JudikaturDSB

2020-0.239.741 – Datenschutzbehörde Entscheidung

Entscheidung
21. April 2020

Text

GZ: 2020-0.239.741 vom 21. April 2020 (Verfahrenszahl: DSB-D124.2228)

[Anmerkung Bearbeiter: Namen und Firmen, Rechtsformen und Produktbezeichnungen, Adressen (inkl. URLs, IP- und E-Mail-Adressen), Aktenzahlen (und dergleichen), etc., sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.

Die Entscheidung ist besonders sorgfältig pseudonymisiert worden, wegen der vielfachen Medienberichterstattung über den zugrundeliegenden Vorfall kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer von Lesern mit entsprechendem Wissen und Geschick in Fragen der Internet-Recherche identifiziert werden kann. Das diesbezügliche Geheimhaltungsinteresse des Beschwerdeführers überwiegt hier jedoch nicht das öffentliche Interesse an der gesetzlich durch § 23 Abs. 2 DSG gebotenen Veröffentlichung der Entscheidung.]

BESCHEID

SPRUCH

Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde von Dr. Paul A*** (Beschwerdeführer) vom 26. Februar 2020 gegen die N***-Verlag Digital GmbH (Beschwerdegegnerin), vertreten durch die B*** Rechtsanwälte GmbH, H***weg *3*, **** K***stadt, wegen Verletzung im Recht auf Löschung wie folgt:

- Die Beschwerde wird zurückgewiese n .

Rechtsgrundlagen : Art. 77 Abs. 1 und Art. 85 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO), ABl. Nr. L 119 vom 4.5.2016 S. 1; § 9 Abs. 1 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF.

BEGRÜNDUNG

A. Vorbringen der Parteien und Verfahrensgang

1. Mit Eingabe vom 26. Februar 2020 behauptete der Beschwerdeführer eine Verletzung im Recht auf Löschung. Er habe am 4. Februar 2020 die Löschung eines Beitrags auf der Plattform der Beschwerdegegnerin unter der Internet-Adresse https://www.n***-digital.net/soziale-medien-blamieren-polizeichef-a***/*3*2*10 beantragt. Die Beschwerdegegnerin habe jedoch mit Schreiben vom 24. Februar 2020 mitgeteilt, dem Antrag auf Löschung nicht zu entsprechen.

2. Die Beschwerdegegnerin brachte mit Stellungnahme vom 8. April 2020 vor, dass die im inkriminierten redaktionellen Beitrag enthaltenen personenbezogenen Daten (des Beschwerdeführers) zu journalistischen Zwecken verarbeitet werden würden und somit das Medienprivileg des § 9 DSG anwendbar sei. Somit würde der Löschungsanspruch des Beschwerdeführers ins Leere gehen und sei die Beschwerde mangels Zuständigkeit der Datenschutzbehörde zurückzuweisen.

3.Der Beschwerdeführer brachte – nach Parteiengehör zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens – mit Stellungnahme vom 15. April 2020 zusammengefasst vor, dass diese Norm (§ 9 DSG) kein Freibrief für Verächtlichmachungen („Lachnummer“) sei. Die Darstellung würde über journalistische Zwecke hinausgehen. Die Öffentlichkeit habe wohl kein Interesse daran, dass solche Darstellungen öffentlich seien.

B. Beschwerdegegenstand

Aufgrund des Vorbringens der Parteien ergibt sich, dass zunächst zu prüfen ist, ob die Datenschutzbehörde zur inhaltlichen Behandlung der gegenständlichen Beschwerde zuständig ist.

C. Sachverhaltsfeststellungen

1. Die Beschwerdegegnerin betreibt eine Online-Tageszeitung unter https://www.n***-digital.net/ („N*** Digital“), in welcher regelmäßig Online-Artikel zu tagesaktuellen Themen veröffentlicht werden.

Die Beschwerdegegnerin hat unter dem Link https://www.n***-digital.net/soziale-medien-blamieren-polizeichef-a***/*3*2*10 folgenden Artikel veröffentlicht (Auszug, Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):

[Anmerkung Bearbeiter: Der an dieser Stelle im Bescheid verkleinert aber vollständig und im originalen Web-Design samt Logo des Mediums wiedergegebene Medienbericht ist nicht pseudonymisierbar und wurde daher entfernt. Er behandelt einen Vorfall, bei dem das dokumentierte Verhalten des Beschwerdeführers am Telefon gegenüber einem Mitarbeiter des Polizeinotrufs zum Gegenstand von Spott in verschiedenen Sozialen Medien gemacht worden ist.]

