Spruch
W153 2284537-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Jemen, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.08.2024, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger des Jemen, reiste am 22.12.2021 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Bei der Erstbefragung am 23.12.2021 gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass er den Jemen im Jahr 2016 verlassen habe, da dort Krieg herrsche und es keine Sicherheit gebe. Im Falle der Rückkehr habe er Angst vor dem Krieg und seiner Zukunft.
Am 23.08.2023 fand eine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt. Der BF gab zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Vater, ein Universitätsprofessor aus XXXX und bekannter Oppositioneller, aufgrund seiner politischen Haltung ins Visier der Huthi geraten sei. Im Jahr 2014 hätten Angehörige der Huthi versucht, seinen Vater zu ermorden. Nach dem Anschlag sei die Familie des BF ins Dorf der Großeltern geflohen, und sein Vater mit einem Diplomatenvisum nach Saudi-Arabien gereist. Im September 2014 seien der BF und sein Bruder von den Huthis entführt und für einen Tag festgehalten worden. Die Familie sei damals unter Druck gesetzt, und der BF dazu aufgefordert worden, sich den Huthis anzuschließen, was er jedoch abgelehnt habe. Am 16.11.2015 sei er erneut von den Huthis verhaftet worden, jedoch nach neun Tagen aufgrund einer Intervention seines Vaters beim ehemaligen Gouverneur der Region wieder freigelassen worden. Daraufhin habe sein Vater Visa für die Familie besorgt, und gemeinsam hätten sie den Jemen in Richtung Saudi-Arabien verlassen. Im Falle der Rückkehr drohe dem BF Verfolgung durch die Huthis aufgrund der politischen Aktivität seines Vaters. Der BF gab zudem an, im Jahr 2019 in den Süden des Jemens gereist zu sein, um zu heiraten. Auch dorthin könne er jedoch nicht zurückkehren, da er im Süden aufgrund seiner Herkunft aus dem Norden verfolgt werde.
Mit Bescheid des BFA vom 11.12.2023 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem BF jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
Gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides vom 11.12.2023 hat der BF am 08.01.2024 Beschwerde erhoben. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem BF aufgrund seiner oppositionellen politischen Gesinnung, seines sunnitischen Glaubens, seines langjährigen Aufenthalts in Saudi-Arabien sowie der Verwandtschaft zu seinem Vater, der als politischer Akteur gegen den damaligen Präsidenten Ali Abdullah Salih und die schiitischen Huthi-Rebellen aktiv war, eine asylrelevante Verfolgung durch die Huthis drohe.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) führte am 22.08.2024 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch im Beisein der Rechtsberatung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der BF wurde zu seinen Fluchtgründen befragt und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, alle Gründe darzulegen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des BF:
Der BF trägt den im Spruch genannten Namen und ist Staatsangehöriger des Jemen, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Arabisch. Das nunmehr angegebene Geburtsdatum ist nicht plausibel.
Er wurde in der Stadt XXXX , Jemen, geboren, wuchs dort auf und besuchte 11 Jahre lang die SchuleZwischen 2014 und 2015 lebte er im Ort XXXX im Haus seiner Großeltern väterlicherseits. Anfang 2016 verließ der BF den Jemen und lebte für drei Jahre mit seiner Familie in Saudi-Arabien, wo er die Maturaprüfung ablegte und als Buchhalter arbeitete. Im Dezember 2019 kehrte er, nach Erhalt eines Visums für die Türkei, in den Jemen zurück und heiratete standesamtlich in der im Südwesten des Landes gelegenen Hafenstadt XXXX . Im Sommer 2020 reiste er legal und vor Ablauf seines türkischen Visums, jedoch ohne seine Ehefrau, aus dem Jemen in die Türkei. Im Oktober 2021 reiste er illegal nach Griechenland und gelangte im Dezember 2021 schlepperunterstützt nach Österreich. Im April 2024 reiste der BF für drei Monate nach Ägypten.
Der BF stammt aus sozial- und ökonomisch guten Verhältnissen. Sein Vater arbeitete als Universiätsprofessor und Diplomat.
Der BF hat keine Kinder. Seine Ehefrau hält sich derzeit in XXXX , Ägypten, auf. Die volljährigen Geschwister des BF leben unbehelligt im Jemen. Ein körperlich behinderter Bruder lebt bei der Großmutter mütterlicherseits in XXXX , wo auch seine verheiratete Schwester wohnt. Ein weiterer Bruder ist beim Militär und lebt in XXXX im Einflussgebiet der legitimen Regierung. Der Vater des BF lebt zusammen mit der Mutter des BF sowie den zwei minderjährigen Brüdern in der Türkei. In Europa leben Cousins des BF in den Niederlanden.
Der BF hat zu sämtlichen Familienmitgliedern Kontakt.
Der BF ist gesund und strafrechtlich unbescholten.
Mit Bescheid des BFA vom 11.12.2023 wurde dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt.
Zu den Fluchtgründen des BF:
Es wird festgestellt, dass der BF eine individuelle Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat Jemen nicht glaubhaft machen konnte. Insbesondere eine konkrete Verfolgung des BF durch die Huthis wegen der politischen Tätigkeit seines Vaters konnte nicht plausibel dargelegt werden. Eine politische Tätigkeit des BF selbst wurde ebenfalls nicht dargelegt. Es gibt keine Hinweise, dass der BF abseits der durch den Bürgerkrieg gegebenen allgemeinen Gefahren einer individuellen Verfolgung oder Gefährdung ausgesetzt wäre.
Es wird weiters festgestellt, dass dem BF auch keine Verfolgung aus anderen Gründen, wie wegen seiner Rasse, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Gesinnung droht.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat werden auszugsweise die Feststellungen zur Situation in Jemen aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 09.08.2023 wiedergegeben:
Politische Lage
Die heutige Republik Jemen entstand im Mai 1990 durch den Zusammenschluss der Arabischen Republik Jemen (Nordjemen) mit der Demokratischen Volksrepublik Jemen (Südjemen) (EB 28.7.2023; vgl WHH 24.3.2023). Gemäß dem Einigungsvertrag fungiert Sana’a, die frühere Hauptstadt des Nordjemen als die politische Hauptstadt des Landes, während Aden, die frühere Hauptstadt des Südjemen, als wirtschaftliches Zentrum dient. Die beiden Teile des Jemen haben eine unterschiedliche Geschichte: Während der Nordjemen nie unter kolonialer Verwaltung durch eine europäische Macht stand, war der Südjemen von 1839 bis 1967 Teil des Britischen Weltreichs. Die heutigen Grenzen sind weitgehend das Ergebnis der außenpolitischen Ziele und Maßnahmen Großbritanniens, des Osmanischen Reichs und Saudi-Arabiens. Seit der Wiedervereinigung leidet der Jemen unter chronischer Korruption und wirtschaftlicher Not. Spaltungen aufgrund von Religion, Stammeszugehörigkeit und Geografie spielen in der jemenitischen Politik weiterhin eine wichtige Rolle und führen bisweilen zu Gewalt (EB 28.7.2023). Im Mai 1994 mündete der Versuch des Südens, die staatliche Unabhängigkeit wieder herzustellen, in einen kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg, der die Hegemonie des Nordens im vereinten Jemen bestätigte und zementierte (BPB 3.1.2020; vgl. WHH 24.3.2023). Im Jahr 2014 übernahmen die Huthi – Schiitischen, die sich in der Vergangenheit immer wieder gegen die sunnitische Regierung erhoben hatten – die Kontrolle über Sana’a und forderten eine neue Regierung (CRF 31.7.2023; vgl. WHH 24.3.2023).
In der Verfassung wurden die Rechte und Institutionen festgeschrieben, die im Regelfall mit jenen einer liberalen parlamentarischen Demokratie verbunden sind (EB 28.7.2023). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der den Vizepräsidenten und den Premierminister ernennt (Art. 106). Der in direkter Volkswahl gewählte Präsident (Art. 108) wird für höchstens zwei Amtszeiten von je sieben Jahren gewählt (Art. 112) und von einem Kabinett unterstützt (Art. 119). Die Legislative besteht aus zwei Kammern (EB 28.7.2023): dem Repräsentantenhaus, dessen Mitglieder alle sechs Jahre in allgemeinen Wahlen gewählt werden (Art. 65), und dem al-Shūrā-Rat (Beirat), dessen Mitglieder vom Präsidenten ernannt werden (Art. 126). Das Repräsentantenhaus ist die gesetzgebende Behörde des Staates. Er erlässt Gesetze, billigt die allgemeine Staatspolitik, genehmigt den Staatshaushalt und die Wirtschaftspläne und kontrolliert die Exekutive gemäß der Verfassung (Art. 62). Die Verfassung (ausgenommen Kapitel 1 und 2) kann mit einer Dreiviertelmehrheit des Repräsentantenhauses geändert werden (Art. 158) (JEME 1991).
Das Land ist in Gouvernements (muḥāfaẓāt) gegliedert (LGY 7.8.2023; vgl. CP 25.9.2022), deren Gouverneure vom Präsidialrat (Presidential Leadership Council, PLC) ernannt werden (HRITC 7.4.2022; vgl CEIP 9.6.2022). Die Gouvernements haben ihren eigenen Rat (ISPI 13.7.2022; vgl. EB 28.7.2023). Sowohl im Norden als auch im Süden ging der Trend dahin, den Gouvernements ein hohes Maß an Autonomie einzuräumen. Allerdings fehlen im Jemen die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Durchführung effizienter Kommunalwahlen (EB 28.7.2023).
