Spruch
W127 2281661-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Fischer-Szilagyi über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch XXXX , dieser vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2023, Zl. 1324154206/222863932, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 13.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, er habe sein Heimatland zu Fuß in die Türkei verlassen und sich für 6 Monate dort aufgehalten. Zum Fluchtgrund befragt gab er an, dass er wegen der Familienzusammenführung nach Österreich gekommen sei. In Syrien herrsche Krieg und Kinder würden entführt. Im Krieg sei ihr Haus zerstört worden.
3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 14.06.2023 führte der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund näher aus, dass er Syrien aufgrund der Bombardierungen und wegen Luftangriffen verlassen habe. Seine Eltern und seine Schwester wären in Gefahr. Auf Nachfrage gab er an, er habe Syrien des Krieges wegen verlassen. Auf Facebook habe er von den Kindesentführungen gelesen und sei gewarnt worden. Persönlich betroffen sei er nicht gewesen.
4. Mit angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde im Wesentlichen angeführt, dass für den Beschwerdeführer in seiner Heimatregion keine konkrete und individuelle Verfolgung oder Gefahr einer solchen Situation seitens der syrischen Behörden und seitens anderer Akteure drohe. Es erscheine überdies als unwahrscheinlich, dass gerade der Beschwerdeführer (zumal er minderjährig sei) wegen der Wehrdienstverweigerung seiner Brüder durch die syrische Regierung verhaftet werde. Es könne auch ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner illegalen Ausreise die Aufmerksamkeit der syrischen Regierung auf sich gezogen habe.
5. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, wegen mangelhafter Beweiswürdigung sowie wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, Beschwerde (gleichlautend wie die Stellungnahme vom 26.06.2023) erhoben. In der Begründung wurde insbesondere ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und mangelhafte Beweiswürdigung releviert und auf das Kindeswohl sowie die Zwangsrekrutierung von Kindern hingewiesen. Darüber hinaus würde dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Eigenschaft als Angehöriger von Personen, die als regierungsfeindlich wahrgenommen werden, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Ihm würde eine solche auch auf Grund seiner Asylantragstellung im Ausland und der illegalen Ausreise bei einer Rückkehr nach Syrien unterstellt werden.
Aufgrund eines Vollmachtswechsels wurde ein erneut als „Beschwerde“ titulierter Schriftsatz eingebracht, der im Wesentlichen die gleichen Beschwerdepunkte enthielt.
6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt einschließlich einer Stellungnahme der belangten Behörde langten am 22.11.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Am 03.05.2024 wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht ein Antrag auf Namensänderung einschließlich der Kopie eines Auszuges aus dem Personenstandsregister, lautend auf den Namen des Beschwerdeführers, in Deutsch (sowie ein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung) weitergeleitet.
8. Am 26.06.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch insbesondere zu seinen Fluchtgründen befragt. Im Rahmen der Verhandlung wurden aktuelle Länderberichte zu Syrien ins Verfahren eingebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt und in den Gerichtsakt, durch Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Einsicht insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien 11, aktualisiert mit 27.03.2024; Themendossier Kurze Zusammenstellung zum Wehrdienst in Syrien, ACCORD vom 20.03.2024; EUAA, Country Guidance Syria, April 2024; Ministerie van Buitenlandse Zaken, Allgemeiner Herkunftsland-Informationsbericht zu Syrien, August 2023; Danish Immigration Service, Syria – Militäry Service, Jänner 2024; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Zwangsrekrutierung Minderjähriger, Konzentration auf 14-16-Jährige, regionale Unterschiede, 31.01.2022; ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Provinz Al-Hasakah, Entführungen von Kindern zwecks Lösegelderpressung im Jahr 2017, 13.01.2023; EUAA, COI Report: Syria: Security situation vom September 2022; EUAA, Syria: Targeting of Individuals, Country of Origin Information Report, September 2022; UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, März 2021.
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger der Arabischen Republik Syrien, seine Muttersprache ist arabisch und er gehört der Volksgruppe der Araber an. Er bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er ist am XXXX im Gouvernement Deir-Ez-Zor in der Ortschaft XXXX geboren und lebte dort bis zum Jahr 2021, wo er auch die Schule bis zur 6. Klasse besuchte.
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Drei Brüder des Beschwerdeführers leben derzeit als Asylberechtigte in Österreich, wobei der älteste Bruder XXXX die Obsorge über den Beschwerdeführer hat. Die Eltern des Beschwerdeführers sowie eine Schwester leben weiterhin in Syrien im Heimatdorf.
Der Beschwerdeführer ist minderjährig und gesund. Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten; er ist aber bisher zweimal erkennungsdienstlich aufgefallen (versuchter Diebstahl, Tatzeit 03.11.2023; Sachbeschädigung und Urkundenunterdrückung, Tatzeit 14.11.2023).
1.2. Zum Fluchtvorbringen:
Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers, XXXX im Gouvernement Deir-Ez-Zor, steht unter Kontrolle des syrischen Regimes.
Der Beschwerdeführer reiste als etwa 12-Jähriger, sohin vor Erreichen der Volljährigkeit und vor Erreichen des Alters für die Ableistung des Wehrdienstes aus Syrien aus. Der nunmehr 14-jährige Beschwerdeführer hat daher keinen Wehrdienst für das syrische Regime abgeleistet. Im Falle seiner Rückkehr muss der Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, vom syrischen Militär oder anderen Gruppierungen zwangsrekrutiert zu werden. Ihm droht auch keine Bestrafung durch das syrische Regime wegen Wehrdienstverweigerung.
Weder war der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung durch eine der Bürgerkriegsparteien ausgesetzt noch wäre er im Falle seiner Rückkehr nach Syrien einer solchen ausgesetzt.
Dem Beschwerdeführer droht in Syrien keine Gefahr wegen einer (ihm unterstellten) oppositionellen Gesinnung, insbesondere droht ihm auch keine Gefahr wegen seiner illegalen Ausreise, seiner Asylantragstellung in Österreich oder seiner Herkunft aus einem vormals von Oppositionellen kontrollierten Gebiet verfolgt zu werden.
Im Falle einer Rückkehr droht dem Beschwerdeführer auch keine Verfolgung aufgrund seiner Eigenschaft als Familienangehöriger von Wehrdienstverweigerern.
Der Beschwerdeführer hat bei einer Rückkehr nach Syrien auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung zu erwarten.
1.3. Zur allgemeinen Lage in Syrien:
1.3.1. Sicherheitslage:
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt. Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 01.03.2011 und 31.03.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen – dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf.
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse:
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen. Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand. Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen.
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 % des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. United Nations Geospatial veröffentlichte eine Karte mit Stand Juni 2023, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind.
Gouvernement Deir ez-Zor/ Syrisch-Irakisches Grenzgebiet:
Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) war es nach Kämpfen mit der Nusra-Front und gegnerischen arabischen Stämmen im Juli 2014 gelungen, die Provinz Deir ez-Zor fast vollständig einzunehmen. 2017 führte die syrische Armee mit Unterstützung Russlands und Irans größere Militäroperationen durch, die zur Rückeroberung der Stadt Deir ez-Zor führten. Bis Ende 2017 verlor der IS den größten Teil seines Territoriums auf der Westseite des Euphrat. Auf der östlichen Seite des Flusses waren die Syrian Democratic Forces (SDF) bis Anfang 2019 in heftige Kämpfe mit dem IS verwickelt. Der IS kontrollierte damals noch ein kleines Stück Land nahe der syrisch-irakischen Grenze. Im März 2019 wurde das letzte vom IS gehaltene Gebiet, das Dorf Baghouz, von den SDF eingenommen.
