Spruch
W602 2280546-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte GSTREIN über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Gambia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2023, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.03.2025, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geboren am XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Gambias, reiste auf dem Luftweg unter Verwendung ihres Reisepasses im Februar 2021 nach Österreich ein, stellte am 18.04.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde dazu am 19.04.2023 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Der Reisepass der Beschwerdeführerin, Nr. XXXX , ausgestellt in Gambia am XXXX 2019 und gültig bis XXXX 2024, wurde sichergestellt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) befragte die Beschwerdeführerin am 27.09.2023 im Beisein ihres Sohnes als Vertrauensperson zu ihren Gründen für ihren Antrag auf internationalen Schutz und legte die Beschwerdeführerin eine Deutschkursbestätigung und einen medizinischen Befund vor. Die Einvernahme wurde von einem Mann geleitet, auch der anwesende Dolmetscher war männlich.
Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.10.2023 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Gambia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt IV.) Der Bescheid wurde am 10.10.2023 rechtswirksam zugestellt.
Mit dem am 30.10.2023 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhob die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde wurde mit dem Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und langte am 31.10.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Aufgrund einer Unzuständigkeitseinrede infolge Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung nach § 20 AsylG wurde der Akt der Gerichtsabteilung W602 am 06.11.2023 neu zugewiesen.
Mit Beweismittelvorlage vom 24.03.2025 langten weitere Integrationsunterlagen und ärztliche Befunde beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde nochmals auf die weiterhin bestehende Verfolgungsgefahr sowie die prekäre wirtschaftliche Lage und mangelnde medizinische Versorgung in Gambia hingewiesen.
Am Bundesverwaltungsgericht fand am 26.03.2025 eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der die Beschwerdeführerin mit ihrer rechtlichen Vertretung, sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Mandingo teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Als Zeuge wurde der in Österreich aufenthaltsberechtigte Sohn der Beschwerdeführerin einvernommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin heißt XXXX und ist am XXXX geboren. Sie ist Staatsangehörige von Gambia, gehört der Volksgruppe der Mandingo an und bekennt sich zur Glaubensrichtung des Islam. Ihre Identität steht fest. Ihre Erstsprache ist Mandingo, sie beherrscht diese nicht in Wort und Schrift. Die Beschwerdeführerin hat mittelmäßige Kenntnisse in anderen afrikanischen Sprachen, sie lernt Deutsch. Die Beschwerdeführerin ist verwitwet.
Die Beschwerdeführerin wurde in XXXX in Gambia geboren und wuchs dort im Familienverband auf. Nach der Hochzeit zog sie zu ihrem Ehemann und dessen Familie nach XXXX , wo sie bis zur Ausreise mehr als 20 Jahre lang lebte. Der Ehemann der Beschwerdeführerin verstarb ca. im Jahr 2018, auch ihre Eltern sind bereits verstorben, ebenso ihr Bruder. Ihr Sohn, das einzige Kind der Beschwerdeführerin, lebt in Österreich. Die Beschwerdeführerin hat keine vertrauenswürdigen familiären Anknüpfungspunkte in Gambia.
Die Beschwerdeführerin besuchte in ihrem Herkunftsstaat nur eine Koranschule, sie hat auch ihre Erstsprache nur mündlich gelernt und kann nicht schreiben. Die Beschwerdeführerin hat auch keinen Beruf erlernt, sie färbte Stoffe und arbeitete auch als Schneiderin. Für ihren Lebensunterhalt kam ihr Ehemann auf. Das Geld, das die Beschwerdeführerin für die Färbearbeit bekam und welches sie am Markt als Gemüsehändlerin verdiente, war wenig.
Die Beschwerdeführerin verließ ihren Herkunftsstaat im Februar 2021, mit dem Flugzeug reiste sie von Gambia über Portugal nach Wien. Am 18.04.2023 stellte sie im Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ist beeinträchtigt, sie befindet sich wegen mehrerer, andauernder physischer und psychischer Erkrankungen bzw. Beeinträchtigungen XXXX in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Ihre Arbeitsfähigkeit ist eingeschränkt, da sie das Heben und Tragen von schweren Gegenständen, extreme körperliche Belastung und stressige Situationen vermeiden soll.
Die Beschwerdeführerin lebt im Bundesgebiet bei ihrem Sohn, seiner Frau und den beiden Enkelkindern. Ihr Sohn, der seit 2016 in Österreich lebt, verfügt über einen gültigen Daueraufenthalt als Familienangehöriger. Die Beschwerdeführerin besuchte bereits Alphabetisierungs- und Deutschkurse.
Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist eine verwitwete, alleinstehende Frau. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie bereits von dessen Familie verfolgt, da sie nach der in Gambia herrschenden religiösen und gesellschaftlichen Tradition der Leviratsehe gegen ihren Willen einen Bruder ihres verstorbenen Mannes heiraten muss. Im Fall ihrer Rückkehr droht ihr diese Gefahr der Zwangsheirat, im konkreten Fall der Leviratsehe, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit weiterhin.
Die Beschwerdeführerin hat außerhalb der Familie ihres verstorbenen Mannes, von der die Bedrohung ausgeht, keine (männlichen) Familienangehörigen mehr in Gambia, die sie vor dieser Verfolgung beschützen könnten. Auch von Seiten des Staates besteht für die Beschwerdeführerin aufgrund der anerkannten Tradition der Leviratsehe keine Hilfe, der Staat und seine Organe sind weder willig noch fähig, die Beschwerdeführerin vor der Zwangsheirat zu schützen.
Der Beschwerdeführerin droht aus diesen Gründen bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret und individuell die Gefahr, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.
Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer anderen sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit wurde nicht konkret vorgebracht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.
1.3. Zur für den gegenständlichen Fall maßgeblichen Situation in Gambia:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Gambia (Stand 21.11.2023):
3. Politische Lage
Gambia ist eine Präsidialrepublik mit starker Stellung des direkt gewählten Staatspräsidenten (ÖB 19.4.2023). Dieser ist gleichzeitig Regierungschef. Die Nationalversammlung umfasst 58 Sitze (53 gewählt, 5 vom Präsidenten ernannt). Die Amtszeit des Präsidenten und die Legislaturperiode der Nationalversammlung betragen jeweils 5 Jahre. Im Dezember 2021 gewann Adama Barrow mit rund 53 % der Stimmen eine zweite Amtszeit in einem Kandidatenfeld von sechs Kandidaten (FH 2023).
Insgesamt gibt es 22 registrierte politische Parteien. Stärkste Oppositionspartei ist die „United Democratic Party“ (UDP) mit Parteichef und mutmaßlichem Präsidentschaftskandidaten Ousainou Darboe, der bei der Wahl mit 28 % den zweiten Platz belegte. Ex-Präsident Jammeh ist im Exil in Äquatorial-Guinea weiterhin Oberhaupt der Partei „Alliance for Patriotic Reorientation and Construction“ (APRC). Barrow trat im Jänner 2022 seine zweite Amtszeit als Präsident an (FH 2023).
Weiterhin wurden die Parlamentswahlen vom April 2022, bei denen Barrows National People's Party (NPP) eine Mehrheit der Sitze gewann, von internationalen Beobachtern als transparent, friedlich und ordnungsgemäß bewertet. Zu den Schwächen dieser Wahlen gehörten die niedrige Wahlbeteiligung und eine gewisse Verwirrung im Vorfeld der Wahl über die Anzahl der Wahlkreise. Die NPP gewann 18 Sitze, die UDP 15. Drei kleinere Parteien und zwölf unabhängige Kandidaten gewannen ebenfalls Sitze (FH 2023).
Die am 10. Dezember 2015 erfolgte Umbenennung Gambias zur „islamischen Republik“ wurde durch Präsident Barrow unmittelbar nach seiner Amtsübernahme rückgängig gemacht (ÖB 19.4.2023). Zur Aufklärung und Aufarbeitung der unter der Regierung Jammeh verübten Menschenrechtsverletzungen wurde unter der Leitung des Ministeriums für Justiz die „Truth, Reconciliation and Reparation Commission“ (TRR) eingerichtet, welche an der Aufklärung der verübten Menschenrechtsverletzungen arbeitet (AA 12.1.2022). Die Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission nahm Zeugenaussagen zu Missbräuchen aus der Jammeh-Ära entgegen und gab Empfehlungen ab, wie die mutmaßlichen Täter zur Rechenschaft gezogen werden können. Die Beobachter hielten Kommission für unabhängig und effizient (USDOS 20.3.2023). Im Mai 2022 erklärte sich die Regierung bereit, die meisten Empfehlungen aus dem Abschlussbericht der TRR-Kommission umzusetzen (AI 28.3.2023). Dazu gehörte auch die strafrechtliche Verfolgung des ehemaligen Präsidenten Yahya Jammeh wegen Menschenrechtsverletzungen während seiner 22-jährigen Amtszeit (FH 2023; vgl. ÖB 19.4.2023).
Ende Dezember 2022 verhaftete die Regierung mehrere Militärangehörige sowie eine Zivilperson, und richtete wegen eines fehlgeschlagenen Putschversuches eine Untersuchungskommission ein (FH 2023; vgl. ÖB 19.4.2023).
Quellen: […]
4. Sicherheitslage
Es bestehen anhaltende Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit transnationalen Akteuren in Gambia. Dazu gehört der immer noch schwelende Konflikt in der benachbarten Casamance. Erst im November 2020 soll die wichtigste Rebellengruppe, der Casamance (MFDC) Gambia mit einem Angriff gedroht haben, falls das Land die Bemühungen Senegals in der Region unterstützen würde (BS 2022).
Aufgrund der generell schlechten wirtschaftlichen Lage hat die Kriminalität zugenommen. Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl und Handtaschenraub, aber auch gewalttätige Überfälle sind keine Seltenheit (BMEIA 24.7.2023). Aber auch die grenzüberschreitende Kriminalität stellt ein Problem dar. In den letzten Jahren kam es in Gambia zu mehreren erheblichen Drogenbeschlagnahmungen (BS 2022).
Letztlich ist Gambia zwar vom islamistischen Terror verschont geblieben (BS 2022; vgl. BMEIA 24.7.2023, AA 18.9.2023), dies kommt jedoch in der Region vor und die Terrorismusbekämpfung ist Teil des laufenden Reformprogramms für den Sicherheitssektor (BS 2022). Angesichts der unsicheren Lage in anderen Regionen Westafrikas kann aber auch für Gambia ein „Spill-Over“ - Effekt bzw. ein Anschlagspotenzial nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 24.7.2023; vgl. AA 18.9.2023).
