JudikaturBVwG

W220 2279371-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
06. März 2024

Spruch

W220 2279371-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. XXXX , Rechtsanwalt in 1100 Wien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2023 Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.01.2024, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 30.11.2022 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Antrag wurde der Beschwerdeführer am 08.12.2022 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei er zu seinem Fluchtgrund angab, dass er wegen der Taliban und des Krieges geflüchtet sei. Wegen des Krieges herrsche große Unsicherheit in Afghanistan. Das seien alle Fluchtgründe. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er um sein Leben. Der Beschwerdeführer legte eine Kopie seiner e-Tazkira vor.

Mit Schreiben vom 26.07.2023 gab der Beschwerdeführer über seine ausgewiesene Rechtsvertretung bekannt, dass er als Botendienstfahrer einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgehe. Beigelegt wurde ein Auszug aus dem Gewerberegister (GISA).

Mit Schreiben seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung vom 05.09.2023 wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan ein relativ bekannter Boxer und als Boxtrainer mit eigenem Fitnessstudio tätig gewesen sei. Er habe in seinem Studio Armee- und Polizeiangehörige trainiert. Die Taliban hätten verlangt, dass er Jugendliche zu ihnen schicken und Informationen über die Polizisten bzw. Soldaten liefern solle. Weil er das verweigert hätte, habe er Schwierigkeiten mit den Taliban bekommen und sein Heimatland verlassen müssen. Er befürchte, im Falle seiner Rückkehr wegen der ihm durch die Taliban unterstellten oppositionellen Gesinnung verfolgt zu werden. Außerdem würden die Taliban den Boxsport nicht billigen und als „haram“ betrachten. Dazu wurde auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung, unter anderem zum Männer-Boxsport unter den Taliban und der Lage tätowierter Boxer seit Machtübernahme der Taliban vom 01.12.2022 verwiesen. Außerdem wurden Kopien der e-Tazkira des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau und des älteren Kindes, des Führerscheins des Beschwerdeführers, seines Schulabschlusszeugnisses, offenbar nach Boxkämpfen aufgenommener Fotografien und weiterer Belege für die sportliche Tätigkeit des Beschwerdeführers vorgelegt.

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 22.09.2023 führte der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe weiter aus, indem zusammengefasst angab, dass er in seinem Boxclub drei Tage in der Woche nur Soldaten und drei Tage alle Mitglieder trainiert habe. Er sei von unbekannten Personen bedroht und mittels insgesamt zweier Drohbriefe angewiesen worden, keine Soldaten zu trainieren. Er habe die Bedrohungen nicht ernst genommen, da Soldaten und Polizisten bei ihm gewesen seien. Ca. fünf Tage nach dem Sturz der Taliban seien Personen zu ihm gekommen und hätten ihm vorgeworfen, Soldaten trainiert zu haben. Er habe dies abgestritten, aber Personen hätten ihm Fotos als Beweise gezeigt. Er sei daraufhin geschlagen und mitgenommen worden. Er wäre drei Tage bei den Taliban in einem Keller festgehalten und dort geschlagen worden. Sie hätten wissen wollen, wo die Soldaten seien. Er habe gesagt, dass er die Taliban unterstützen wolle. Nachdem er nach drei Tagen freigelassen worden wäre, habe er seiner Mutter davon erzählt und diese hätte nicht gewollt, dass der Beschwerdeführer dortbleibe und die Taliban unterstütze. Boxen sei nicht erlaubt, sondern nur Ringen. Auch Spiegel seien laut den Taliban „haram“. Zudem seien auch Tätowierungen nicht erlaubt. Die Taliban hätten seine Hand abhacken wollen. Er habe aber zugesagt, dass er die Tätowierung entfernen würde. Er habe einen Freund, der ein Tattoo am Ohr gehabt habe. Sie hätten ihm die Haut abgezogen.