Auf nationaler Ebene gibt es eine Reihe aktiver politischer Parteien, deren Zusammensetzung und Mitgliedschaft jedoch gesetzlich geregelt ist. Parteien, die sich auf Faktoren wie regionale, stammesbezogene, konfessionelle oder ethnische Zugehörigkeit stützen, sind ausdrücklich verboten. Jede Partei muss eine Lizenz von einem staatlichen Ausschuss beantragen, um legal zu existieren (EB 28.7.2023). Nach 1990 wurden 22 Parteien zugelassen. Darunter zählen der Allgemeine Volkskongress (AVK), die Jemenitische Sozialistische Partei (JSP), die al-Islah (ʽdie Jemenitische Versammlung für Reformen’, eine sunnitisch-islamistische Partei, lokaler Ableger der Muslimbruderschaft mit salafistischen Einflüssen), die Nasseritische Unionistische Partei (NUP) und weitere sozialistische Organisationen (SCSS 7.2.2022; vgl. EB 28.7.2023; BAMF 7.3.2023). Die in den 1990er Jahren aktive Al-Ḥaqq-Partei (ʽDie wahre Partei’) vertrat die Interessen einer in den 1980er Jahren entstandenen Wiederbelebungsbewegung der Zaiditen (schiitischer Zweig des Islam); sie führte zum Aufstieg der Huthi-Bewegung, deren Rebellion in den 2010er Jahren zu einem Bürgerkrieg eskalierte (EB 28.7.2023; vgl. BAMF 7.3.2022).
Das Gesetz gibt den Bürgern die Möglichkeit, ihre Regierung friedlich durch freie und faire regelmäßige Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zu wählen (USDOS 20.3.2023). Die letzten Parlamentswahlen fanden im Jahr 2003 statt (WC 6.1.2022; IPS 16.3.2023). Mehr als zwanzig Parteien nahmen daran teil. Die AVK gewann die überwältigende Mehrheit der Sitze (WC 6.1.2022). Aktuell leben dutzende Vertreter politischer Parteien im Exil in Ägypten, Saudi-Arabien, der Türkei, Jordanien und Malaysia (IPS 16.3.2023).
Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Frauen oder Angehörigen von Minderheitengruppen am politischen Prozess einschränken, und sie haben an vergangenen Wahlen teilgenommen. Personen der LGBTQI+-Gemeinschaft haben nicht offen am politischen Prozess teilgenommen. Im Laufe des Jahres 2022 bekleidete keine Frau einen Ministerposten in der Regierung. Sie sind weiterhin in der Zivilgesellschaft aktiv (USDOS 20.3.2023).
Im Jahr 2015 setzten die Huthi die Verfassung außer Kraft, lösten das Parlament auf und kündigten die Bildung eines ernannten obersten Revolutionskomitees als höchstes Regierungsorgan an. Mit den Huthi verbündete Mitglieder des Allgemeinen Volkskongresses kündigten die Bildung eines obersten politischen Rates und die Wiedereinberufung des Parlaments in Sana’a an, gefolgt von der Ankündigung einer „Regierung der nationalen Rettung“. Die Huthi-Regierung und ihre Institutionen werden international nicht anerkannt – Parlamentswahlen haben nicht stattgefunden. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Jahr 2003 statt (USDOS 20.3.2023).
Die international anerkannte Regierung Jemens hat das Parlament 2019 in Sayoun zum ersten Mal seit 2015 wieder einberufen, aber seitdem ist das Parlament nicht wieder zusammengetreten (USDOS 20.3.2023).
Am 7.4.2022 übergab Präsident Abd Rabbo Mansour Hadi die Macht an einen neuen achtköpfigen Präsidialrat (PLC) unter der Leitung des ehemaligen Innenministers Rashad Muhammad al-Alimi (USDOS 20.3.2023; vgl. BMZ 28.3.2023a). Der PLC ist die derzeitige international anerkannte Regierung des Jemen (PGN 11.3.2023), fungiert als Exekutivorgan (USDOS 20.3.2023) und stellt sich gegen die De-facto-Behörden der Huthi (AI 27.3.2023). Dem Präsidialrat gehören Vertreter einer Reihe wichtiger militärischer und politischer Persönlichkeiten an (AI 27.3.2023) – eine Kombination von Vertretern international anerkannter Institutionen und Anführern bewaffneter Gruppen mit territorialer Kontrolle (CEIP 9.6.2022). Das sind der Gouverneur von Mar’ib, der Präsident des Südlichen Übergangsrats (Southern Transitional Council, STC), der Anführer der National Resistance Forces (NRF), der Stabschef des Präsidialamts, der Gouverneur von Hadramaut, der Kommandeur der Giantes Brigades (GB) und der Parlamentsabgeordnete Othman al-Mujali (SCSS 3.5.2022).
Allerdings herrscht im Präsidialrat (PLC) Uneinigkeit (ICG 4.5.2023; vgl. SCSS 9.2022). Da die hier vertretenen Kräfte alle ihre eigene Agenda haben und zum Teil miteinander verfeindetet sind, gestaltet sich ihre Zusammenarbeit als schwierig (WHH 24.3.2023). Der STC, der einige südliche Landesteile – vor allem rund um die Hafenstadt Aden – kontrolliert, setzt sich für eine Unabhängigkeit des Südens ein (BMZ 28.3.2023a). Einige weitere im Präsidialrat vertretene Fraktionen fordern wirtschaftliche Autonomie, welche der STC ablehnt. Nicht zuletzt konkurrieren selbst Mitglieder des Präsidialrates wegen politischer und wirtschaftlicher Interessen um Ministerposten. Schließlich sind alle Fraktionen des PLC von der wichtigsten diplomatischen Initiative, von den vom Oman vermittelten Gesprächen zwischen den Huthi und Riad, ausgeschlossen (ICG 4.5.2023) [s. Kapitel 4.3.].
Auch das Huthi-Lager ist fraktioniert. Die Huthi üben Macht durch Subgruppen aus, die alle auch wirtschaftliche Interessen haben (DS 11.4.2023).
Das Königreich Saudi-Arabien an der Spitze einer Koalition aus sunnitisch regierten arabischen Staaten griff im März 2015 in den Konflikt ein. Wichtigster Partner in dieser Allianz sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), welche andererseits auch den Südlichen Übergangsrat (STC) unterstützen und mittelfristig die Unabhängigkeit des Südjemens vom Nordjemen anstreben. Die saudisch-geführte Koalition wird auf internationaler Ebene insbesondere von den USA und auch Großbritannien militärisch unterstützt. Andererseits werden die Huthi schon seit vielen Jahren vom Iran unterstützt, u.a. finanziell, logistisch und auch in zunehmendem Maße durch die Lieferung von Waffen (WHH 24.3.2023).
Auf dem Index der fragilen Staaten 2023 (der NGO Fund for Peace) steht der Jemen auf dem zweiten Rang (FSI 2023). Seit der Einnahme der Hauptstadt Sana’a durch die Huthi im September 2014, in manchen Regionen jedoch schon seit 2011 und davor, tobt im Jemen ein gewaltsamer Konflikt um die politische Macht und den Zugang zu Ressourcen (WHH 24.3.2023). Die Hauptkriegsparteien, die Huthi und die international anerkannte Regierung, an deren Seite Saudi-Arabien steht, setzen Gespräche im Rahmen eines informellen Waffenstillstands fort (ICG 4.5.2023). Eine der dringlichsten Herausforderungen im Jemen ist die Notwendigkeit einer stabilen und effektiven staatlichen Struktur (CIPE 11.2.2023). Ein einheitlicher Nationalstaat existiert im Jemen nicht mehr – die Regierung hat die Kontrolle über weite Teile des Landes verloren. Reformen, insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und politische Teilhabe, sind erforderlich (BMZ 28.3.2023b). Der Konflikt im Land hat dazu geführt, dass es in vielen Gebieten keine funktionierenden Regierungsinstitutionen gibt, was zu einem Machtvakuum und einer Verbreitung bewaffneter Gruppen geführt hat (CIPE 11.2.2023).
Sicherheitslage
Nicht-staatliche Akteure wie die Huthi, Stammesmilizen und terroristische Gruppen (darunter al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel und ein lokaler Ableger vom Islamischen Staat (IS)), begehen ungestraft Übergriffe. Vor dem von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenstillstand setzte Saudi-Arabien seine Militäroperationen zur Unterstützung der international anerkannten Regierung des Jemen gegen die Huthi fort (USDOS 20.3.2023). Der sechsmonatige vereinbarte Waffenstillstand lief zwar offiziell im Oktober 2022 aus, wurde aber für den Rest des Jahres inoffiziell fortgesetzt; auch schränkte er die Aktivitäten an der Front ein und führte zu einer vollständigen Einstellung der Luftangriffe (CIMP 3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023).
Wirksame Mechanismen zur Untersuchung und Verfolgung von Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte fehlen (USDOS 20.3.2023).
Die militärischen Entwicklungen während des Jahres 2022 lassen sich im Großen und Ganzen in drei Phasen unterteilen: Im ersten Quartal kam es zu verstärkten grenzüberschreitenden Angriffen der Huthi-Truppen, die von der Koalition zur Wiederherstellung der Legitimität im Jemen militärisch beantwortet wurden. Die zweite Phase war eine fragile sechsmonatige Waffenruhe, die am 2.10.2022 endete. In der dritten Phase nach dem Waffenstillstand wurde der Frieden erneut gestört, und die Verhandlungen zur Verlängerung des Waffenstillstands gestalteten sich schwierig (UNSC 21.2.2023).
Am 2. April 2022 stimmten die Konfliktparteien einem UN-Vorschlag für einen zweimonatigen landesweiten Waffenstillstand zu, der anschließend alle zwei Monate bis zum 2.10.2022 verlängert wurde (AI 27.3.2023). Während des Waffenstillstands und nach dessen Ende verübten die Konfliktparteien jedoch sporadisch Angriffe auf zivile Gebiete und Frontlinien in den Gouvernements Maʿrib, al-Hudaida, Ta’izz und Ad-Dāliʿ (AI 27.3.2023; vgl. UNSC 21.2.2023). Zu den positiven Ergebnissen des Waffenstillstands gehörten die Wiederaufnahme der Einfuhr von Öl und Ölderivaten über den Hafen von al-Hudaida, wodurch der Bedarf der Menschen, in den von den Huthi kontrollierten Gebieten gedeckt werden konnte, sowie die Wiederaufnahme einer begrenzten Anzahl kommerzieller Flüge von Sanaa aus. Die Regierung erlaubte die internationale Reise von Personen mit von den Huthi ausgestellten Reisepässen, wodurch Personen aus humanitären Gründen ins Ausland reisen konnten (UNSC 21.2.2023).