So kam es am 12.9.2023 zu einem Attentat auf Polizeibeamte durch zwei UDP-Mitglieder; die Regierung stufte diesen Angriff, bei dem zwei Polizisten getötet und ein weiterer schwer verletzt wurden, als Terroranschlag ein. Der mutmaßliche Hauptverdächtige habe inzwischen gestanden, ein vormaliges Mitglied der senegalesischen Bewegung demokratischer Kräfte in Casamance (MFDC) zu sein (BAMF 25.9.2023). Die Mitglieder griffen die Beamten tödlich an, sodass der Angriff durch die Regierung als Terroranschlag eingestuft wurde (Garda 25.4.2022). Es wird von zunehmenden bewaffneten Raubüberfällen, Banditentum und Morden berichtet (BS 2022). Aufgrund der generell schlechten wirtschaftlichen Lage sind Kleinkriminalität, aber auch gewalttätige Überfälle in Gambia keine Seltenheit mehr. Es finden außerdem häufig Demonstrationen zu verschiedenen lokalen und nationalen politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Themen statt (Garda 25.4.2022). Es gibt Berichte über übermäßige Gewaltanwendung der Polizei gegen Demonstranten (BS 2022). Während die meisten dieser Versammlungen friedlich verlaufen, kam es zwischenzeitlich zu polizeilichem Einsatz durch ungenehmigte Fortsetzung von Protesten (FH 2023). Zwar sind erhebliche Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie zu verzeichnen, doch wächst die Unzufriedenheit über die Unfähigkeit der Regierung, die Sicherheit aufrechtzuerhalten (GOCI 2023).
Quellen: […]
5. Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassung Gambias sieht eine unabhängige Justiz vor (ÖB 19.4.2023; vgl. USDOS 20.3.2023), und die Regierung respektiert im Allgemeinen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieser (USDOS 20.3.2023). Die Regierung Barrow hat Schritte zur Verbesserung des Justizwesens unternommen, das unter Jammeh durch Korruption und Ineffizienz beeinträchtigt war (FH 2023; vgl. ÖB 19.4.2023). Seit dem Machtwechsel haben die Gerichte eine stärkere Unabhängigkeit bewiesen. Des Weiteren wurde die Judicial Service Commission, welche Empfehlungen über die Bestellung von Richterposten und zur Effizienzsteigerung ausspricht, wieder eingesetzt. Der Rückstau bei Gerichtsverfahren ist trotz Maßnahmen der Regierung in diesem Bereich weiterhin groß und das Justizsystem weiterhin durch Korruption und Ineffizienz beeinträchtigt (AA 12.1.2022; vgl. FH 2023).
Die verfassungsmäßigen Garantien für einen fairen Prozess werden nur schwach umgesetzt (ÖB 19.4.2023; vgl. AA 12.1.2022). Beamte informieren die Angeklagten nicht immer unverzüglich über die gegen sie erhobenen Vorwürfe. Der Rückstau von Fällen behindert das Recht auf ein rechtzeitiges Verfahren (USDOS 20.3.2023).
Der Oberste Gerichtshof verhandelt Zivil- und Menschenrechtsfälle, einschließlich Berufungen von Gewohnheits- und Scharia-Gerichten (islamische Gerichte). Einzelpersonen können sich bei Menschenrechtsverletzungen auch an das Büro des Ombudsmanns wenden, das solche Fälle untersucht und Abhilfemaßnahmen zur gerichtlichen Prüfung empfiehlt. Ferner können Einzelpersonen und Organisationen gegen ablehnende nationale Entscheidungen bei regionalen Menschenrechtsgremien Berufung einlegen (USDOS 20.3.2023).
Mit dem Legal Aid Act 2008 wurde der Zugang zur Justiz und zur Rechtshilfe für sozial benachteiligte Gruppen erweitert. Wurde bis dahin Rechtshilfe nur in Fällen mit Aussicht auf Todesstrafe bzw. lebenslänglich gewährt, kann nun auch um Rechtshilfe in Straf- oder Zivilrechtsangelegenheiten angesucht werden, sofern der Angeklagte weniger als den „festgesetzten Mindestlohn“ verdient (ÖB 19.4.2023).
Obwohl die Dominanz der Exekutive nach wie vor ein Problem darstellt, hat die Justiz in den letzten Jahren eine gewisse Unabhängigkeit von den anderen Regierungszweigen bewiesen (FH 2023).
Im November 2022 erklärte der Justizminister, dass die Regierung Gespräche mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS aufgenommen habe, um ein hybrides Gericht einzurichten, das die unter Yahya Jammeh begangenen völkerrechtlichen Verbrechen strafrechtlich verfolgen soll (FH 2023).
Bereits im Mai 2018 hatte eine verfassungsgebende Kommission ihre Arbeit an einem neuen Verfassungsentwurf aufgenommen, welcher die Verfassung von 1997 ablösen und mit seinen zahlreichen Reformen eine neue demokratische Ära in Gambia einleiten sollte. Im September 2020 wurde der Entwurf von der Nationalversammlung abgelehnt. So ging Gambia im Dezember 2021 mit der alten Verfassung in die Präsidentschaftswahl. Ein neuer Entwurf ist bislang nicht in Arbeit (AA 12.1.2022).
Quellen: […]
6. Sicherheitsbehörden
Die gambische Polizei ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit verantwortlich und ist dem Innenministerium unterstellt (USDOS 20.3.2023; vgl. ÖB 19.4.2023) Sie besitzt sowohl eine Menschenrechts- und Beschwerdeabteilung, sowie eine Kinderfürsorge und „Gefährdete Personen“-Abteilung (ÖB 19.4.2023). Die zivilen Behörden haben eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 20.3.2023).
Die State Intelligence Service (bis Februar 2017 National Intelligence Agency (NIA), welche weiterhin gemäß Artikel 191 der Verfassung direkt dem Präsidenten untersteht, ist für die Staatssicherheit verantwortlich. Die NIA war in der Vergangenheit eines der Hauptinstrumente des Präsidenten Jammeh für die Identifizierung und Bestrafung/Ausschaltung von Oppositionellen und wird auch für Folter und willkürliche Inhaftierung verantwortlich gemacht ( ÖB 19.4.2023).
Die Gambia Armed Forces (GAF) unterstützen die zivilen Behörden in Notfällen und bei Naturkatastrophen und sind dem Verteidigungsminister unterstellt (USDOS 20.3.2023; vgl. ÖB 19.4.2023).
Hauptaufgabe der Gambian National Army (GNA) ist die Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Sicherheit. Es gibt formell keine Luftstreitkräfte und die Marinekräfte sind überschaubar (ÖB 19.4.2023).
Quellen: […]
7. Folter und unmenschliche Behandlung
Allgemein verbieten die Verfassung und das Gesetz Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Es gab jedoch Berichte, dass Sicherheitskräfte wie Gefängnisdienste, die Polizei und das Militärs Zivilisten menschenunwürdig behandelten (USDOS 20.03.2023).
Seit Amtsübernahme der Regierung Barrow im Januar 2017 sind keine Berichte über Folter bekannt. Im September 2018 hat Gambia das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ratifiziert. Folter und andere unmenschliche, grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafe sind mittlerweile nach geltendem Recht und der Verfassung verboten (AA 12.1.2022).
Zu den Ämtern, die mit der Untersuchung von Missständen beauftragt wurden, gehörten die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC), das Büro des Ombudsmanns und die Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission (TRRC) (USDOS 20.3.2023).
Quellen: […]
8. Korruption
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, jedoch hat die Regierung diesbezügliche Verfehlungen weder glaubwürdig untersucht noch verfolgt. Obwohl die Regierung einige Schritte unternommen hat, um gegen Missbrauch oder Korruption vorzugehen (USDOS 20.3.2023), wurde bisher nur vereinzelt gegen Korruption vorgegangen (ÖB 19.4.2023). Es gibt zahlreiche Berichte über Korruption innerhalb der Regierung, und es herrscht nach wie vor eine Korruptionskultur unter den Regierungsbeamten, einschließlich ehemaliger Beamter der Regierung Jammeh, die immer noch in Regierungspositionen tätig sind. Korruption auf kleiner Ebene ist weiterhin die Norm, da Bürger oft Schmiergelder zahlen müssen, um bürokratische Hürden zu überwinden oder Zugang zu staatlichen Dienstleistungen zu erhalten. Korruption bei der Polizei ist ebenfalls ein alltägliches Problem, da Beamte routinemäßig Fahrer anhalten und Verstöße fälschen oder Geld verlangen (USDOS 20.3.2023).
Außerdem sind, laut einer Diagnose des Internationalen Währungsfonds (IWF), staatliche Verfahren anfällig für Korruption und uneinheitliche Entscheidungen, da die Voraussetzungen für die Ausübung von Befugnissen nicht klar definiert sind (IMF 26.1.2023). Die Tätigkeit der Regierung ist im Allgemeinen undurchsichtig. Beamte müssen gegenüber dem Ombudsmann Vermögenserklärungen abgeben, die jedoch nicht von der Öffentlichkeit und den Medien eingesehen werden können. Es gibt weitverbreitete Korruptionsvorwürfe im öffentlichen Auftragswesen. Wichtige Genehmigungsverfahren, insbesondere für Industriezweige, die auf natürliche Ressourcen angewiesen sind, sind nicht transparent (FH 2023).
Die Mehrheit der Befragten Menschen in Gambias sind der Meinung, dass die Regierung nicht genug tut, um Korruption zu bekämpfen. Zudem, gibt es bisher keine klare Antikorruptionspolitik (ÖB 19.4.2023). Dies ist auch sichtbar auf dem "Transparency International Corruption Perceptions Index" aus dem Jahr 2022, in dem sich Gambia gegenüber den Vorjahren verschlechtert hat und nun 34 von 100 Punkten erhält (TI 31.1.2023; vgl. ÖB 19.4.2023). Die Wahrnehmung in der Bevölkerung spricht laut Umfrage des AfroBaromenter 2021 für eine wachsende Korruption und ein Scheitern der Antikorruptionspolitik der Regierung (ÖB 19.4.2023)
Ein Gesetzentwurf zur Korruptionsbekämpfung, der 2019 in die Nationalversammlung eingebracht wurde, muss noch verabschiedet werden, und eine vorgeschlagene Antikorruptionskommission wurde noch nicht eingerichtet. Andere Antikorruptionsstellen wie die Financial Intelligence Unit of The Gambia (FIU) verfügen nur über schwache Durchsetzungsbefugnisse (FH 2023).
Es bestehen mehrere unabhängige Einrichtungen wie die Gambia Financial Intelligence Unit (GFIU) to the Gambia Public Service Commission (GPSC), the Gambia Public Procurement Authority (GPPA) und die Assets Recovery and Management Corporation (AMRC), die den Kampf gegen die Korruption unterstützen. Allerdings wurde das 2012 verabschiedete Gesetz über die Anti-Korruptionskommission bis dato nicht umgesetzt. Das 2019 ausgearbeitete Anti-Korruptionsgesetz, in dem ebenfalls auch Errichtung einer neuen Anti-Korruptionskommission vorgesehen wäre, wurde noch nicht verabschiedet (CMI U4 21.6.2021).