Mit Bescheid vom 02.10.2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

In der Begründung führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer keinen Nachweis haben erbringen können, einen Boxclub betrieben zu haben. Seine Tätigkeit als Boxer würde aufgrund der von ihm vorgelegten Fotos und Urkunden als glaubhaft angesehen. Auch habe der Beschwerdeführer nicht belegen können, über mehrere Jahre hinweg Soldaten trainiert zu haben. Seine Ausführungen hinsichtlich seiner Entführung und Gefangenschaft seien als vage anzusehen. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2019 Drohbriefe erhalten, Afghanistan aber erst 2021 verlassen habe und habe der Beschwerdeführer keine Drohbriefe als Beweismittel vorgelegt. Auch sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer nach 2019 keine Drohbriefe mehr erhalten habe. Widersprüchlich habe er zuerst angegeben, dass die Taliban diese Briefe geschickt hätten, danach habe er aber nicht mehr sagen können, wer der Absender gewesen sei. Der Bruder des Beschwerdeführers lebe noch in Afghanistan, sei jedoch nicht bedroht worden. Es lägen der Behörde keine gesicherten Informationen vor, dass der Boxsport unter der Herrschaft der Taliban verboten sei. Zusammengefasst sei das Vorbringen des Beschwerdeführers zu vage, um Asylrelevanz zu begründen. Der Beschwerdeführer habe auch keinerlei Beweismittel vorgelegt, die eine etwaige Bedrohung belegen würden. Subsidiärer Schutz sei dem Beschwerdeführer aufgrund der Taliban-Herrschaft und der damit einhergehenden instabilen Sicherheitslage in Afghanistan zuzuerkennen gewesen.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde im Wege der ausgewiesenen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers am 05.10.2023 fristgerecht Beschwerde wegen der Verletzung von erheblichen Verfahrensvorschriften erhoben.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde sich nicht mit dem Vorbringen auseinandergesetzt habe, dass der Beschwerdeführer auf die Drohbriefe nicht reagiert habe, weil immer Soldaten bei ihm gewesen seien und er sich durch diese geschützt und somit als sicher gefühlt habe; dieser Schutz sei erst mit der Machtübernahme durch die Taliban weggefallen, sodass er erst 2021 eine Furcht empfunden habe, die ihn zur Flucht veranlasst habe. Die Behörde berücksichtige weiters nicht das Vorbringen, dass der Boxsport von den Taliban als unislamisch angesehen würde und dass daher Boxsportler als solche gefährdet seien. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer sichtbare Tätowierungen aufweise, welche ebenfalls von den Taliban als unislamisch gebrandmarkt würden. Schon aufgrund dieser Fakten unterliege der Beschwerdeführer in Afghanistan dem maßgeblichen Risiko einer Verfolgung durch die Taliban, die auf seiner (ihm von den Taliban zumindest zugeschriebenen) unislamischen und damit oppositionellen Gesinnung beruhe und die landesweit bestehe. Dem Beschwerdeführer hätte daher Asyl gewährt werden müssen. Spruchpunkt I. erweise sich somit als mit Rechtswidrigkeit belastet.

Beantragt wurde unter anderem die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Am 18.10.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und zu seinen persönlichen Lebensumständen befragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt die im Kopf dieser Entscheidung angeführten Personalien, seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam sowie der Volksgruppe der Paschtunen zugehörig. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Muttersprache ist Paschtu. Zudem spricht er Dari, Farsi und etwas Englisch.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan, in dem Dorf XXXX [auch protokolliert unter der Schreibweise: XXXX ], im Distrikt XXXX [auch protokolliert unter der Schreibweise: XXXX ], in der Provinz Laghman, geboren. Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist der Beschwerdeführer aber in der Stadt Jalalabad [auch protokolliert unter der Schreibweise: Jabalabad], in der Provinz Nangarhar, wo er auch bis zu seiner illegalen Ausreise nach Pakistan ca. im Oktober des Jahres 2022 lebte. Daraufhin reiste er über den Iran und die Türkei illegal und schlepperunterstützt in Richtung Europa und schließlich nach Österreich.

In Afghanistan besuchte der Beschwerdeführer zwölf Jahre lang die Schule und schloss diese mit Matura ab. Danach arbeitete er beruflich im Handel mit Hühnern und nahm an Boxkämpfen teil.

