G306 2305119-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Deutschland, vertreten durch die ACHAMMER MENNEL RAe OG in 6800 Feldkirch, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.11.2024, Zl. XXXX , betreffend das Aufenthaltsverbot und die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) wurde am XXXX .2024 aufgrund des Vorliegens des Verdachtes des Betruges und Sachwuchers im Bundesgebiet festgenommen und wurde gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet.
2. In seiner Beschuldigtenvernehmung durch die LPD am XXXX .2024 wurde der BF darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes und der Schubhaft beabsichtige. Der BF wurde diesbezüglich einvernommen.
3. Mit oben im Spruch genanntem Bescheid des BFA, dem BF zugestellt am 08.11.2024, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), dem BF gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub nicht erteilt (Spruchpunkt II.), sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
4. Der BF wurde am XXXX .2024 aus der Anhaltung entlassen und reiste am selben Tag nach Deutschland aus.
5. Mit am 05.12.2024 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob der BF durch die im Spruch genannte Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Darin wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, die ersatzlose Behebung des Bescheides, in eventu die Aufnahme der angebotenen Beweise, insbesondere die Einholung des Ermittlungsaktes, die Einvernahme des BF und die ersatzlose Behebung des Bescheides, in eventu die Behebung des Bescheides und Zurückverweisung zur neuerlichen Entscheidung an das BFA sowie die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.
6. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem BVwG am 08.12.2024 vorgelegt und langten am 02.01.2025 ein.
7. Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 09.01.2025, Zahl G306 2305119-1/3Z, wurde der Antrag des BF auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung als unzulässig zurückgewiesen, der Beschwerde des BF gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung Folge gegeben und Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben. Der Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum) und ist deutscher Staatsangehöriger. Er ist gesund, arbeitsfähig, ledig und kinderlos.
Der BF wurde in Deutschland geboren und wuchs dort auf. Sein Lebensmittelpunkt liegt in Deutschland. Er ist im Besitz eines deutschen Gewerbescheines.
Er reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein und wurde am XXXX .2024 wegen des Verdachtes des Sachwuchers angehalten. Am XXXX .2024 reiste der BF freiwillig nach Deutschland aus.
1.2. Der BF war im Bundesgebiet nie meldeamtlich erfasst. Aus dem Sozialversicherungsdatenauszug ergeben sich keine Erwerbstätigkeiten des BF im Bundesgebiet.
Er verfügt über keine familiären und/oder berücksichtigungswürdigen sozialen Bezugspunkte in Österreich.
Es liegen keine Hinweise dafür vor, dass sich der BF derzeit im Bundesgebiet aufhält.
1.3. Der BF erweist sich im Bundesgebiet in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten.
Im Anlassbericht vom XXXX .2024 führte die LPD hinsichtlich des Verdachtes des Sachwuchers aus, dass er BF am XXXX .2024 in einem Gasthaus diverse Goldwaren von Personen angekauft habe, jedoch einen weit unter dem tatsächlichen Wert liegenden Preis bezahlt habe.
Im Strafantrag der Staatsanwaltschaft vom XXXX .2025 wurde dem BF zur Last gelegt, er habe am XXXX .2024 im Bundesgebiet die Unerfahrenheit einer Frau dadurch ausgebeutet, dass er sich für eine (Bargeld-)Leistung, die der Befriedigung eines Geldbedürfnisses diene, einen Vermögensvorteil gewähren lassen, der in auffallendem Missverhältnis zum Wert der eigenen Leistung stehe, indem er der Frau für diverse Gold- und Silberschmuckstücke € 700,00 bezahlt habe, obwohl diese tatsächlich € 2.200,00 wert gewesen seien. Der BF habe hierdurch das Vergehen des Geldwuchers nach § 154 Abs. 1 StGB begangen.
Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2025, Zahl XXXX , wurde das Strafverfahren gegen den BF wegen des Vergehens des Geldwuchers gemäß § 154 Abs. 1 StGB gemäß §§ 198 Abs. 1 Z 1, 199, 200 Abs. 5 StPO eingestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF die Verantwortung im Sinne des Strafantrages übernommen habe und bereits nach der Anzeigenerstattung eine Schadenwiedergutmachung geleistet und sich beim Opfer entschuldigt habe. Der BF habe im Zuge der Hauptverhandlung am 03.03.2025 das Angebot einer diversionellen Erledigung in Form der Zahlung einer Geldbuße von 180 Tagessätzen zu je € 4,00 plus PK € 180,00 (insgesamt € 900,00) angenommen. Am 07.03.2025 habe der BF den geforderten Betrag bezahlt. Da beim BF die Schuld als nicht schwer anzusehen sei und auch keine general- und spezialpräventiven Gründe nach der von ihm gezeigten Schuldeinsicht gegen das diversionelle Vorgehen sprechen würden und die Zahlung am Konto des Landesgerichtes eingelangt sei, sei das Verfahren einzustellen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akte durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
2.2.1. Soweit oben Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Gesundheitszustand, Arbeitsfähigkeit und Familienstand des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, sowie den Angaben des BF (AS 16, 20). Überdies liegt im Akt die Kopie des deutschen Personalausweises des BF ein (AS 7f, 22), an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.