Quellen: […]
9. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
In Gambia gibt es mehrere NGOs ("Non-Governmental Organizations"), die sich mit Menschenrechts- und Governance-Fragen befassen (FH 2023; vgl. ÖB 19.4.2023) und im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen arbeiten. Sie untersuchen Menschenrechtsfälle und veröffentlichen ihre Ergebnisse (USDOS 20.03.2023). Die Mitarbeiter von NGOs waren unter Jammeh mit Inhaftierungen und anderen Repressalien konfrontiert, und es gelten nach wie vor restriktive Gesetze (FH 2023). Doch seit 2017 sind die NGOs in der Praxis weniger beeinträchtigt, und einige Gruppen haben die Regierung in politischen und rechtlichen Fragen erfolgreich herausgefordert, ohne dass dies zu Konsequenzen geführt hat. Auch internationale NGOs haben ihre Präsenz im Land verstärkt und können ohne Einmischung arbeiten. Im Vergleich zum Jammeh-Regime gibt es unter Barrow kaum Berichte über Repressalien gegen NGOs. Gegen die Bürgerbewegung “Three Years Jotna” (Drei Jahre sind genug), die 2020 den Rücktritt Präsident Barrows forderte, wurde allerdings hart vorgegangen. 2021 wurde schließlich die Anklage gegen sie fallen gelassen (ÖB 19.4.2023).
Das Gesetz schreibt vor, dass sich NGOs beim Nationalen Beratungsrat registrieren lassen müssen. Dieser Rat ist befugt jeder NGO, einschließlich internationaler NGOs, das Recht zu verweigern, ihre Tätigkeit im Lande nachzugehen. Die Nationale Menschenrechtseinheit (NHRU) hat den Auftrag Menschenrechte zu fördern und zu schützen und gefährdete Gruppen zu unterstützen (USDOS 20.03.2023).
Quellen: […]
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11. Allgemeine Menschenrechtslage
Während unter der Regierung Jammeh willkürliche Rechtsverletzungen üblich waren, hat die neue Regierung unter Präsident Barrow sich zum umfassenden Schutz der Menschenrechte bekannt (AA 12.1.2022). Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit werden durch die Verfassung garantiert (USDOS 20.3.2023). Die Nationale Menschenrechtskommission ist ein unabhängiges Regierungsgremium, das für die Verbesserung der Menschenrechtsstandards im Lande und die Förderung einer Kultur der Achtung der durch die Rechtsstaatlichkeit geschützten Rechte und Freiheiten zuständig ist (USDOS 20.3.2023).
Das Büro des Ombudsmanns unterhält eine nationale Menschenrechtseinheit (NHRU) mit dem Auftrag, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen und gefährdete Gruppen zu unterstützen (USDOS 20.3.2023).
Unter der Regierung Barrow haben die Menschen in Gambia mehr Freiheit, ihre politischen Ansichten zu äußern. Die nach wie vor geltenden Gesetze gegen Volksverhetzung könnten jedoch genutzt werden, um Kritik an der Regierung zu kriminalisieren, auch in den sozialen Medien (FH 2023).
Auch ist der Schutz des Rechts auf Privatsphäre begrenzt und die Überwachung von Informations- und Kommunikationstechnik bleibt, aufgrund der rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen problematisch. Weiterer Kritikpunkt ist die Strafbewährung für einvernehmliche homosexuelle Handlungen (AA 12.1.2022).
Menschenrechtsverletzungen die im Land außerdem auftreten sind Menschenhandel, Genitalverstümmelungen und mangelhafte Haftbedingungen (AA 12.1.2022).
Die Verfassung garantiert die Versammlungsfreiheit, aber das Public Order Act (POA) verlangt von Veranstaltungsorganisatoren, für öffentliche Versammlungen eine polizeiliche Genehmigung einzuholen (FH 2023). Dennoch geht die Polizei mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende vor. Sowohl das Gambia Centre for Victims of Human Rights Violations als auch die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) verurteilten die übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, und die NHRC forderte den Generalinspektor der Polizei auf, die Umsetzung der Leitlinien der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker für die Kontrolle von Versammlungen durch Vollzugsbeamte in Afrika sicherzustellen (AI 28.3.2023). Die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) fordert in ihrem Jahresbericht 2022 eine Änderung von Art. 5 des geltenden Gesetzes über die öffentliche Ordnung von 1961 (Public Order Act, POA), der die Grundrechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit einschränkt. Zudem erinnert sie die Regierung des Weiteren, Maßnahmen zur Förderung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu ergreifen und die Kapazitäten, Schulung zu Methoden und Ausbildung der Sicherheitskräfte im Bereich der Kontrolle von Menschenmengen zu verbessern. Besonders da 21 % der im Jahr 2022 eingegangenen Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen sich gegen die nationalen Sicherheitskräfte wie die Polizei, die Armee sowie die Drogen- und Einwanderungsbehörden richtete (BAMF 30.6.2023).
Wesentliche Fortschritte betreffen die Verbesserung des Umfelds für Medien und die damit einhergehende Wiederansiedlung von Medieninstitutionen, die Aufhebung mancher restriktiver Gesetze durch den Obersten Gerichtshof, die Verringerung von Belästigungen und Einschüchterungen von Journalisten sowie Verbesserungen der Meinungsfreiheit im Internet. Die Beschränkungen des Internets haben seit der Amtsübernahme Barrow’s stark abgenommen, und zuvor geblockte Webseiten der Opposition, Apps und Kommunikationsplattformen und soziale Netzwerke sind wieder zugänglich (ÖB 19.4.2023). Gemäß RSF-Korrespondent in Gambia, hat das Land in diesem Jahr erhebliche Fortschritte im World Press Freedom Ranking gemacht. Er betont das Fehlen willkürlicher Verhaftungen, Folter, Töten oder Verbrennen von Medienhäusern oder Büros ist, weil Journalisten ihren Job oder Beruf ausüben und fügt hinzu, dass die Situation der Journalisten in Gambia „jetzt viel besser“ sei als in der Jammeh-Ära (TSN 4.5.2023). Dennoch sind nach wie vor eine Reihe von Gesetzen in Kraft, die die Meinungsfreiheit einschränken - Medienunternehmen wurden willkürlich suspendiert, und Journalisten wurden im Rahmen ihrer Arbeit gelegentlich verhaftet oder tätlich angegriffen (FH 2023).
Die Regierung betreibt eine Null-Toleranz-Politik gegenüber allen Formen des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, und bekräftigt das stetige Engagement der Regierung für Prävention, Schutz und strafrechtliche Verfolgung jeglicher Fälle des Menschenhandels (BAMF 30.6.2023). Die Regierung wird für ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels gelobt, erfüllt jedoch noch nicht alle Mindeststandards, da die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie die Kapazitäten der Regierung beeinträchtigt haben. Zu den Bemühungen der Regierung gehört, dass mehr Opfer identifiziert wurden, und Beamte wurden in Bezug auf Verfahren zur Identifizierung von Opfern geschult. Allerdings erhielt das Personal in staatlichen Unterkünften keine spezifische Ausbildung, und den mit der Bekämpfung des Menschenhandels beauftragten Behörden fehlt es weiterhin an Ressourcen (USDOS 8.6.2023).
Quellen: […]
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15. Religionsfreiheit
Die gambische Bevölkerung ist zu 90-95 % muslimisch (die Mehrheit ist sunnitisch), etwa 5-10 % bekennen sich zum Christentum. Die Gesellschaft ist traditionell religiös tolerant (AA 12.1.2023). Nach Aussage des Präsidenten Barrow ist Gambia eine säkulare Gesellschaft, in der Angehörige aller Religionen ihre Religion frei ausüben können (USDOS 15.5.2023). Die verschiedenen Ethnien sowie Religionen können friedlich Koexistieren (ÖB 19.4.2023). Hochzeiten zwischen Christen und Muslimen sind geläufig. Religionsfreiheit ist in der Verfassung verankert. Die Verfassung verbietet religiöse Diskriminierung, die Einführung einer Staatsreligion und die Gründung von auf Religion basierender politischer Parteien. Manche Diskriminierungen bleiben jedoch weiter bestehen (AA 12.1.2023; vgl. ÖB 19.4.2023, USDOS 15.5.2023). Im April 2023 kam es zu einem Angriff auf eine christliche Kirche in Bakau, welche zu Verletzten führte (BAMF 30.6.2023). Aufgrund kultureller und geschlechtsspezifischer Normen müssen Frauen in der Regel zur Religion ihres Mannes konvertieren und alle Kinder in der Religion ihres Mannes aufziehen (USDOS 15.5.2023). Der Staat hat sowohl muslimische als auch christliche Feiertage zu staatlichen Feiertagen erklärt (AA 12.1.2023). Christliche Kirchenarbeit wird nicht behindert und ist öffentlich sichtbar. Religiöse Gruppen, die weniger als 1 % der Bevölkerung ausmachen, sind Ahmadi Muslime, Baha’is, Hindus und Eckankar Mitglieder oder Gemeinden, die Mischformen von indigenen Glauben und Islam und Christentum praktizieren. Muslime der Ahmadiyya-Gemeinschaft sind von Festlichkeiten der übrigen Muslime ausgeschlossen, und durch eine Fatwa des Obersten Islamischen Rates aus dem Jahr 2015 wird u.a. die Beerdigung auf muslimischen Friedhöfen weiterhin verwehrt (ÖB 19.4.2023).
Seit dem Regierungswechsel 2016 bzw. Anfang 2017 liegen keine Berichte über staatliche Einschränkungen der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde in Glaubensangelegenheiten oder in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe bzw. ihrem Sozialengagement vor. Zudem verpflichtete sich die Regierung von Präsident Barrow in ihrem Weißbuch vom 25.5.2022 zur Umsetzung der Handlungsempfehlungen der TRRC u.a. dazu, den einflussreichen und quasi-staatlichen Obersten Islamische Rat (GSIC) zu reformieren, sowie Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Personen einschließlich des Altpräsidenten Jammeh einzuleiten, denen schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Angehörige der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angelastet werden. Sheriff Abba Sanyang, derzeitiger Minister für Land, Lokalverwaltung und religiöse Angelegenheiten, erklärte Mitte 2022, dass Ahmadiyya-Glaubensangehörigen die gleichen Rechte zustehen wie anderen Bürgerinnen und Bürgern des Landes. Staatspräsident Barrow und der stellvertretende Parlamentssprecher würdigten zuletzt das starke Engagement der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Gambia, vor allem im Bereich der Bildung und Gesundheitsversorgung. Die Ahmadiyya-Gemeinde betreibt in Gambia Schulen und ein Krankenhaus. Dennoch geht aus Erkenntnisquellen hervor, dass auch nach Regierungsübernahme Barrows Diskriminierungen gegen Ahmadiyya-Glaubensangehörige bestehen bleiben. Der GSIC hat die Ahmadiyya weiterhin nicht in die muslimische Gemeinschaft integriert (BAMF 6.2023).
