Spruch
W105 2272644-1/5E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. BENDA über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.04.2023, Zl.: 1306589304/221495684, den Beschluss:
A) Das Verfahren über die Beschwerde wird gemäß § 38 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in den Rechtssachen C-608/22 und C-609/22 über die mit Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofs vom 14.09.2022, Ra 2021/20/0425 und Ra 2022/20/0028, vorgelegten Fragen ausgesetzt.
B) Die Revision ist nicht zulässig.
Text
1. Begründung:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Afghanistans und reiste legal mittels eines Visums der Kategorie D am 02.05.2022 in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 05.05.2022 im Rahmen eines Familienverfahrens einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Als Grund für die Antragstellung gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr Ehemann in Österreich den Status des Asylberechtigten habe und sie denselben Schutz wie ihr Ehemann beantrage.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 13.03.2023 gab die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Fluchtgründe zusammenfassend an, dass sie schon immer wegwollen habe, besonders wegen der Taliban. Sie habe immer schon frei leben wollen. Sie habe wegen der Taliban immer zu Hause bleiben müssen. Was solle sie als Frau dort machen. Sie beziehe sich im Familienverfahren auf die Fluchtgründe ihres Mannes.
Im Rahmen einer neuerlichen niederschriftlichen Einvernahme am 11.04.2023 vor dem BFA gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Familie extrem viel Angst gehabt habe, da die Taliban dieser vorgeworfen hätten, sie mit einem geflüchteten Mann verheiratet zu haben. Bevor sie ihren Mann geheiratet habe, habe ein Mitglied der Taliban sie heiraten wollen, jedoch habe sie sich versteckt, als der Mann in ihr Elternhaus gekommen sei.
2. Mit dem hinsichtlich Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) sowie der Genannten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin hätte keine asylrelevanten Probleme aufgrund ihrer Rasse, Volksgruppenzugehörigkeit, Religionszugehörigkeit, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vorgebracht. Eine konkrete Verfolgung oder Benachteiligung ihres Lebens in Afghanistan habe sie nicht konkretisieren können. Ihrem Vorbringen habe keine Asylrelevanz entnommen werden können. Es sei ihren Angaben nicht zu entnehmen, dass sie sich im Bundesgebiet einen westlichen Lebensstil angeeignet habe.
3. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde durch die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 23.05.2023 die gegenständliche Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass Frauen in Afghanistan insbesondere seit der Machtübernahme Afghanistans durch die Taliban von systematischer geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskriminierung betroffen seien. Die Beschwerdeführerin wäre im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit einer gravierenden Einschränkung ihrer fundamentalen Menschenrechte konfrontiert und habe sie auch eine innerlich westliche Überzeugung, sodass ihr in Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung drohe. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
4. Am 13.03.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher die Beschwerdeführerin, eine Dolmetscherin für die Sprache Dari, die bevollmächtigte Vertreterin der Beschwerdeführerin sowie ihr Ehegatte als Vertrauensperson teilnahmen. Das BFA blieb der Verhandlung unentschuldigt fern.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
2.1. Gemäß § 17 VwGVG ist § 38 AVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbar:
„Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.“
§ 38 AVG erfasst nur Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären (VwGH 14.04.2021, Ra 2020/19/0379).
Der Verwaltungsgerichtshof sieht in ständiger Rechtsprechung sowohl die Verwaltungsgerichte als auch sich selbst als berechtigt an, ein Verfahren gemäß § 38 letzter Satz AVG auszusetzen, wenn die betreffende Frage auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens – etwa des Verwaltungsgerichtshofes selbst – in einem gleich gelagerten Fall bereits beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängig ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 [Stand 1.4.2021, rdb.at] Rz 18). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können auf der Grundlage des § 38 AVG Verfahren bis zur (in einem anderen Verfahren beantragten) Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union ausgesetzt werden; eine dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung vorgelegte Frage des Unionsrecht kann nämlich eine Vorfrage iSd § 38 AVG darstellen, die zufolge des im Bereich des Unionsrechts bestehenden Auslegungsmonopols des Gerichtshof der Europäischen Union von diesem zu entscheiden ist (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/19/0379).
2.2. Mit Beschlüssen vom 14.09.2022, Zlen.: EU 2022/0016 (Ra 2021/20/0425) und EU 2022/0017 (Ra 2022/20/0028), legte der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
„1. Ist die Kumulierung von Maßnahmen, die in einem Staat von einem faktisch die Regierungsgewalt innehabenden Akteur gesetzt, gefördert oder geduldet werden und insbesondere darin bestehen, dass Frauen
- die Teilhabe an politischen Ämtern und politischen Entscheidungsprozessen verwehrt wird,
- keine rechtlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt erhalten zu können,
- allgemein der Gefahr von Zwangsverheiratungen ausgesetzt sind, obgleich solche vom faktisch die Regierungsgewalt innehabenden Akteur zwar verboten wurden, aber den Frauen gegen Zwangsverheiratungen kein effektiver Schutz gewährt wird und solche Eheschließungen zuweilen auch unter Beteiligung von faktisch mit Staatsgewalt ausgestatten Personen im Wissen, dass es sich um eine Zwangsverheiratung handelt, vorgenommen werden,
- einer Erwerbstätigkeit nicht oder in eingeschränktem Ausmaß überwiegend nur zu Hause nachgehen dürfen,
- der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen erschwert wird,
- der Zugang zu Bildung - gänzlich oder in großem Ausmaß (etwa indem Mädchen lediglich eine Grundschulausbildung zugestanden wird) - verwehrt wird,
- sich ohne Begleitung eines (in einem bestimmten Angehörigenverhältnis stehenden) Mannes nicht in der Öffentlichkeit, allenfalls im Fall der Überschreitung einer bestimmten Entfernung zum Wohnort, aufhalten oder bewegen dürfen,
- ihren Körper in der Öffentlichkeit vollständig zu bedecken und ihr Gesicht zu verhüllen haben,
- keinen Sport ausüben dürfen,
im Sinn des Art. 9 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) als so gravierend anzusehen, dass eine Frau davon in ähnlicher wie der unter lit. a des Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist?
2. Ist es für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten hinreichend, dass eine Frau von diesen Maßnahmen im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts betroffen ist, oder ist für die Beurteilung, ob eine Frau von diesen - in ihrer Kumulierung zu betrachtenden - Maßnahmen im Sinn des Art. 9 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU betroffen ist, die Prüfung ihrer individuellen Situation erforderlich?“
2.3.1. Auch im Fall der Beschwerdeführerin handelt es sich um ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht betreffend die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten.
Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 nicht zuerkannt; gegen diese Nichtzuerkennung liegt eine rechtzeitige und zulässige Beschwerde der Beschwerdeführerin vor.
Wie aus dem obigen Verfahrensgang sowie Sachverhalt und der rechtlichen Beurteilung hervorgeht, sind die vom Verwaltungsgerichtshof an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtete Fragen präjudiziell, verfahrens- und entscheidungswesentlich.
Die Voraussetzungen für die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens bis zum Vorliegen der Vorabentscheidung liegen somit vor.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.