung vorzunehmen. Desgleichen sind personenbezogene Daten zu löschen, sobald sie für die Erfüllung der Aufgabe, für die sie verwendet worden sind, nicht mehr benötigt werden, es sei denn, für ihre Löschung wäre eine besondere Regelung getroffen worden.

(2) Die Sicherheitsbehörden haben automationsunterstützt verarbeitete personenbezogene Daten, die sechs Jahre unverändert geblieben sind, daraufhin zu überprüfen, ob diese nicht gemäß Abs. 1 richtig zu stellen oder zu löschen sind. Für Daten, die in der Zentralen Informationssammlung verarbeitet werden, gelten die §§ 58 und 59.'

b) Anwendung auf den Beschwerdefall :

§ 63 Abs. 2 SPG regelt, dass für Daten, die in der zentralen Informationssammlung verarbeitet werden, die §§ 58 und 59 gelten. Hier gelten als Spezialvorschriften ausdrücklich die §§ 58 und 59 SPG. Aus § 58 Abs 1 Z 6 iVm § 59 Abs 1 SPG könnte der Schluss gezogen werden, dass ein Recht auf (vorzeitige) Löschung von Daten des KPA nicht besteht, lediglich eine Richtigstellung oder Aktualisierung der Daten innerhalb der Speicherfrist vorgesehen sei, womit etwa die Ergänzung der Daten um einen später erfolgten Freispruch oder die Einstellung des Verfahrens gemeint ist.

Im Beschwerdefall würde dies zu dem Ergebnis führen, dass dem Beschwerdeführer lediglich das Recht zukäme, die Daten betreffend die gegen ihn erstattete Strafanzeige um Daten betreffend die erfolgte rechtskräftige Verurteilung durch das Landesgericht Innsbruck aktualisieren zu lassen.

Dieser Auslegung des Gesetzes stehen allerdings gravierende verfassungsrechtliche Bedenken entgegen, da damit das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Löschung gemäß § 1 Abs 3 Z 2 DSG 2000 praktisch aufgehoben bzw. auf ein rein formelles, durch Zeitablauf determiniertes Löschungsrecht beschränkt wäre. Es stellt sich etwa die Frage, ob es aus den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Schutzzwecken tatsächlich notwendig ist, dass (Teil )Grundrecht auf Löschung so gravierend einzuschränken.

In den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshof vom 16. März 2001, VfSlg 16149 und 16150, wurde die am Wortlaut orientierte Auslegung der §§ 57, 58, 61 und 62 SPG, teils in der Stammfassung BGBl Nr. 566/1991, teils idF BGBl I Nr. 104/1997, als zu restriktiv bezeichnet und daher nicht geteilt.

Der Verfassungsgerichtshof hat zum Erkenntnis VfSlg 16149 den folgenden Rechtssatz veröffentlicht:

'Indem die belangte Behörde die Löschung der gemäß

§ 57 Abs 1 Z 6 SicherheitspolizeiG gespeicherten Anzeigedaten vor Ablauf der in § 58 Abs 1 Z 6

lit b SicherheitspolizeiG iVm dem zweiten Satz

dieses Absatzes genannten Frist von vornherein verweigerte und daher die Umstände des Einzelfalles nicht abgewogen hat, hat sie dem § 61 und § 63 SicherheitspolizeiG einen Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt und den Beschwerdeführer dadurch in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) verletzt.'

Zur Frage der vorzeitigen Löschung von KPA-Daten führte der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 16150 anlässlich der Prüfung der Frage, ob einschlägige Bestimmungen als verfassungswidrig aufgehoben werden müssen oder verfassungskonform interpretiert werden können, aus:

'§ 58 Abs 1 Z 6 lit b SicherheitspolizeiG findet

bei verfassungskonformer Auslegung nur auf jene

Fälle der Speicherung personenbezogener Daten

Anwendung, die von den Sicherheitsbehörden in

kriminalpolizeilicher Hinsicht notwendigerweise

gemäß § 57 Abs 1 Z 6 SicherheitspolizeiG im Dienste der Strafrechtspflege ermittelt und

gespeichert wurden und deren Speicherung und Übermittlung im Dienste der Strafrechtspflege

weiterhin erforderlich ist. Daher besteht

bereits vor Ablauf der im § 58 Abs 1 Z 6 lit b

SicherheitspolizeiG iVm dem zweiten Satz dieses Absatzes bezeichneten Frist dann die Verpflichtung zur Löschung der gemäß § 57 Abs 1 Z 6 SicherheitspolizeiG gespeicherten Daten, wenn

die Speicherung als im Dienste der Strafrechtspflege nicht mehr erforderlich

anzusehen ist.'