Quellen: […]
16. Minderheiten
In Gambia leben zahlreiche westafrikanische ethnische Gruppen. Die größte Bevölkerungsgruppe stellen die Mandinka mit etwa 34 % dar (AA 12.1.2022). Weitere Ethnien sind die Fulbe/Fulani mit 22 %, Wolof mit 13 %, Diola mit 7 %, Serahuli mit 7 % und Serer mit 3 % (ÖB 19.4.2023). Die Amtssprache ist Englisch, die wichtigsten Umgangssprachen sind Mandinka, Wolof, Diola und Fula. Eine weitere Minderheit im Land sind Christen mit 3,5 %. Die restlichen 96,4 % des Landes sind muslimisch (CIA 6.11.2023).
Eine diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis besteht nicht (AA 12.1.2022). Das Gesetz verbietet bestimmte Arten der rassischen und ethnischen Diskriminierung. Politischen Kandidaten ist es untersagt, Spannungen zwischen Volksgruppen oder Ethnien zu schüren. Die Regierung hat diese Gesetze gleichmäßig und wirksam angewandt (USDOS 20.3.2023).
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17. Relevante Bevölkerungsgruppen
17.1. Frauen
Die Verfassung sieht die Gleichstellung von Frauen und Männern vor, jedoch trifft dies oft in der Praxis nicht zu (ÖB 19.4.2023; vgl. AA 12.1.2022, USDOS 20.3.2023). Gemäß Art. 28 der gambischen Verfassung sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Dieser Grundsatz erfährt jedoch vor allem durch religiöse Traditionen und allgemeine gesellschaftliche Verhältnisse, die sich teilweise in der Gesetzgebung widerspiegeln, Einschränkungen (AA 12.1.2022). Frauen gehören zu einer der Gruppen in der gambischen Gesellschaft die auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, denn das Gesetz gewährt Frauen nicht den gleichen Rechtsstatus und die gleichen Rechte in Bezug auf Adoption, Heirat, Scheidung, Beerdigung und Vererbung von Eigentum (USDOS 20.3.2023).
Frauen haben weniger Zugang zu höherer Bildung, Justiz und Beschäftigung als Männer (FH 2023) und sind im politischen und wirtschaftlichen Leben unterrepräsentiert (AA 12.1.2022). Ferner begünstigen die Bestimmungen der Scharia (islamisches Recht) zum Familien- und Erbrecht die Diskriminierung von Frauen (FH 2023; vgl. ÖB 19.4.2023, AA 12.1.2022).
Die EU-Wahlkommission stellte im März 2022 fest, dass Frauen in der gambischen Politik stark unterrepräsentiert sind. Einen Monat zuvor war in der Nationalversammlung erfolglos ein Gesetzentwurf debattiert worden, der darauf abzielte, eine bestimmte Anzahl von Sitzen in der Nationalversammlung mit Frauen und Menschen mit Behinderungen zu belegen (AI 28.3.2023).
Die Beschäftigung im formellen Sektor steht Frauen zu den gleichen Gehältern wie Männern frei, allerdings besteht die gesellschaftliche Diskriminierung weiterhin. Frauen arbeiten im Allgemeinen in schlecht bezahlten Bereichen wie dem Lebensmittelverkauf und der Landwirtschaft. Dennoch gehören Frauen zu den meist Beschäftigten im informellen Sektor. Die International Labour Organization (ILO) stellt fest, dass das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern im privaten Sektor 65 % betrug. Die Gehälter im öffentlichen Sektor waren laut dieser Feststellung für Männer und Frauen gleich (USDOS 20.3.2023).
Kritik mancher Beobachter richtet sich auch an die Arbeiten der Truth, Reconciliation and Reparations Commission (TRRC). Diese würde Frauenthemen nicht genug Aufmerksamkeit widmen. Anschuldigungen von Vergewaltigungen und Morden von Frauen durch das Jammeh-Regime wurde kaum nachgegangen (ÖB 19.4.2023). Ebenfalls im März 2022 äußerte sich der Präsident der Pressegewerkschaft Gambias (Gambia Press Union – GPU) besorgt über die weitverbreitete sexualisierte Belästigung und Diskriminierung von Frauen in den Medien und die Besetzung der meisten einflussreichen Positionen in Redaktionsleitungen und Nachrichtenredaktionen mit Männern (AI 28.3.2023). Er forderte die Medienanstalten auf, die GPU-Richtlinie gegen sexualisierte Belästigung anzuwenden und mehr Frauen in einflussreiche Positionen zu berufen (AI 28.3.2023).
Obwohl die Verfassung die Gleichstellung von Mann und Frau vorsieht, sind Frauen weiterhin Opfer von Diskriminierungen und häuslicher Gewalt (ÖB 19.4.2023; vgl. FH 2023, AA 12.1.2022). Zudem sind Frauen Opfer von Traditionen, wie Genitalverstümmelung (FGM), Vergewaltigung in der Ehe oder Zwangsheirat (ÖB 19.4.2023; vgl. BAMF 30.6.2023). Im Oktober 2022 bat der Vorsitzende der National Human Rights Commission (NHRC) den UN-Ausschuss die Diskriminierung der Frau, sowie die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen (AI 28.3.2023).
Im Gesetz über Sexualdelikte wird Vergewaltigung in der Ehe bisher nicht als Straftat aufgeführt. Vergewaltigung und häusliche Gewalt sind illegal aber weit verbreitete Probleme, die oft nicht gemeldet und angezeigt werden, unter anderem aus Angst vor Repressalien, Stigmatisierung, Diskriminierung und Druck von Familie und Freunden (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2023). Es gibt keine effektiven Beschwerdemechanismen für Gewalt gegen Frauen, was zu einer niedrigen Verfolgungsrate und unzureichender Unterstützung von Opfern führt (AA 12.1.2022).
Das Gesetz stellt Vergewaltigung ohne Bezug auf das Geschlecht unter strafrechtliche Verfolgung und kriminalisiert häusliche Gewalt. Die Strafe für Vergewaltigung ist lebenslange und die Höchststrafe für versuchte Vergewaltigung beträgt sieben Jahre Haft. Vergewaltigung in der Ehe und in der Intimsphäre ist nicht strafbar. Die Strafe für häusliche Gewalt beträgt zwei Jahre Freiheitsentzug und/oder eine hohe Geldstrafe. Die Regierung setzt diese Bestimmungen jedoch nicht effektiv durch. Das Gesetz verbietet sexuelle Belästigung und sieht bei Missbrauch eine einjährige Haftstrafe vor. Wird jedoch ebenfalls nicht effektiv umgesetzt (USDOS 20.3.2023). Abtreibungen werden grundsätzlich strafrechtlich sanktioniert und nur in Ausnahmefällen bei Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt (AA 12.1.2022).
Das Ministerium für Frauenangelegenheiten, Kinder und soziale Wohlfahrt betreibt ein Frauenhaus und arbeitet mit UN-Organisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen, um gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen (USDOS 20.3.2023).
Nach Angaben von UNICEF sind etwa 75 % der weiblichen Bevölkerung Gambias zwischen 15 und 49 Jahren von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) betroffen (AA 12.1.2022; vgl. USDOS 20.3.2023, ÖB 19.4.2023). Die Verteilung von FGM-Praktiken unter den verschiedenen Ethnien fällt unterschiedlich aus (97,8 % der Serahule; 96,7 % der Mandinka/Jahanka; 12.5 % der Wolof bzw. 18,1 % der Manjago). Nur wenige Fälle werden angezeigt, da entweder das Gesetz abgelehnt wird oder eine Scheu davor besteht, Familienmitglieder oder Mitglieder der Gemeinschaft anzuzeigen (ÖB 19.4.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). 2015 wurde eine Änderung des "Women's Act, 2010", der "Women's Amendment Act, 2015", verabschiedet, der eine gesetzliche Bestimmung gegen FGM einführt. Verbot und Bestrafung von FGM wird ausdrücklich festgelegt (AA 12.1.2022). Das Strafmaß liegt im Ermessen des zuständigen Gerichts und kann Freiheitsstrafe von 3 Jahren, Geldstrafe in Höhe von 50.000 Dalasi oder beides umfassen. Fälle, in denen FGM zum Tode führt, führen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Andere Gesetze, die dem Schutz von Frauen und Mädchen vor FGM dienen, sind das Strafgesetzbuch und das Kindergesetz 2005 (AA 12.1.2022). Die Genitalverstümmelung von Frauen wird trotz des gesetzlichen Verbots weiterhin praktiziert (AA 12.1.2022; vgl. FH 2023; BAMF 30.6.2023).
Jedoch forderten nach islamischen Religionsführern nunmehr auch mehrere Parlamentsabgeordnete, darunter auch Frauen, eine Entkriminalisierung der weitverbreiteten traditionellen Praxis und eine autonome Entscheidungsfreiheit. Auch der einflussreiche, quasi-staatliche Oberste Islamische Rat (GSIC) forderte zuletzt eine Entkriminalisierung von FGM (BAMF 18.9.2023).
Gambia ist sowohl Zielland als auch Herkunftsland für Frauen und Kinder, die von Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung betroffen sind (AA 19.4.2023). Ferner ist Gambia Ausgangs-, Transit- und Zielland für Menschenhandel insbesondere von Frauen und Kindern in Zwangsarbeit und Prostitution, einschließlich Sextourismus ist. Genaue Zahlen über das Ausmaß des Menschenhandels sind jedoch derzeit nicht zu erhalten (AA 12.1.2023).
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18. Bewegungsfreiheit
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Inland, die Reisefreiheit ins Ausland, die Auswanderung und die Wiedereinbürgerung vor, und die Regierung hat diese Rechte im Allgemeinen respektiert (USODS 20.3.2023; vgl. FH 2023). Auch die Freiheit, den Wohn- oder Arbeitsort zu wechseln, ist gesetzlich nicht eingeschränkt (FH 2023). In der Praxis wird die Möglichkeit, den Wohnsitz zu wechseln, durch das Fortbestehen starker verwandtschaftlicher Netzwerke, unklare Landbesitzregeln und wirtschaftliche Spekulationen beeinträchtigt. Polizei und Einwanderungsbehörden errichteten häufig Sicherheitskontrollpunkte im Land (FH 2023). Personen, die sich nicht ordnungsgemäß ausweisen konnten, werden inhaftiert, zu Geldstrafen verurteilt oder zur Zahlung von Bestechungsgeldern gezwungen (USDOS 20.3.2023).