Seine Ehefrau, sein Sohn und seine Tochter leben ebenso wie seine Mutter, seine zwei Schwestern und einer seiner Brüder nach wie vor in Afghanistan. Sein anderer Bruder lebt im Iran. Sein Vater ist bereits verstorben. Außerdem verfügt der Beschwerdeführer über Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins in seinem Herkunftsstaat. Er steht in regelmäßigem Kontakt zu seiner Ehefrau und seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen spätestens am 30.11.2022 illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seit seiner Antragstellung im November 2022 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2023, Zl. XXXX , wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt sowie eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

In Österreich war der Beschwerdeführer bereits berufstätig und arbeitet auch momentan.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Dem Beschwerdeführer ist es weder gelungen, glaubhaft zu machen, dass er in Afghanistan einen eigenen Boxclub besessen bzw. geführt hat noch, dass er Soldaten oder Polizisten trainiert hat. Ihm droht daher seitens der Taliban in diesem Zusammenhang auch keine Verfolgung.

1.2.2. Dem Beschwerdeführer droht in seinem Heimatstaat seitens der Taliban auch keine Verfolgung aufgrund seiner dortigen Betätigung als Boxkämpfer.

1.2.3. Der Beschwerdeführer ist tätowiert. Auf dem Handrücken seiner rechten Hand ist ein Schriftzug tätowiert, der übersetzt: „Du bist mein Leben, meine Mutter“ bedeutet. Dazu gelangt das erkennende Gericht zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätowierung bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan nicht verfolgt werden würde. Außerdem existieren Möglichkeiten zur Entfernung eines Tattoos.

1.2.4. Dem Beschwerdeführer drohen bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch sonst nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkrete und individuelle physische und/oder psychische Eingriffe erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit und eine solche Gefährdung wurde von ihm auch nicht glaubhaft gemacht.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Version 10, vom 28.09.2023, wiedergegeben:

„[…]

3 Politische Lage

Letzte Änderung: 21.09.2023

Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert. Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 01.06.2023). Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“ (USIP 17.08.2022; vgl. VOA 01.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem „islamischen Recht und den afghanischen Werten“ regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweisen bestimmen (USIP 17.08.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.06.2023).

Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.08.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 07.07.2022a; vgl. REU 07.09.2021a; VOA 19.08.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 08.09.2021; vgl. DIP 04.01.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 01.06.2023) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.06.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansäßige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 01.06.2023). Innerhalb weniger Wochen kündigten die Taliban „Interims“-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.08.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.08.2022; vgl. HRW 04.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge „Sittenpolizei“ berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.08.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.08.2021; vgl. USDOS 12.04.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.09.2021; vgl. GD 20.09.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.06.2023).

Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 20.06.2023) […].

Die neue Regierung wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 08.09.2021; vgl. REU 07.09.2021b, Afghan Bios 18.07.2023a).

Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 07.09.2021; vgl. REU 07.09.2021b, Afghan Bios 16.02.2022) der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.02.2021 unterzeichnete (AJ 07.09.2021; vgl. VOA 29.02.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 07.07.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 07.07.2022b; vgl. UNSC o. D. a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 18.07.2023b; vgl. 8am 05.10.2021, UNGA 28.01.2022).

Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 04.03.2023; vgl. JF 05.11.2021) als Innenminister (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 04.03.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 01.03.2023) welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 01.03.2023; vgl. UNSC o. D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 04.05.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 04.05.2023; vgl. RFE/RL 29.08.2020). Auch hohe Beamte auf subnationaler Ebene, darunter Provinzgouverneure, Polizeichefs, Abteilungsleiter, Bürgermeister und Distriktgouverneure, wurden in weiterer Folge ernannt (UNGA 28.01.2022; vgl. 8am 05.10.2021).

Nach ihrer Machtübernahme kündigten hochrangige Taliban-Führer eine weitreichende Generalamnestie an, die Repressalien für Handlungen vor der Machtübernahme durch die Taliban untersagte, auch gegen Beamte und andere Personen, die mit der Regierung vor dem 15.08.2021 in Verbindung standen (USDOS 12.04.2022a; vgl. UNGA 28.01.2022). Es wird jedoch berichtet, dass diese Amnestie nicht konsequent eingehalten wurde, und es kam zu willkürlichen Verhaftungen, gezielten Tötungen und Angriffen auf ehemalige afghanische Regierungsmitarbeiter (ANI 20.07.2022; vgl. USDOS 20.03.2023, UNGA 28.01.2022).

Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.08.2022). Diese Dynamik wurde am 23.03.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.08.2022; vgl. RFE/RL 24.03.2022, UNGA 15.06.2022), was Experten als ein Zeichen für eine Spaltung der Gruppe in Bezug auf die künftige Ausrichtung der Herrschaft in Afghanistan bezeichnen (GD 06.07.2022). Seitdem sind die Mädchenbildung und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von „duellierenden Machtzentren“ zwischen den in Kabul und Kandahar ansäßigen Taliban zu sprechen (USIP 17.08.2022), und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 03.06.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.08.2022).

In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eidal-Fitr sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet habe, und „die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung“ seien dabei, zu Ende zu gehen(AnA 18.04.2023; vgl. BAMF 30.06.2023).

Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wird als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mudschahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 05.06.2023; vgl. BAMF 30.06.2023).

Bisher hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 30.10.2022; vgl. REU 15.06.2023), dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder, unter anderem Iran, Türkei, Pakistan, Russland, China und Kazakhstan, entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.03.2023; vgl. OI 25.03.20232).

Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban, Khan Muttaqi, mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (OPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 05.05.2023; vgl. VOA 06.05.2023). […]

4 Sicherheitslage

Letzte Änderung: 15.09.2023

Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.08.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (UNGA 28.01.2022, vgl. UNAMA 27.06.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) (UNGA 28.01.2022) sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (UNAMA 27.06.2023; vgl. UNAMA 7.2022). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hat jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.06.2023).

UNAMA registrierte zwischen dem 15.08.2021 und dem 30.05.2023 mindestens 3.774 zivile Opfer, davon 1.095 Tote (UNAMA 27.06.2023; vgl. AA 26.06.2023). Im Vergleich waren es in den ersten sechs Monaten nach der Machtübernahme der Taliban 1.153 zivile Opfer, davon 397 Tote, während es in der ersten Jahreshälfte 2021 (also vor der Machtübernahme der Taliban) 5.183 zivile Opfer, davon 1.659 Tote, gab. In der Mehrzahl handelte es sich um Anschläge durch Selbstmordattentäter und IEDs. Bei Anschlägen auf religiöse Stätten wurden 1.218 Opfer, inkl. Frauen und Kinder, verletzt oder getötet. 345 Opfer wurden unter den mehrheitlich schiitischen Hazara gefordert. Bei Angriffen auf die Taliban wurden 426 zivile Opfer registriert (AA 26.06.2023).

Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgend:

19.08.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)

01.01.2022 - 21.05.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)

22.05.2022 - 16.08.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)

17.08.2022 - 13.11.2022: 1,587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)

14.11.2022 - 31.01.2023: 1,088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023)

01.02.2023 - 20.05.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.06.2023)

Ende 2022 und in der ersten Hälfte des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.02.2023; vgl. UNGA 20.06.2023). Die Nationale Widerstandsfront, die Afghanische Freiheitsfront und die Bewegung zur Befreiung Afghanistans (ehemals Afghanische Befreiungsfront) bekannten sich zu Anschlägen in den Provinzen Helmand, Kabul, Kandahar, Kapisa, Nangarhar, Nuristan und Panjsher (UNGA 27.02.2023). Die dem Taliban-Verteidigungsministerium unterstehenden Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen gegen Oppositionskämpfer durch, darunter am 11.04.2023 eine Operation gegen die Afghanische Freiheitsfront im Bezirk Salang in der Provinz Parwan, bei der Berichten zufolge acht Oppositionskämpfer getötet wurden (UNGA 20.06.2023).

Die Vereinten Nationen berichten, dass Afghanistan nach wie vor ein Ort von globaler Bedeutung für den Terrorismus ist, da etwa 20 terroristische Gruppen in dem Land operieren. Es wird vermutet, dass das Ziel dieser Terrorgruppen darin besteht, ihren jeweiligen Einfluss in der Region zu verbreiten und theokratische Quasi-Staatsgebilde zu errichten (UNSC 25.07.2023). Die Grenzen zwischen Mitgliedern von Al-Qaida und mit ihr verbundenen Gruppen, einschließlichTTP (Tehreek-e Taliban Pakistan), und ISKP (Islamic State Khorasan Province) sind zuweilen fließend, wobei sich Einzelpersonen manchmal mit mehr als einer Gruppe identifizieren und die Tendenz besteht, sich der dominierenden oder aufsteigenden Macht zuzuwenden (UNSC 25.07.2023).

Hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Machtübernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.01.2022; vgl. UNGA 15.06.2022, UNGA 14.09.2022, UNGA 07.12.2022) so nahmen die im Lauf des Jahres 2022 (UNGA 07.12.2022; vgl. UNGA 27.02.2023) und in der ersten Hälfte des Jahres 2023 wieder ab (UNGA 20.06.2023). Die Gruppe verübte weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara (HRW 12.01.2023). Die Taliban-Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen zur Bekämpfung des ISKP durch, unter anderem in den Provinzen Kabul, Herat, Balkh, Faryab, Jawzjan, Nimroz, Parwan, Kunduz und Takhar (UNGA 20.06.2023).

Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3% der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind, und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 79,7% bzw. 70,7% der Befragten an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.01.2022).

Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 03.02.2023). […]

4.1 Verfolgungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten

Letzte Änderung: 21.03.2023

Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen (AA 20.07.2022; vgl. USDOS 12.04.2022a), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer „schwarzen Liste“ der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.08.2021a; vgl. DW 20.08.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 01.11.2021; vgl. NYT 29.08.2021) unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.08.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Iris-Scans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.03.2022).

Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung [nutzt] soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.08.2021; vgl. BBC 20.08.2021a, 8am 14.11.2022). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 09.01.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.08.2021). […]

5 Regionen Afghanistans

Letzte Änderung: 21.09.2023

[...]

Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.230 Quadratkilometern (CIA 23.08.2023) leben ca. 34,3 (NSIA 4.2022) bis 39,2 Millionen Menschen (CIA 23.08.2023). Afghanistan befindet sich aktuell weitgehend unter der Kontrolle der Taliban (ICG 12.08.2022; vgl AA 26.06.2023) und grenzt an sechs Länder: China (91 km), Iran (921 km) Pakistan (2.670 km), Tadschikistan (1.357 km), Turkmenistan (804 km), Usbekistan (144 km) (CIA 23.08.2023).

5.5 Ost-Afghanistan

Letzte Änderung: 28.09.2023

[...] Der Osten Afghanistans grenzt an Pakistan und ist ein wichtiger Teil des paschtunischen Heimatlandes, dessen Stammeseinfluss sich bis nach Westpakistan erstreckt. Jalalabad, die Hauptstadt der Provinz Nangarhar, liegt auf halbem Weg zwischen Torkham (Ende des Khyber-Passes und Kabul/Grenze zu Pakistan) und ist die wichtigste afghanische Stadt im Osten und gilt als das Tor nach Afghanistan vom Khyber-Pass aus. Berge und Täler (oft sehr abgelegen) dominieren die Region (NPS o. D.d).

Quelle: NSIA 4.2022 *geschätzte Bevölkerungszahl 2022-23

Distrikte nach Provinz (NSIA 4.2022)

Kabul: Bagrami, ChaharAsyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara, Surubi/Surobi/Sarobi

Kapisa: Alasay, Hesa Awal Kohistan, Hesa Duwum Kohistan, Koh Band, Mahmud Raqi, Nijrab, Tagab

Khost: Ali Sher (Tirzayee), Baak, Gurbuz, Jaji Maidan, Khost (Matun), Manduzay (Esmayel Khil), Muza Khel, Nadir Shah Kot, Qalandar, Sabari (Yaqubi), Shamul, Spera, Tanay.

Kunar: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Watapoor sowie der temporäre Distrikt Sheltan

Laghman: Alingar, Alishing, Dawlat Shah, Mehtarlam, Qarghayi, Bad Pash (also Bad Pakh)

Logar: Azra, Baraki Barak, Charkh, Khar War, Khushi, Mohammad Agha, Pul-e-Alam

Nangarhar: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, SherZad, Shinwar, Surkh Rud

Paktia: Ahmadaba, Jaji, Dand Patan, Gardez, Jani Khel, Laja Ahmad Khel (auch Laja Mangel), Samkani (auch Chamkani, Tsamkani), Sayyid Karam (auch Mirzaka), Shwak, Wuza Zadran, Zurmat sowie die vier temporären Distrikte Laja Mangel, Mirzaka, Garda Siray, Rohany Baba

Paktika: Barmal, Dila Wa Khushamand, Gomal, Giyan, Jani Khel, Mata Khan, Nika (Naka), Omna, Surobi, Sar Rawzah, Sharan, Turwo, Urgoon, Wazakhwah, Wormamay, Yahya Khel, Yosuf Khel, Zarghun Shahr (auch Khairkot), Ziruk sowie die vier temporären Distrikte Shakeen, Bak Khil, Charbaran, Shakhil Abad [...]

