DSB-D123.431/0003-DSB/2018 – Datenschutzbehörde Entscheidung
Text
GZ: DSB-D123.431/0003-DSB/2018 vom 16. September 2020
[Anmerkung Bearbeiter: Namen und Firmen, Rechtsformen und Produktbezeichnungen, Adressen (inkl. URLs, IP- und E-Mail-Adressen), Aktenzahlen (und dergleichen), etc., sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
BESCHEID
SPRUCH
Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde von Sabine A*** (Beschwerdeführerin), vertreten durch die Gewerkschaft der *** vom 3. September 2018 gegen den ***verein N*** (Beschwerdegegnerin), vertreten durch die C*** Partner Rechtsanwälte GmbH, wegen Verletzung im Grundrecht auf Geheimhaltung wie folgt:
- Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin dadurch im Grundrecht auf Geheimhaltung verletzt hat , indem sie die Gewerkschaftszugehörigkeit der Beschwerdeführerin in einem Schreiben vom 27. Juli 2018 ihren MitarbeiterInnen, ihren fachlichen Leitungen, ihren KlientInnen und deren Angehörigen sowie dem Bürgermeister von N*** offengelegt hat.
Rechtsgrundlagen : Art. 5 Abs. 1 lit. c, Art. 6, Art. 9, Art. 51 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 lit. f sowie Art. 77 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO), ABl. Nr. L 119 vom 4.5.2016 S. 1; §§ 1 Abs. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 1 sowie 24 Abs. 1 und Abs. 5 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF.
BEGRÜNDUNG
A. Vorbringen der Parteien und Verfahrensgang
1. Mit verfahrenseinleitender Beschwerde vom 3. September 2018 brachte die Beschwerdeführerin zusammengefasst vor, dass sie durch die Beschwerdegegnerin in ihrem Recht auf Geheimhaltung, insbesondere den Schutz besonderer Kategorien personenbezogener Daten, verletzt worden sei. Die Beschwerdeführerin bezeichnete in diesem Zusammenhang eine Verletzung gemäß Art. 8 DSGVO, verbesserte ihre Bezugnahme jedoch im Verlauf des Verfahren auf Art. 9 DSGVO. Dazu führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie ihr Dienstverhältnis mit der Beschwerdegegnerin zum 31. August 2018 aufgekündigt habe. Diese habe dann seitens ihres Obmannes am 27. Juli 2018 ein Schreiben an alle MitarbeiterInnen, die fachlichen Leitungen des ***vereins, den Bürgermeister sowie an alle KlientInnen und deren Angehörige verfasst, in dem mitgeteilt worden sei, dass die Beschwerdeführerin ihr Dienstverhältnis, vertreten durch die Gewerkschaft der ***, aufgekündigt habe. Da es sich bei der Gewerkschaftszugehörigkeit um ein sensibles Datum handle, das unrechtmäßig verarbeitet worden sei, werde nun die Feststellung der Rechtsverletzung seitens der Datenschutzbehörde begehrt.
2. Die Beschwerdegegnerin brachte daraufhin in ihrer Stellungnahme vom 2. Oktober 2018 zusammengefasst vor, dass es sich bei der Gewerkschaftszugehörigkeit der Beschwerdeführerin um kein Geheimnis gehandelt habe, zumal sich die Beschwerdeführerin unter anderem medial neben dem ÖGB-Chef Werner D*** ablichten habe lassen und sich auch sonst in ihrer Funktion als Betriebsratsvorsitzende mit Rückendeckung der Gewerkschaft für die ArbeitnehmerInnen eingesetzt und in diesem Zusammenhang auch ihre Gewerkschaftszugehörigkeit öffentlichkeitswirksam verbreitet habe. Ein Verstoß im Sinne des Art 9. Abs. 1 DSGVO liege daher gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. e DSGVO nicht vor.
Weiters brachte die Beschwerdegegnerin vor, dass dem Schreiben vom 27. Juli 2018 ein **** veröffentlichter Zeitungsartikel der „*** Zeitung“ vorangegangen sei, indem sich die Beschwerdeführerin unter anderem auch kritisch hinsichtlich der Beschwerdegegnerin geäußert habe, weshalb man eine Notwendigkeit zur Mitteilung der Aufkündung des Dienstverhältnisses und der Vertretung durch die Gewerkschaft gesehen habe. Demgemäß sei die Vorgehensweise auch zur Abwendung eines drohenden Übels (nämlich allfällige, unberechtigte Schadenersatzforderungen) im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. f DSGVO gerechtfertigt gewesen.
3. Darauf erwiderte die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 23. Oktober 2018 zusammengefasst, dass die Gewerkschaftszugehörigkeit der Öffentlichkeit keinesfalls bekannt gewesen sei. Auch würde weder ein gemeinsamer Auftritt mit einem Gewerkschaftsmitglied, noch eine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft eine derartige Zugehörigkeit implizieren. Weiters sei darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Rolle als Betriebsrätin viel mehr dem Gebot der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gemäß § 36 Abs. 2 ArbVG unterliege.