Die Konfliktparteien hatten die Waffenruhe auch als strategische Pause genutzt, um ihre Streitkräfte neu zu formieren und mit Nachschub zu versorgen, bevor es zu neuen Kampfhandlungen kam. Die Huthi führten militärischen Operationen an verschiedenen Fronten durch, auf die die Regierungstruppen reagierten. Diese kosteten Zivilisten das Leben und beschädigten die zivile Infrastruktur (UNSC 21.2.2023).
Landminen und explosive Kriegsmunitionsrückstände sind seit dem Rückgang der Kämpfe im Anschluss an das im April 2022 ausgelaufene Waffenstillstandsabkommen vom letzten Jahr zu einem immer wichtigeren Thema geworden (UNSC 31.7.2023). Durch den Rückgang der Kampfhandlungen kehren immer mehr Personen in die ehemaligen Kampfgebiete zurück, die zum Teil stark vermint sind (BAMF 10.7.2023).
Der Nationale Verteidigungsrat der jemenitischen Regierung verabschiedete am 22. Oktober die Resolution Nr. 1 von 2022, in der die Huthi als terroristische Organisation bezeichnet werden (UNSC 21.2.2023).
Diverse Streitkräfte und ihre internationalen Unterstützer
Die regierungsnahen Kräfte werden von Saudi-Arabien finanziert und sind entlang der Grenze zu Saudi-Arabien, in Ma’rib und in Teilen von Ta’izz stationiert. Auch in den Provinzen Hadramaut und al-Mahra sind diese Kräfte stark vertreten, waren aber in der Praxis kaum in den Bürgerkrieg involviert. Die Provinzen im Süden werden von verschiedenen Kräften beherrscht, die in erster Linie ihren eigenen und den regionalen Interessen ihres finanziellen Unterstützers, der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), dienen. Mehrere der von den VAE finanzierten Kräfte sind mit der separatistischen Bewegung des Südlichen Übergangsrates (STC) verbunden, die in den letzten Jahren ihre Position in Aden und den umliegenden Provinzen gefestigt hat. Darüber hinaus finanzieren die VAE die Joint Forces in den Küstengebieten der Provinz Ta’izz und die Hadrami Elite Force in den Küstengebieten von Hadramaut (Landinfo 15.6.2023).
Königreich Saudi-Arabien (KSA): KSA finanzieren Kämpfer der ehemaligen Volkskomitees/Söhne von Abyan, um Einheiten aufzubauen, die den westlichen Teil des Gouvernements Abyan vor den Toren Adens kontrollieren können. Die Strategie Saudi-Arabiens konzentriert sich um Aden auf die Organisation salafistischer Kräfte. Neben der Nation Shield Force (NSF) und den Subaiha-Stammesangehörigen finanzieren die Saudis auch die Amajid-Brigade in Abyan (MEI 31.1.2023).
Vereinigte Arabischen Emirate (VAE): Die VAE gelten allgemein als Unterstützer des Südlichen Übergangsrates (STC), obwohl sie auch ein enger Verbündeter von Saudi-Arabien sind, das die al-Islah-Partei unterstützt (PGN 11.3.2023). Die VAE unterstützen einige bewaffnete salafistische Gruppen, die um territoriale Kontrolle ringen (MEI 31.1.2023).
Islamische Republik Iran: Iran unterstützt die Huthi schon seit vielen Jahren, u.a. finanziell, logistisch und auch durch Waffenlieferung (WHH 24.3.2023; vgl. ICG 29.12.2022; UNSC 21.2.2023), was Saudi-Arabien als Bedrohung ansieht (ICG 29.12.2022). Die Huthi sind jedoch entgegen saudischer Wahrnehmung kein von Iran aus gesteuerter Akteur; sie nehmen zwar Ratschläge aus dem Iran an, haben aber auch immer wieder entgegen iranischen Empfehlungen gehandelt (WHH 24.3.2023).
Nation Shield Force (NSF): Saudi-Arabien hat seit Ende 2022 neue bewaffnete Formationen in Aden und den angrenzenden Gouvernoraten aufgestellt, wie die Nation Shield Force (NSF) (früher bekannt als al-Yemen al-Saeed Forces), die ihnen untersteht. Ende Januar 2023 erklärte der Vorsitzende des Präsidialrates (PLC) Rashad al-Alimi die NSF durch ein Dekret zu einer militärischen Reserveeinheit, die seiner direkten Aufsicht untersteht und somit nicht dem Verteidigungsministerium untersteht (MEI 31.1.2023; vgl. SCSS 9.3.2023). Die NSF besteht hauptsächlich aus Stammesangehörigen von al-Subaiha (die den Subaiha-Widerstand gegen die Huthi im westlichen Lahidsch leiten), hat eine salafistische Ausrichtung und folgt separatistischen Zielen. Die Stammeszugehörigkeit führt manchmal zu Verbindungen zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen. Aufgrund lokaler Streitigkeiten stellen sich die Subaiha-Stammesangehörigen gegen die Southern Transitional Council (STC) (MEI 31.1.2023).
Bislang wurden die Einheiten der NSF nach Ad-Dāliʿ, Abyan und Lahidsch entsandt (SCSS 9.3.2023).
Southern Transitional Council (STC): Der STC tritt für die Abspaltung vom Zentralstaat ein, bekämpft die von Saudi-Arabien unterstützte al-Islah-Partei und pflegt Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), insbesondere auf der Führungsebene. Die Führung des separatistischen STC setzt sich hauptsächlich aus Personen aus dem Gouvernement Ad-Dāliʿ zusammen, die 1986 an der Seite von Lahidsch im Bürgerkrieg in der Demokratischen Volksrepublik Jemen gekämpft haben (MEI 31.1.2023).
Zu den STC gehören die Security Belt Forces (SBF), die Support and Reinforcement Brigades (SRB), die Facilities Protection Force (FPF) (MEI 31.1.2023) und die Saiqa Brigades (SB) (ACLED 6.4.2023).
„Joint Forces“ und/oder „National Resistance Forces“ (NRF): Die Streitkräfte setzen sich aus drei Hauptkomponenten zusammen: die Proregierungsgruppe Giants Brigades (USDOS 20.3.2023) oder Giants (GB), Guardians of the Republic (Republican Forces) (GR) und Tihama Popular Resistance (TPR). Sie werden jeweils von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt, wenn auch in unterschiedlichem Maße. (CARPO 15.4.2021).
Security Belt Forces (SBF): Die SBF werden von den VAE unterstützt und setzen sich hauptsächlich aus lokalen Aufständischen, Veteranen und Sympathisanten der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen (DVJ) zusammen (MEI 31.1.2023).
Support and Reinforcement Brigades (SRB): Die SRB unterstützen die Security Beld Forces in Aden und Lahidsch, haben aber eine eigene Befehlskette (MEI 31.1.2023).
Facilities Protection Force (FPF): Die FPF ist mit der Bewachung institutioneller Gebäude in Aden beauftragt (MEI 31.1.2023).
Shabwa Defense Forces (SDF): Die SRF ist eine Pro-regierungsgruppe (USDOS 20.3.2023) und wird von den VAE unterstützt (MEI 24.7.2023).
Hadrami Elite Forces (HEF): Die HEF werden von den VAE unterstützt und kontrollieren die Küste von Hadramaut (al-Mukalla). Sie streben nach regionaler Autonomie (MEI 24.7.2023).
Amajid-Brigade: Die 2019 gegründete und und in Abyan angesiedelte bewaffnete Gruppe Amajid-Brigade wird von Saudi-Arabien unterstützt, von einem salafistischen Scheich, Salih Salim al-Sharji, angeführt, schart Kämpfer aus dem ehemaligen salafistischen Dar al-Hadith-Institut in Saʿda um sich und wurde nie im Rahmen des nationalen Sicherheitssektors legalisiert (MEI 31.1.2023).
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP): AQAP ist in mehreren Regionen Jemens aktiv und kontrolliert zum Teil sogar kleinere Gebiete (BAMF 19.6.2023). Ende 2022 kam es zu einem deutlichen Anstieg der AQAP-Aktivitäten, welcher mit einer strategischen und geografischen Verlagerung von Angriffen auf Huthi-Kräfte in al-Baida hin zu Angriffen auf STC-Kräfte im Südjemen einherging. Die Gruppe ist derzeit hauptsächlich in Teilen der Provinzen al-Baida, Abyan und Shabwat aktiv (ACLED 6.4.2023).
Kampfhandlungen
Am 2.4.2022 begannen die Konfliktparteien den vom UN-Sondergesandten für Jemen, Hans Grundberg, vermittelten Waffenstillstand, der zweimal verlängert wurde, aber am 2. Oktober auslief. In den Monaten vor dem Waffenstillstand waren die bewaffneten Auseinandersetzungen und die wahllosen Bombardierungen eskaliert. Zwischen Oktober 2021 und April 2022 führte die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführte Koalition die meisten Luftangriffe seit Dezember 2018 durch (GCRP 1.3.2023).
Während des Waffenstillstands kam es zu keinen Luftangriffen der Koalition (GCRP 1.3.2023), aber in den Gouvernements Ma'rib, al-Hudaida, Baida und Ad-Dāliʿ zu gelegentlichen Zusammenstößen (UNSC 21.2.2023; vgl. GCRP 1.3.2023). Im September 2022 nahmen die verbündeten Kräfte des Südlichen Übergangsrates (STC) das gesamte südliche Gouvernement Shabwat ein und vertrieben alle Kräfte, die mit der von Saudi-Arabien unterstützten Islah-Partei verbunden sind (DAWN 14.6.2023).