Das Gouvernement Deir ez-Zor ist grob in zwei Kontrollbereiche unterteilt. Der westliche Teil des Gouvernements - d.h. vor allem die Gebiete westlich des Euphrat - wird von der syrischen Regierung und ihren iranischen und russischen Verbündeten kontrolliert. Dieses Gebiet umfasst die wichtigsten Städte (Deir Ez-Zor, Mayadin und Al-Bukamal) und die logistische Route, die die von der Regierung kontrollierten Gebiete mit der syrisch-irakischen Grenze verbindet. Der östliche Teil des Gouvernements - die meisten Gebiete östlich des Euphrat - wird von den kurdisch dominierten SDF und ihren Verbündeten in der US-geführten Koalition kontrolliert. Da die SDF ihre Einflusssphären in der Region von der östlichen Seite her bis zum Euphrat ausdehnten, ist das al-Omar-Feld nun als die größte US-Militärbasis in Syrien bekannt.
Der Euphrat markierte bisher die Grenze zwischen dem russischen und dem US-Einflussgebiet im Bürgerkriegsland Syrien. Westlich des Flusses besitzt Russland die Lufthoheit und unterstützt mit seinen Kampfjets die eigenen Truppen in Syrien und die Armee von Machthaber Bashar al-Assad. Östlich des Stroms herrschten bisher die USA und ihre kurdischen Partner. Doch diese Abmachung bröckelt, weil Russland den militärischen Druck auf die USA in Syrien erhöht, um die Amerikaner aus dem Land zu drängen. Washington schickte aus diesem Grund Mitte 2023 zusätzliche Kampfflugzeuge.
Die Bemühungen der Regierung Syriens in den 2017 vom IS zurückeroberten Gebieten die Kontrolle zu übernehmen, sind begrenzt, was der lokalen regierungsfreundlichen Miliz, den Nationalen Verteidigungskräften (NDF - National Defence Forces), freie Hand ließ und zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen führte, darunter Plünderungen und die gewaltsame Aneignung von zivilem Eigentum. Das vom Regime kontrollierte Deir ez-Zor wird von einem komplizierten Geflecht lokaler und anderer Sicherheitskräfte überwacht, von denen viele auch wichtige soziale und wirtschaftliche Funktionen in ihren Städten erfüllen. Stammesmilizen, die mit den NDF verbündet sind, Geheimdienstoffiziere und ihre Milizen, Freiwillige und Wehrpflichtige der Republikanischen Garde sowie der syrischen Armee (Syrische Arabische Armee - SAA) sowie eine Vielzahl ausländischer und syrischer Milizen, die unter anderem mit Iran verbündet sind, bemannen Außenposten und verwalten Städte im gesamten Gouvernement. Die Spannungen zwischen den lokalen Sicherheitskräften und der von Damaskus aus kommandierten SAA haben in den Jahren nach der Befreiung der Provinz vom IS stetig zugenommen.
Das Gebiet von Deir ez-Zor galt im Jahr 2019 als Kerngebiet der IS-Aktivität in Syrien, vor allem die Gebiete im Süden von Bosaira in Richtung Diban. Der IS konnte im Jahr 2020 seinen Aufstand und seine klandestinen Operationen geringer Intensität in Zentralsyrien ausweiten und hat im ganzen Land Hochburgen und Zufluchtsorte errichtet, auch in der ostsyrischen Wüste und im von den SDF kontrollierten Teil von Deir ez-Zor. Die IS-Bewegung hat vor allem in der Wüstenregion Badia entlang der syrischen-irakischen Grenze im Jahr 2022 wieder zugenommen, was Experten zu Folge zu weiteren IS-Angriffen im Nordosten Syriens führen könnte. Der IS bedroht nach wie vor fast alle Parteien in Syrien. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Fraktionen im syrischen Konflikt und das fragile Sicherheitsumfeld haben es dem IS ermöglicht, zu wachsen und sich durch die verschiedenen Kontrollgebiete zu bewegen. Die Wüste ist gebirgig und dünn besiedelt, und es hat keine systematische, anhaltende Militär- und Sicherheitskampagne gegeben, um die Kämpfer aufzuspüren und aus diesen unmöglich zu kontrollierenden Gebieten zu vertreiben. Das Tal des mittleren Euphrat und die Wüstengebiete im Gouvernement Deir ez-Zor werden als IS-Unterstützungsgebiet beschrieben, das seine Mitglieder nutzen können, um Sicherheitsoperationen zu umgehen und Waffen, Ausrüstung und Personal über die syrisch-irakische Grenze zu bringen. Für den Zeitraum Juli bis September 2022 sind z. B. eine Reihe von sicherheitsrelevanten Vorfällen mit dem IS im Gouvernement Deir ez-Zor verzeichnet.
Der IS hat Großteiles darauf verzichtet, die Verantwortung für seine Angriffe zu übernehmen, und widersprüchliche Berichte erschweren die Verifizierung von IS-Aktivitäten. Dass der IS nach wie vor eine Bedrohung darstellt, und darüber hinaus auch die Gefahr besteht, dass er nun besser in der Lage sein könnte, größere Operationen durchzuführen oder die Dynamik seiner Angriffe zu erhöhen, zeigt sich auch in Zusammenhang mit dem Sina'a-Anschlag vom Januar 2022.
1.3.2. Die syrischen Streitkräfte – Rechtliche Bestimmungen:
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert. Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein.
Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt. Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse.
Rekrutierungspraxis
Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden. Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert, wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt. Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden. In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden. Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien. Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet.
Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden. Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen.
Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden, berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Hausdurchsuchungen finden dabei v.a. eher in urbanen Gebieten statt, wo die SAA stärkere Kontrolle hat, als in ruralen Gebieten. Mehrere Quellen berichteten im Jahr 2023 wieder vermehrt, dass Wehr- und Reservedienstpflichtige aus ehemaligen Oppositionsgebieten von der syrischen Regierung zur Wehrpflicht herangezogen wurden, um mehr Kontrolle über diese Gebiete zu erlangen bzw. um potenzielle Oppositionskämpfer aus diesen Gebieten abzuziehen. Eine Quelle des Danish Immigration Service geht davon aus, dass Hausdurchsuchungen oft weniger die Rekrutierung als vielmehr eine Erpressung zum Ziel haben.
Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren. Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert.
Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt. Anfang April 2023 wurde beispielsweise von verstärkten Patrouillen der Regierungsstreitkräfte im Osten Dara'as berichtet, um Personen aufzugreifen, die zum Militär- und Reservedienst verpflichtet sind. Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet.
Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte, berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt. Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als „Kanonenfutter“ im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren.
Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben.
Einsatz von Rekruten im Kampf:
Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit seinen Hinterhalten und Anschlägen trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden, wie in der Badia-Wüste, wo es noch zu Konfrontationen mit dem IS kommt. Alle Eingezogenen können laut EUAA (European Union Agency for Asylum) unter Berufung auf einen Herkunftsländerbericht vom April 2021 potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt laut EUAA vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Andere Quellen hingegen geben an, dass die militärische Qualifikation oder die Kampferfahrung keine Rolle spielt, beim Einsatz von Wehrpflichtigen an der Front. Eingezogene Männer aus „versöhnten“ Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt.
Zur Wehrdienstverweigerung:
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt.
Der verpflichtende Militärdienst führt weiterhin zu einer Abwanderung junger syrischer Männer, die vielleicht nie mehr in ihr Land zurückkehren werden.
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern:
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen. Rechtsexperten der Free Syrian Lawyers Association (FSLA) mit Sitz in der Türkei beurteilen, dass das syrische Regime die Verweigerung des Militärdienstes als schweres Verbrechen betrachtet und die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation behandelt. Dies spiegelt die Sichtweise des Regimes auf die Opposition wie auch jede Person wider, die versucht, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen. Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt „ihr Land zu verteidigen“. Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit „gerettet“ haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben. Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konflikts, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht. Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten.
Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr („badal an-naqdi“) zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 USD zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden, wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen. Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 31 die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthalts auf ein Jahr reduziert und die Gebühr erhöht. Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen. Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises. Die Syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom Danish Immigration Service befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Eine Quelle gibt auch an, dass Personen, die die Gebühr bezahlt haben problemlos ins Land einreisen können. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Des Weiteren berichten Quellen des Danish Immigration Service von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Die Behörden geben normalerweise keine Auskunft darüber, ob man von den Sicherheitsbehörden gesucht wird. Mehrere Quellen gehen aber von Erpressungen gegenüber Wehrpflichtigen an Checkpoints durch Streit- und Sicherheitskräfte an Checkpoints aus, insbesondere gegenüber Personen aus Europa bzw. Geschäftsleuten. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen. Auch das Auswärtige Amt schreibt, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden.
Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum Erreichen des wehrpflichtigen Alters dauerhaft und ununterbrochen im Ausland lebten, gilt eine Befreiungsgebühr von 3.000 USD. Wehrpflichtige, die im Ausland geboren wurden und dort mindestens zehn Jahre vor dem Einberufungsalter gelebt haben, müssen einen Betrag von 6.500 USD entrichten. Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, können Quellen zufolge durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden. Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor durch einen individuellen „Versöhnungsprozess“ bereinigen.
Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann. Die syrische Botschaft in Berlin gibt beispielsweise an, dass u. a. ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung der Ein- und Ausreise vorgelegt werden muss, welche von der syrischen Einwanderungs- und Passbehörde ausgestellt wird („bayan harakat“). So vorhanden, sollten die Antragsteller auch das Wehrbuch oder eine Kopie davon vorlegen.
Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen.
Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen:
Neben der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt und Kampfhandlungen bleibt die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien ein zentrales Problem. Neben Somalia und Nigeria zählte Syrien 2020 laut UNICEF zu den Ländern mit den höchsten Rekrutierungsquoten von Kindersoldaten. Als Verantwortliche benennen die Vereinten Nationen insbesondere die Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), bewaffnete Gruppierungen der ehemaligen Free Syrian Army (FSA), die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) sowie in geringerem Maße regimenahe Milizen. Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichtet über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. Dem Bericht zufolge wurden 1.285 der Kinder im Kampf eingesetzt. 569 verifizierte Fälle werden der Syrian National Army (SNA) zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) und 46 den regimenahen Kräften und Milizen, neben anderen Akteuren. Der UN zufolge wurde die Mehrheit der Minderjährigen auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt und nur eine kleine Minderheit in nicht kämpferischen Rollen, beispielsweise als Köche oder für Reinigungsarbeiten.
Im August 2021 hat die syrische Regierung ein Kinderschutzgesetz, Gesetz Nr. 21 von 2021 erlassen. Das Gesetz verbietet die Rekrutierung oder Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und allen anderen damit verbundenen Aktivitäten. Auch das Gesetz Nr. 11/2013 kriminalisiert alle Formen von Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 Jahren durch die syrischen Streitkräfte und bewaffnete Oppositionsgruppen.
Laut einem Bericht des US-amerikanischen Außenministeriums vom Juli 2022 hat die Regierung jedoch keine Bemühungen gezeigt, den Einsatz von Kindersoldaten durch Regierungs- und regierungstreue Milizen, bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Organisationen zu verfolgen. Die Regierung berichtet nicht von der Untersuchung, Verfolgung oder Verurteilung von verdächtigten Menschenhändlern, noch werden Regierungsmitarbeiter, die an Menschenhandel, inklusive der Rekrutierung von Kindern, beteiligt waren, überprüft, verfolgt oder verurteilt. Die Regierung führt weiterhin Verhaftungen und Inhaftierungen durch und misshandelt Opfer von Menschenhandel schwer - inklusive Kindersoldaten - und bestraft diese für illegale Taten, zu denen sie von Menschenhändlern gezwungen werden. Sie inhaftiert regelmäßig Kinder für die vermeintliche Verbindung zu bewaffneten Gruppen, vergewaltigt, foltert und exekutiert. Sie zeigt keine Bemühungen, diesen Kindern irgendwelche Schutzdienste zur Verfügung zu stellen. Die Regierung schützt Kinder auch nicht vor der Rekrutierung und dem Einsatz durch bewaffnete Oppositionsgruppen und Terrororganisationen. Dem gegenüber steht ein Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, wonach Vertreter der Syrischen Regierung im Jahr 2022 an Awareness-Workshops über Kinder im Konflikt teilgenommen haben und die Regierung sich mit den Vereinten Nationen auf einen handlungsorientierten Dialog zur Beendigung und Vermeidung von sowie Reaktion auf schwere Verbrechen gegen Minderjährige durch das Syrische Regime oder mit ihm verbundene Gruppierungen geeinigt haben. In einem Bericht gibt das Syrian Network for Human Rights (SNHR) an, dass das syrische Regime für fast 65 % der Fälle von rekrutierten Minderjährigen verantwortlich ist und führt weiter aus, dass das Regime auf verschiedene Arten der Rekrutierung zurückgreift, weil Kinder weniger kostspielig sind als Erwachsene. Das Regime würde dabei allerdings nicht offiziell vorgehen, also nicht durch die offiziellen Streit- und Sicherheitskräfte rekrutieren, sondern dies auf inoffiziellen Wegen durchführen, beispielsweise über lokale oder ausländische Milizen, wie die regierungstreuen Milizen, die als National Defence Forces (NDF) oder „Shabiha“ bekannt sind, die Kinder direkt in ihren Hauptquartieren rekrutieren. Das wird auch vom Danish Immigration Service bestätigt. Wonach die SAA nicht direkt Kinder rekrutiert, aber dem Verteidigungsministerium unterstehende Milizen, sowie insbesondere auch die Gruppe Wagner. Manche bewaffneten Gruppen, die für die syrische Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF rekrutieren zwangsweise Kinder im Alter von sechs Jahren.
1.3.3. Bewegungsfreiheit und Einreise:
Checkpoints werden sowohl von Regimesicherheitskräften sowie lokalen und ausländischen Milizen unterhalten. In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt. Auch können Passierende gewaltsam für den Militärdienst eingezogen werden.
Grenzübergänge zu Syrien:
Die offiziellen Grenzübergänge zwischen Gebieten unter Regierungskontrolle und den Nachbarländern Libanon, Jordanien und Irak sind mit Stand September 2023 weitgehend wieder geöffnet, nachdem manche Grenzübergänge im Konfliktverlauf und während der COVID-19-Pandemie zeitweise geschlossen waren.
In Nordwest- und Nordostsyrien hat das syrische Regime keine Möglichkeit zum Aufgreifen von Wehrdienstverweigerern, mit Ausnahme bestimmter Gebiete in Qamishli und al- Hassakah in Nordostsyrien. Das syrische Regime betrachtet Übertritte über Grenzübergänge außerhalb seiner Kontrolle als illegal und diese können, so sie entdeckt werden, bei einer Weiterreise in Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung mit einer Haft- wie auch Geldstrafe geahndet werden.
Die Grenzübergänge zwischen der Türkei und Nordwestsyrien werden auf der syrischen Seite in Idlib von Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und der mit ihr verbundenen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG) sowie in manchen Gebieten in Aleppo, Raqqa und al-Hassakah von der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) und der mit der Türkei verbundenen Syrian National Army (SNA) kontrolliert. In dem Gebiet entlang der türkisch-syrischen Grenze wird insbesondere von Übergriffen der Sicherheitskräfte auf Zivilist:innen beim (illegalen) Überqueren der Grenze in die Türkei berichtet. Auf syrischer Seite sind nach Angaben eines befragten Experten weniger Fälle von Übergriffen bekannt, die lediglich auf den Grenzübertritt zurückzuführen sind. Die meisten bekannten Verhaftungen hat die HTS beispielsweise durchgeführt, weil Aktivist:innen Kritik an der Verwaltung oder Politik der Gruppierung geäußert haben. Als sich im September 2022 rund 400 Personen in Bab al-Hawa einfanden, um im Rahmen einer zuvor organisierten Bewegung mit dem Namen „Karawane des Lichts“ Richtung Europa zu ziehen, wurden sie darüber hinaus von Sicherheitskräften der HTS angegriffen und verprügelt.