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen ehemaligen [Funktion des Beschwerdeführers in der Hierarchie der österreichischen Sicherheitsbehörden] des Bundeslandes L***. Im oben genannten Online-Artikel ist ein YouTube-Video eingebettet, welches ein Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und einem Mitarbeiter des Polizeinotrufdienstes L*** wiedergibt. Unterhalb des Online-Artikels sind Twitter-Beiträge eingebettet, die Bezug auf diesen Polizeinotruf-Gesprächsmitschnitt nehmen.

Der Mittschnitt des Polizeinotruf-Gesprächsmitschnitts lautet wie folgt:

[Anmerkung Bearbeiter: Der an dieser Stelle im Bescheid vollständig wiedergegebene telefonische Dialog, in dem der Beschwerdeführer beim Polizeinotruf anruft, um eine Polizeistreife anzufordern, und den Mitarbeiter, der ihn nicht sofort an der Stimme erkennt und seine Identität und Funktion anzweifelt, abkanzelt, für den nächsten Werktag in sein Büro zitiert, um ihm dort die Leviten zu lesen, und ihm ein Disziplinarverfahren androht, kann nicht sinnvoll pseudonymisiert werden. Von einer wörtlichen Wiedergabe wird daher Abstand genommen.]

Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen beruhen auf einer amtswegigen Recherche der Webpage unter https://www.n***-digital.net/ sowie unter https://www.n***-digital.net/soziale-medien-blamieren-polizeichef-a***/*3*2*10 abgerufen am 21. April 2020). Der Gesprächsmitschnitt ist u.a. in einer parlamentarischen Anfrage vom *4 [Monat] 2019, *1*7/J XXVII. GP, dokumentiert, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00*1*7/imfname_7*32**2.pdf (abgerufen am 21. April 2020).

2. Der Beschwerdeführer hat am 4. Februar 2020 folgenden Antrag an die Beschwerdegegnerin gestellt (Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):

„Von: Paul.A***@bmi.gv.at Paul.A***@bmi.gv.at Gesendet: Dienstag, 4. Februar 2020 13:59 An: highspeed Domain-Admin domain-admin@n***-digital.net Betreff: Löschung von personenbezogenen Daten gem. DSGVO

Sehr geehrte Damen und Herren!

Der von Ihnen unter dem ua. Link nach wie vor ersichtliche Beitrag „Soziale Medien blamieren Polizeichef #A***-N***-DIGITAL.NET“ ist im Sinne der DSGVO nicht weiter zulässig. Ich ersuche Sie daher diesen von ihrer Website zu entfernen. Sollten Sie dem nicht in angemessener Weise entsprechen, ersuche ich Sie um Begründung. Weitere Schritte –Verfahren vor der Datenschutzbehörde – behalte ich mir vor.

[Anmerkung Bearbeiter: An dieser Stelle ist im Original ein Link auf das Suchergebnis einer großen Internet-Suchmaschine wiedergegeben.]

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Paul A***“

Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24. Februar 2020 folgende Mitteilung übermittelt (Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):

„Von: Gerda J*** Gerda.J***@n***-verlag.net Gesendet: Montag, 24. Februar 2020 16:49 An: A*** Paul (****) Paul.A***@bmi.gv.at ; N***-Verlag Datenschutz datenschutz@n***-verlag.net Betreff: AW: Löschung von personenbezogenen Daten gem. DSGVO

Sehr geehrter Herr A***,

Sie haben uns mit einem Löschbegehren vom 04.02.2020 darum ersucht, einen Beitrag von unserer Plattform zu löschen. Leider kann der Medieninhaber und Herausgeber der Plattform, die N***-Verlag Digital GmbH, Ihrem Löschbegehren nicht folgen, da dieser Beitrag zum Zwecke der Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit veröffentlich wurde. § 9 Abs 2 Datenschutzgesetz sieht diesbezüglich vor, dass die Rechte der betroffenen Person – also auch das Recht auf Vergessenwerden - keine Anwendung finden (https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=bundesnormen Gesetzesnummer=10001597).