Nach dem Ende des Waffenstillstands wurden keine größeren Militäroffensiven gestartet, aber an den Fronten in Ta’izz, Lahidsch und al-Hudaida kam es zu heftigen Zusammenstößen. Mehrere Bataillone der Giant Brigades (GB) wurden an die Grenze zwischen Ma'rib und Shabwat verlegt, während die Huthi zusätzliche Kräfte in den Süden von Ma'rib und in den Nordosten von Baida schickten. Im November 2022 wurden auch Zusammenstöße in Shabwat, Ma'rib, al-Baida, Ad-Dāliʿ und Abyan gemeldet (UNSC 21.2.2023).
Am 6.5.2023 flammten die Kämpfe um Ta’izz kurzfristig wieder auf. Dieser Angriff steht in einer ganzen Reihe von Versuchen der Huthi, in der Region mit schnellen, kleinen Vorstößen Stellungen zu übernehmen (BAMF 8.5.2023).
Am 10.6.2023 haben mehrere mutmaßliche al-Qaida-Kämpfer die Shabwat Defense Forces (SDF) in der Nähe der Stadt al-Musnaiyna (Gouvernement Shabwa) mit Maschinengewehren angegriffen. Nach mehreren Stunden zogen die Angreifer sich schließlich zurück (BAMF 19.6.2023; vgl. ICG 6.2023).
Im Juli 2023 griffen die Huthi Streitkräfte in den Gouvernements Ad-Dāliʿ, Süd- al-Baida und Ta’izz an (ICG 7.2023).
Dem Council on Foreign Relation zufolge bleibt das Niveau der Feindseligkeit zwischen den Konfliktparteien zumindest bis Juni 2023 niedrig (CFR 31.7.2023).
Friedensverhandlungen
Dem UN-Sondergesandten für den Jemen Hans Grundberg zufolge zeigen alle Konfliktparteien, dass sie Fortschritte zu einer Vereinbarung über humanitäre und wirtschaftliche Maßnahmen, einem dauerhaften Waffenstillstand und der Wiederaufnahme eines politischen Prozesses unter jemenitischer Führung erzielen wollen. Die Waffenruhe wirkt weiterhin, ein formeller Waffenstillstand ist jedoch notwendig (UN 17.5.2023).
Gemäß dem Riad-Abkommen von 2019 unterstehen alle Streitkräfte der international anerkannten Regierung und des Südlichen Übergangsrates (STC) während der Umsetzungsphase rechtlich der „direkten Aufsicht“ Saudi-Arabiens (MEI 31.1.2023). Am 9.4.2023 begannen Friedensverhandlungen zwischen den Huthi und Vertretern Saudi-Arabiens unter Vermittlung des Omans in Sana’a (BAMF 17.4.2023; vgl. MEI 31.1.2023). Der Besuch der saudischen Delegation in Sana’a erfolgte im Anschluss an die im März zwischen Saudi-Arabien und Iran geschlossene Vereinbarung zur Wiederherstellung der Beziehungen (REUTERS 14.4.2023; vgl. AL 7.7.2023). Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) waren bei den Verhandlungen ausgeschlossen (DAWN 14.6.2023; vgl. AL 7.7.2023), ebenso der Präsidialrat (PLC) und der STC (SC 15.6.2023). Letzterer unterstützt die Friedensinitiativen, steht aber bestimmten Bedingungen skeptisch gegenüber (REUTERS 14.4.2023).
Ziele der Verhandlungen waren u.a. die Erneuerung des im Oktober 2022 ausgelaufenen Waffenstillstandes, eine Aufhebung der saudischen Luft- und Seeblockade, das Ende der Besatzung von Ta’izz durch Huthi-Streitkräfte (BAMF 17.4.2023), die Auszahlung der Löhne im öffentlichen Dienst, Wiederaufbaubemühungen und der Abzug ausländischer Truppen aus dem Jemen (REUTERS 14.4.2023).
Die Verhandlungen endeten am 14.4.2023 ohne konkrete Ergebnisse (BAMF 17.4.2023). Größere Meinungsverschiedenheiten zwischen den Huthi und ihren jemenitischen Gegnern wurden nicht angesprochen (ICG 4.5.2023; vgl. UNSC 31.7.2023). Das hängt mit den fragilen Beziehungen zwischen den verschiedenen Fraktionen zusammen, die die Anti-Huthi-Kräfte bilden und die im PLC vertreten sind (UNSC 31.7.2023). Auch eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien in kritischen Finanzfragen fehlt (UN 17.5.2023). In den April-Verhandlungen wurden jedoch Berichten zufolge Fortschritte erzielt. Kurz danach erfolgte ein bereits im März beschlossener Gefangenenaustausch von über 800 Gefangenen zwischen den Kriegsparteien (BAMF 17.4.2023; vgl. ICG 4.5.2023).
Im Jemen besteht kein Konsens über die grundlegende Struktur für die Nachkriegszeit (SC 15.6.2023). Die Mitglieder des PLC sind uneins darüber, wie die Macht in den von ihnen kontrollierten Gebieten aufgeteilt werden soll: ob der Jemen ein einheitlicher Staat bleiben, in zwei Staaten aufgeteilt oder zu einer Föderation werden soll (und im letzten Fall mit wie vielen föderalen Regionen). Hinzu kommt, dass Saudi-Arabien und die VAE, die wichtigsten regionalen Unterstützer des PLC, gegensätzliche militärische Taktiken anwenden und nur die Position derjenigen Ratsmitglieder stärken, die ihre Interessen vertreten (ICG 4.5.2023).
Bislang haben Diplomaten versucht, die Legitimität des PLC auf der Weltbühne zu stärken, indem sie sich mit Ratsmitgliedern innerhalb und außerhalb des Landes trafen und sie auf internationalen Foren empfingen. Auch wollen die westlichen Vertreter, dass Riad den PLC in die Verhandlungen mit den Huthi einbezieht und die UNO die Führung übernimmt (ICG 4.5.2023).
Die regionalen und internationalen Bemühungen, die Notlage der Jemeniten zu beheben und einen dauerhaften Frieden zu schaffen, haben bisher nicht gefruchtet (CEIP 1.6.2023). Während die jüngste, von China vermittelte Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran die Hoffnung auf eine Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungswege geweckt hat (CEIP 1.6.2023; vgl. CRF 31.7.2023), haben die Jemeniten noch keine sinnvollen Friedensgespräche gesehen (CEIP 1.6.2023). Nach dem Treffen im April 2023 haben die Gespräche zwischen Saudi-Arabien und den Huthi noch immer nicht zu einem dauerhaften Waffenstillstand geführt, geschweige denn den Weg für Friedensgespräche mit einem endgültigen Status geebnet (DAWN 14.6.2023).
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor. aber es gibt keine Hinweise darauf, dass eine unabhängige Justiz in irgendeiner Form existiert. Sie ist anfällig für die Einmischung verschiedener politischer Gruppierungen und bewaffneter Gruppen (USDOS 20.3.2023; vgl. BTI 23.2.2022). Die Behörden setzen Gerichtsurteile, insbesondere gegen prominente Stammesführer oder Politiker, selten durch. In Ermangelung eines wirksamen Gerichtssystems greifen die Bürger häufig auf Formen der Stammesjustiz und des Gewohnheitsrechts zurück (FH 24.2.2022).
In vielen Regionen kann die Justiz ihre Aufgabe nicht erfüllen (BTI 23.2.2022). Die Strafgerichte in den von den Huthi kontrollierten Gebieten sind nach wie vor aktiv (FH 2023), das Justizsystem wird dort jedoch dem UN-Sicherheitsrat zufolge zur Unterdrückung jeglicher Opposition oder vermeintlicher abweichender Meinung instrumentalisiert (UNSC 26.1.2022). In einigen anderen Teilen des Landes bzw. in nicht von den Huthi kontrollierten Gebieten ist das Justizsystem weitgehend funktionsunfähig (FH 24.2.2022; vgl. UNSC 26.1.2022) und wird von den Sicherheitskräften weitgehend ignoriert (UNSC 26.1.2022). Die Gerichte können nicht unabhängig von der Gruppe arbeiten, die in dem jeweiligen Gebiet die Macht innehat, und manchmal übernehmen Milizen die Rolle der Justiz. Gerichte und Richter werden umgangen, ersetzt oder sogar angegriffen. Zwar funktionieren zumindest einige Gerichte in der Hauptstadt und in den Provinzhauptstädten noch, aber inwieweit die Verfahren fair sind oder einen Mindeststandard erfüllen, ist fraglich. Spezialisierte Gerichte verhängen immer mehr Todesurteile, verfolgen aber die Umsetzung ihrer Urteile nicht immer (BTI 23.2.2022).
Dem Gesetz nach gelten Angeklagte als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist. Die Gerichtsverhandlungen sind in der Regel öffentlich, aber alle Gerichte können „aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder der Moral“ geschlossene Sitzungen abhalten. Richter, die eine aktive Rolle bei der Befragung von Zeugen und Angeklagten spielen, entscheiden über die Strafsachen. Die Angeklagten haben das Recht, anwesend zu sein und sich rechtzeitig mit einem Anwalt zu beraten. Den Verteidigern ist es erlaubt, ihre Mandanten zu beraten, sich an das Gericht zu wenden und Zeugen und relevante Beweismittel zu befragen. Das Gesetz sieht vor, dass die Regierung mittellosen Angeklagten in schweren Strafsachen einen Anwalt zur Verfügung stellt; in der Vergangenheit ist dies nicht immer geschehen. Angeklagte können sich mit Zeugen, die gegen sie aussagen, konfrontieren oder diese befragen. Angeklagte können auch Zeugen und Beweise in ihrem Namen vorlegen. Die Angeklagten haben das Recht, zu einer Aussage oder einem Schuldbekenntnis nicht gezwungen zu werden, und können Rechtsmittel einlegen. Über die Einhaltung eines ordnungsgemäßen Verfahrens im Laufe des Jahres 2022 liegen nur wenige Informationen vor (USDOS 20.3.2023).