Die Grenzübergänge zwischen den AANES-kontrollierten Gebieten und der Türkei sind geschlossen und die Grenze ist auf türkischer Seite – wie auch in Nordwestsyrien – durch eine Grenzmauer befestigt. Der wichtigste Grenzübergang für die AANES ist Semalka/Fishkhabour mit der Kurdistan Region Irak (KRI). Über diesen Grenzübergang sind Personen- und Warenverkehr möglich, und es gibt laut einem befragten Experten nur wenige Rückweisungen an der Grenze. Aufgrund von verstärkten Spannungen zwischen der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK/KDP) in der KRI und der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) gibt es jedoch Fälle, bei denen Syrer:innen eine Einreise in die KRI aufgrund einer wahrgenommenen Nähe zur PKK, den Volksverteidigungseinheiten (YPG) oder der Partei der Demokratischen Union (PYD) von den Behörden der KRI verweigert wurde. In die andere Richtung haben die Behörden der AANES im Irak lebenden Syrer:innen die Einreise nach Syrien aufgrund einer wahrgenommenen oder tatsächlichen Verbundenheit mit der PDK-S (dem syrischen Zweig der PDK/KDP der Barzani-Familie in der KRI) oder dem Kurdischen Nationalrat (KNC) verwehrt. Andere Einreiseverweigerungen betrafen Mitglieder der SNA sowie (vermutete oder tatsächliche) Angehörige von syrischen und türkischen Nachrichtendiensten. Es kommt nicht zu vielen Verhaftungen von Einreisenden direkt an der Grenze. Einige diesbezügliche Fälle ereigneten sich in den vergangenen Jahren jedoch aufgrund der politischen Ansichten der Reisenden, einer früheren Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe oder, weil die Reisenden den Wehrdienst bei den Selbstverteidigungskräften (Hêzên Xweparastinê, HXP) verweigert hatten. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu kompletten Sperrungen des Grenzübergangs für den Personenverkehr durch die Behörden der KRI, die aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des Grenzübergangs auf beiden Seiten i.d.R. allerdings nicht lange andauern. Meist sind sie auf Spannungen zwischen der in der KRI dominanten KDP und der im AANES-Gebiet dominanten PYD zurückzuführen.
Der Fluss Tigris trennt die beiden Seiten des Grenzübergangs Fishkhabour/Semalka. Es gibt zwei Flussübergänge – einen für private bzw. zivile Reisebewegungen und einen für kommerzielle und humanitäre Güter. Auf der syrischen Seite kontrolliert die PYD (Partei der Demokratischen Union) den Semalka-Übergang, und laut Journalist Hisham Arafat sind zwei Organe der Selbstverwaltungsregion AANES vor Ort: 1.) die Asayish (Sicherheitspolizei) in Form von Wachen (Polizei oder interne Sicherheitskräfte der AANES) und 2.) die zivile Grenzverwaltung, deren Personal für die Dokumente der Reisenden bei Ein- und Ausreise zuständig ist. Am Grenzübergang Semalka sind keine Beamten des syrischen Staates präsent.
1.3.4. Kinder:
Das Kinderschutzgesetz, Gesetz Nr. 21 von 2021, wurde im August 2022 veröffentlicht und ist das erste seiner Art in Syrien. Es soll die Kinder schützen, versorgen und die wissenschaftliche, kulturelle, psychologische und soziale Rehabilitation aller Kinder sicherstellen. Demnach hat der syrische Staat die Pflicht, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte von Kindern zu gewährleisten (OSS 18.1.2023).
Unverändert kommt es in Syrien regelmäßig zu schwersten Verletzungen der Rechte von Kindern (AA 2.2.2024). Trotz Bemühungen der Vereinten Nationen (VN) werden noch immer Kinder für den Dienst an der Waffe rekrutiert. Für das Jahr 2022 wurden durch die VN insgesamt 1.669 Fälle dokumentiert (1.593 Jungen und 103 Mädchen). Rekrutierungen von Kindern werden, nach dem Bericht der VN, vor allem durch die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) und die assoziierten YPG/YPJ (Kurdish People’s Protection Units, Women’s Protection Units), durch die Milizen der Syrian National Army (SNA) und durch Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) vorgenommen, vereinzelt auch durch das Regime und ihm nahestehende Milizen. Die meisten Kinder seien von den verschiedenen Konfliktparteien auch im Kampf eingesetzt worden. Dazu konnten die VN für das Jahr 2022 insgesamt 711 Fälle dokumentieren, in denen Kinder getötet (307) oder verstümmelt (404) wurden. Hauptverantwortliche seien das Regime (178 Fälle), SDF (73) und SNA (47). In 364 Fällen konnte die Verantwortlichkeit nicht zugeordnet werden. Viele Kinder werden dabei durch explosive Ladungen oder Munitionsreste getötet bzw. verletzt (375). Weitere Hauptursachen sind Artillerieangriffe (217), Luftangriffe (63) und Schusswaffen (52) (AA 2.2.2024). Im Jahr 2021 wurden 301 Kinder durch syrische Regierungskräfte in Oppositionsgebieten getötet. Zwischen dem Jahr 2011 und März 2022 wurden 22,941 Kinder durch Regierungskräfte getötet (OSS 18.1.2023).
Zu weiteren Menschenrechtsverletzungen gegen Kinder zählten insbesondere die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten, Inhaftierung und Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Kinder, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser sowie die Verweigerung humanitärer Hilfsleistungen (AA 29.3.2023). 6.358 Kinder befinden sich weiterhin in Gefangenschaft oder sind in Regierungsgefängnissen ’verschwunden’ worden. Im Jahr 2021 wurden 48 neue Inhaftierungen von Kindern durch Regierungskräfte verzeichnet (OSS 18.1.2023). Für das Jahr 2022 dokumentierte SNHR willkürlicher oder unrechtmäßiger Verhaftungen von 148 Kindern (AA 29.3.2023).
Die Anzahl der Kinder unter den Binnenvertriebenen wächst weiterhin - mit Stand Februar 2022 2,4 Millionen Kinder, von denen ungefähr eine Million in Ansiedlungen und Lagern lebte (USDOS 20.3.2023).
Bildung und Schulen:
Laut dem Kinderschutzgesetz haben Kinder ein Recht auf Bildung (OSS 18.1.2023). Für alle Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren besteht Schulpflicht. Der Anteil an Einschulungen, Unterrichtsteilnahme und Schulabschlüssen war zwischen Buben und Mädchen vergleichbar (USDOS 20.3.2023).
Mindestens 2,4 Millionen von 6,1 Millionen Kindern in Schulalter gingen 2022 in Syrien nicht zur Schule und eine von drei Schulen war beschädigt, zerstört oder wurde zweckentfremdet genutzt - auch für militärische Zwecke (HRW 12.1.2023). Kombattanten aller Seiten greifen regelmäßig Schulen an oder requirierten die Schulgebäude (FH 9.3.2023, zu besonderen Sicherheitsherausforderungen für Mädchen vgl. UNFPA 28.3.2023). SNHR’ verzeichnete im Jahr 2022 mindestens zwei Angriffe auf Bildungseinrichtungen (Schulen, Kindergärten) in Idlib durch Regierungskräfte. Im Jahr 2021 waren es 13 Angriffe gewesen (SNHR 17.1.2023).
Wiederholte Angriffe auf Schulen, ökonomische Faktoren wie Kinderarbeit, die Rekrutierung von Buben für militärische Aufgaben und die Inhaftierung von Kindern behindern weiterhin die Möglichkeiten von Kindern, eine Ausbildung zu erhalten. Außerdem benötigen viele Schulen massive Reparaturarbeiten, einschließlich der Räumung von nicht-detonierten Explosivstoffen des Krieges. Überdies brauchen die Schulen Hilfe bei der Beschaffung einer Basisausstattung mit Lernmaterialien (USDOS 20.3.2023), darunter auch die wiedereröffneten Schulen in zuvor vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gehaltenen Gebieten, die von den Syrian Democratic Forces erobert wurden (USDOS 30.3.2021).