B. Beschwerdegegenstand
Beschwerdegegenstand ist die Frage, ob die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin dadurch in ihrem Recht auf Geheimhaltung verletzt hat, indem sie die Gewerkschaftszugehörigkeit der Beschwerdeführerin in einem Schreiben vom 27. Juli 2018 ihren MitarbeiterInnen, ihren fachlichen Leitungen, ihren KlientInnen und deren Angehörigen sowie dem Bürgermeister von N*** offengelegt hat.
C. Sachverhaltsfeststellungen
1. Die Beschwerdeführerin war Dienstnehmerin bei der Beschwerdegegnerin und hat ihr Dienstverhältnis zum 31. August 2018 aufgekündigt. Sie ist Mitglieder der Gewerkschaft der ***.
2. Die Beschwerdegegnerin hat am 27. Juli 2018 ein Schreiben ihren MitarbeiterInnen, ihren fachlichen Leitungen, ihren KlientInnen und deren Angehörige sowie dem Bürgermeister übermittelt. In diesem Schreiben wurden die genannten Personengruppen über die Aufkündigung des Dienstverhältnisses sowie über die Vertretung der Beschwerdeführerin durch die Gewerkschaft der ***, informiert (Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):
[Anmerkung Bearbeiter: die grafische Datei (Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 27. Juli 2018) wurde entfernt, da sie im RIS nicht pseudonymisiert dargestellt werden kann.]
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststelllungen stützen sich auf die verfahrenseinleitende Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 3. September 2018 samt beiliegendem Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 27. Juli 2018 sowie der Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 2. Oktober 2018. Die Beschwerdegegnerin hat in weiterer Folge nicht mehr bestritten, dass sie das gegenständliche Schreiben vom 27. Juli 2018 an ihre MitarbeiterInnen, die fachlichen Leitungen, die KlientInnen und deren Angehörige sowie dem Bürgermeister übermittelt hat.
3. Die Beschwerdeführerin war während ihres Dienstverhältnisses bei der Beschwerdegegnerin als Betriebsrätin tätig, darüber hinaus war sie Vorstand in der Berufsvertretung der Sozialbetreuungsberufe ***. Letzteres wurde auch in einem Artikel der „*** Zeitung“ vom **. Juli 2018 erwähnt, in welchem sich die Beschwerdegegnerin zur Lage im Sozial- und Pflegebereich kritisch äußert.
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststelllungen stützen sich auf die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 2. Oktober 2018 samt darin vorgelegten Unterlagen (insbesondere Zeitungsausschnitte).
D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
1. Zum Schutzbereich von § 1 Abs. 1 DSG
a) Grundsätzliches
Nach § 1 Abs. 1 DSG hat jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.
b) Zu „allgemein verfügbaren Daten“
Nach gefestigter Rsp der Datenschutzbehörde ist die ganz generelle Annahme des Nichtvorliegens einer Verletzung schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen für zulässigerweise veröffentlichte Daten nicht mit den Bestimmungen der DSGVO vereinbar , weshalb die in § 1 Abs. 1 DSG normierte Einschränkung für „allgemein verfügbare Daten“ unangewendet zu bleiben hat (vgl. den Bescheid vom 15. Jänner 2019, GZ DSB-D123.527/0004-DSB/2018 im Hinblick auf § 27 Abs. 1 ÄrzteG 1998 sowie den Bescheid vom 31. Oktober 2018, GZ DSB-D123.076/0003-DSB/2018 mwN sowie den Bescheid vom 23. April 2019, GZ DSB-D123.626/0006-DSB/2018).
c) Zur „Rückführbarkeit der Daten“
Weiters beziehen sich die gegenständlich relevanten Informationen (Name, Gewerkschaftszugehörigkeit) unstrittig auf die Beschwerdeführerin.
d) Zwischenergebnis
Der Schutzbereich von § 1 Abs. 1 DSG ist daher grundsätzlich eröffnet.
2. Zu den Einschränkungen gemäß § 1 Abs. 2 DSG
Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung sind gemäß § 1 Abs. 2 DSG dann zulässig, wenn personenbezogene Daten im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen verwendet werden, der Betroffene seine Zustimmung erteilt hat, wenn eine qualifizierte gesetzliche Grundlage für die Verwendung besteht, oder wenn die Verwendung durch überwiegende berechtigte Interessen eines Dritten gerechtfertigt ist.
Die DSGVO und insbesondere auch die darin verankerten Grundsätze sind zur Auslegung des Rechts auf Geheimhaltung heranzuziehen (vgl. den Bescheid der DSB vom 31. Oktober 2018, GZ DSB D123.076/0003-DSB/2018).