Ein weiteres spezielles Strafgericht, das Staatssicherheitsgericht, das nach anderen Verfahren in geschlossenen Sitzungen arbeitet, gewährt den Angeklagten nicht die gleichen Rechte wie die regulären Gerichte. Die Verteidiger in Sicherheitsfällen haben keinen uneingeschränkten Zugang zu den Anklagen oder Gerichtsakten ihrer Mandanten (USDOS 20.3.2023).
Zusätzlich zu den etablierten Gerichten gibt es ein Stammesjustizsystem für nicht-strafrechtliche Angelegenheiten. Stammesrichter, in der Regel angesehene Scheichs, urteilen häufig über nicht-strafrechtliche Fälle nach Stammesrecht, wobei es sich in der Regel um eine öffentliche Anklage handelt, ohne dass formell eine Anklage erhoben wird. Die Öffentlichkeit respektiert die Ergebnisse von Stammesverfahren oft mehr als das formelle Gerichtssystem, das von vielen als korrupt und unzureichend unabhängig angesehen wird (USDOS 20.3.2023).
Sicherheitsbehörden
Gemäß der Verfassung ist der Staat die Autorität, die die Streitkräfte, Polizei, Sicherheitskräfte und alle anderen Einrichtungen dieser Art zu schaffen hat. Keine Organisation, Einzelperson, Gruppe, politische Partei oder Organisation darf Streitkräfte oder paramilitärische Gruppen zu irgendeinem Zweck oder unter irgendeinem Namen aufstellen (Art. 36). Auch dürfen sie nicht im Interesse einer Partei, einer Einzelperson oder einer Gruppe eingesetzt werden, sondern sie habe ihre Aufgaben neutral und ordnungsgemäß zu erfüllen (Art. 40). Im Artikel 39 versteht sich die Polizei als eine zivile und reguläre Kraft, die ihre Aufgaben im Dienste des Volkes wahrnimmt und den Frieden und dessen Sicherheit garantiert. Sie bewahrt das Recht, hält die öffentliche Ordnung aufrecht, wahrt die guten Sitten, führt die Anordnungen der Justizbehörden aus und erfüllt die Aufgaben, die ihr durch die Gesetze und Vorschriften des Landes auferlegt werden. Zuständig für die Ernennung und Entlassung hochrangiger Militär- oder Polizeibeamter gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ist der Präsident der Republik (Art. 119) (JEME 1991).
Die wichtigsten Einrichtungen der international anerkannten jemenitischen Regierung, die für die innere Sicherheit zuständig sind, sind die Organisation für politische Sicherheit und das Nationale Sicherheitsbüro. Beide Organisationen sind per Gesetz dem Innenminister und anschließend dem Präsidenten unterstellt (USDOS 20.3.2023). Im September 2019 haben die Huthi die beiden seit langem bestehenden Nachrichtendienste zu einem einzigen Dienst mit der Bezeichnung „Sicherheits- und Nachrichtendienst" zusammengelegt (CTC 10.2022).
Die Kriminalpolizei, die die meisten strafrechtlichen Ermittlungen und Verhaftungen durchführt, die paramilitärischen Sondersicherheitskräfte und die Antiterroreinheit unterstehen ebenfalls dem Innenminister. Die Huthi-Kräfte kontrollieren die meisten der verbliebenen nationalen Sicherheitsorgane in Teilen des Nordens und andere ehemalige staatliche Einrichtungen. Die jemenitische Regierung besetzt die nationalen Sicherheitsbehörden in den von ihr kontrollierten Gebieten, obwohl große Gebiete, die nominell unter der Kontrolle der jemenitischen Regierung stehen, faktisch von Stammesführern und lokalen Militärkommandeuren kontrolliert werden. Der Südliche Übergangsrat (STC) und die mit ihm verbundenen bewaffneten Gruppen übernehmen die Verantwortung für die Sicherheit in weiten Teilen des Südens, einschließlich der vorübergehenden Hauptstadt der Regierung, Aden. Die zivilen Behörden haben keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 20.3.2023).
Zu den Militär- und Sicherheitskräften der international anerkannten Regierung gehören mehrere Organisationen aus dem Verteidigungs- und Innenministerium. Hinzu kommen die von Saudi-Arabien unterstützten paramilitärischen oder militärischen Kräfte, die sich weitgehend auf Stammes- oder regionale Zugehörigkeit stützen. Zu den von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützten Kräften gehören stammes- und regionenbezogene Milizen und paramilitärische Kräfte (vor allem in den südlichen Gouvernements) wie die Kräfte des STC. Nicht zuletzt verfügen die von Iran militärisch und politisch unterstützten Huthi über Milizen oder Stammeshilfstruppen (CIA 11.7.2023).
Die dem jemenitischen Verteidigungsministerium unterstellten Regierungstruppen sind für die territoriale Verteidigung zuständig, haben aber auch Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit (CIA 11.7.2023; vgl. USDOS 20.3.2023); ihr Hauptaugenmerk liegt auf den Huthi-Rebellen und dem Schutz der jemenitischen Seegrenzen (CIA 11.7.2023).
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung verbietet Folter und andere Misshandlungen dieser Art. Obwohl das Gesetz keine umfassende Definition von Folter enthält, gibt es Bestimmungen, die Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für wegen Folter verurteilte Personen vorsehen (USDOS 20.3.2023).
Willkürliche Inhaftierungen sind weit verbreitet, und in den letzten Jahren wurden Hunderte von Fällen dokumentiert. In vielen Fällen handelt es sich um erzwungenes Verschwindenlassen, ohne dass Informationen über den Status oder den Aufenthaltsort der Opfer vorliegen (FH 2023). Untersuchungen von Human Rights Watch und anderen Rechtsgruppen erbringen immer mehr Beweise für weit verbreitete willkürliche Verhaftungen, gewaltsames Verschwindenlassen sowie Misshandlungen und Folter in der Haft durch die Konfliktparteien (HRW 13.1.2022; vgl. UNSC 21.2.2023).
Korruption
Im Korruptionswahrnehmungsindex 2022 belegt der Jemen den Platz 176 von insgesamt 180 (TI 2022). Dies wirkt sich auf alle Aspekte der öffentlichen und privaten Aktivitäten aus (CESCR 23.3.2023).
Im Jemen werden Gesetze, Politiken und Verordnungen aktualisiert und geändert sowie neue Strategien und Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung eingeleitet (AWTAD 6.2022). Einige Fortschritte bei der Entwicklung von Rechtsvorschriften und Aufsichtsgremien für die Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption sind erzielt worden, aber es bestehen noch viele Lücken, insbesondere bei der tatsächlichen Umsetzung (UNCACC 17.8.2022). Unstimmigkeiten im Präsidialrat (PLC) der international anerkannten Regierung verhindern bisher dringend notwendige Reformen u.a. im Finanzsektor und bei der Korruptionsbekämpfung (BAMF 1.1.2023).
Die Korruption ist in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Regierung sowie unter nichtstaatlichen Akteuren, insbesondere im Sicherheitssektor gegenwärtig. Für die amtliche Korruption sind strafrechtliche Sanktionen vorgesehen, die aber nicht wirksam umgesetzt werden. Von Bewerbern für staatliche Stellen wird oft erwartet, dass sie sich ihre Position durch Bestechung erkaufen. Steuerprüfer z.B. nehmen routinemäßig zu niedrige Bewertungen von Grundstücken vor und stecken die Differenz ein. Zahlreiche Regierungsbeamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes, einschließlich Lehrer und Beschäftigte des Gesundheitswesens, werden aufgrund fehlender staatlicher Mittel nicht bezahlt, während die Gehaltslisten des öffentlichen Sektors weiterhin durch „Geisterarbeiter“ belastet werden. Diese erhalten Gehälter für Aufgaben, die sie nicht ausführen. Auch das öffentliche Auftragswesen ist regelmäßig von Korruption betroffen (USDOS 20.3.2023).
Die Huthi profitieren weiterhin von der Beschlagnahmung staatlicher Mittel, von Steuern auf den Unternehmenssektor und der Umleitung humanitärer Hilfe. Sie missbrauchen die ehemaligen Antikorruptionsbehörden, um abweichende Meinungen und politische Gegner zu unterdrücken (USDOS 20.3.2023).
Wehrdienst und Rekrutierungen
Gemäß der jemenitischen Verfassung regelt das Gesetz die Bedingungen für den Wehrdienst, die Beförderung und die Disziplinarverfahren in den Streit-, Polizei- und Sicherheitskräften. Der Verfassung zufolge ist die Verteidigung der Religion und des Vaterlandes eine heilige Pflicht, der Militärdienst eine Ehre. Der Nationaldienst ist gesetzlich zu organisieren (JEME 1991, Art. 36, 60).
Die Wehrpflicht wurde 2001 abgeschafft (CIA 11.7.2023; vgl. MBZ 8.2022). Das gesetzliche Mindestalter für den freiwilligen Wehrdienst ist 18 Jahre (CIA 11.7.2023). Die Rekrutierung von Soldaten für die jemenitische Regierungsarmee findet weitgehend auf lokaler Ebene statt (MBZ 8.2022).
Es kommt häufig zu Desertionen und regelmäßig zu Überläufen zu den Huthi-Rebellen (MBZ 8.2022). Der französischen Asylbehörde zufolge finden sich keine Hinweise auf besondere Behandlung der Überläufer im Falle von Rückkehr (OFPRA 17.2.2021). Auch verfolgt die jemenitische Regierung keine aktive Ermittlungs- und Strafverfolgungspolitik gegenüber Deserteuren (MBZ 8.2022). Das Gesetz sieht jedoch für jeden Angehörigen der Streitkräfte die Todesstrafe bei Weigerung, die Waffe zu tragen oder zu benutzen, beim Verstecken, Desertieren oder unerlaubtes Verlassen des Arbeitsplatzes sowie dabei, wenn jemand sich dem Feind freiwillig ergibt (NLB 12.10.1994, Art. 127).