Laut UNOCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) kommt in Idlib, dem Gebiet anhaltender bewaffneter Zusammenstöße, ein funktionierender Klassenraum auf 178 Schulkinder. Viele Schulen bedürfen dort großer Reparaturen, manchmal auch der Entfernung nicht-detonierter Explosivstoffe. Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) zwingt ihre Interpretation der Scharia den Schulen auf, und diskriminiert Mädchen im HTS-Gebiet. Im September 2022 wurde den Aussagen von SchuldirektorInnen zufolge verheirateten Studentinnen der Besuch von öffentlichen Schulen und Universitäten untersagt. HTS auferlegt zudem Lehrerinnen und Schülerinnen Kleidervorschriften, wo es den Mädchen erlaubt, weiterhin zur Schule zu gehen.
Große Zahlen von Mädchen werden durch HTS am Schulbesuch gehindert (USDOS 20.3.2023). Neben dem Bombardieren von Bildungseinrichtungen in Gebieten außerhalb seiner Kontrolle und dem Gebrauch einer Anzahl an Bildungseinrichtungen für militärische Zwecke wird auch der Lehrplan für Regimezwecke eingesetzt, sodass die Lehrinhalte die Assad-Herrschaft unterstützen. So sind die Schulkinder automatisch in zwei politischen Organisationen eingeschrieben und müssen in öffentlichen Schulen jeden Tag die Parteislogans rezitieren, und werden in den Aussagen des Regimes unterrichtet (SNHR 17.1.2023). Auch militante islamistische Gruppen und die PYD (Kurdish Democratic Union Party) haben Bildungssysteme in ihren jeweiligen Gebieten eingerichtet, die eine durchdringende politische Indoktrinierung beinhalten (FH 9.3.2023). Im letzteren Fall werden von den Syrian Democratic Forces Strafen gegen MitarbeiterInnen der Schulverwaltung verhängt, wenn diese nicht ihren (PYD-)Lehrplan verwenden (USDOS 20.3.2023).
Kindesmisshandlung und –missbrauch:
Das Gesetz verbietet Kindesmisshandlung nicht ausdrücklich. Es sieht vor, dass Eltern ihre Kinder in einer Form disziplinieren können, die nach allgemeinem Brauch zulässig ist (USDOS 20.3.2023). Regierungstruppen setzen die Vergewaltigung von Kindern als „Kriegswaffe“ ein und missbrauchen Kinder von Oppositionellen in Gefängnissen, an Kontrollpunkten und bei Hausdurchsuchungen systematisch und komplett ungestraft. Einem befragten Unteroffizier zufolge machten sie bei der Inhaftierung keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Minderjährigen, selbst in Fällen, in denen Folter angewendet wurde. Kinder werden absichtlich mit Erwachsenen zusammen eingesperrt, weshalb es auch zu Vergewaltigungen durch andere Gefangene kommt (ZI 2.7.2017). Regimemitarbeiter folterten Berichten zufolge Kinder auch wegen ihrer familiären Verbindungen - real oder angenommen - mit MenschenrechtsaktivistInnen und mit anderen AktivistInnen (USDOS 20.3.2023).
NGOs berichteten ausführlich über Regime- und regimefreundliche Kräfte sowie HTS und IS, die Kinder sexuell missbrauchen, foltern, festhalten, töten und anderweitig misshandeln. Die HTS hat Kinder in den von ihr kontrollierten Gebieten extrem hart bestraft und auch hingerichtet.
Das gesetzliche Alter für die sexuelle Mündigkeit liegt bei 15 Jahren, wobei es keine Ausnahmeregelung für Minderjährige gibt. Vorehelicher Sex ist illegal, aber Beobachter berichteten, dass die Behörden das Gesetz nicht durchsetzen. Die Vergewaltigung eines Kindes unter 15 Jahren wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 21 Jahren und Zwangsarbeit bestraft. Es gab keine Berichte über die strafrechtliche Verfolgung in Vergewaltigungsfällen von Kindern durch das Regime (USDOS 20.3.2023).
Zwischen März 2011 und März 2023 dokumentierte SNHR den Tod von mindestens 15.272 Personen durch Folter, darunter 197 Kinder, durch die Konfliktparteien in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,47 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 3.2023).
Kinderarbeit und Nahrungsmittelversorgung:
Das Gesetz sieht den Schutz von Kindern vor Ausbeutung am Arbeitsplatz vor und verbietet die schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Es gab nur wenige öffentlich zugängliche Informationen über die Durchsetzung des Kinderarbeitsgesetzes. Das Regime unternahm keine nennenswerten Anstrengungen zur Durchsetzung von Gesetzen, die Kinderarbeit verhindern oder beseitigen.
Das Mindestalter für die meisten nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten beträgt 15 Jahre oder den Abschluss der Grundschule, je nachdem, was zuerst eintritt. Das Mindestalter für die Beschäftigung in Industrien mit schwerer Arbeit beträgt 17 Jahre. Für die Beschäftigung von Kindern unter 16 Jahren ist die Erlaubnis der Eltern erforderlich. Kinder, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen nicht mehr als sechs Stunden pro Tag arbeiten und keine Überstunden leisten oder in Nachtschichten, an Wochenenden oder offiziellen Feiertagen arbeiten. Das Gesetz sieht vor, dass die Behörden bei Verstößen „angemessene Strafen“ verhängen sollen. Es gab jedoch keine Informationen, aus denen hervorging, welche Strafen angemessen waren. Die Beschränkungen für Kinderarbeit gelten nicht für Personen, die in Familienbetrieben arbeiten und kein Gehalt erhalten (USDOS 12.4.2022).
Kinderarbeit gibt es in Syrien sowohl in informellen Sektoren, einschließlich Betteln, Hausarbeit und Landwirtschaft, als auch in Positionen, die mit dem Konflikt zu tun haben, z. B. als Aufpasser, Spione und Informanten. Bei konfliktbezogener Arbeit sind Kinder erheblichen Gefahren durch Vergeltung und Gewalt ausgesetzt. Organisierte Bettelringe setzen die innerhalb des Landes vertriebenen Kinder weiterhin der Zwangsarbeit aus (USDOS 12.4.2022). Viele bewaffnete Gruppen rekrutieren Kinder als Soldaten. Binnenvertriebene und Flüchtlinge sind besonders vulnerabel bezüglich sexueller und Arbeitsausbeutung sowie Menschenhandel (FH 9.3.2023).
Die Zahl der chronisch unterernährten Kinder (unter fünf Jahren) stieg von 553.000 im Jahr 2022 auf 609.979 im Jahr 2023. Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) sind 75.726 Kinder (zwischen sechs und 59 Monaten) akut unterernährt. Nicht zuletzt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dürften sich diese Zahlen über das Jahr 2022 erhöht haben, auch aufgrund der Abhängigkeit insbesondere der Regimegebiete von Importen aus Russland. Rund 70 Prozent der Bevölkerung macht von negativen Bewältigungsmechanismen Gebrauch (z. B. Verschuldung, Kinderarbeit, Kinderehe, Auswanderung, Verringerung der Anzahl täglicher Mahlzeiten). Versorgungsengpässe halten an oder verschlimmern sich. Etwa 90 Prozent aller Haushalte geben über die Hälfte ihres Jahreseinkommens für Lebensmittel und andere Grundbedürfnisse (Wasser, Strom) aus, in 48 Prozent der Haushalte tragen Kinder zum Einkommen bei (AA 29.3.2023). Kinder als Straßenverkäufer oder auf Müllhalden wurden mit der anhaltenden Verschlechterung der Lebensbedingungen aller syrischen Familien ein regelmäßiger Anblick, weil Hunderttausende von Familien unterhalb der Armutsgrenze leben. Auch kam es zu einer Zunahme an obdachlosen Kindern, die allen Formen der Ausbeutung ausgesetzt sind (SNHR 20.11.2021).