Im August 2022 wurden die durch das Coronavirus bedingten Beschränkungen für Reisen innerhalb und außerhalb des Landes, die im Jahr 2020 verhängt worden waren, aufgehoben, obwohl in einigen öffentlichen Bereichen weiterhin Gesichtsmasken vorgeschrieben sind. Im September 2022 hob die Regierung alle inoffiziellen Kontrollpunkte im ganzen Land auf und begründete dies mit dem Wunsch nach mehr Bewegungsfreiheit (FH 2023).
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19. Grundversorgung und Wirtschaft
Die Wirtschaft Gambias stützt sich auf Landwirtschaft, Tourismus und Geldüberweisungen (UNEP 27.1.2023) und ist stark anfällig für externe wirtschaftliche Krisen (ÖB 19.4.2023; vgl. UNEP 27.1.2023). Unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität fällt Gambia unter die ärmsten Länder der Welt (LI o.D.c). Trotz eines deutlichen Anstiegs der Lebenserwartung zwischen 1990 und 2015 ist das Armutsniveau im Wesentlichen unverändert geblieben. Ein hohes Maß an Armut führt zu einer prekären Ernährungssicherheit; ein Viertel der Bevölkerung ist von Ernährungsunsicherheit betroffen. Bauern und Landarbeiter, insbesondere Frauen und junge Menschen, machen einen großen Teil der armen und extrem armen Bevölkerung aus; und so leben 73,9 % der Einwohner in ländlichen Gebieten unterhalb der Armutsgrenze (UNEP 27.1.2023).
Die NHRC forderte in ihrem Jahresbericht 2022 die Regierung auf, gegen die kontinuierlich angestiegenen Lebenshaltungskosten vorzugehen und soziale Sicherheitsnetze für die vulnerabelsten vor allem unterhalb der Armutsgrenze lebenden Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Auch in der Zeit nach der COVID-19-Pandemie kommt es zu sehr hohe Lebenshaltungskosten und die Kosten für Güter des täglichen Gebrauchs, Treibstoff und Transport sind weiter angestiegen. Zu den pandemiebedingten Folgewirkungen gehören zudem ein Anstieg der Armuts- und Arbeitslosenrate. Zuletzt gab es Berichte über die Verschärfung der Ernährungsunsicherheit sowie die schlimmsten Hungersnöte seit zehn Jahren im Land, für die es mehrere Ursachen gibt (BAMF 6.2023). In der Zeit nach der COVID-19-Pandemie sind die Lebenshaltungskosten nach wie vor hoch, und die Preise für lebensnotwendige Güter, Kraftstoffe und Verkehrsmittel sind stetig gestiegen. Die Entwicklung des ländlichen Raums ist von zentraler Bedeutung für ein integratives Wachstum, Ernährungssicherheit, Arbeitsplätze und Armutsbekämpfung (UNEP 27.1.2023; vgl. IFAD 11.4.2019). Das Welternährungsprogramm (WFP) in Gambia unterstützt die Versorgung der von der Krise betroffenen Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln und bietet Grundschulkindern in ernährungsunsicheren Gebieten nahrhafte Mahlzeiten aus lokalen Erzeugnissen an. Das WFP entwickelt derzeit seinen nächsten Länderstrategieplan für 2024-2028, um gefährdete Bevölkerungsgruppen zu unterstützen, und die Fortschritte bei der Verringerung der mäßigen akuten Unterernährung aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Unterstützung für Haushalte, die von den hohen Nahrungsmittelpreisen betroffen sind (WFP 11.2023). Über 60 % der Gambier leben von der Landwirtschaft, die etwa ein Drittel des BIP des Landes erwirtschaftet (UNEP 27.1.2023).
Laut gambischer Integrated Household Survey 2010 (IHS) gehen 73 % der Bevölkerung einer Beschäftigung (Kleinhandel, Kleinhandwerk, Gelegenheitsjobs, Straßenverkauf, etc.) nach, wovon 96 % im informellen Sektor tätig sind. Der gesetzliche Mindestlohn (im formellen Sektor) für ungelernte Arbeiter beträgt GMD 50 pro Tag [0,68 Euro] bei einer staatlich festgelegten Armutsgrenze von GMD 38/Tag [0,52 Euro] (ÖB 19.4.2023). In Gambia liegt das Pro-Kopf-Einkommen bei jährlich 769 Euro und liegt damit im weltweiten Vergleich extrem niedrig (LI o.D.a). Die Lebenshaltungskosten liegen deutlich unterhalb des weltweiten Durchschnitts und weisen auf massive sozioökonomische Probleme hin (LI o.D.c). Die Einwohner in ländlichen Gebieten leben meist unterhalb der Armutsgrenze (UNEP 27.1.2023), und die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in diesen ländlichen Gegenden grundsätzlich nur beschränkt gewährleistet (AA 12.1.2022).
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19.1. Sozialbeihilfen
Die Institution, von der die Bürger/-innen Gambias Unterstützung für ihre Sozialfürsorge erhalten können, ist das Ministerium für Sozialfürsorge (IOM 7.2022). Für bedürftige Frauen und Kinder bietet der staatliche „Social Welfare Service“ Unterbringung, Nahrung und soweit erforderlich auch Kleidung. Dennoch sind nach Angaben von UNICEF, WHO und Weltbank 11,6 % der Kinder unter fünf Jahren akut unterernährt. Sozialhilferegelungen etc. bestehen nicht. Das World Food Programme hat ein Projekt aufgelegt, das kostenloses Schulessen bereitstellt. Einige NGOs geben finanzielle Starthilfen für Berufsanfänger. Sozialhilferegelungen gibt es keine (AA 12.1.2022).
Allerdings bietet die Social Security Housing Finance Cooperation (SSHFC) Sozialschutzdienste an (IOM 7.2022). Viele Gambier sind auf jede Unterstützung angewiesen, die sie auf informellem Wege über beispielsweise erweiterte Verwandtschaft erhalten können (BS 2022). Staatsbedienstete erhalten Pensionsleistungen. Die SSHFC bietet ein zusätzliches Rentensystem an, das auf Angestellte öffentlicher oder halb-öffentlicher Einrichtungen beschränkt ist. Private Pensionsleistungen sind selten. Die SSHFC leitet auch einen Entschädigungsfonds für Arbeitsunfälle und bietet Hypotheken zu festen Zinssätzen an (BS 2022).
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20. Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung in Gambia ist trotz einiger Fortschritte mangelhaft und nicht flächendeckend verfügbar (AA 12.1.2022; vgl. ÖB 19.4.2023). Das gambische Gesundheitssystem wird zu rund 46 % von externen Quellen finanziert. Die Gesundheitsausgaben betrugen 3,82 % des BIP (ÖB 19.4.2023). Eine allgemeine Krankenversicherung existiert nicht (AA 12.1.2022). Die gambischen Einrichtungen konzentrieren sich auf städtische Gebiete. Dies erschwert den Zugang zur Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum, wo die traditionelle Heilkunst weit verbreitet ist. Traditionelle Heilkundige stellen auch im Allgemeinen die erste Anlaufstelle der Bevölkerungsmehrheit dar. Staatliche Krankenhäuser bieten zwar eine quasi kostenlose Versorgung, diese ist jedoch aufgrund mangelnder Ärzte, Geräte, Ausstattung und Medikamente unzureichend (IOM 7.2022; vgl. AA 12.1.2022). Insgesamt wird pro Einwohner eine Summe von 17,65 Euro veranschlagt, die jährlich auf Staatskosten für gesundheitliche Maßnahmen ausgegeben wird (LI o.D.d). Die Ärztedichte liegt bei 1,1 Ärzten pro 10.000 Einwohnern und 11 Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohnern (ÖB 19.4.2023; vgl. LI o.D.d). Somit stehen mit rund 291 ausgebildeten Ärzten in Gambia pro 1.000 Einwohner rund 0,11 Ärzte zur Verfügung (LI o.D.d). Dies hat die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten für die allgemeine Bevölkerung stark beeinträchtigt (IOM 7.2022). Auch im privaten Sektor ist nur eine begrenzte Diagnostik und Behandlung möglich. Die Versorgung ist besonders bei Notfällen, z. B. nach Autounfällen, aber auch im Falle eines Herzinfarktes oder eines Schlaganfalles sehr eingeschränkt (AA 18.9.2023). Jedoch kann durch die medizinische Versorgung die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten weitestgehend reduziert werden. So sterben nach aktuellem Stand nur etwa 21 % aller Menschen, die an Krebs, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen oder der Chylomikronen-Retentions-Krankheit (CRD) leiden (LI o.D.d). Da die Erbringung von Gesundheitsdiensten weiterhin stark beeinträchtigt ist, ist auch die Erbringung von psychiatrischen Diensten aufgrund des Personalmangels und der begrenzten Finanzierung des Gesundheitswesens sehr eingeschränkt (IOM 7.2022). Es existiert eine staatliche psychiatrische Einrichtung, in der es allerdings oft an Medikamenten und gelegentlich an Lebensmitteln fehlt (AA 12.1.2022; vgl. IOM 7.2022).
Die COVID-19-Pandemie hat die Schwächen des Gesundheitssystems vor Augen geführt, wobei seit Ausbruch der Krise die Bestrebungen zur Verbesserung des Gesundheitssystems mit Unterstützung internationaler Geber wie der EU intensiviert wurden. Erfolgreiche Programme zur Aidsbekämpfung sorgten dafür, dass die Aids-Rate in Gambia rückläufig ist und somit niedriger als im weltweiten Durchschnitt von neun Prozent liegt. Auch das Malaria-Kontroll-Programm Gambias gilt als vorbildlich für ganz Westafrika. Ebenfalls problematisch gestaltet sich die hohe Hepatitis B Infektionsrate, welche bei 8,8 % der Bevölkerung liegen soll. Dennoch sinkt die Infektionsrate aufgrund der Bemühungen zu einer hohen Durchimpfungsrate, derzeit sind rund 96 % der Bevölkerung gegen HepB3 geimpft (ÖB 19.4.2023).
Gängige Medikamente sind in der Regel in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen erhältlich und werden kostenlos abgegeben (IOM 7.2022). Einige der nicht erhältlichen Medikamente müssen jedoch in einer privaten Apotheke gekauft werden, sodass die meisten hoch entwickelten Medikamente nicht ohne Weiteres erhältlich sind. Aufgrund des besseren Zugangs zu medizinischer Versorgung stieg im Zeitraum 2001-2020 die durchschnittliche Lebenserwartung von 53,7 auf 62,61 Jahre (ÖB 19.4.2023).