Alle Konfliktparteien sind in die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten verwickelt, wenngleich die Huthi-Anführer bereits 2012 zugesagt hatten, den Einsatz von Kindersoldaten zu beenden, ebenso wie die Regierung 2014 (USDOS 20.3.2023). Die meisten Fälle von Kindersoldaten werden den Huthi-Kräften zugeschrieben (MHR 11.11.2022). Das Fehlen eines einheitlichen Systems für die Geburtenregistrierung erschwert den Altersnachweis, was mitunter zur Rekrutierung von Kindern zum Militär beiträgt (USDOS 20.3.2023).
Die Huthi haben ein Frauenbataillon namens Zainabiyat gegründet (CTC 6.2023) – benannt nach Zainab, einer Tochter des Propheten Muhammed (BAMF 7.3.2022). Sie rekrutieren Mädchen, welche beispielsweise als Teil der (ausschließlich weiblichen) Zainabiyat-Truppen als Informantinnen oder Sanitäterinnen eingesetzt werden (BAMF 7.3.2022).
Regelmäßig Opfer von Zwangsrekrutierung werden afrikanische Migranten im Jemen, Berichten zufolge insbesondere in den von den Huthi kontrollierten Gebiete (BAMF 20.2.2023).
Schließlich konzentrieren die Huthi sich auf die Bildung einer ideologischen Armee von Jugendlichen, rekrutieren sie in Nachbarschaften und Schulen und versorgen sie mit religiöser, kultureller und politischer Propaganda. Sie nutzen auch Einschüchterung und Zwang zur Rekrutierung. Den Familien der Jungen wird mit Gefängnis oder dem Vorwurf des Verrats gedroht, um sie zum Militär zu bringen (EUAA 3.3.2022).
Allgemeine Menschenrechtslage
Zu den vom Jemen ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen zählen: 1) die Konvention gegen Folter (CAT); 2) der Zivilpakt (ICCPR); 3) die Frauenrechtskonvention (CEDAW); 4) die Konvention gegen Rassismus (ICERD); 5) der Sozialpakt (ICESCR); 6) die Kinderrechtskonvention (CRC); 7) das Fakultativprotokoll zur Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten; 8) das Fakultativprotokoll betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie; und 9) die Behindertenrechtskonvention (CRPD) (OHCHR o.D.). Des Weiteren verbietet die jemenitische Verfassung die körperliche und psychische Folter (Art. 48). Sie gewährt jedem Jemeniten die Freiheit für die Ausübung bürgerlicher und politischer Rechte (Art. 107). Die Verfassung sieht die Frauen als die Schwestern der Männer und spricht ihnen Rechte und Pflichten zu, die durch die Scharia garantiert und durch das Gesetz festgelegt sind (Art. 31) (JEME 1991).
Dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zufolge begehen die Konfliktparteien, insbesondere die Huthi, schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsnormen. Weit verbreitet und systembedingt sind wahllose Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastrukturen, willkürliche Inhaftierungen, Misshandlungen und Folter, außergerichtliche Tötungen, konfliktbedingte sexuelle Gewalt, die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern in bewaffneten Konflikten sowie die Behinderung der Bereitstellung und Verteilung humanitärer Hilfe (UNSC 21.2.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Die 2012 durch den Präsidialerlass Nr. 140 eingerichtete Nationale Kommission für die Untersuchung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen ist mit der Einleitung formeller Untersuchungen von mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch alle Konfliktparteien beauftragt. Zwischen Januar 2021 und Juli 2022 untersuchte die Kommission landesweit 97 Fälle mutmaßlicher außergerichtlicher Tötungen. Davon wurden 42 Fälle von den Huthi, 23 Fälle von den von der Regierung unterstützten Militär- und Sicherheitskräften und 32 Fälle von anderen nicht-staatlichen Akteuren begangen (USDOS 20.3.2023).
Informationen über Einschränkungen der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sind nicht verfügbar. Diskriminierung aus Gründen der Rasse, des Geschlechts und einer Behinderung ist nach wie vor ein ernstes Problem in Beschäftigung und Beruf (USDOS 20.3.2023). Personen, von denen bekannt ist oder vermutet wird, dass sie LGBTQI+ sind, werden diskriminiert (USDOS 20.3.2023; vgl. AI 28.3.2023).
Einigen ethnischen Gruppen wie der Muhamaschun-Gemeinschaft und den Muwaladun (Bürger ausländischer Herkunft) begegnen soziale und institutionelle Diskriminierung aufgrund von Rasse, ethnischer Zugehörigkeit und sozialen Status (USDOS 20.3.2023).
Die Muhamashun (der arabische Begriff für Ausgegrenzte) werden im Jemen allgemein als „Akhdam“ (arabischer Begriff für Diener) bezeichnet und gelten als unterste soziale Schicht im Land (ACTED et al. 21.3.2023). Sie erbringen traditionell wenig prestigeträchtige Dienstleistungen und sind Diskriminierung im Bereich der Beschäftigung ausgesetzt (USDOS 20.3.2023; vgl. ACTED et al. 21.3.2023).
Der Begriff „Muwaladun“ wird im Jemen für Personen verwendet, bei denen ein Elternteil jemenitischer Herkunft und ein Elternteil ausländischer Herkunft ist (MBZ 8.2022). Die Muwalladun (häufig abwertend verwendeter Begriff) sind seit Jahrzehnten Zielscheibe diskriminierender Praktiken – Verweigerung von Staatsbürgerschaftsrechten, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, gesellschaftliche Stigmatisierung, manchmal kein Zugang zu Bildung (SCSS 18.7.2022) und im Bereich der Eheschließung (MBZ 8.2022).
Experten weisen auf gezielte Verfolgung religiöser Minderheiten durch Inhaftierung, Folter und Misshandlung in der Vergangenheit in den von den Huthi kontrollierten Gebieten hin (UNSC 31.7.2023).
Haftbedingungen
In den von den Huthi kontrollierten Gebieten werden Inhaftierte Tageslichtentzug, Isolationshaft, Demütigungen, Schlägen durch Stöcke und Kabel, Elektroschocks, mangelhafter Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie unzureichender medizinischer Behandlung ausgesetzt. Andererseits werden der international anerkannten Regierung u.a. Schläge, Beleidigungen und mangelhafte medizinische Versorgung vorgeworfen (BAMF 19.6.2023; vgl. HRW 13.1.2023). Auch werden Gefangene häufig in inoffiziellen Haftanstalten festgehalten (FH 2023).
Todesstrafe
Im Jemen darf ein Todesurteil nur vollstreckt werden, wenn es vom Präsidenten der Republik bestätigt wird (JEME 1991, Art. 123).
Das jemenitische republikanische Dekret von 1994 sieht die Todesstrafe in einer Reihe an Artikeln wie 126 – 128 etc. vor. Beispielsweise wird der Versuch, die Unabhängigkeit, Einheit oder territoriale Unversehrtheit der Republik zu verletzen, der Todesstrafe bestraft (NLB 12.10.1994, Art. 125). Weiters wird die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt, wenn der Widerstand gegen einen befehlshabenden Offizier zu dessen Tod geführt hat (Art. 226). Jeder Angehörige der Streitkräfte wird beim Desertieren oder freiwilligem Überlaufen zum Feind u.a. wegen feigen Verhaltens mit der Todesstrafe bestraft (Art. 227). Wer eine unfehlbare Seele vorsätzlich ermordet, wird mit der Todesstrafe bestraft, es sei denn, die begangene Tat wird vergeben (Art. 234). Wer sich von der Religion des Islam abwendet oder sie verleugnet, wird mit der Todesstrafe bestraft, nachdem er dreimal zur Reue befragt wurde und eine Frist von dreißig Tagen erhalten hat (Art. 259). Bei Homosexuellen ist es gesetzlich zulässig, sie mit einer Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr zu bestrafen, oder mit Steinigung, wenn sie verheiratet sind (Art. 264) (NLB 12.10.1994), jedoch sind keine Hinrichtungen von LGBTQI+ Personen in den letzten Jahren bekannt (USDOS 21.3.2023).
Todesurteile werden in Jemen nach Verfahren verhängt, die nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprechen. In den Jahren 2021 bzw. 2022 gab es 298 bzw. 78 Todesurteile und 14 bzw. 4 Hinrichtungen (AI 5.2023).
Bewegungsfreiheit
Die Freizügigkeit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung sind gesetzlich vorgesehen. Die Bewegungsfreiheit ist allerdings für alle Personen im Land, einschließlich der Flüchtlinge angesichts der Schäden an Straßen, Brücken und anderen grundlegenden Infrastrukturen sowie aufgrund von Kontrollpunkten und Straßensperren eingeschränkt. Kontrollpunkte an wichtigen Straßen werden von Proregierungskräften, den Huthi und Stammestruppen unterhalten. Reisende sind physischen Schikanen, Erpressungen, Diebstählen oder kurzfristigen Entführungen zur Erlangung von Lösegeld ausgesetzt. Die durch den Konflikt verursachten Schäden an infrastrukturellen Einrichtungen behindern den Waren- und Personenverkehr im ganzen Land, einschließlich der Lieferung von humanitärer Hilfe und kommerziellen Sendungen (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2023).
Die Zahl der Migranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern, die sich auf dem Weg nach Saudi-Arabien und in die Golfstaaten befinden, ist zwar geringer als zu Beginn der COVID-19-Pandemie, hat aber 2022 deutlich zugenommen (OCHA 12.2022).
Meldewesen und Dokumente
Die jemenitischen Meldebehörden verfügen nicht über Register, die ein vollständiges Bild der Bevölkerung vermitteln (Landinfo 27.6.2022). Laut dem US-amerikanischen Department of State gibt es keine allgemeine Geburtenregistrierung (USDOS 20.3.2023). Das Fehlen einer Geburtsurkunde schränkt den Zugang zu anderen staatlichen Dokumenten ein (USDOS 20.3.2023; vgl. BTI 23.2.2022), wobei ein relativ großer Teil der Bevölkerung keine Ausweispapiere hat (Landinfo 27.6.2022).