Die Feststellungen zum Leben des BF in Deutschland sind seinen Angaben geschuldet. Der BF zeigte in seiner Beschuldigtenvernehmung vor der LPD einen deutschen Gewerbeschein vor. Er gab an, dass sein Vater und Bruder ebenfalls Antiquitätenhändler seien und er im Auftrag seines Bruders für dessen deutsche Firma Wertgegenstände im Bundesgebiet angekauft habe. Er habe niemanden schädigen wollen. Sein Verhalten beruhe auf einem Irrtum. Er sei von seinem Vater in diese Tätigkeit eingeschult worden. Er sei mit seinem Bruder viele Male bei gleichen Veranstaltungen unterwegs gewesen und habe ihm geholfen. Er habe zwar nur den deutschen Gewerbeschein, jedoch sei ihm gesagt worden, dass er mit diesem auch in Österreich arbeiten könne. Er sei erstmals allein in Österreich. Bisher habe er nur seinen Vater und Bruder begleitet (AS 18f).
2.2.2. Die fehlende Ausübung von Erwerbstätigkeiten des BF im Bundesgebiet ergibt sich aus dem Inhalt des auf seinen Namen lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges. Die fehlenden Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet erschließen sich aus der Abfrage des Zentralen Melderegisters (ZMR).
Die Feststellung zur Ausreise des BF aus dem Bundesgebiet gründet auf der diesbezüglichen Bestätigung des Polizeireviers XXXX (AS 85).
Aus dem Inhalt des Aktes haben sich keine Hinweise auf einen derzeitigen Inlandsaufenthalt des BF ergeben.
Die Feststellungen zum fehlenden Privat- und Familienleben des BF im Bundesgebiet sind dem Inhalt des Aktes und den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, geschuldet.
2.2.3. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF im Bundesgebiet beruht auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.
Die Feststellungen betreffend die polizeiliche Anzeige gegen den BF wegen des Verdachtes des Sachwuchers erschließen sich aus dem im Akt einliegenden Anlassbericht der LPD vom XXXX .2024 (AS 23ff).
Die Einstellung des diesbezüglichen Strafverfahrens im Rahmen einer diversionellen Erledigung folgt dem im Akt einliegenden Beschluss des LG XXXX (OZ 5).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jeder der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 8 leg cit. als EWR-Bürger, ein Fremder der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.
Der BF ist auf Grund seiner deutschen Staatsangehörigkeit EWR-Bürger gemäß § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
3.1.1. Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:
§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:
§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.
(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.
Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:
§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.
Der „Bescheinigung des Daueraufenthalts für EWR-Bürger“ betitelte § 53a NAG lautet:
§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.
(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;
Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.
(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.
(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.
Gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind.
3.1.2. Da der BF, der aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, die Voraussetzungen eines durchgehenden und rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet weder seit mehr als fünf, noch mehr als zehn Jahren erfüllt und er daher kein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG erworben hat, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG für Unionsbürger zur Anwendung.
Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet ist. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose - gleiches gilt auch für ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot - ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. (vgl. VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230)
Solche Gesichtspunkte, wie sie in einem Verfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot zu prüfen sind, insbesondere die Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich, können nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden (vgl. VwGH 07.11.2012, 2012/18/0057).
In diesem Zusammenhang weist das erkennende Gericht der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig, von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen hat (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 06.07.2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 08.07.2004, 2001/21/0119).
Im Zusammenhang mit der für die Verhängung eines Aufenthalts- oder Einreiseverbotes nach dem FrPolG 2005 durchzuführenden Gefährdungsprognose entspricht es der Rechtsprechung des VwGH, dass dafür auch ein Verhalten des Fremden herangezogen werden kann, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat. Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, erfordert jedoch entsprechende, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffene Feststellungen zum Fehlverhalten selbst und nicht bloß zu einer allenfalls bestehenden, nicht weiter verifizierten Verdachtslage (vgl. VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0237; 23.03.2017, Ra 2016/21/0349; 24.01.2012, 2010/1/0264, jeweils mwN). Dies hat entsprechend auch für die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 zu gelten, in der nicht (nur) der Umstand einer strafgerichtlichen Verurteilung, sondern das Verhalten des Betroffenen in die Gesamtbetrachtung zur Gewichtung der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung einzufließen hat (vgl. VwGH 12.12.2012, 2012/18/0173 und VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0113).
