G314 2313274-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des italienischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. László SZABÓ, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2025, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots und weitere Aussprüche den Beschluss (A) und erkennt zu Recht (B):
A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) hält sich seit mehreren Jahren in Österreich auf; am XXXX wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt.
Nachdem der BF im XXXX wegen Suchtmitteldelikten zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden war, leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ihn ein und vernahm ihn dazu am XXXX 2025 persönlich.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und Abs 2 FPG ein zweijähriges Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen mit seiner strafgerichtlichen Verurteilung und dem Fehlen entgegenstehender privater oder familiärer Anknüpfungen im Bundesgebiet begründet. Seine Ehefrau und seine minderjährige Tochter würden in Italien leben. Sein Sohn lebe zwar in Österreich, habe hier aber mit dem BF zusammen Straftaten begangen.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben. Er begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass seine privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde, weil sein Sohn und sein Enkel in Österreich seien und er hier auch eine Arbeitsstelle habe. Das Aufenthaltsverbot greife unverhältnismäßig in sein Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit ein. Die Argumentation des BFA sei als Scheinbegründung anzusehen. Die aufschiebende Wirkung sei zu Unrecht aberkannt worden, zumal ihm der Strafvollzug im elektronisch überwachten Hausarrest bewilligt worden sei.
Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Am XXXX .2025 übermittelte die Justizanstalt XXXX dem BVwG auftragsgemäß eine Vollzugsinformation.
Am XXXX .2025 übermittelte der BF dem BVwG auftragsgemäß den Bescheid über die Bewilligung des Strafvollzugs im elektronisch überwachten Hausarrest.
Feststellungen:
Der BF kam am XXXX in der italienischen Stadt XXXX zur Welt. Er ist Staatsangehöriger von Italien. Seine Erstsprache ist Italienisch; er beherrscht die deutsche Sprache nicht. Er besuchte in Italien achte Jahre lang die Pflichtschule, machte jedoch keine weitere Berufsausbildung, und war dort in verschiedenen Branchen selbständig erwerbstätig. Er ist mit einer italienischen Staatsangehörigen verheiratet und hat zwei Kinder, einen volljährigen und selbsterhaltungsfähigen Sohn und eine im XXXX geborene Tochter, für die er sorgepflichtig ist.
Der Sohn des BF lebt seit mehreren Jahren mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen minderjährigen Kind in Österreich. Er wurde hier seit XXXX mehrfach strafgerichtlich verurteilt.
Der BF lebt seit XXXX in Österreich. Er war hier von XXXX bis XXXX als Arbeiter bzw. als Angestellter vollversichert erwerbstätig. Danach bezog er Arbeitslosengeld bzw. ab XXXX Notstandshilfe. Von XXXX bis XXXX war er geringfügig beschäftigt; seit XXXX ist er wieder als Arbeiter vollversichert erwerbstätig. Am XXXX wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt. Er hatte im Bundesgebiet von XXXX bis XXXX , im XXXX und XXXX sowie im Mai und XXXX keinen festen Wohnsitz und nächtigte währenddessen bei Freunden. Mit seinem Sohn bestand nur am Anfang seines Inlandsaufenthalts für einige Zeit ein gemeinsamer Haushalt.
Im Zeitraum XXXX bis XXXX beging der BF gemeinsam mit seinem Sohn im Bundesgebiet Suchtgiftdelikte. Als Mittäter verkauften sie gemeinsam von XXXX in 129 Teilhandlungen Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b SMG um das 25-fache übersteigenden Menge (645 g Kokain mit einen Reinsubstanzgehalt von 59 % Cocain; entsprechend 25,37 Grenzmengen) an einen Abnehmer und überließen bis XXXX kleine Kokainmengen beim gemeinsamen Konsum an mehrere andere Abnehmer. Während des ganzen Tatzeitraums erwarben und besaßen der BF und sein Sohn auch kleine Kokainmengen für den Eigengebrauch.
Der BF wurde wegen dieser Taten mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG rechtskräftig zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ein 16-monatiger Strafteil unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Ein Betrag von EUR 25.800, den er durch den Suchtgiftverkauf erwirtschaftet hatte, wurde für verfallen erklärt. Bei der Strafbemessung wurden sein bisheriger ordentlicher Lebenswandel und das teilweise Geständnis als mildernd berücksichtigt, der lange Tatzeitraum, das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen und die Tatbegehung mit einem Mittäter dagegen als erschwerend.