Die gegenständliche Datenverwendung liegt nicht im lebenswichtigen Interesse des Beschwerdeführers und eine Zustimmung sowie eine gesetzliche Verpflichtung liegt ebenso wenig vor.
In Frage kommen jedoch berechtigte Interessen eines Dritten.
3. Interessenabwägung
a) Allgemeines
Zunächst ist festzuhalten, dass die Gewerkschaftszugehörigkeit zu den „besonders schutzwürdigen Daten“ gemäß § 1 Abs. 2 zweiter Satz DSG zählt (vgl. Art. 9 Abs. 1 DSGVO).
b) Zu Art. 9 Abs. 2 lit. e DSGVO
Sofern sich die Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang auf Art. 9 Abs. 2 lit. e DSGVO stützt, ist zunächst festzuhalten, dass die Ausnahmetatbestände des Art. 9 Abs. 2 DSGVO prinzipiell eng auszulegen sind und der Tatbestand der „offensichtlichen eigenen Veröffentlichung“ im Sinne der lit. e leg. cit. einen eigenen Willensakt der betroffenen Person voraussetzt . Im Zweifel wird keine eigene Veröffentlichung angenommen, diese muss vielmehr vom Verantwortlichen bewiesen werden ( Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl in Knyrim, DatKomm Art 9 DSGVO, Rz 41-42).
Ein solcher Nachweis wurde nach Auffassung der Datenschutzbehörde nicht erbracht:
Weder die Tatsache, dass sich die Beschwerdeführerin öffentlich mit Mitgliedern der Gewerkschaft fotografieren ließ, noch ihre Tätigkeit als Betriebsrätin und die damit zusammenhängende Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft, kann als eigener Willensakt zur Veröffentlichung gewertet werden.
Davon abgesehen ist auch auf den ausgesprochen weiten Adressatenkreis hinzuweisen, an den sich die Beschwerdegegnerin in ihrem Schreiben vom 27. Juli 2018 richtet. Es ist davon auszugehen, dass davon auch Personen erfasst sind, denen die Gewerkschaftszugehörigkeit der Beschwerdeführerin nicht „offensichtlich bekannt war“.
Dies bedeutet, dass das Verbotsprinzip von Art. 9 Abs. 1 DSGVO jedenfalls nicht auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2 lit. e leg. cit. aufgehoben wurde.
c) Zu Art. 9 Abs. 2 lit. f DSGVO
Die Beschwerdegegnerin führt als berechtigtes Interesse die „Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit“ iSd Art. 9 Abs. 2 lit. f DSGVO ins Treffen.
Diesbezüglich ist zwar festzuhalten, dass der Begriff des „ Rechtsanspruchs “ grundsätzlich weit auszulegen ist und dieser gerichtliche wie außergerichtliche Ansprüche erfasst. Entscheidend ist jedoch, dass ein rechtlicher Konflikt besteht (vgl. das Urteil des OGH vom 24. Juli 2019, 6 Ob 45/19i, bezugnehmend auf Schiff in Ehmann/Selmayr , Art. 9 DSGVO Rz 48).
Im vorliegenden Fall äußerte die Beschwerdegegnerin lediglich Befürchtungen , es könnten in der Zukunft Schadenersatzansprüche entstehen, konkrete Rechtsansprüche liegen aber nicht vor und wurden auch nicht behauptet .
Weiters ist darauf hinzuweisen, dass es in diesem Zusammenhang wohl auch an der Erforderlichkeit der Mitteilung über die Gewerkschaftszugehörigkeit scheitern würde, um derartige Rechtsansprüche abzuwehren oder verteidigen zu können:
So ist nach Auffassung der Datenschutzbehörde nicht ersichtlich, weshalb es für die Abwehr von (unbestimmten) Rechtsansprüchen erforderlich wäre, die Information der Gewerkschaftszugehörigkeit der Beschwerdeführerin einem größeren Adressatenkreis zur Verfügung zu stellen.
Es kann daher weder das Vorliegen eines Rechtsanspruches , noch die Erforderlichkeit bejaht werden, weshalb auch eine Rechtfertigung nach Art. 9 Abs. 2 lit f DSGVO nicht in Betracht kommt.
Anderweitige berechtigte Interessen sind für die Datenschutzbehörde nicht ersichtlich.
4. Ergebnis
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das Verbotsprinzip nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO mangels Erlaubnistatbestand gemäß Art. 9 Abs. 2 leg. cit. nicht aufgehoben wurde und auch keine berechtigten Interessen der Beschwerdegegnerin an der gegenständlich relevanten Datenverarbeitung vorliegen.
Die Offenlegung der Gewerkschaftszugehörigkeit der Beschwerdeführerin in der Mitteilung der Beschwerdegegnerin vom 27. Juli 2018 erfolgte daher unrechtmäßig .
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.