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21. Rückkehr
Es existieren keine staatlichen Einrichtungen zur Aufnahme von Rückkehrerinnen und Rückkehrern (AA 12.1.2022). Rückkehrer werden in der Regel wieder durch die (Groß-)Familie aufgenommen. Allerdings werden Rückkehrer selten mit offenen Armen empfangen, da die meisten Familien sich für die Reise des Familienmitglieds nach Europa oft verschuldet haben. Die ökonomische Situation der Haushalte hat sich durch die COVID-Pandemie zusätzlich verschlechtert (ÖB 19.4.2023).
Im Dezember 2020 brachte die gambische Regierung ihre erste Nationale Migrationsrichtlinie ("National Migration Policy") auf den Weg, die als Orientierungsrahmen für die künftige nationale Migrationspolitik dienen sollte. Die Richtlinie befasst sich mit verschiedenen zentralen Migrationsdimensionen wie Binnen-, Arbeits-, Diasporamigration und Rückkehr; und wurde mit starker Unterstützung der IOM entwickelt (AA 12.1.2022). Mit Oktober 2022 hat IOM mehrere Meilensteine bei der Unterstützung der Migrationssteuerungsbemühungen der Regierung Gambias erreicht, wie technische Hilfe zur Einrichtung eines Nationalen Koordinierungsmechanismus für Migration (NCM), welcher im November 2019 ins Leben gerufen wurde. IOM trug auch zur Entwicklung der ersten eigenständigen Nationalen Migrationspolitik (NMP) Gambias bei, die im Dezember 2020 offiziell eingeführt wurde (IOM 2022).
Ferner hat IOM auch dazu beigetragen Richtlinien für den National Referral Mechanism (NRM) zum Schutz schutzbedürftiger Migranten, einschließlich Opfer von Menschenhandel; eine Arbeitsmigrationsstrategie; Ethische Einstellungsrichtlinien; ein Schulungshandbuch vor der Abreise; und verschiedene nationale Rahmenwerke und Standardarbeitsanweisungen (SOPs) zu Grenzmanagement, Gesundheit (einschließlich psychischer Gesundheit und psychosozialer Unterstützung (MHPSS)), Schutz unbegleiteter und getrennter Migrantenkinder sowie Rückkehr und Reintegration, einzuführen. Zwischen Januar 2017 und Oktober 2022 ermöglichte IOM die Rückkehr von mehr als 7.500 gambischen Migranten, von denen fast 6.000 Wiedereingliederungshilfe erhielten (IOM 2022).
Daneben gibt es allgemeine Berufsbildungs- und Förderungsprogramme, von denen auch Rückkehrende profitieren können. Rückkehrende bzw. rückgeführte Personen unterliegen keiner besonderen Behandlung (AA 12.1.2022).
Der lokale Partner der österreichischen Rückkehr-Beratung (BBU) in Gambia ist Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS). Das Reintegrationsprogramm bietet folgende Unterstützung bei der Reintegration nach der Rückkehr: Bei freiwilliger Rückkehr aus Österreich ins Heimatland, wird ein Post-arrival-Paket im Wert von 615 Euro zur unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft ausgehändigt. Das beinhaltet auch die Begrüßung durch den Reintegrationspartner (Caritas Belgien) direkt am Flughafen und Übergabe eines Willkommenspakets:
Pre-Paid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), 1 Flasche Wasser, 1 warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder; Airport Pick-up, bzw. Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), temporäre Unterkunft bis zu 3 Tage nach der Ankunft und Unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2023).
Benötigt eine rückgeführte Person keine oder weniger Sofortleistungen, wird der Betrag von 615 Euro vom lokalen Partner in Bar ausbezahlt (BMI 2023).
Bei längerfristiger Reintegrationsunterstützung erhalten Rückgeführte Personen ein Post-return Paket in der Höhe von 2.000 Euro. Davon 200 Euro Bargeld und 1.800 Euro in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mit Hilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten 6 Monaten nach der Rückkehr erstellt wird (BMI 2023).
Zu den angebotenen Sachleistungen des Post-return Pakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens; Bildungsmaßnahmen und Trainings; Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt; Unterstützung bei der Einschulung von mitausreisenden Kindern; Rechtliche administrative Beratungsleistungen; Familienzusammenführung; Medizinische und Psychosoziale Unterstützung und Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) (BMI 2023).
Minderjährige haben die Möglichkeit die Einrichtung des ‚Social Welfare Service‘ in Anspruch zu nehmen, in der vor allem junge Kinder untergebracht werden können (AA 12.1.2022).
Quellen:
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis wurde erhoben durch die persönliche Einvernahme der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.03.2025 und die Berücksichtigung des gerichtlichen sowie des verwaltungsbehördlichen Aktes. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde auch der Sohn der Beschwerdeführerin als Zeuge einvernommen. Weiters holte das Bundesverwaltungsgericht Auszüge aus dem zentralen Fremdenregister, der Grundversorgungsdatenbank, der Datenbank des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, dem zentralen Melderegister und dem Strafregister ein, hinsichtlich des im Bundesgebiet lebenden Sohnes wurden ebenfalls Auszüge aus dem zentralen Fremden- und Melderegister sowie Strafregister eingeholt (OZ 2).
2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:
Soweit in der gegenständlichen Entscheidung Feststellungen zum Namen, Geburtsdatum und der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin getroffen werden, beruhen diese auf den Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt, der mündlichen Verhandlung (EV, AS 47; VHS, 7 f) und der aktenkundigen Kopie ihres Reisepasses (AS 37), ihre Identität steht daher fest. In der mündlichen Verhandlung gab die Beschwerdeführerin an, dass sie zwar wisse, wann sie geboren sei und dass auch die Daten auf der Karte stimmen würden, sie könne es nur nicht beschreiben. Dazu erklärte die anwesende Dolmetscherin, dass in der Sprache der Beschwerdeführerin das Geburtsdatum nicht in Monaten, sondern nach Jahreszeiten angegeben werde (VHS, 7) und wird diese Erklärung auch bei der Würdigung der weiteren Angaben der Beschwerdeführerin, sofern sie die genaue Nennung von Daten betrifft, berücksichtigt.
Die Feststellung zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit beruht auf den gleichbleibenden und glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin im Verfahren (EV, AS 47; VHS, 8). Die Beschwerdeführerin gab ebenso gleichbleibend an, dass ihre Erstsprache Mandingo sei, sie könne aber nicht bzw. nur sehr wenig lesen und schreiben (EB, AS 19; EV, AS 47 und 49; VHS, 3 und 11); aus ihren Angaben ergeben sich auch ihre Kenntnisse weiterer afrikanischer Sprachen, in denen sie sich verständigen kann. Die Beschwerdeführerin legte im Verfahren mehrere Bestätigungen vor, dass sie in Österreich einen Alphabetisierungskurs abgeschlossen hat und einen weiteren Deutschkurs besucht, weshalb festgestellt werden konnte, dass sie Deutsch lernt (EV, AS 47; AS 53 ff; weitere Bestätigungen in OZ 6).
Der Familienstand der Beschwerdeführerin ergibt sich aus ihren gleichbleibenden Angaben im Verfahren (EB, AS 17; EV, AS 48; VHS, 9 ff) und wurde dieser durch die Angaben ihres Sohnes bestätigt (VHS, 19 ff).
Die Feststellung zum Geburtsort der Beschwerdeführerin war aufgrund ihrer Angaben und den Daten in ihrem Reisepass zu treffen (EB, AS 17; VHS, 8; AS 37). Die Beschwerdeführerin gab auch glaubwürdig an, nach der Eheschließung gemeinsam mit ihrem Mann in XXXX gelebt zu haben (EV, AS 48; VHS, 8). Nach dessen Tod im Jahr 2018 verblieb sie im Haus des verstorbenen Ehemannes, hielt sich zuletzt aber auch immer wieder bei Freunden und Bekannten in verschiedenen Orten auf, um der Familie und insbesondere jenem Bruder, der sie heiraten wollte, zu entkommen (VHS, 13 ff). Die Feststellung zu ihrem verstorbenen Ehemann, den Eltern und dem Bruder beruht auf ihren glaubwürdigen Angaben im Verfahren (EV, AS 48; VHS, 8 f) und ist es in Hinblick auf das Alter der Beschwerdeführerin auch nachvollziehbar, dass ihre Eltern und deren Geschwister bereits verstorben sind. Aufgrund der Angaben des als Zeugen befragten Sohnes der Beschwerdeführerin steht fest, dass dieser Gambia bereits als Jugendlicher verlassen hat (VHS, 21); dass die Beschwerdeführerin kein konkretes Jahr angeben konnte (VHS, 9), ist unter Berücksichtigung ihrer mangelnden Schulbildung nachvollziehbar. Zumal sie in ihren Einvernahmen zwar generell wenige Daten konkret angeben konnte, jedoch in der mündlichen Verhandlung immer bemüht war, vollständige und nachvollziehbare Angaben zu machen und zu keiner Zeit der Eindruck entstand, dass sie etwas verschleiern wollte, ergibt sich letztendlich ein stimmiger Gesamteindruck, sodass sich dies für die Beschwerdeführerin nicht nachteilig auswirkt. Aus den vorigen Ausführungen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin in Gambia nicht mehr über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt. Die Familie ihres verstorbenen Mannes kann im konkreten Fall nicht für das Bestehen eines familiären bzw. sozialen Netzes herangezogen werden, da gerade von dieser die Verfolgungsgefahr ausgeht (siehe dazu Feststellungen und Beweiswürdigung zum Fluchtgrund unter Punkt II.1.2. und II.2.3.).
Die Feststellung zur Schulbildung und der fehlenden Alphabetisierung der Beschwerdeführerin beruht auf ihren gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben im Verfahren (EB, AS 19; EV, AS 48 f; VHS, 11) und ergibt dies in Hinblick auf ihre in einfacher Ausdrucksweise gehaltenen Angaben ein stimmiges Bild, ebenso, dass die Beschwerdeführerin in Österreich zunächst mehrere Alphabetisierungskurse besuchte (vgl. dazu vorgelegten Bestätigungen in OZ 6). Die Beschwerdeführerin gab in der mündlichen Verhandlung an, dass sie als Färberin bei einem Verein für Frauen gearbeitet habe, diese Arbeit sei aber nicht regelmäßig gewesen, sie habe damit nur wenig Geld verdient, „nicht mehr als € 5 alle paar Tage“. Für ihren Lebensunterhalt sei ihr verstorbener Mann aufgekommen, nach seinem Tod habe sie begonnen, am Markt mit Gemüse zu handeln. Als Schneiderin habe sie nichts verdient (VHS, 12). Auch in Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin angab, im Alter von ca. XXXX Jahren geheiratet zu haben, erscheint es stimmig, dass sie keinen Beruf erlernt hat und somit nur Gelegenheitsarbeiten ausüben konnte, um vor allem nach dem Tod ihres Mannes etwas Geld zu verdienen. Zudem ist es glaubwürdig, dass sich ihre wirtschaftliche Situation auch deshalb verschlechterte, weil die Auszahlung des Erbes nach ihrem verstorbenen Ehemann davon abhängt, dass sie die Leviratsehe eingeht (vgl. dazu Angaben der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung: VHS, 10 und 16). Auch aus den Länderberichten ergibt sich, dass die Lebenshaltungskosten und die Preise für Güter des täglichen Gebrauchs in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind (LIB, 32).