Nur wenige jemenitische Kinder werden bei der Geburt registriert (BTI 23.2.2022). Die meisten Geburten und Sterbefälle werden nicht rechtzeitig erfasst. Im Allgemeinen werden Geburten in den südlichen Provinzen häufiger registriert als in den nördlichen Provinzen. Ebenso sind die Geburtenregistrierung und der Besitz von Ausweispapieren in städtischen Gebieten weiterverbreitet als in ländlichen Gebieten (Landinfo 27.6.2022).
Nachdem die Huthi-Bewegung in Sana’a eingedrungen war und die Kontrolle über mehrere Standesämter und Passämter im Norden übernommen hatte, stellten die von ihr kontrollierten Ämter weiterhin zivile Dokumente, Personalausweise und Pässe aus. Die international anerkannte Regierung akzeptiert zivile Dokumente und Personalausweise, die in den von den Huthi kontrollierten Gebieten ausgestellt wurden, erkennt jedoch die so genannten Huthi-Pässe nicht als legale Reisedokumente an (Landinfo 27.6.2022).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung.
Zur Person des BF:
Die Feststellungen zur (Verfahrens-)Identität des BF ergeben sich aus seinen Angaben sowie den in Kopie vorgelegten Identitäts- und Ausbildungsdokumenten (AS 97 ff), insbesondere seinem jemenitischen Reisepass (AS 97) und den Eintragungen des im Original vorgelegten Reisepass seiner Mutter (Verhandlungsprotokoll vom 22.08.2024, im Folgenden: VHP Beilage ./1). Mangels Vorlage eines Personaldokumentes im Original steht seine genaue Identität nicht zweifelsfrei fest. Außerdem gab der BF verschiedene Geburtsdaten an. Das nunmehr angegebene Geburtsdatum der 1. Jänner ist unplausibel, zumal er bei der Erstbefragung ein genaues Datum angab. Im einzig vorgelegten Originaldokument, dem Reisepass der Mutter, ist nur das Geburtsjahr angegeben (VHP Seite 4).
Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen, seinen familiären Verhältnissen sowie seiner Schulbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen Angaben und den vorgelegten Unterlagen (AS 85 ff; AS 101 ff). Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln.
Die Feststellung zum vorübergehenden Aufenthalt des BF in Saudi-Arabien, seiner Rückkehr in den Jemen und der legalen Ausreise in die Türkei ergeben sich aus seinen nachvollziehbaren Angaben im Verfahren. Dass der BF nach seiner Rückkehr in den Jemen im Jahr 2019 in XXXX geheiratet hat, war ebenfalls auf grund seiner glaubhaften Angaben festzustelllen. Die Feststellungen zum Reiseweg des BF von der Türkei nach Österreich sowie zur später erfolgten Reise nach Ägypten ergeben sich aus den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung.
Die Feststellung, dass der BF aus sozial- und ökonomisch stabilen Verhältnissen stammt, ergibt sich aus seinen Angaben, wonach er in Saudi-Arabien nach Abschluss der Matura als Buchhalter gearbeitet habe (AS 87). Zudem reiste er 2024 von Österreich nach Ägypten und gab hierzu vor dem erkennenden Richter an, dass ihn die Reise „nur 1000 € gekostet“ habe (VHP, Seite 6), was ebenfalls den Schluss auf stabile soziale Verhältnisse zulässt. Er gab zudem an, dass sein Vater, der nach den Angaben des BF früher als Universitätsprofessor bzw. Diplomat tätig war und nun einem Akademikerrat in der Türkei vorsteht (VHP, Seite 7), seine Reise nach Österreich finanziert habe (AS 88). Den Angaben des BF, wonach er „nicht einmal aus der Mittelschicht“ stamme (VHP, Seite 7), war demnach kein Glauben zu schenken.
Die Feststellungen zum Aufenthaltsort seiner Familienangehörigen sowie zum Kontakt zu diesen ergeben sich aus den Angaben des BF (AS 84 f; VHP, Seite 9 ff). Die Feststellung zur beruflichen Tätigkeit des Vaters des BF ergibt sich aus seinen Angaben sowie aus den diesbezüglich in Kopie vorgelegten Dokumenten samt Deutscher Übersetzung (AS 125 ff, 179 ff).
Die Feststellung zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglichen Aussagen des BF. Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit konnte aufgrund der Einsicht in das Strafregister festgestellt werden.
Dass dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukommt, ergibt sich aus dem verfahrensgegenständlichen Bescheid (AS 193 ff).
Zu den Fluchtgründen des BF:
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich in der mündlichen Verhandlung persönlich davon überzeugen, dass das BFA zu Recht zur Ansicht gelangt ist, dass der BF keiner asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist.
Der BF gab im Rahmen seiner Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen an, dass im Jemen Krieg herrsche und es dort keine Sicherheit gebe. Aufgrund dieser Probleme habe er den Jemen auf legaler Weise in Richtung Saud-Arabien verlassen. Im Falle der Rückkehr habe er Angst vor dem Krieg und seiner Zukunft. Eine bereits erfolgte Verhaftung oder Folterung durch die Huthis sowie der Umstand, dass sein Vater ein bekannter Oppositionspolitiker sei und in der Vergangenheit einen Mordanschlag überlebt habe, wurden nicht vorgebracht.
Das Gericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des BF in der Erstbefragung nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG jedoch nicht. Im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen können Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben – unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind – einbezogen werden (VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0271, mwN). Es ist jedoch davon auszugehen, dass jemand, der derart einschneidende Erlebnisse wie Mordanschläge gegen Familienmitglieder sowie mehrtägige Verhaftungen und Bedrohungen durch die Huthis erlebt hat, dies unmittelbar nach seiner Einreise und Antragstellung angibt.
In der Einvernahme vor dem BFA gab der BF erstmals an, dass sein Vater im Jemen aufgrund seiner oppositionellen Einstellung und politischen Tätigkeiten ins Visier der Huthi geraten sei. Sein Vater, ein Universitätsprofessor aus XXXX und Diplomat, sei ein integraler Teil einer Revolution gewesen und habe in der Vergangenheit Akten über den ehemaligen jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag übergeben (AS 88, 90). Angehörige der Huthi hätten 2014 versucht, seinen Vater zu ermorden. Dieser habe den Anschlag jedoch überlebt und sei anschließend mit einem Diplomatenvisum nach Saudi-Arabien gereist. Der BF und der Rest seiner Familie hätten sich nach dem Mordanschlag im Dorf XXXX , im Haus der Großeltern väterlicherseits, versteckt (AS 88).
Im September 2014 sei das Haus der Großeltern von den Huthis nach dem Vater des BF durchsucht worden, und der BF sowie sein Bruder seien erstmals von den Huthis festgenommen worden. Am nächsten Tag sei der BF aufgrund der Behinderung seines Bruders wieder freigelassen worden. Die Familie sei damals unter Druck gesetzt worden, und der BF sei aufgefordert worden, sich den Huthis anzuschließen, was er jedoch abgelehnt habe (AS 89).
Am 16.11.2015 sei der BF erneut von den Huthis festgenommen und inhaftiert worden, weil man ihm vorgeworfen habe, sein Vater arbeite für die Feinde in Saudi-Arabien. Er sei nach dem Aufenthaltsort seines Vaters befragt und als Gegner der Huthis bezeichnet worden. Man habe von ihm verlangt, dass er seinen Vater anrufe und ihn auffordere, sich freiwillig zu stellen. Im Rahmen des Verhörs sei er gefesselt, geschlagen und anschließend in eine fensterlose Zelle gebracht worden. Nach sieben Tagen sei der BF von seinem Vetter, einem Mitglied der Militärpolizei, kontaktiert worden, der ihm mitgeteilt habe, dass er versuchen werde, den BF freizubekommen. Anschließend habe sein Vater alle seine Kontakte genutzt, und am neunten Tag sei der BF aufgrund der Intervention des ehemaligen Gouverneurs von XXXX freigelassen worden. Daraufhin sei er wieder in das Dorf seiner Großeltern gebracht worden, wo er einen Monat geblieben sei. Sein Vater habe dann Visa für einen Teil der Familie besorgt, und sie hätten schlepperunterstützt per Auto gemeinsam den Jemen in Richtung Saudi-Arabien verlassen (AS 89). Er habe anschließend in Saudi-Arabien gelebt, dort den Schulabschluss gemacht und als Buchhalter gearbeitet (AS 86).
Der BF gab nunmehr an, dass er im Jahr 2019 freiwillig und legal in den Jemen zurückgekehrt sei, um dort am 20.02.2020 in XXXX zu heiraten. Es sei ihm nicht möglich gewesen, ein Visum für seine Frau zu erhalten um sie in Saudi-Arabien oder der Türkei zu ehelichen. Er habe sich mindestens fünf Monate im Süden Jemens aufgehalten und habe sich alle für die Heirat erforderlichen Unterlagen ausstellen lassen können. Aus Angst, aufgrund seiner Herkunft aus dem Norden festgenommen zu werden, habe er jedoch sein Hotel nur selten verlassen und einen Freund gebeten, alle wichtigen Erledigungen für ihn zu tätigen (AS 90). Im Juli 2020 sei er dann legal in die Türkei ausgereist (AS 87).
Zu eigenen politischen Aktivitäten gab der BF an, dass er über Twitter und Facebook gepostet und an Demonstrationen im Jemen teilgenommen habe. Auf genauere Nachfrage erklärte er jedoch, dass er lediglich seinen Vater im Büro unterstützt habe und dass nicht er selbst, sondern sein Vater eine Funktion oder hervorgehobene Position innehatte (AS 90).