Sollten Sie von Ihrem Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde Gebrauch machen wollen, ist dafür die Österreichische Datenschutzbehörde, Barichgasse 40-42, 1030 Wien zuständig.

Mit freundlichen Grüßen

Das Datenschutzteam der N***-Verlag Gruppe“

Der Beschwerdeführer brachte daraufhin eine Beschwerde bei der Datenschutzbehörde ein. Der gegenständliche Online-Artikel wurde bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gelöscht.

Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen beruhen auf der Eingabe des Beschwerdeführers vom 26. Februar 2020 und der vorgelegten Korrespondenz zwischen Beschwerdeführer und Beschwerdegegnerin.

D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

1. Allgemeines zum Medienprivileg nach § 9 Abs. 1 DSG

In § 9 DSG wird das bisherige datenschutzrechtliche Medienprivileg nach § 48 DSG 2000, BGBl. I Nr. 165/1999 idF bis BGBl. I Nr. 132/2015, mit erweitertem Anwendungsbereich in das System der DSGVO transponiert. Die nationale Regelung in § 9 DSG knüpft dabei an Art. 85 DSGVO, einer Grundsatzbestimmung samt Öffnungsklausel, an und erweitert iSv Art. 85 Abs. 2 DSGVO den Geltungsbereich des Privilegs auf jede Verarbeitung personenbezogener Daten, die zu journalistischen (Abs. 1 leg. cit.) bzw. wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen (Abs. 2 leg. cit.) Zwecken erfolgt. Man kann daher von einem datenschutzrechtlichen Informationsfreiheitsprivileg (in Folge nur: „Privileg“) sprechen (vgl. sinngemäß Suda/Veigl in Gantschacher/Jelinek/Schmidl/Spanberger , Datenschutzgesetz 1 § 9 Rz 1, noch mit Bezug auf § 9 DSG idF BGBl. I Nr. 165/1999 idF BGBl. I Nr. 120/2017 [Datenschutz-Anpassungsgesetz 2018]).

Der nationale Gesetzgeber beschränkt jedoch das Privileg nach § 9 Abs. 1 DSG, indem das Privileg nur Medienunternehmen oder Mediendiensten zugänglich ist, sofern personenbezogene Daten zu journalistischen Zwecken durch Medieninhaber, Herausgeber und Medienmitarbeiter oder Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes verarbeitet werden.

Eine Verarbeitung personenbezogener Daten für journalistische Zwecke liegt nach dem Verständnis des EuGH vor, wenn die Verarbeitung ausschließlich das Ziel hat, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten (vgl. das Urteil des EuGH vom 16. Dezember 2008, C-73/07 - Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia , Rz 62).

Um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, müssen Begriffe wie Journalismus, die sich auf diese Freiheit beziehen, im Ergebnis weit ausgelegt werden (ErwGr 153 letzter Satz DSGVO). Somit werden Daten grundsätzlich immer dann zu journalistischen Zwecken verarbeitet, wenn die Zielsetzung die Veröffentlichung für einen unbestimmten Personenkreis ist (vgl. Buchner/Tinnefeld in Kühling/Buchner , Datenschutz-Grundverordnung 2 Art. 85 Rz 17).

2. In der Sache

Für den gegenständlichen Fall bedeuten diese Überlegungen Folgendes:

Für die Anwendbarkeit des Privilegs nach § 9 Abs. 1 DSG macht es keinen Unterschied, ob personenbezogene Daten (offline) in einem Printmedium oder (wie gegenständlich) in einer „Online-Tageszeitung“ veröffentlicht werden (vgl. den Bescheid der DSB vom 13. August 2018, GZ: DSB D123.077/0003 DSB/2018).

Bei der Beschwerdegegnerin handelt es sich unstrittig um ein Medienunternehmen, welches als Medieninhaberin für den Inhalt der Online-Nachrichtenplattform https://www.n***-digital.net/ („N*** Digital“) verantwortlich ist.