Der Sohn des BF wurde gleichzeitig mit ihm ebenfalls wegen qualifizierter Suchtgiftdelinquenz zu einer Freiheitsstrafe verurteilt; gegen ihn hat das BFA mittlerweile ebenfalls ein (noch nicht rechtskräftiges) Aufenthaltsverbot erlassen.
Dem BF wurde der Vollzug des unbedingten Strafteils im elektronisch überwachten Hausarrest unter den Auflagen, weder Alkohol noch andere berauschende Substanzen oder illegale Suchtmittel zu konsumieren und einen Deutschkurs für das Sprachniveau A1 zu absolvieren, bewilligt. Die Strafe wird in dieser Form seit XXXX vollzogen. Das urteilsmäßige Strafende ist am XXXX . Eine bedingte Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt ( XXXX ) wurde abgelehnt.
Der BF ist (abgesehen von Verspannungen im Nackenbereich) gesund und arbeitsfähig. Er hat im Bundesgebiet (abgesehen von seinem Sohn und dessen Familie) keine familiären Anknüpfungen. Seine Ehefrau und seine Tochter leben nach wie vor in Italien in einer Wohnung, die im Eigentum der Ehefrau des BF steht. Der BF hat sie während seines Inlandsaufenthalts dort regelmäßig besucht, manchmal sind sie auch bei ihm in Österreich zu Besuch. Er hat zahlreiche weitere Verwandte, die in Italien leben (Mutter, Geschwister, Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen).
Der BF übernimmt die volle Verantwortung für seine Straftaten auch nach seiner Verurteilung nicht und vertritt weiterhin, dass er unschuldig ist.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und der Gerichtsakten des BVwG.
Die Feststellungen basieren insbesondere auf den Angaben des BF und den von ihm vorgelegten Urkunden, auf den Sozialversicherungsdaten sowie auf Informationen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und dem Strafregister.
Name, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum und Geburtsort des BF ergeben sich aus dem Personalausweis, der dem BVwG als Kopie vorliegt. Die Sprachkenntnisse des BF werden anhand seiner glaubhaften Angaben vor dem BFA festgestellt. Die Auflage, einen Deutschkurs für das Sprachniveau A1 zu absolvieren, belegt fehlende Deutschkenntnisse. Die Feststellungen zu seiner Ausbildung und Erwerbstätigkeit in Italien sowie zu seinen Familienverhältnissen basieren ebenfalls auf seinen Angaben vor dem BFA. Letztere sind insbesondere deshalb glaubhaft, zumal sie sich mit den Wahrnehmungen der Polizei anlässlich der (kurzfristigen) Festnahme des BF und seines Sohnes am XXXX decken (siehe Seite 20 des Abschlussberichts vom XXXX ).
Die Feststellungen zu dem in Österreich lebenden Sohn des BF werden anhand des Strafurteils und der Angaben des BF vor dem BFA getroffen.
Die Feststellungen zum Inlandsaufenthalt des BF, zu der in Österreich ausgeübten Erwerbstätigkeit sowie zum Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe basieren auf den Sozialversicherungsdaten. Die ihm ausgestellte Anmeldebescheinigung ist im IZR dokumentiert.
Laut ZMR war der BF von XXXX bis XXXX an derselben Adresse wie sein Sohn mit Hauptwohnsitz gemeldet, erklärte aber vor dem BFA, es habe nur für „einige Tage“ einen gemeinsamen Haushalt gegeben. XXXX bis XXXX , von XXXX bis XXXX und von XXXX bis XXXX bestand keine Wohnsitzmeldung des BF in Österreich. Im letzteren Zeitraum verfügte er über eine Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a MeldeG mit einer Kontaktstelle in XXXX . Vor dem BFA gab er an, er habe während dieser Zeiten bei Freunden genächtigt und sich möglicherweise auch besuchsweise bei seiner Ehefrau in Italien aufgehalten. Es ist daher davon auszugehen, dass die Kontinuität seines Inlandsaufenthalts während dieser Zeiträume nicht unterbrochen war.