Auch in der mündlichen Verhandlung wiederholte der BF im Wesentlichen diese Fluchtgeschichte. Dabei führte der BF aus, dass er und seine in Saudi-Arabien aufhältigen Familienmitglieder bereits im Jahr 2019 ein Visum für die Türkei erhalten hätten, er im Gegensatz zum Rest der Familie aber in den Jemen gereist sei, um seine Frau zu heiraten (VHP, Seite 8). Zusätzlich führte er erstmals aus, dass er und sein Vater Einträge auf Social Media veröffentlichten, in denen sie die Huthis und deren Verbrechen kritisierten. Aufgrund dieser Kritik würde er im Falle einer Rückkehr verfolgt und getötet werden (VHP, Seite 10). Daneben gab er an, dass er im Sommer 2024 für drei Monate in Ägypten gewesen sei, um dort seine Ehefrau zu besuchen (VHP, Seite 6).
Zusammengefasst ist festzuhalten, dass der BF eine persönliche Verfolgung bzw. eine bereits erfolgte Verfolgung seiner Familie im Jemen in der Erstbefragung nicht erwähnte. Vor dem BFA führte er erstmals aus, dass sein aufgrund politischer Aktivität von den Huthis verfolgt werde und er aus diesem Grund selbst in deren Visier geraten sei. In der mündlichen Verhandlung führte der BF sodann erstmals weiters aus, dass er aufgrund von Social Media beiträgen von den Huthis verfolgt werde. Schon aufgrund dessen gestaltet sich das Vorbringen des BF als nicht glaubwürdig.
Insgesamt steigerte der BF sein Fluchtvorbringen kontinuierlich. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Auch vor diesem Hintergrund bestehen im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des BF.
Auch die Lebensumstände der im Jemen verbliebenen Familie des BF sprechen klar gegen eine asylrelevante Verfolgung. Zwei volljährige Geschwister des BF leben unbehelligt in XXXX , also direkt im Einflussgebiet der Huthis. Ein weiterer Bruder lebt ebenfalls im Jemen, was ebenfalls gegen die Annahme spricht, dass die Huthis eine gezielte Verfolgung der Familie durchführen. Besonders bemerkenswert ist, dass die Schwester des BF, nachdem sie bereits in der Türkei war, auf Anraten des Vaters zurück nach XXXX ging, um dort zu heiraten (VHP, Seite 10). Dies steht in direktem Widerspruch zu der Behauptung, der Vater habe seinen Kindern verboten, in den Jemen zurückzukehren, weil ihnen dort Verhaftung drohe (AS 90). Auch die Mutter des BF ist nach ihrer Ausreise in die Türkei zwischenzeitlich in den Jemen zurückgekehrt (VHP, Seite 10), was ebenfalls gegen die Behauptung einer konkreten Verfolgungsgefahr der Angehörigen ds Vaters des BF spricht.
Aufgrund der Zusammenschau des Vorbringens steht auch für das Bundesverwaltungsgericht fest, dass nicht eine Verfolgung oder Bedrohung als Grund für die Asylantragstellung in Österreich ausschlaggebend gewesen seien, sondern rein wirtschaftliche Beweggründe, um dem BF eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Daher wird insbesondere der Inhaftierung durch die Huthis und der Verfolgung aufgrund von Social-Media-Beiträgen, die erst später vorgebracht wurden, kein Glaube geschenkt und dies als Steigerung des Fluchtvorbringens gewertet.
Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben des BF, ist daraus eine asylrelevante Verfolgung des BF aufgrund der Familienzugehörigkeit zu seinem Vater im Entscheidungszeitpunkt nicht ersichtlich. Zwar mag der Vater des BF tatsächlich oppositionell gesinnt gewesen sein und als Universitätsprofessor bzw. Diplomat auch in der Öffentlichkeit gestanden haben, was auch die der Beschwerde beigefügten YouTube-Videos (AS 308 f) vermuten lassen. Zudem könnte die Machtübernahme der Huthis ihn zur Ausreise nach Saudi-Arabien bewogen haben. Diese Umstände allein bieten jedoch keine hinreichende Grundlage, um eine individuelle und konkrete Verfolgungsgefahr für den BF zu belegen. Viel plausibler erscheint, dass die Familie den Jemen primär aus wirtschaftlichen Gründen und aufgrund der schlechten allgemeinen Sicherheitslage verlassen hat. Dies wird auch dadurch gestützt, dass der BF in der Erstbefragung angab, er habe den Jemen legal und per Flugzeug verlassen (AS 9). Erst in der späteren Einvernahme führte er, passend zur Steigerung seines Fluchtvorbringens, aus, dass er schlepperunterstützt per Auto und durch die Wüste ausgereist sei, um Checkpoints zu vermeiden (AS 87).
Für die Annahme rein wirtschaftlicher Ausreisegründe spricht auch, dass der BF trotz eines bestehenden Visums für die Türkei – im Gegensatz zum Rest seiner Familie – nach Ablauf seiner Aufenthaltsgenehmigung in Saudi-Arabien freiwillig in den Jemen zurückkehrte, um dort zu heiraten. Nach Ansicht des Gerichts ist nicht nachvollziehbar, dass jemand, der in seinem Heimatland verfolgt wird, freiwillig dorthin zurückkehrt um zu heiraten. Vielmehr legt dieses Verhalten nahe, dass der BF davon ausging, dass die Rückkehr für ihn nicht mit ernsthaften Gefahren verbunden sein würde. Es schien ihm vielmehr wichtig, vor seiner Ausreise in die Türkei in seiner Heimat zu heiraten, um mit einer Ehefrau an seiner Seite ein besseres Leben außerhalb des Jemen zu beginnen. Er selbst gab an, er habe während seines Aufenthalts im Jemen darauf gewartet, dass seine Frau ebenfalls ein Visum für die Türkei bekomme (VHP, Seite 8). Da seine Ehefrau jedoch kein Visum erhielt, wurde die gemeinsame Ausreise verworfen, und der BF musste den Jemen vorzeitig verlassen, weil bei einem längeren Aufenthalt sein eigenes Visum für die Türkei abgelaufen wäre. Dies bestätigte der BF selbst in der Verhandlung (VHP, Seite 8).
Sein gleichzeitiges Vorbringen, er habe den Süden des Jemen zudem wegen Verfolgung aufgrund seiner Herkunft aus dem Norden verlassen, ist hingegen nicht glaubhaft. So ist es nicht nachvollziehbar, dass der BF angeblich fünf Monate lang sein Hotelzimmer nicht verlassen habe, da er in dieser Zeit alle notwendigen Dokumente für die Hochzeit beschaffen und schließlich per türkischem Visum legal aus dem Jemen ausreisen konnte. Im Zuge dieser Aktivitäten musste er sowohl Behördengänge erledigen als auch offizielle Grenzübergänge, die mit entsprechendem Sicherheitspersonal besetzt sind, passieren. Außerdem spricht auch der Umstand, dass der BF im Süden des Landes heiratete, obwohl sowohl er als auch seine Frau aus dem Norden stammen, gegen die behauptete Gefahr im Süden. Eine Hochzeit im Einflussgebiet der legitimen Regierung, also fernab jeglicher angeblicher Bedrohung, wäre ebenso möglich und viel logischer gewesen, als im Süden zu heiraten, wo angeblich Verfolgung aufgrund der Herkunft aus dem Norden drohte.
Auch sind keine Anzeichen dafür vorhanden, dass der BF aufgrund seiner eigenen politischen Einstellung im Jemen verfolgt wird. Der BF gab in der Einvernahme an, im Jemen nicht Teil einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen zu sein und sich abgesehen von Beiträgen auf Twitter und Facebook nie politisch geäußert zu haben. In der Einvernahme gab der BF sogar ausdrücklich an, im Jemen nie aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt worden zu sein (AS 91). Das Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung, er sei aufgrund der Social-Media-Beiträge entgegen früherer Angaben doch einer Verfolgung ausgesetzt, steht dazu in krassem Widerspruch und ist, wie bereits ausgeführt, aufgrund der Steigerung des Vorbringens nicht glaubhaft. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass es keine Hinweise auf eine aktive Teilnahme des BF an politischen Bewegungen oder Konflikten gibt, die ihn in den Fokus der Huthis im Jemen rücken würden.
Unter Berücksichtigung aller angeführten Aspekte war im Ergebnis davon auszugehen, dass die vom BF behaupteten Ereignisse, die zu seiner Flucht geführt hätten, in der von ihm geschilderten Weise nicht den Tatsachen entsprechen. Es konnte unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten auch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür erkannt werden, dass der BF, bei einer Rückkehr in den Jemen einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt wäre.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Grundlage der Länderfeststellungen ist das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation.
Die Länderfeststellungen ergeben sich aus den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten):
§ 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3 (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des BF und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).
"Glaubhaftmachung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH vom 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH vom 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).
Zunächst kann nicht angenommen werden, dass der BF, der der arabischen Volksgruppe angehört und Sunnit ist, im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale einer Verfolgung ausgesetzt wäre.
Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt wurde, hat sich das individuelle Vorbringen des BF, wonach er aufgrund der in der Vergangenheit ausgeübten politischen Aktivitäten seines Vaters oder seiner Herkunft aus dem Norden des Jemens in seinem Heimatstaat verfolgt werde, als nicht glaubwürdig erwiesen.
Aus der wirtschaftlich schlechten Lage in Jemen lässt sich für den BF auch keine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten herleiten, da eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung darstellt (vgl. VwGH 28.06.2005, 2002/01/0414). Wirtschaftliche Benachteiligungen einer ethnischen oder sozialen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, kann grundsätzlich asylrelevant sein (vgl. VwGH 06.11.2009, 2006/19/1125). Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, reicht auch der Verlust (oder die Schwierigkeit der Beschaffung) eines Arbeitsplatzes nicht aus, eine Asylgewährung zu begründen, solange damit nicht eine ernsthafte Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden ist (VwGH 19.06.1997, 95/20/0482). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.
Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, deren Bedeutung über den konkreten Fall hinausgeht.