Die Datenschutzkommission hält die vom Verfassungsgerichtshof angestellten Erwägungen zur verfassungskonformen Anwendung des Löschungsrechts betreffend sicherheitspolizeiliche Daten und zur Notwendigkeit einer Abwägung der Umstände im Einzelfall auf den vorliegenden Beschwerdefall für übertragbar. Aufgrund dieser Judikatur des Verfassungsgerichtshofes wendet die Datenschutzkommission § 63 SPG (als einfachgesetzliche lex specialis iVm § 27 DSG 2000) im Beschwerdefall auch auf Daten der Zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden an.

Es war also daher zu prüfen und abzuwägen, ob im Sinne von § 63 Abs 1 SPG die Daten des Beschwerdeführers für den Zweck, für den sie verarbeitet worden sind – das ist laut Verfassungsgerichtshof die 'Strafrechtspflege' -, noch benötigt werden.

Diese Abwägung ergibt ein Überwiegen des Interesses des Beschwerdeführers an der Löschung dieser Daten. In diesem Punkt vermögen einige der Argumente des Beschwerdeführers zu überzeugen.

Da die Strafnorm, nämlich der ehemalige § 209 StGB, nach der der Beschwerdeführer noch verurteilt wurde, sowohl vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt als auch vom Gesetzgeber aufgehoben wurde, fallen individual- und spezialpräventive Erwägungen weitgehend weg, da in Zukunft niemand mehr einer Straftat nach dieser aufgehobenen Bestimmung verdächtig sein kann. Zwar besteht derzeit und wohl auch in Zukunft eine Strafnorm mit ähnlichem, wenn auch geschlechtsneutral formuliertem Schutzzweck (§ 207b StGB idF BGBl I Nr 134/2002 - Sexueller Missbrauch von Jugendlichen), die Tatbestände dieser Delikte unterscheiden sich, nicht zuletzt weil sich § 207b StGB nicht nur und ausdrücklich auf homosexuelle Männer bezieht, aber so deutlich, dass eine KPA-Vormerkung betreffend § 209 StGB nicht automatisch als 'einschlägige Vormerkung' betreffend § 207b StGB gelten darf.

Weiters ist in Erwägung zu ziehen, dass, unabhängig von den Erwägungen zur Zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden, die Bundespolizeidirektion Wien als Strafregisterbehörde und verantwortlicher datenschutzrechtlicher Auftraggeber berechtigt ist, Daten betreffend erfolgte rechtskräftige Verurteilungen des Beschwerdeführers für Zwecke des Strafregisters (§ 1 Strafregistergesetz 1968, BGBl Nr 277/1968) zu verarbeiten. Es ist daher gewährleistet, dass bei jedem späteren Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer dessen Vorstrafen verarbeitet und für Zwecke der Strafrechtspflege in den gesetzlich geregelten Fällen Gerichten, Staatsanwaltschaften und Sicherheitsbehörden übermittelt werden können.

Dies ergibt insgesamt die Schlussfolgerung, dass eine weitere Verarbeitung von Daten betreffend eine im Jahre 2001 nach § 209 StGB erfolgte Strafanzeige für Zwecke der Strafrechtspflege nicht mehr notwendig ist.

Es war daher die Löschung der KPA-Daten des Beschwerdeführers anzuordnen.

2. Spruchpunkt 2., sonstige Daten des Beschwerdeführers

Zu den sonstigen Daten des Beschwerdeführers, die dem datenschutzrechtlichen Recht auf Löschung unterliegen (Daten, die in einer Datei verarbeitet werden oder zur Verarbeitung in einer Datei bestimmt sind, vgl. dazu die ausführlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) im Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2004/06/0086-5), hat der Beschwerdeführer kein näheres Vorbringen gemacht, allerdings ist sein Beschwerdebegehren dennoch so formuliert, dass darauf kurz näher eingegangen werden muss.