Die Feststellungen zur Ausreise der Beschwerdeführerin und dem Datum der Antragstellung im Bundesgebiet werden aufgrund des Erstbefragungsprotokolls getroffen (EB, AS 23 f und 19), zumal die Beschwerdeführerin aus den bereits angeführten Gründen nicht in der Lage ist, ein konkretes Datum zu benennen. Bei dem Vermerk im Erstbefragungs- und Sicherstellungsprotokoll, dass sich im Reisepass ein Einreisestempel vom „27.12.2029“ Flughafen Lissabon befinde (AS 17 und 36), kann es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin nur um einen Tippfehler handeln, da das Datum in der Zukunft liegt. Falls der Beschwerdeführerin diese Passagen rückübersetzt wurden, ist es aus den bereits angeführten Gründen nicht verwunderlich, dass ihr dieser „Fehler“ nicht aufgefallen ist.
Die Beschwerdeführerin gab bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt an, sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung zu befinden (EV, AS 47) und wurde dies in der Beschwerde genauer ausgeführt (vgl. Beschwerdeschriftsatz, AS 113). Im Rahmen der Mitwirkungspflicht legte die Beschwerdeführerin vor der mündlichen Verhandlung einen Befund und zwei Arztbriefe vor (OZ 6). Aus dem aktuellen Arztbrief ergeben sich die festgestellten Diagnosen sowie die regelmäßig medizinische Behandlung der Beschwerdeführerin und die Empfehlung, das Heben und Tragen von schweren Gegenständen, extreme körperliche Belastung und stressige Situationen zu vermeiden (vgl. Arztbrief vom XXXX 2025 in OZ 6) und werden dadurch die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrem Gesundheitszustand (EV, AS 47; VHS, 6) bestätigt. Aus den festgestellten Erkrankungen und Beeinträchtigungen sowie dem zuvor erwähnten Arztbrief ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin nur eingeschränkt arbeitsfähig ist.
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet bei ihrem Sohn und dessen Familie lebt beruht auf den eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister (zur Beschwerdeführerin vom 24.03.2025 und zum als Zeugen einvernommenen Sohn vom 18.02.2025, beide in OZ 2). Der Sohn der Beschwerdeführerin gab an, seit 2016 in Österreich zu leben (VHS, 19) und Vater von zwei Kindern zu sein (VHS, 20), sein Aufenthaltstitel ergibt sich aus den Eintragungen im Zentralen Fremdenregister (Auszug vom 31.10.2023 im Handakt). Aufgrund der vorgelegten Kursbesuchsbestätigungen steht fest, dass die Beschwerdeführerin in Österreich bereits Alphabetisierungs- und Deutschkurse besucht hat (AS 53 ff; weitere Bestätigungen in OZ 6), die aktuellste Bestätigung betrifft einen Kurs Deutsch A0, der bis 25.03.2025 – also einen Tag vor der mündlichen Verhandlung – dauerte (Teilnahmebestätigung vom 20.01.2025 in OZ 6).
Der derzeitige fremdenrechtliche Status der Beschwerdeführerin steht aufgrund der Einsichtnahme in das Fremdenregister fest (IZR-Auszug vom 24.03.2025, OZ 2).
Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin steht aufgrund der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich fest (Auszug vom 24.03.2025, OZ 2).
2.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:
2.3.1. Die Beschwerdeführerin gab zu ihrem Fluchtgrund befragt bei der Erstbefragung an, dass sie nach Österreich gekommen sei, um mit ihrem Sohn zusammen zu leben. Sie habe keine Möglichkeit mehr, in Gambia zu leben. Ihr Leben hänge von ihrem Sohn ab (EB, AS 27).
Vor dem Bundesamt gab die Beschwerdeführerin an, dass sie keine Familienangehörigen oder Verwandte in Gambia habe. Sie sei verwitwet und gebe es niemanden, der sie unterstützen könne (EV, AS 49). Sie habe dort keine Existenz. Die Familie ihres Mannes würde sie wegen der muslimischen Tradition zwangsverheiraten. Auf Nachfrage gab sie an, dass es zunächst eine Zeit dauern würde, bis man verheiratet werde und dann sei sie immer wieder umgezogen, um der Zwangsehe zu entgehen (EV, AS 51). Angemerkt wird, dass die Einvernahme der Beschwerdeführerin von einem Mann geleitet wurde und auch der Dolmetscher männlich war (EV, AS 45). Auch nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Zwangsehe und des im Raum stehenden Eingriffs in ihre sexuelle Integrität erfolgte keine Aufklärung über die Möglichkeit, dass die Einvernahme von einer Frau weitergeführt wird (EV, AS 51).
In der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt vor, dass die Probleme begonnen hätten, als ihr Mann verstorben sei. Die Familie habe gewollt, dass sie einen der Brüder heirate. Sie wolle den Bruder aber nicht heiraten. Sie sei auch unter Druck gesetzt worden, dass sie den Bruder heiraten müsse, um das Erbe ihres Mannes zu bekommen (VHS, 14). Die Brüder hätten sie auch bedrängt, jeder habe versucht, „sie zu haben“ (VHS, 15). Manchmal sei der Bruder ihres Mannes auch zu ihr ins Zimmer gekommen, er habe mit ihr schlafen wollen. Das habe sie nicht gewollt, sie sei dann immer weggegangen und für einige Tage bei Freundinnen untergekommen (VHS, 13). Sie habe ihnen erzählt, was passiert sei. Manche ließen sie bei sich wohnen, andere nicht. Sie habe dann Magenprobleme und Kopfschmerzen bekommen, es sei ihr einfach zu viel geworden (VHS, 14).
2.2.2. Das Bundesamt begründete das Nichtvorliegen einer asylrelevanten Gefährdung im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin keine individuelle Verfolgung bzw. asylrelevante Fluchtgründe vorgebracht habe. Sie habe ausschließlich persönlich Gründe angegeben, dass sie bei ihrem Sohn in Österreich leben wolle (vgl. angefochtener Bescheid, S 22 f). Die Beschwerdeführerin sei im Falle einer Rückkehr auch keiner Verfolgungsgefährdung im Sinne des Art.3 EMRK ausgesetzt, sie könne durch eigene Arbeitsleistung mit Hilfe der Grundversorgung ihren Lebensunterhalt sichern (vgl. angefochtener Bescheid, S 23). Eine Rückkehrentscheidung sei jedoch auf Dauer unzulässig, da die Beschwerdeführerin in Österreich ein schützenswertes Familienleben führe (vgl. angefochtener Bescheid, S 23 und 28 f).
2.3.2. Vorweg ist festzuhalten, dass die Befragung der Beschwerdeführerin sowohl in der Erstbefragung als auch vor dem Bundesamt ausschließlich von Männern in Anwesenheit männlicher Dolmetscher geführt wurde. Als die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt eine ihr drohende Zwangsheirat vorbrachte, wurde dieses Vorbringen nicht aufgegriffen und ihr in Hinblick auf einen möglichen Eingriff in ihre sexuelle Integrität keine Befragung durch eine weibliche Referentin angeboten. Dieser Umstand ist in Hinblick auf die Würdigung ihres Fluchtvorbringens in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt zu berücksichtigen.
In der mündlichen Verhandlung waren nur Frauen anwesend, sodass die Beschwerdeführerin auf Nachfragen auch die für die Entscheidungen wichtigen Aspekte ihrer Fluchtgeschichte vorbrachte, obwohl es ihr sichtlich unangenehm war. Wie bereits unter Pkt. II.2.2. angemerkt, hat die Beschwerdeführerin keine Bildung erfahren, ihre Ausdruckweise ist daher verhältnismäßig einfach, wobei sie dennoch immer versuchte, ihre Angaben nachvollziehbar vorzubringen. Es entstand für die erkennende Richterin zu keiner Zeit der Eindruck, dass die Beschwerdeführerin absichtlich ungenaue Angaben machte, um etwas zu verschleiern. Dies zeigt sich auch darin, dass die Beschwerdeführerin immer angab, dass sie etwas nicht so genau erklären könne oder ihr Sohn es genauer wisse (vgl. z.B. VHS, 7, 9, 10, 11) und nur bei wenigen Fragen angab, dass sie es nicht wisse (vgl. z.B. VHS, 9, 12), vor allem konkrete Fragen jedoch auch gezielt beantwortete. In einer Gesamtbetrachtung ergab sich aus ihren Angaben und ihrem Aussageverhalten unter Berücksichtigung des Alters, der mangelnden Schulbildung und der erfahrenen Sozialisation als Mädchen bzw. Frau in Gambia jedoch ein stimmiges Gesamtbild, sodass die Beschwerdeführerin insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck vermittelte.