„Ein Aufenthaltsverbot kann nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FrPolG 2005 gegen einen Unionsbürger, der sich unter potentieller Inanspruchnahme seines unionsrechtliches Freizügigkeitsrechtes in Österreich aufhält oder aufgehalten hat (vgl. VwGH 19.09.2019, Ro 2019/21/0011), erlassen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Des Weiteren ist für Unionsbürger, die - gemäß § 53a Abs. 1 NAG 2005 nach einem fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet - das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) entspricht, heranzuziehen (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205; VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; VwGH 22.01.2014, 2013/21/0135; VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0066).“ (vgl. VwGH 22.12.2020, Ra 2020/21/0452)
3.1.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:
Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zahl Ra 2015/21/0101).
Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zahl B 328/07 und Zahl B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:
die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),
die Bindungen zum Heimatstaat,
die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie
auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).
Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).
„Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind.“
Im Zusammenhang mit der für die Verhängung eines Aufenthalts- oder Einreiseverbotes nach dem FrPolG 2005 durchzuführenden Gefährdungsprognose entspricht es der Rechtsprechung des VwGH, dass dafür auch ein Verhalten des Fremden herangezogen werden kann, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat. Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, erfordert jedoch entsprechende, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffene Feststellungen zum Fehlverhalten selbst und nicht bloß zu einer allenfalls bestehenden, nicht weiter verifizierten Verdachtslage (vgl. VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0237; 23.03.2017, Ra 2016/21/0349; 24.01.2012, 2010/1/0264, jeweils mwN). Dies hat entsprechend auch für die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 zu gelten, in der nicht (nur) der Umstand einer strafgerichtlichen Verurteilung, sondern das Verhalten des Betroffenen in die Gesamtbetrachtung zur Gewichtung der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung einzufließen hat (vgl. VwGH 12.12.2012, 2012/18/0173). (vgl. VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0113)
3.1.4. Der BF weist weder Wohnsitzmeldungen noch solche zur Sozialversicherung im Bundesgebiet auf. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Im Strafantrag der Staatsanwaltschaft vom XXXX .2025 wurde dem BF zur Last gelegt, er habe am XXXX .2024 im Bundesgebiet die Unerfahrenheit einer Frau dadurch ausgebeutet, dass er sich für eine (Bargeld-)Leistung, die der Befriedigung eines Geldbedürfnisses diene, einen Vermögensvorteil gewähren lassen, der in auffallendem Missverhältnis zum Wert der eigenen Leistung stehe, indem er der Frau für diverse Gold- und Silberschmuckstücke € 700,00 bezahlt habe, obwohl diese tatsächlich € 2.200,00 wert gewesen seien. Der BF habe hierdurch das Vergehen des Geldwuchers nach § 154 Abs. 1 StGB begangen.
Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2025, Zahl XXXX , wurde das Strafverfahren gegen den BF wegen des Vergehens des Geldwuchers gemäß § 154 Abs. 1 StGB gemäß §§ 198 Abs. 1 Z 1, 199, 200 Abs. 5 StPO eingestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF die Verantwortung im Sinne des Strafantrages übernommen habe und bereits nach der Anzeigenerstattung eine Schadenwiedergutmachung geleistet und sich beim Opfer entschuldigt habe. Der BF habe im Zuge der Hauptverhandlung am 03.03.2025 das Angebot einer diversionellen Erledigung in Form der Zahlung einer Geldbuße von 180 Tagessätze zu je € 4,00 plus PK € 180,00 (insgesamt € 900,00) angenommen. Am 07.03.2025 habe der BF den geforderten Betrag bezahlt. Da beim BF die Schuld als nicht schwer anzusehen sei und auch keine general- und spezialpräventiven Gründe nach der von ihm gezeigten Schuldeinsicht gegen das diversionelle Vorgehen sprechen würden und die Zahlung am Konto des Landesgerichtes eingelangt sei, sei das Verfahren einzustellen.
Die Ausübung der dem Strafverfahren zugrundeliegenden Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet wurde vom BF nicht bestritten. Der BF war im Bundesgebiet weder mit einer unselbstständigen noch mit einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zur Sozialversicherung angemeldet. Laut Bericht der LPD legte der BF einen auf seinen Namen lautenden deutschen Gewerbeschein vor. Dieser liegt nicht im Akt ein. Es liegt sohin eine unter ungeklärten rechtlichen Rahmenbedingungen ausgeübte Beschäftigung des BF im Bundesgebiet vor.