Darüber hinaus wurden die gegenständlich relevanten Daten des Beschwerdeführers im Rahmen eines journalistischen Artikels, der darauf abzielt, einen unbestimmt großen Personenkreis über das dienstliche Verhalten eines hohen Beamten ([Funktion des Beschwerdeführers in der Hierarchie der österreichischen Sicherheitsbehörden] des Bundeslandes L***) zu informieren, verarbeitet und in Folge veröffentlicht.

Sofern der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang bemerkt, dass es sich um Verächtlichmachungen (der Beschwerdeführer sei eine „Lachnummer“) handle, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Verwendung einer derartigen Ausdrucksweise im Rahmen der Veröffentlichung von Informationen mit Personenbezug – die als „Nebenzweck“ darauf abzielt, zu provozieren oder zu schockieren – nicht schadet (vgl. EGMR 21. Februar 2012, 32131/08 und 41617/08 [ Tuşalp gg Türkei] Rn 48, wonach die Ausdrucksweise - wenngleich sie beleidigend oder gar schockierend sein mag - als stilistisches Mittel grundsätzlich ebenso von Art. 10 EMRK geschützt ist).

Zu einer anderen Beurteilung mag man gelangen, sofern die Veröffentlichung allein den Zweck einer mutwilligen Verunglimpfung verfolgt, was vorliegend nicht der Fall ist, da – wie bereits oben ausgeführt – die Öffentlichkeit (auch) über Missstände in der Verwaltung aufgeklärt werden soll.

Die Datenverarbeitung erfolgte daher zu „journalistischen Zwecken“ iSd obigen Überlegungen.

Da beide Voraussetzungen (Verarbeitung personenbezogener Daten durch ein Medienunternehmen zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens ) erfüllt sind, gelangt § 9 Abs. 1 DSG zur Anwendung.

3. Zuständigkeit der Datenschutzbehörde

Das Privileg nach § 9 Abs. 1 DSG schließt die Anwendung von Kapitel VI DSGVO („unabhängige Aufsichtsbehörden“) ausdrücklich aus. Nicht durch das Privileg ausgeschlossen ist die Anwendung der Bestimmungen von Kapitel VIII DSGVO („Rechtsbehelfe, Haftung und Sanktionen“).

Zwar ist es richtig, dass Art. 77 DSGVO (im Kapitel VIII) auch im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 DSG und des Art. 85 Abs. 2 DSGVO zur Anwendung gelangt. Kapitel VIII kann aber nicht losgelöst von Kapitel VI betrachtet werden, welches insbesondere die Zuständigkeit (Art. 55 DSGVO) der Aufsichtsbehörden normiert.

Das in Art. 77 DSGVO gewährte Beschwerderecht an die Datenschutzbehörde ist demnach ebenso wie die Verhängung einer Geldbuße durch die Datenschutzbehörde ausgeschlossen, zumal auch die Anordnungs- und Sanktionsbefugnisse der Datenschutzbehörde (Kapitel VI, insbesondere Art. 58 Abs. 2 lit c und i DSGVO) für Datenverarbeitungen unter dem Schutz des Privilegs nicht gelten (vgl. sinngemäß Suda/Veigl in Gantschacher/Jelinek/Schmidl/Spanberger , aaO Rz. 2).

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Privileg nach § 9 Abs. 1 DSG ausdrücklich auch die Anwendung der Bestimmungen von Kapitel III DSGVO („Betroffenenrechte“) ausschließt und somit die Ausübung des Rechts auf Löschung gemäß Art. 17 DSGVO gar nicht in Betracht käme. Ein Rechtsschutz ist aufgrund dieser Rechtslage nur nach den Bestimmungen des Zivilrechts (insbesondere nach dem MedienG) möglich.

4. Ergebnis

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist die Datenschutzbehörde im Ergebnis zur Behandlung der gegenständlichen Beschwerde unzuständig , weshalb spruchgemäß zu entscheiden war (vgl. zur Unzuständigkeit im Falle von § 9 Abs. 1 DSG den Bescheid der DSB vom 13. August 2018 aaO sowie zur insofern vergleichbaren Rechtslage nach dem DSG 2000 den Bescheid der DSB vom 27. Juni 2016, GZ: D122.455/0003 DSB/2016).

Rückverweise