Die strafgerichtliche Verurteilung des BF gemeinsam mit seinem Sohn, die zugrundeliegenden Taten und die Strafbemessungsgründe gehen aus dem Strafregister, dem vorliegenden Strafurteil und dem Abschlussbericht vom XXXX . Der Strafvollzug ergibt sich aus der Vollzugsinformation der Justizanstalt XXXX und dem vom BF vorgelegten Bescheid über die Bewilligung des elektronisch überwachten Hausarrests unter Auflagen. Die Strafzeiten und die Ablehnung der bedingten Entlassung zur Halbstrafe gehen aus der Vollzugsinformation hervor.
Das gegen den Sohn des BF ausgesprochene, nicht rechtskräftige Aufenthaltsverbot ist im IZR dokumentiert und ergibt sich aus den Akten des ihn betreffenden Beschwerdeverfahrens des BVwG zu GZ G305 2313001-1.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des BF beruhen auf seinen Angaben vor dem BFA sowie auf dem Umstand, dass er seit XXXX wieder einer vollversicherten Erwerbstätigkeit nachgeht.
Der BF hat sich vor der Polizei zwar zum Konsum von Kokain, nicht aber zur entgeltlichen Weitergabe von Suchtgift geständig gezeigt und auch vor dem Strafgericht ein Teilgeständnis abgelegt. Vor dem BFA vertrat er mehrfach, unschuldig wegen Suchtgifthandels verurteilt worden zu sein, was zeigt, dass er mit seinem strafbaren Verhalten noch nicht reflektiert auseinandergesetzt hat (siehe etwa Seite 4 und Seite 9 der Niederschrift vom XXXX ), sondern weiterhin nicht schuldeinsichtig ist.
Die Kontakte zu seinen Familienangehörigen in Italien und die Wohnmöglichkeit dort ergeben sich aus den Angaben des BF vor dem BFA.
Es gibt keine Beweisergebnisse für über die Feststellungen hinausgehende private oder familiäre Anbindungen der BF im Inland oder für irgendwelche konkreten Integrationsbemühungen.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.
Zu Spruchteil B):
Als Staatsangehöriger Italiens ist der BF Fremder iSd § 2 Abs 4 Z 1 FPG und EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG. Gegen ihn kann daher gemäß § 67 Abs 1 FPG ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Da er volljährig ist und sich erst seit XXXX kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält, ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden, zumal er auch noch nicht das Daueraufenthaltsrecht gemäß § 53a NAG erworben hat, das idR einen zumindest fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt in Österreich voraussetzt.
Diese letztere Voraussetzung ist deshalb nicht erfüllt, weil der BF im Inland relativ kurz nach seiner Einreise, nämlich im XXXX begann, mit Suchtgift zu handeln, und seine Suchtgiftdelinquenz bis XXXX fortsetzte. Ein derartig signifikantes, strafrechtlich relevantes Fehlverhalten eines Unionsbürgers führt dazu, dass diesem in Österreich iSd § 51 Abs 1 NAG kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, weil vom Vorliegen einer "Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd § 55 Abs 3 NAG auszugehen ist. Dies ist nach Art 27 der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) dann der Fall, wenn das persönliche Verhalten des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (siehe VwGH 05.02.2021, Ra 2020/21/0439). Eine solche Gefährdung liegt hier angesichts der durch einen langen Tatzeitraum hindurch fortgesetzten Weitergabe von (durch den Additionseffekt letztlich übergroßen Mengen) Kokain jedenfalls vor.
Strafrechtliche Verurteilungen allein können die Erlassung eines Aufenthaltsverbots jedoch nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Bei der Erstellung der erforderlichen Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Adressaten in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und etwa strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.02.2024, Ra 2023/21/0168). Daher ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (siehe VwGH 25.07.2023, Ra 2021/20/0246).
Außerdem ist unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK die Verhältnismäßigkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach § 9 Abs 1 BFA-VG ist nämlich (u.a.) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, das in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele (nationale Sicherheit, öffentliche Ruhe und Ordnung, wirtschaftliches Wohl des Landes, Verteidigung der Ordnung, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Moral sowie Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 29.06.2023, Ra 2022/21/0139).
Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob dieser rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist das Privat- und Familienleben insbesondere im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, zu berücksichtigen.