Nicht-explodierte Kampfmittelrückstände, Landminen etc. als besondere Gefahr für Kinder:
Das United Nations Mine Action Service (UNMAS) bezeichnet das Ausmaß, die Schwere und die Komplexität der Bedrohung durch Sprengstoffe in Syrien nach wie vor als ein großes Schutzproblem, das die humanitäre Krise und die Gefährdung der Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten verschärft (UNMAS 9.2022). Insgesamt wurden seit 2011 3.353 ZivilistInnen, darunter 889 Kinder, durch Anti-Personen-Landminen getötet (SNHR 4.4.2023). 1.435 SyrerInnen, darunter 518 Kinder, starben bisher durch Streumunition und ihre Überreste, die von den syrischen Streitkräften und Russland eingesetzt wurden (SNHR 30.1.2023).
Die Überreste der Waffen, die das syrische Regime und seine Verbündeten bei der massiven und wahllosen Bombardierung der nicht von ihnen kontrollierten Gebiete eingesetzt haben, und die es in jeder Form, Art und Größe gibt, gehören zu den größten Gefahren, die das Leben der Zivilbevölkerung und insbesondere der Kinder bedrohen - auch in Hinkunft. An erster Stelle stehen die Überreste von Streumunition, die in großem Umfang und wahllos eingesetzt wurde; die Submunition oder „Bomblets“ dieser Waffen sind über große Gebiete verteilt, nachdem sie durch die erste Explosion nach dem Einschlag des Hauptsprengkörpers weiträumig verstreut wurden, wobei zwischen 10 Prozent und 40 Prozent dieser „Bomblets“ nicht explodiert sind und daher eine tödliche Gefahr darstellen. Diese Submunition, die in großer Zahl auf landwirtschaftlichen Flächen, in den Ruinen von Städten und Dörfern und sogar in Flüchtlingslagern verstreut ist, ist in der Regel gut versteckt und kann jederzeit explodieren, weil sie durch jede noch so kleine Bewegung ausgelöst wird. Landminen, die von allen Konfliktparteien gelegt wurden, stellen in dieser Kategorie nach Streumunition die zweitgrößte tödliche Bedrohung dar. Die Überreste dieser Waffen haben zahlreiche zivile Opfer gefordert, vor allem unter Kindern, die am stärksten gefährdet sind, weil sie die Überreste nicht identifizieren oder ihre Gefahr nicht erkennen können.
Diejenigen Kinder, welche durch die Explosionen dieser Überreste verletzt wurden, haben oft Gliedmaßen verloren oder sind anderweitig dauerhaft behindert und müssen für den Rest ihres Lebens mit diesen Beeinträchtigungen leben (SNHR 20.11.2021).
1.3.5. Situation bei einer Rückkehr nach Syrien:
Es besteht nach wie vor kein freier und ungehinderter Zugang von UNHCR und anderer Menschenrechtsorganisationen zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist. Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen bei der Rückkehr ist es unklar, wie systematisch und weit verbreitet Übergriffe gegen Rückkehrer sind. Es gibt kein klares Gesamtmuster bei der Behandlung von Rückkehrern, auch wenn einige Tendenzen zu beobachten sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt zur Abwesenheit eines klaren Musters bei. Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer.
Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude (Anm.: über die Rückkehr) der RückkehrerInnen, pro-oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von RückkehrerInnen. Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen durch die Regierung nach ihrer Rückkehr nach Syrien nicht mehr mit Journalisten oder auch nur mit Angehörigen sprechen. Die syrische Regierung und ihr Sicherheitsapparat sind immer wieder gegen Personen vorgegangen, die sich abweichend oder oppositionell geäußert haben, unter anderem durch willkürliche Inhaftierung, Folter und Schikanen gegen Kritiker und ihre Angehörigen. Trotz Amnestien und gegenteiliger Erklärungen hat die syrische Regierung bisher keine Änderung ihres Verhaltens erkennen lassen.
Rückkehrende werden vom Regime häufig als „VerräterInnen“ deklariert und sehen sich daher oft mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert. Es mangelt insbesondere an einheitlichen bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und an verfügbaren Rechtswegen. Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu unvorhergesehenen Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass selbst eine von der jeweiligen Sicherheitsbehörde vorgenommene positive Sicherheitsüberprüfung jederzeit von dieser revidiert werden kann und damit keine Garantie für eine sichere Rückkehr leistet. Alles in allem kann eine Person, die von der Regierung gesucht wird, aus einer Vielzahl von Gründen oder völlig willkürlich gesucht werden. So kann die Behandlung einer Person an einem Checkpoint von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter der Willkür des Kontrollpersonals oder praktischen Problemen wie eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, müssen mit verschiedenen Konsequenzen seitens der Regierung rechnen, z. B. mit Verhaftung und im Zuge dessen auch mit Folter.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers beruhen auf dessen diesbezüglich plausiblen und im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Hinsichtlich des Gesundheitszustands haben sich auch keine anderen Hinweise ergeben.
Die Namensangleichung erfolgte aufgrund der Familienzugehörigkeit zu den in Österreich lebenden Brüdern des Beschwerdeführers.
Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes.
Die Feststellungen zur Unbescholtenheit ergeben sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich; die erkennungsdienstlichen Behandlungen ergeben sich aus den diesbezüglichen Abschlussberichten.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen:
Die Feststellungen zur aktuelle Kontrolle der Heimatregion des Beschwerdeführers gründen auf den Länderinformationen der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 sowie der Kontrollgebietskarte des Carter-Centers: Exploring Historical Control in Syria (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historicalcontrol-in-syria.html) und der Live Universal Awareness Map („Liveuamap“) Syria (https://syria.liveuamap.com/).
2.2.1. Nichterfolgte Rekrutierung durch das syrische Regime und keine Verfolgung durch das syrische Regime wegen des Wehrdienstes:
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst für das syrische Regime bislang nicht abgeleistet hat, beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat nie behauptet, dass bereits versucht worden sei, ihn – allenfalls unter Zwang – zum Militärdienst zu rekrutieren. Der Beschwerdeführer hat keinerlei dahingehende Vorfälle oder sonstige Zwangsmaßnahmen, sich militärischen Einheiten anzuschließen, ins Treffen geführt und in diesem Zusammenhang lediglich eine nicht näher substantiierte Befürchtung geäußert, wonach er, sollte er nach Syrien zurückkehr, ins Gefängnis kommen.
Festzuhalten ist, dass den Länderfeststellungen Zwangsrekrutierung von Minderjährigen – insbesondere Jungen – zum Zweck des Einsatzes an der Front in Syrien entnommen werden können. Zwar hat das syrische Regime, laut einem Bericht vom Juli 2022 keine Bemühungen gezeigt, den Einsatz von Kindersoldaten durch Regierungs- und regierungstreue Milizen zu verfolgen, doch gibt es auch Meinungen, die Syrisch-Arabische Armee rekrutiere keine Personen unter 18 Jahren. Regierungsnahe Milizen, wie die syrische Hisbollah oder die Local Defense Forces, würden dies jedoch in großer Zahl tun. Ausschlaggebend scheint – neben anderen Risikofaktoren – die wirtschaftliche Situation der Minderjährigen, weil diese sich oft aus Notwendigkeit, sowie aus Angst vom syrischen Regime als illoyal wahrgenommen zu werden, kämpfenden Truppen anschließen. Geographisch bezieht sich die Mehrheit der Fälle von Zwangsrekrutierungen auf den Nordwesten Syriens, vor allem auf die Gebiete rund um Idlib und Aleppo.