Wie aus anderen Beschwerdeverfahren bekannt, in denen der Beschwerdeführervertreter zur Durchsetzung des Löschungsrechts eingeschritten ist, beziehen sich weit gefasste derartige Löschungsbegehren neben Datenanwendungen (siehe Spruchpunkt 1.) auf manuelle Dateien (Indexkartei und Protokollbücher von Gendarmeriedienststellen) und Papierakten, die regelmäßig, zumindest so nicht ausdrücklich anderes behauptet wurde, keine Dateien darstellen. Zu den Papierakten verweist die Datenschutzkommission daher auf die Ausführungen in ihrem Bescheid vom 4. Mai 2004, GZ: K120.841/0001-DSK/2004 (enthalten in der Entscheidungsdatenbank der Datenschutzkommission, http://www.ris.bka.gv.at/dsk/), und das darüber ergangene, bereits zitierte Erkenntnis des VwGH (Auszüge aus den Entscheidungsgründen veröffentlicht beim zuvor zitierten Bescheid).

Hinsichtlich der manuellen Dateien für Zwecke der bis vor kurzem allgemein üblichen Aktenführung der Gendarmerie, Indexkartei und Protokollbuch, kann ebenfalls auf die bereits zitierte Entscheidung verwiesen werden. Für diese manuellen Dateien ist die Bezirkshauptmannschaft als Sicherheitsbehörde gemäß § 10 Abs 2 SPG nicht der zuständige Auftraggeber und daher auch nicht berechtigt, [Anmerkung Bearbeiter:

Redaktionsversehen in der Ausfertigung, der Satz sollte laut Urschrift des Beschlusses enden:] die Richtigstellung oder Löschung von Daten anzuordnen.

Die Beschwerde war daher im Spruchpunkt 2. abzuweisen.

Mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2005, Zl. 2005/06/0065-11, hat der VwGH die Beschwerde als unbegründet abgewiesen .

Aus den Entscheidungsgründen des VwGH:

Nach kurzer Wiedergabe des Verfahrensgangs und des Inhalts des angefochtenen Bescheids führt der VwGH wie folgt aus:

„Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs.1 Z.2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Soweit die Beschwerdeausführungen dahin zu verstehen sein sollten, dass sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid auch in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten als verletzt erachte, fiele dies in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes und nicht des Verwaltungsgerichtshofes; im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist daher hierauf nicht weiter einzugehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem auch vom Beschwerdeführer bezogenen Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2004/06/0086, eingehend zur Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen Schriftgut als "manuelle Datei" zu qualifizieren ist. Dass diese Voraussetzungen auf den fraglichen Kopienakt zuträfen, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem weiteren Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2005/06/0140, auf das gemäß § 43 Abs.2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, in Auseinandersetzung mit dem auch hier erstatteten weiteren Vorbringen (desselben Beschwerdevertreters) weiter die Auffassung vertreten, dass ein Kopienakt keine manuelle Datei ist. Damit ist auch in diesem Beschwerdefall davon auszugehen, dass es sieh bei diesem Kopienakt nicht um eine "manuelle Datei" handelt und das Löschungsbegehren somit nicht zu Recht besteht.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.“

[Begründung des Kostenpunkts hier nicht wiedergegeben]

Mit Erkenntnis vom 13. Oktober 2007, Zl. 198/05-8, hat der VfGH den Bescheid der Datenschutzkommission im Spruchpunkt 2. aufgehoben .

Aus den Entscheidungsgründen des VfGH:

Nach kurzer Wiedergabe des Verfahrensgangs und des Inhalts des angefochtenen Bescheids sowie mehrseitigen Zitaten aus der Beschwerdeschrift und der Gegenschrift der Datenschutzkommission (welche insbesondere auf den Judikaturkonflikt zwischen VwGH (Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2004/06/0086) und VfGH (Erkenntnis vom 30. November 2005, Zl. B 1158/03) in der Frage der Zuordnung der Dateien für Zwecke der Aktenführung und Verfahrensdokumentation hingewiesen (Stichwort: „innerer Dienst“ der Exekutive, Zuordnung zum Auftraggeber Polizeikommando oder Sicherheitsbehörde) und argumentiert hatte, dass eine einem Höchstgericht (hier: dem VwGH) folgende Gesetzesauslegung niemals gleichheitswidrige „Willkür“ im Sinne der VfGH-Judikatur sein könne), führt der VfGH (Beratung im so genannten „kleinen Senat“) aus:

„2. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Der angefochtene Spruchpunkt 2. bildet einen selbstständigen Teil des Bescheides der Datenschutzkommission

Die Beschwerde - auch die übrigen Voraussetzungen liegen vor - ist zulässig.