Der BF hat im Bundesgebiet zwar mit seinem Sohn, dessen Lebensgefährtin und dessen Sohn familiäre Anknüpfungen, deren Gewicht jedoch dadurch entscheidend gemindert wird, dass er mit seinem Sohn gemeinsam mit Kokain handelte. Zudem besteht schon seit geraumer Zeit kein gemeinsamer Haushalt mehr. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis.
Der BF ist zwar im Bundesgebiet erwerbstätig, aber abgesehen davon nicht integriert, und hat bislang keine Deutschkenntnisse erworben. Er hat weiterhin starke Bindungen zu seinem Heimatstaat, wo seine Ehefrau, seine Tochter, für die er sorgepflichtig ist, und weitere Verwandte leben. Er war dort lange Jahre berufstätig und verfügt über eine Wohnmöglichkeit bei seiner Ehefrau.
Zu seinem Nachteil wirkt sich insbesondere die strafgerichtliche Verurteilung aus. Bei qualifizierten Suchtgiftdelikten der vorliegenden Art (Suchtgifthandel nach § 28 a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG) ist die Wiederholungsgefahr erfahrungsgemäß besonders hoch, sodass für den BF keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann, obwohl er aktuell wieder einer geregelten Arbeit nachgeht. Der Handel mit übergroßen Suchtgiftmengen stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem auch ein längeres Wohlverhalten in Freiheit noch nicht für die Annahme eines Wegfalls der daraus ableitbaren Gefährdung ausreicht (siehe z.B. VwGH 02.09.2022, Ra 2022/14/0204). Aus der Bewilligung der Strafverbüßung in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes lässt sich ebenfalls keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten (vgl. VwGH 29.01.2025, Ra 2022/21/0192). Dazu kommt die auch während des Strafvollzugs noch fehlende Einsicht des BF in Bezug auf seine Straftaten, die keine Änderung seiner gleichgültigen Haltung gegenüber der Rechtsordnung und den durch sie geschützten Werten erkennen lässt.
Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Strafvollzug - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich seine Gefährlichkeit - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (siehe z.B. VwGH 26.01.2021, Ra 2020/14/0491). Da der BF nach wie vor den unbedingten Teil der über ihn verhängten Haftstrafe verbüßt, liegt noch kein beachtlicher Wohlverhaltenszeitraum in Freiheit vor. Von ihm geht nach wie vor eine maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus, die trotz privater und familiärer Anknüpfungen in Österreich die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig macht.
Im Ergebnis ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF dem Grunde nach rechtskonform. Auch dessen vom BFA mit zwei Jahren maßvoll bemessene Dauer ist nicht korrekturbedürftig, zumal dabei gemäß § 67 Abs 4 erster Satz FPG auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände entsprechend Bedacht genommen wurde. Die Kernfamilie des BF lebt in Italien; er ist während seines Inlandsaufenthalts regelmäßig dorthin zurückgekehrt. Er kann den Kontakt zu Bezugspersonen in Österreich auch mit modernen Kommunikationsmitteln und bei Besuchen außerhalb des österreichischen Bundesgebiets aufrechterhalten.
Die gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids erhobene Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG hat das BVwG der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen.
Da der BF in Österreich mehrere Jahre lang Kokain konsumiert und sowohl entgeltlich als auch unentgeltlich an andere weitergegeben hat, ist seine sofortige Ausreise nach dem Strafvollzug im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dringend geboten, zumal eine sehr große Wiederholungsgefahr besteht, obwohl er aktuell (im geschützten Rahmen des elektronisch überwachten Hausarrests) in geordneten Verhältnissen lebt. Daher ist weder die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung noch die Versagung eines Durchsetzungsaufschubs zu beanstanden. Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids sind vielmehr ebenfalls als rechtskonform zu bestätigen.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte und auch bei einer Einvernahme des BF in einer Verhandlung vor dem BVwG keine weitere Aufklärung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts zu erwarten ist, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal das BVwG ohnedies dem Vorbringen des BF zu seinen Anknüpfungen im Bundesgebiet folgt und angesichts der qualifizierten Suchtgiftdelinquenz ein eindeutiger Fall vorliegt.
Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Entscheidung, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen. Die einzelfallbezogene Interessenabwägung und Gefährdungsprognose bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 01.09.2020, Ra 2020/20/0239.
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