Laut Länderinformationsblatt kriminalisiert das Gesetz N. 11/2013 alle Formen von Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 Jahren durch die Syrischen Streitkräfte und bewaffnete Oppositionsgruppen. Dass es faktisch dennoch zu Zwangsrekrutierungen von Kindersoldaten durch die Regierung und regimenahe Milizen kommt, wie dem Länderinformationsblatt zu entnehmen ist, bedeutet nicht eo ipso, dass dies auch dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Weder den Aussagen des Beschwerdeführers noch den allgemeinen Ausführungen in der Beschwerde kann entnommen werden, weshalb gerade der Beschwerdeführer konkret und maßgeblich wahrscheinlich gefährdet wäre, von der syrischen Regierung zwangsweise zu militärischen Diensten welcher Art auch immer eingezogen zu werden.
Hinsichtlich einer allenfalls zukünftig drohenden Zwangsrekrutierung zur Ableistung des Militärdienstes beim syrischen Regime ist zu erwägen, dass die gesetzliche Wehrpflicht in Syrien für Männer mit Erreichen des 18. Lebensjahrs beginnt, wobei Männer mit 17 Jahren aufgerufen werden sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht 15 Jahre alt und würde ihn die Verpflichtung zur Ausführung dieser für den Wehrdienst vorbereitenden Tätigkeiten und die Wehrpflicht noch mehrere Jahre nicht treffen.
Der Vollständigkeit halber ist schließlich festzuhalten, dass auch eine drohende Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die SDF ausgeschlossen werden kann. Mehrheitlich sprechen sich heranziehbare Quellen dagegen aus, dass bewusst Rekrutierungen von Minderjährigen durchgeführt würden. Bei jenen Quellen, die diesen Angaben entgegenstehende Informationen liefern ist zu berücksichtigen, dass die Informationen offenbar von betroffenen Eltern stammen dürften, wobei zu bedenken ist, dass gerade die Eltern ihr Fehlverhalten ob freiwilliger Rekrutierungen möglicherweise verstecken wollten. Auch sei in Folge einer Vereinbarung zwischen den SDF und den Vereinten Nationen auch eine besondere Kinderschutzstelle zur Meldung von bzw. Beschwerden über Rekrutierungen eingerichtet worden. Die Vereinten Nationen berichten von einer gesunkenen Anzahl von (zwangsweise) rekrutierten Minderjährigen, wenngleich es nach wie vor dazu komme.
Damit verstärken auch jene Länderinformationen bzw. Einschätzungen des UNHCR bzw. der EUAA – in deren Kontext die Behauptungen des Beschwerdeführers zu setzen wären – deren möglichen Wahrheitsgehalt nicht: So kommen Rekrutierungen von Minderjährigen nur (sehr) beschränkt vor. Im Ergebnis konnte der Beschwerdeführer das Gericht allerdings nicht davon überzeugen, dass gerade er bei einer theoretischen Rückkehr nach XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Zwangsrekrutierung durch die syrischen Streitkräfte oder anderen Kriegsparteien ausgesetzt wäre.
2.2.2. Kein Vorliegen von Konventionsgründen:
Das Bundesverwaltungsgericht übersieht nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines – im Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse – Minderjährigen eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung gefordert hat, bei der die vorgebrachte Fluchtgeschichte und allfällige Widersprüche in den Angaben unter dem Aspekt der Minderjährigkeit gewürdigt werden müssen. Es muss sich aus der Entscheidung erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und dass darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgte (vgl. dazu etwa VwGH 11.02.2022, Ra 2021/18/0388, Rn. 15, m.w.N., siehe dazu auch die Bezugnahme auf das Alter in Artikel 4 Abs. 3 der Statusrichtlinie).
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, der (nach seinen Angaben) als etwa 12-Jähriger Syrien verlassen hat, auch negative Erlebnisse in seinem Heimatland hatte. Es haben sich aber keine Hinweise darauf ergeben, dass der Beschwerdeführer in ärztlicher und/oder psychologischer bzw. psychiatrischer Behandlung war bzw. ist.
Aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers und hinsichtlich der Ausführungen, er erfülle alle Voraussetzungen, um die Annahme einer sozialen Gruppe zu rechtfertigen, ist festzuhalten, dass UNHCR bei zwei klar definierten Gruppen von Kindern der Ansicht ist, dass diese – je nach den Umständen des Einzelfalls – wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen. Dazu zählen Kinder, die sexuelle Gewalt, Zwangs- und/oder Kinderehen, häusliche Gewalt oder „Ehrendelikte“ überlebt haben oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind, und Kinder, die Rekrutierung von Minderjährigen, Menschenhandel und andere extreme Formen von Kinderarbeit überlebt haben oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind. Der Beschwerdeführer fällt in keine dieser Kategorien. Für den ersten Fall ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte eines Risikos. Dass der Beschwerdeführer auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Rekrutierung ausgesetzt ist, wurde bereits beweiswürdigend ausgeführt.
UNHCR ist ferner der Auffassung, dass Kinder – je nach den Umständen des Einzelfalls – möglicherweise internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, wenn sie zu folgenden Gruppen gehören: Kinder, die zu Arbeit verpflichtet werden, die je nach der Erfahrung und dem Alter des betreffenden Kindes und den sonstigen Umständen wahrscheinlich ihre Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit beeinträchtigt („gefährliche Arbeit“); Kinder im schulpflichtigen Alter, denen der Zugang zu Bildung systematisch verwehrt wird, einschließlich in Folge zielgerichteter Angriffe auf Schulen; fehlende Ausweispapiere, Behinderungen oder diskriminierender Praktiken, die Mädchen den Zugang zu Bildung aufgrund ihres Geschlechts verwehren; und Kinder, denen der Zugang zu Geburtsurkunden und sonstigen Ausweisdokumenten verweigert wird oder bei denen eine entsprechende Gefahr besteht und die entweder keinen Zugang zu Rechtsbehelfsmöglichkeiten haben oder für die ein Rechtsbehelf ohne Wirkung bleibt. Der Beschwerdeführer – der, wie bereits ausgeführt, als etwa 12-Jähriger Syrien verlassen hat – fällt in keine dieser Kategorien. Zudem liegen im Fall des Beschwerdeführers auch nicht die von EUAA darüber hinaus genannten gefahrenerhöhenden Momente vor.
Eine Verfolgung, die sich systematisch gegen alle Kinder in Syrien richtet, kann den einschlägigen Länderberichten nicht entnommen werden. Zusammengefasst ist daher nicht festzustellen, dass der Beschwerdeführer alleine aufgrund der Tatsache, dass er ein – männlicher – Minderjähriger ist, in eine soziale Gruppe fällt und ihm dadurch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung droht.
Der allgemeinen Gefährdung von Minderjährigen aufgrund der Bürgerkriegssituation in Syrien, wurde bereits mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten durch die belangte Behörde entsprochen.
2.2.3. Keine Verfolgung wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung:
Zum Vorbringen, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr eine Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung allein aufgrund seiner illegalen Ausreise und seinem Auslandsaufenthalt droht ist festzuhalten, dass sich aus den einschlägigen Länderberichten nicht ableiten lässt, dass Rückkehrenden per se eine politische-oppositionelle Gesinnung unterstellt wird oder der weitaus überwiegende Teil aller rückkehrenden Personen systematische Repression ausgesetzt wäre. Hinsichtlich der illegalen Ausreise des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass sich aus den einschlägigen Berichten ergibt, dass insbesondere medizinisches Personal, Aktivisten und Journalisten, sowie Personen, welche die Regierung offen kritisieren als regierungsfeindlich angesehen werden und einer Verfolgung bei einer Rückkehr ausgesetzt sind. Der Beschwerdeführer fällt nicht unter eine dieser Risikogruppen. Dass dem Beschwerdeführer einzig aufgrund seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat im Kindesalter eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, ist ohne Hinzutreten weiterer relevanter Merkmale nicht wahrscheinlich. Allein die Tatsache, Syrien verlasen zu haben, führt demnach nicht zu dem (Verfolgungs-) Risiko, das erforderlich ist, um eine begründete Furcht vor Verfolgung nachzuweisen. Rückkehrer, die nicht an oppositionellen Aktivitäten beteiligt waren und Syrien (nur) wegen des Krieges verlassen haben, werden im Allgemeinen bei ihrer Rückkehr nicht mit Problemen konfrontiert.