Das BFA führte betreffend die Erlassung des Aufenthaltsverbotes aus, dass gegen den BF ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges geführt werde. Der BF zeige sich nicht geständig. Er sei offensichtlich ausschließlich zur Begehung krimineller Handlungen in das Bundesgebiet eingereist, mit dem Vorsatz, sich durch die Tatbegehung des Betruges unrechtmäßig zu bereichern. Er habe die Betrugshandlungen in voller Absichtlichkeit begangen, habe ernsthaft mit der Verwirklichung des Tatbildes gerechnet und sich damit abgefunden. Auch könne eine gewerbsmäßige schwere bzw. wiederkehrende Begehung aufgrund der professionellen Vorgehensweise angenommen werden. Der BF habe seine unionsrechtliche Aufenthaltsberechtigung zur Ausübung gerichtlich strafbarer Handlungen missbraucht. Als Unionsbürger wäre ihm die Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit offen gestanden. Er hätte eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer beantragen können oder sich zumindest mit seiner für Deutschland gültigen Gewerbeberechtigung seine Tätigkeit in Österreich legitimieren können, habe es jedoch vorgezogen, sich durch die Begehung von Strafrechtsdelikten eine fortlaufende Einnahmequelle zu erwirtschaften.
Der Ansicht des BFA ist insoweit beizupflichten, als dass auch (noch) nicht zur Verurteilung geführte strafbare Handlungen eines Fremden bei der Beurteilung der Gefährdung öffentlicher Interessen aus fremdenrechtlicher Sicht Berücksichtigung erfahren dürfen. Es bedarf jedoch – mit Verweis auf die einschlägige Judikatur des VwGH – dazu hinreichender Ermittlungen und Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes, welche eine rechtliche Beurteilung zulassen. (vgl. VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0113)
Im gegenständlichen Fall wurde das gegen den BF geführte Strafverfahren eingestellt, da der BF den ihm im Rahmen der diversionellen Erledigung aufgetragenen Geldbetrag bezahlt hat (Rücktritt von der Verfolgung, diversionelle Erledigung). Die diversionelle Erledigung der Sache iSd § 198 Abs. 1 Z 1 StPO setzt voraus, dass eine Bestrafung im Hinblick auf die Zahlung eines Geldbetrages (§ 200 StPO) nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Nach Ansicht des erkennenden Richters zeigt bereits das diversionelle Vorgehen gegen den BF, dass sein Verhalten keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt.
Der BF erweist sich somit in strafgerichtlicher Hinsicht im Bundesgebiet als unbescholten und lässt sich aus dem von ihm in Österreich konkret gezeigten Verhalten keine maßgebliche Gefährdung öffentlicher Interessen ableiten.
Selbst unter der Annahme, der BF habe gegen seine Pflichten im Zusammenhang mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet – gleich ob diese selbst- oder auch unselbstständig erfolgte – oder etwa das Meldegesetz verstoßen, kann nicht auf das Bestehen einer aktuellen Gefährdung öffentlicher Interessen iSd § 67 FPG geschlossen werden.
Das BVwG kommt im konkreten Fall zum Schluss, dass sich sowohl die Verhängung eines Aufenthaltsverbots als auch – mangels Inlandsaufenthaltes des BF (vgl. VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0237) – der Ausspruch einer Ausweisung als nicht zulässig erweist (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0196: wonach eine Ausweisung als Teil eines Aufenthaltsverbotes, das aus einer Ausreiseverpflichtung und der Verpflichtung besteht, innerhalb des festgelegten Zeitraums (oder auf Dauer) nicht zurückzukehren, gegenüber dem Aufenthaltsverbot nicht ein Aliud, sondern ein Minus darstellt, und bei Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber dem Fremden somit die Prüfung des Vorliegens der Tatbestandserfordernisse für die Erlassung einer (von der erstinstanzlichen Entscheidung des BFA umfassten Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 nach sich zu ziehen habe).
Im Ergebnis ist der Beschwerde stattzugeben, und, da mit der Behebung des Aufenthaltsverbotes, auch dem Ausspruch über die Nichtzuerkennung eines Durchsetzungsaufschubes iSd § 70 Abs. 3 FPG der rechtliche Boden entzogen ist, der angefochtene Bescheid zur Gänze aufzuheben.
3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und sich zudem aus der Aktenlage ergibt, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG sowie 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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