2.2. Die Datenschutzkommission hat die Bezirkshauptmannschaft F*** als datenschutzrechtlichen Auftraggeber der Daten des Beschwerdeführers in der zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden (KPA) gesehen und dem Löschungsbegehren stattgegeben. Nicht jedoch hat sie die Bezirkshauptmannschaft F*** als Auftraggeber betreffend die Daten des Beschwerdeführers in Indexkartei und Protokollbuch der Gendarmeriedienststelle angenommen. Sie hat deshalb das Löschungsbegehren abgewiesen.

Der Verfassungsgerichtshof hat - beginnend mit seiner Entscheidung vom 30. November 2005, B 1158/03 (VfSlg. 17.716/2005) - in seither ständiger Judikatur (VfSlg. 17.747/2006, 17.748/2006) die Auftraggeberschaft der Bezirkshauptmannschaft für personenbezogene Daten bejaht, die nach Anzeigen bei der zugeordneten Gendarmeriedienststelle verblieben sind. Er hat dazu in seiner Entscheidung VfSlg. 17.716/2005 ausgeführt.

“Generelle Regelungen zur Ordnung des Aktenbestandes und damit auch solche über das Anlegen von Karteien nach bestimmten Ordnungskriterien zur Auffindung von Akten sind - wie andere Regelungen über den Geschäftsgang innerhalb einer Behörde auch - dem Bereich der inneren Organisation zuzuordnen (vgl. zB auch Pernthaler, Raumordnung und Verfassung, 2. Bd., 1978, S 182ff.). Wird jedoch ein konkreter Name mit entsprechenden weiteren Angaben in das Protokoll(buch) oder in die Indexkartei aufgenommen, so kann keinesfalls mehr von einer Angelegenheit des inneren Dienstes gesprochen werden. Hier hat der Gesetzgeber subjektive Rechtspositionen der Betroffenen geschaffen (vgl. Adamovich-Funk-Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, 2. Bd., 1998, S 116) Damit erweist sich aber die Bezirkshauptmannschaft [...] als zutreffender Adressat der Löschungs- und Auskunftsbegehren des Beschwerdeführers.“

Der Gerichtshof kam in diesen Fällen mit folgender Begründung wegen Verletzung des Gleichheitssatzes zu einer aufhebenden Entscheidung:

“Die Behörde hat in der Frage der Abgrenzung des Bereichs der inneren Organisation - also in einem wesentlichen Punkt - die Rechtslage grundlegend verkannt. Sie hat die in diesem Zusammenhang entscheidenden datenschutzrechtlichen Ansprüche von außerhalb der Organisation stehenden Personen nicht entsprechend berücksichtigt und in ihre Erledigung die kriminalpolizeilichen Aspekte der Datenverarbeitung nicht aufgenommen.“

Der Gerichtshof sieht sich nicht veranlasst, von seiner Auffassung, was unter innerem Dienst zu verstehen ist, abzugehen. Auch im vorliegenden Fall hat die Behörde die Rechtslage in demselben wesentlichen Punkt verkannt.

2.3. Der Beschwerdeführer wurde damit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt, weshalb dieser im (allein) angefochtenen Spruchpunkt 2. aufzuheben war.

Wegen Untrennbarkeit des (Bescheid)Spruchpunktes 2. braucht zur in Beschwerde und Gegenschrift auch angesprochenen Frage der Löschung des Papier- oder Kopienaktes nicht Stellung genommen werden. Es wird freilich auf VfSlg. 17.745/2005 und VfGH 7.3.2007 B 1708/06 verwiesen.“

[Begründung des Kostenpunktes hier nicht wiedergegeben]

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