Verkannt wird in diesem Zusammenhang nicht, dass das Konzept des Regimes, wer als Oppositioneller gilt, nicht klar definiert ist und Personen aus unterschiedlichen Gründen, teilweise auch willkürlich, als regierungsfeindlich angesehen werden. Unter Heranziehung der Länderberichte erscheint die Situation in Syrien aber dennoch nicht derart zugespitzt, dass mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden müsste, dass Rückkehrer allein aufgrund der Tatsache, dass sie illegal ausgereist sind und einen Asylantrag in Österreich gestellt haben seitens des syrischen Regimes ohne weiters generell als oppositionelle bzw. regierungsfeindlich eingeschätzt und verfolgt würden. Dass das auf jeden Rückkehrer zuträfe und insbesondere den Status des Asylberechtigten rechtfertigen könnte bzw. jedem Rückkehrer eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, ergibt sich aus diesen Berichten aber nicht (vgl. hierzu auch VwGH 24.11.2022, Ra 2022/18/0222; 11.11.2020, Ra 2020/18/0147). Den vorliegenden Länderberichten ist somit nicht zu entnehmen, dass Personen, die, wie der Beschwerdeführer, nicht politisch exponiert sind, allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, Asylantragsstellung im Ausland oder Abstammung aus einem (ehemals) oppositionellen Gebiet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten. Rückkehrern wird von der Regierung und Teilen der Bevölkerung zwar mit Misstrauen und Ablehnung begegnet, tatsächliche Repressalien richten sich aber insbesondere gegen jene, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind, was auf den Beschwerdeführer nach den Feststellungen nicht zutrifft. Fallbezogen ergaben sich im Zuge des durchgeführten Ermittlungsverfahrens keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die allgemeinen Länderinformationen in Zusammenschau mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer diesbezüglichen Bedrohungssituation führen könnten. Eine dahingehende Bedrohung oder Verfolgung des Beschwerdeführers wurde daher nicht festgestellt.
Bezugnehmend auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, er fürchte aufgrund seiner Eigenschaft als Angehöriger von Personen, die als regierungsfeindlich wahrgenommen werden, vom syrischen Regime verfolgt zu werden, ist auszuführen, dass auch dies als nicht wahrscheinlich anzunehmen ist. Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass Repressalien gegenüber Familienmitgliedern insbesondere bei „high profile“-Deserteuren gesetzt werden, also z.B. solchen Deserteuren, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Ein solches Vorbringen wurde vom Beschwerdeführer nicht erstattet und sind im Verfahren auch keine dieses Vorbringen stützende Tatsachen hervorgekommen. Der Beschwerdeführer brachte in diesem Zusammenhang lediglich wiederholt vor, seine Brüder flüchteten aus Syrien aus Angst vor Zwangsrekrutierung und seien in Österreich asylberechtigt.
2.2.4. Sonstige Gründe:
Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, in Syrien drohe ihm Entführung zum Zweck von Organhandel, ist auszuführen, dass gemäß den einschlägigen Länderberichten Entführungen speziell zum Zweck von Organhandel als Seltenheit erscheinen. Sohin kann nicht von einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Entführung des Beschwerdeführers zum Zweck des Organhandels ausgegangen werden. Die Fallzahlen sind sehr niedrig und brachte der Beschwerdeführer keine weiteren Gründe vor, warum genau er von Interesse für Entführer sein sollte.
Zusammengefasst ist demnach festzuhalten, dass eine Gefährdung des Beschwerdeführers – auch unter Berücksichtigung seines Alters und des im Zusammenhang mit diesem an Glaubwürdigung und Intensität der Verfolgung des Beschwerdeführers anzulegenden Maßstabes – nicht glaubhaft gemacht wurde. Andere asylrelevante Verfolgungsgründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen und ergeben sich auch nicht aus den maßgeblichen Länderberichten.
2.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Syrien gewährleistet.
Ergänzend wurden Berichte insbesondere der EUAA (Country Guidance: Syria, April 2024) und des niederländischen Ministerie van Buitenlandse Zaken (Allgemeiner Herkunftsland-Informationsbericht zu Syrien, August 2023), sowie die o.a. ACCORD-Anfragebeantwortung vom 31.01.2022 herangezogen.
Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Syrien allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, die eine andere Entscheidung erwarten ließe, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in die wöchentlichen „Briefing Notes“ des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie in tagesaktuelle Medienberichte) versichert hat.
Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Syrien zugrunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Zuständigkeit und Kognitionsbefugnis:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).
3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Zu Spruchpunkt A):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (vgl. VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).
Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt ist es dem Beschwerdeführer letztlich nicht gelungen, individuelle Gründe für die Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung in seiner Heimatregion glaubwürdig darzutun. Sein Vorbringen, bei einer Rückkehr aufgrund von Wehrdienstverweigerung von Familienangehörigen Verfolgung ausgesetzt zu sein oder unter Zwang zum Militärdienst bei den Einheiten des syrischen Regimes oder der Kurden rekrutiert zu werden, hat sich bei unter Zugrundelegung der herangezogenen Länderberichte als nicht glaubhaft bzw. nicht hinreichend wahrscheinlich erwiesen. Auch für eine Verfolgung aufgrund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung aufgrund seiner illegalen Ausreise und seiner Asylantragstellung in Österreich waren weder den Angaben des Beschwerdeführers konkrete Hinweise auf eine individuelle Bedrohung zu entnehmen, noch ist alleine anhand der Länderberichte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vom Bestehen einer dahingehenden Verfolgungsgefahr auszugehen.
Die asylrelevante Verfolgungsgefahr muss aktuell sein und somit im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht 15 Jahre alt und muss allenfalls erst mit Erreichen von 17 Jahren mit ersten Rekrutierungshandlungen durch die syrischen Behörden rechnen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof (im Rahmen der Stattgabe einer Amtsrevision) bei einem 15 Jahre und 9 Monate alten Syrer angesichts des Alters von keiner maßgeblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit in Bezug auf den Wehrdienst ausgegangen ist und der Verfassungsgerichtshof eine solche bei einem 16 Jahre und 4 Tage alten syrischen Staatsbürger angenommen hat.
Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt ist es dem Beschwerdeführer letztlich nicht gelungen, individuelle Gründe für die Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung in seiner Heimatregion glaubwürdig darzutun. Sein Vorbringen, bei einer Rückkehr aufgrund von Wehrdienstverweigerung von Familienangehörigen Verfolgung ausgesetzt zu sein oder unter Zwang zum Militärdienst bei Einheiten des syrischen Regimes rekrutiert zu werden, hat sich unter Zugrundelegung der herangezogenen Länderberichte als nicht glaubhaft bzw. nicht hinreichend wahrscheinlich erwiesen. Auch für eine Verfolgung aufgrund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung aufgrund seiner illegalen Ausreise und seiner Asylantragstellung in Österreich waren weder den Angaben des Beschwerdeführers konkrete Hinweise auf eine individuelle Bedrohung zu entnehmen noch ist alleine anhand der Länderberichte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vom Bestehen einer dahingehenden Verfolgungsgefahr auszugehen. Es ist daher auch davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer legal in sein Heimatland einreisen und in seine Heimatregion weiterreisen kann.
Auch aus der allgemeinen Lage in Syrien lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht herleiten. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997; 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.
Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
Eine mögliche Gefährdung des Beschwerdeführers insbesondere aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Syrien bzw. durch das Fehlen einer Lebensgrundlage im Falle einer Rückkehr wurde bereits im Rahmen der Gewährung subsidiären Schutzes berücksichtigt.
Da sich weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers ergeben haben, ist kein unter Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar.
Der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde daher zu Recht abgewiesen.
Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.