Wie bereits zuvor unter Pkt. II.2.2. ausgeführt, steht unzweifelhaft fest, dass die Beschwerdeführerin verwitwet ist und dass sie nach dem Tod ihres Ehemannes und der Ausreise ihres Sohnes keine männlichen Familienangehörigen mehr in Gambia hat. Die einzigen männlichen Personen, zu denen sie aufgrund ihrer Ehe einen Bezug hat, sind die Brüder und weitere Familienangehörige ihres verstorbenen Ehemannes. Von diesen kann sie jedoch keinen Schutz erwarten, da die Gefahr gerade von diesen ausgeht. Die Beschwerdeführerin hat glaubwürdig vorgebracht, dass die Familie nach dem Tod ihres Ehemannes an sie herangetreten ist und sie aufgefordert hat, einen Bruder zu heiraten. Diese besondere Form der Zwangsehe, die Leviratsehe bzw. das Levirat, ist in Gambia eine religiöse, gesellschaftliche akzeptierte Praxis. Das Levirat wird als Form sexueller Gewalt eingestuft (vgl. Bericht zu geschlechtsspezifischer Gewalt von RFLD vom Juni 2024, II.K.a.1.2. (S. 178), abrufbar unter https://www.ecoi.net/de/dokument/2119523.html). Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Gambia weit verbreitet und von einer Kultur des Schweigens und weitgehender Straflosigkeit umgeben. Auch wenn mittlerweile eine Strafverfolgung für Zwangsehen, Vergewaltigung und sexuelle Belästigung gesetzlich vorgesehen ist, werden diese Delikte wegen Diskriminierung, sozialem Stigma und Furcht vor Vergeltung nur sehr selten zur Anzeige gebracht (vgl. dazu LIB, 25 und die darin genannten Quellen: Briefing Notes Zusammenfassung, BAMF 30.06.2023, 5; Asylländerbericht ÖB, 25 f). Auf Nachfragen brachte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung ausführlich vor, dass sie zunächst in dem Haus geblieben sei, in dem sie mit ihrem Ehemann gelebt habe. Das Haus gehöre der Familie ihres verstorbenen Mannes, seine Brüder würden dort wohnen. „Die Probleme“ hätten dann angefangen und sei es ihr zu viel geworden, deshalb sei sie immer wieder für mehrere Tage zu Freundinnen gegangen. Auf Nachfrage, ob sie dies genauer erklären könne, gab die Beschwerdeführerin an, dass der Bruder ihres Mannes sie heiraten habe wolle. Manchmal sei er dann zu ihr ins Zimmer gekommen und habe mit ihr schlafen wollen. Das habe sie aber nicht gewollt, deshalb sei sie zu Leuten gegangen, die sie gekannt habe und habe gefragt, ob sie ein paar Tage bei ihnen bleiben könne. Sie habe ihnen auch erzählt, was passiert sei. Manche hätten sie bei sich bleiben lassen, andere nicht. Es sei ihr dann alles zu viel geworden, sie habe auch gesundheitliche Beschwerden bekommen (VHS, 13 f). Es war für die Beschwerdeführerin auch vor anderen Frauen sichtlich nicht leicht, über diese sehr privaten Themen zu sprechen, es regte sie auf und nahm sie emotional sehr mit (VHS, 14), weshalb die Verhandlung auch für kurze Zeit unterbrochen wurde. Die Beschwerdeführerin gab auf Nachfrage weiter an, dass sie von den Brüdern immer wieder bedrängt worden wäre, auch sexuell (VHS, 15). Wenn die Brüder auch zu Hause gewesen seien, habe sie sich nur in ihrem Zimmer aufgehalten, sie habe die Türe geschlossen und sich ganz ruhig verhalten. Erst wenn die Brüder das Haus verlassen hätten, habe sie sich nach draußen getraut. Sie sei auch psychisch unter Druck gesetzt worden, sie hätten ihr gesagt, dass sie wie eine Prostituierte sei, wenn sie nicht heiraten würde, außerdem würden sie und ihr Sohn das Erbe ihres Mannes nicht bekommen, wenn sie den Bruder nicht heirate (VHS, 15). Auf Nachfrage gab sie an, dass die Familie ihres Mannes sie auch weiter verfolgen würde, wenn sie auf das Erbe verzichten würde, sie würden es nicht erlauben, dass sie unverheiratet bliebe (VHS, 16). Die Familie ihres verstorbenen Ehemannes sei sehr konservativ, auch sie habe sich anpassen müssen und das tun, was ihr gesagt worden sei (VHS, 17). Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin wurde von ihrem als Zeugen einvernommenen, und somit unter Wahrheitspflicht stehenden Sohn bekräftigt. Er gab an, dass sie in einem großen Haus gewohnt hätten, dass der Familie des Vaters gehöre. Seine Mutter habe Gambia verlassen, weil die Brüder des Vaters sie heiraten wollten. Die Regeln ihrer Kultur seien anders. Es sei ein Muss, dass die verwitwete Ehefrau den Bruder des verstorbenen Mannes heirate (VHS, 19 f). Auf Nachfrage, ob sie niemand anderen heiraten dürfe oder ob sie sich sonst gegen diese Heirat wehren könne, gab der Zeuge an, dass dies nicht möglich sei. Wenn der Vater verstorben sei, müsse man den Bruder heiraten. Nur wenn es keine Brüder gebe, dürfe die Frau selbst entscheiden. Seine Mutter habe sich nicht dagegen wehren können, sie sei auf die Familie angewiesen gewesen, da sie sonst niemanden dort habe (VHS, 21). Die Familie seines Vaters sei sehr einflussreich in Gambia, die Familie sei auch sehr groß. Die Familie stamme aus XXXX , es würden aber bis zu 15 Personen im Familienhaus wohnen, um z. B. die Schule in XXXX zu besuchen (VHS, 22).
Der Beschwerdeführerin hat ihr Fluchtvorbringen glaubwürdig geschildert und gibt es auch vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderberichte keinen Grund, an der Glaubhaftigkeit zu zweifeln. Die Beschwerdeführerin wurde bereits vor ihrer Ausreise Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt durch die Familie ihres verstorbenen Ehemannes, konkret durch die Brüder. In Gambia hat sie keine männlichen Familienangehörigen, die sie vor der drohenden Zwangsheirat beschützen könnten und geht aus den zuvor zitierten Länderberichten auch hervor, dass sie auch von staatlicher Seite keinen effektiven Schutz erwarten kann. Für die Beschwerdeführerin besteht daher aufgrund ihrer individuellen Umstände im Falle einer Rückkehr nach Gambia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die reale Gefahr, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden, da sie sich als alleinstehende, verwitwete Frau nicht dauerhaft und effektiv gegen die Leviratsehe mit einem der Brüder ihres verstorbenen Mannes wehren kann.
Weitere Anhaltspunkte für eine aktuelle, individuelle und konkrete Verfolgung der Beschwerdeführerin aus anderen Konventionsgründen sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat Gambia:
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation in Gambia stützen sich im Wesentlichen auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Gambia in der Fassung vom 21.11.2023, sowie die darin angeführten Quellberichte, wie z. B. den Asylländerbericht zu Gambia der Österreichischen Botschaft vom April 2023. Da diese aktuellen Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.
3.2. Zu A)
3.2.1. Zur Zuerkennung des Status der Asylberechtigten:
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (Genfer Flüchtlingskonvention) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Art. 9 der Statusrichtlinie lautet:
(1) Um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, muss eine Handlung
a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und
f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe d muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).
Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat kann die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Asylwerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009; 29.03.2023, Ra 2023/14/0067, jeweils mwN).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 10.04.2020, Ra 2019/19/0415, mwN).
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist einer der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonventin festgelegten Gründe, an die die asylrelevante Verfolgungsgefahr anknüpft. Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu werten (VwGH 31.01.2001, 99/20/0497).
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der Beschwerdeführerin, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:
Im Fall der Beschwerdeführerin sind XXXX und XXXX als ihre Herkunftsregion anzusehen, da sie im ersten Ort geboren und aufgewachsen ist und somit von dort abstammt, jedoch im zweiten Ort nach ihrer Heirat bis zur Ausreise mehr als zwanzig Jahre ihren Lebensmittelpunkt hatte.
Wie zuvor beweiswürdigend dargelegt, konnte die Beschwerdeführerin eine begründete Frucht vor einer individuellen und konkreten Verfolgung glaubhaft machen.
Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Gambia haben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Gambias einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen kann allerdings bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, etwa bei Fehlen eines sozialen oder familiären Netzwerkes, Asylrelevanz erreichen.
Im konkreten Fall der Beschwerdeführerin liegen – wie zuvor beweiswürdigend ausgeführt – solche maßgeblichen individuellen Umstände vor. Die Beschwerdeführerin war in Gambia nach dem Tod ihres Ehemannes bereits geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, sie wurde von den Brüdern ihres verstorbenen Ehemannes sexuell belästigt und unter Druck gesetzt, mit einem von ihnen die Leviratsehe – eine Form der Zwangsehe, bei der eine verwitwete Frau einen Bruder ihres verstorbenen Ehemannes heiraten muss – einzugehen. Eine Vorverfolgung ist als ernsthafter Hinweis für die Begründetheit der Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Statusrichtlinie und damit als Indiz für eine mögliche Verfolgung anzusehen (VwGH 18.07.2022, Ra 2021/18/0416); wenngleich eine Vorverfolgung für sich genommen auch nicht hinreichend ist (VwGH 07.03.2023, Ra 2022/18/0284). Wie zuvor festgestellt und ausgeführt, ist die Leviratsehe eine Form der Zwangsehe, die in Gambia aus religiösen und gesellschaftlichen Konventionen heraus praktiziert wird, so auch von der sehr konservativen Familie des verstorbenen Ehemannes. Es gibt keine Zweifel daran, dass die Beschwerdeführerin verwitwet ist und außerhalb der Familie ihres verstorbenen Mannes, von der die konkrete Gefahr ausgeht, keine Familienangehörigen mehr in Gambia hat. Ihr fehlt es daher an einem familiären Netzwerk, das sie möglicherweise vor dieser Zwangsehe beschützen könnte. Die Beschwerdeführerin erleidet daher im Fall ihrer Rückkehr zweifellos eine relevante Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a und f der Statusrichtlinie 2011/95/EU.
Die Beschwerdeführerin ist weiblich, alleinstehend und verwitwet und weist damit angeborene Merkmale und einen unveränderlichen Hintergrund im Sinne der Definition einer sozialen Gruppe auf. Aufgrund dieser Eigenschaften, die sie mit vielen anderen Frauen in derselben Situation teilt, wird sie von der Gesellschaft als Teil einer Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität wahrgenommen. Die besondere gesellschaftliche Stellung dieser Frauen findet auch ihren Niederschlag im gambischen Familienrecht, das Frauen nicht den gleichen Rechtsstatus und die gleichen Rechte in Bezug auf Adoption, Heirat, Scheidung, Beerdigung und Vererbung von Eigentum einräumt. Das gambische Familienrecht stützt die gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Frauen und trägt zur Wahrnehmung von alleinstehenden und verwitweten Frauen als Gruppe mit eindeutig andersartiger Identität bei. Die Beschwerdeführerin ist daher Teil der Gruppe von verwitweten, alleinstehenden Frauen mit deutlich abgegrenzter Identität und damit Teil dieser sozialen Gruppe im Sinne des Art. 10 Abs. 1 lit d der Statusrichtlinie.
Die Verfolgung der Beschwerdeführerin durch geschlechtsspezifische Gewalt in der Form der Leviratsehe hat ihre Ursache im gemeinsamen Hintergrund dieser sozialen Gruppe.
Bei den Verfolgern handelt es sich mitunter auch um nicht-staatliche Akteure, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Wie zuvor ausgeführt bieten weder der Staat noch im Staat gelebtes Gewohnheitsrecht der Beschwerdeführerin auch nur ansatzweise Schutz vor dieser Verfolgung.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG 2005 besteht aufgrund der auf das gesamte Staatsgebiet von Gambia ausgedehnten Problematik nicht.
Im gegenständlichen Fall sind zusätzlich die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl, nämlich eine glaubhafte Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund, insofern gegeben, als es der Beschwerdeführerin, wie in der Beweiswürdigung dargelegt, gelungen ist, eine (drohende) Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der verwitweten, alleinstehenden Frauen die gefährdet sind, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden, glaubhaft zu machen.
Da im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe hervorgekommen sind, die Beschwerdeführerin insbesondere unbescholten ist, war der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.
3.2.2. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem betroffenen Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen der Höchstgerichte.