5.5.1 Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen

Letzte Änderung: 18.09.2023

2022

Am 19.1.2022 wurden ein Kommandeur der Taliban, sein Sohn und drei Zivilisten im Osten der Provinz Kunar erschossen (KP 19.01.2022; vgl. RW 20.01.2022).

Bei zwei Luftangriffen der pakistanischen Streitkräfte entlang der Grenze zu Afghanistan wurden am 16.04.2022 in den Provinzen Kunar und Khost mindestens 47 Menschen getötet und 22 verletzt, hauptsächlich Frauen und Kinder (AOAV 26.04.2022; vgl. AJ 17.04.2022).

Am 20.06.2022 wurden in Nangarhar zwei Zivilisten getötet und 23 verletzt, als ein Fahrzeug, das einen Taliban-Distriktvertreter transportierte, auf einem belebten Markt explodierte. Fünf Taliban-Mitglieder wurden ebenfalls verletzt (AOAV 22.06.2022; vgl. RFE/RL 20.06.2022).

Am 22.06.2022 ereignete sich in den Provinzen Paktika und Khost ein Erdbeben der Stärke 5,9, das schätzungsweise 770 Todesopfer und etwa 1 500 Verletzte forderte (USAID 28.06.2022; vgl. WHO 03.07.2022a).

Am 02.07.2022 explodierte in Nangarhar eine Granate in einem islamischen Seminar, es wurden mindestens acht Personen verletzt (ANI 04.07.2022).

Im August wurde von Zusammenstößen zwischen den Taliban und der National Resistance Front (NRF) in Khost (8am 13.08.2022) und Kapisa (AaNe 24.08.2022) berichtet.

Am 10.10.2022 kam es in der Hauptstadt von Laghman zu einem Angriff auf Sicherheitskräfte der Taliban, bei denen auch Zivilisten verletzt wurden (UNGA 07.12.2022; vgl. Afintl 11.10.2022b).

Am 06.12.2022 ereignete sich in der Stadt Jalalabad in Nangarhar eine Explosion, bei der bis zu zehn Zivilisten verletzt wurden (Afintl 06.12.2022; vgl. Bakhtar 06.12.2022).

2023

Die NRF behauptete, am 24.01.2023 in der Provinz Kapisa drei Taliban-Kämpfer getötet und zwei weitere verletzt zu haben (BAMF 30.06.2023; vgl. 8am 25.01.2023).

Die AFF gab bekannt, dass drei Taliban-Mitglieder getötet und vier weitere verwundet wurden, nachdem sie am 08.05.2023 einen Raketenangriff auf das Gouverneursbüro der Taliban in Mahmud-i-Raqi, der Hauptstadt der Provinz Kapisa, verübt hatten (Afintl 10.05.2023; vgl. 8am 09.05.2023). Ein Sprecher der Taliban in Kapisa wies jedoch die Behauptungen der AFF zurück (Afintl 10.05.2023).

6 Zentrale Akteure

6.1 Taliban

Letzte Änderung: 21.03.2023

Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe, die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.08.2022; vgl. USDOS 12.04.2022a). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“ (USIP 17.08.2022; vgl. VOA 01.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.08.2022).

Nach der US-geführten Invasion, mit der das ursprüngliche Regime 2001 gestürzt wurde, gruppierten sich die Taliban jenseits der Grenze in Pakistan neu und begannen weniger als zehn Jahre nach ihrem Sturz mit der Rückeroberung von Gebieten (CFR 17.08.2022). Nachdem die Vereinigten Staaten ihre verbleibenden Truppen im August 2021 aus Afghanistan abzogen, eroberten die Taliban mit einer raschen Offensive die Macht in Afghanistan (CFR 17.08.2022; vgl. USDOS 12.04.2022a). Am 15.08.2021 floh der bisherige afghanische Präsident Ashraf Ghani aus Afghanistan, und die Taliban nahmen Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein (BBC 15.08.2022; vgl. AI 29.03.2022).

Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.08.2022; vgl. Rehman A./PJIA 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 07.07.2022a; vgl. CFR 17.08.2022, Rehman A./PJIA 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022a; vgl. Afghan Bios 07.07.2022a, REU 07.09.2021a).

Vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 unterstand die militärische Befehlskette der Kommission für militärische Angelegenheiten der Taliban. Diese Einrichtung wurde von Mullah Yaqoob, der 2020 zum Leiter der militärischen Operationen der Taliban ernannt wurde, sowie Sirajuddin Haqqani, dem Anführer des Haqqani-Netzwerks, dominiert (EUAA 8.2022a, RFE/RL 06.08.2021). Die Kommission für militärische Angelegenheiten funktionierte ähnlich wie ein Ministerium, mit „Vertretern auf Zonen-, Provinz- und Distriktebene“ (VOA 05.09.2021; vgl. EUAA 8.2022a).

In der Befehlskette von der untersten Ebene aufwärts untersteht jeder Taliban-Befehlshaber auf Distriktebene einem Provinzkommando. Drei oder mehr Provinzkommandos bilden Berichten zufolge einen von sieben regionalen „Kreisen“. Diese „Kreise“ werden von zwei stellvertretenden Leitern der Kommission für militärische Angelegenheiten beaufsichtigt, von denen einer für die „westliche Zone“ der militärischen Führung der Taliban (die 21 Provinzen umfasst) und der andere für die „östliche Zone“ (13 Provinzen) zuständig war (RFE/RL 06.08.2021; vgl. EUAA 8.2022a). Nach Einschätzung des United States Institute of Peace (USIP) wurde diese Aufteilung der Zuständigkeiten für militärische Angelegenheiten zwischen Yaqoob und Haqqani offenbar durch ihre jeweilige Ernennung zum Innen- und Verteidigungsminister der Taliban im September 2021 gefestigt (USIP 09.09.2021; vgl. EUAA 8.2022a).

Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban, sich von „einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität“ zu entwickeln (EUAA 8.2022a; vgl. NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022a; vgl. DW 11.10.2021), und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022a; vgl. REU 10.09.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022a; vgl. DW 11.10.2021).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk hat seine Wurzeln im Afghanistan-Konflikt der späten 1970er-Jahre. Mitte der 1980er-Jahre knüpfte Jalaluddin Haqqani, der Gründer des Haqqani-Netzwerks, eine Beziehung zum Führer von Al-Qaida, Usama bin Laden (UNSC o. D.c; vgl. FR24 21.08.2021). Jalaluddin schloss sich 1995 der Taliban-Bewegung an (UNSC o. D.c; vgl. ASP 01.09.2020), behielt aber seine eigene Machtbasis an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan (UNSC o. D.c). Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 übernahm Jalaluddins Sohn, Sirajuddin Haqqani, die Kontrolle über das Netzwerk (UNSC o. D.c, vgl. VOA 04.08.2022). Er ist seit 2015 auch einer der Stellvertreter des Taliban-Anführers Haibatullah Akhundzada (FR24 21.08.2021; vgl. UNSC o. D.c). Das Haqqani-Netzwerk gilt dank seiner finanziellen und militärischen Stärke - und seines Rufs als skrupelloses Netzwerk - als halbautonom, auch wenn es den Taliban angehört (FR24 21.08.2021).

Es befehligt eine Truppe von 3.000 bis 10.000 traditionellen bewaffneten Kämpfern in den Provinzen Khost, Paktika und Paktia (VOA 30.08.2022). Berichten zufolge kontrolliert die Gruppe inzwischen auch mindestens eine Eliteeinheit und überwacht die Sicherheit in Kabul und in weiten Teilen Afghanistans (VOA 30.08.2022; vgl. UNSC 26.05.2022).

Das Netzwerk unterhält Verbindungen zu Al-Qaida und, zumindest zeitweise bis zur Machtübernahme der Taliban, dem Islamischen Staat Khorasan Provinz (ISKP) (VOA 30.08.2022; vgl. UNSC 26.05.2022). Es wird angemerkt, dass nach der Machtübernahme und der Eskalation der ISKP-Angriffe kein Raum mehr für Unklarheiten in der strategischen Konfrontation der Taliban mit ISKP bestand und es daher nicht im Interesse der Haqqanis lag, solche Verbindungen zu pflegen (UNSC 26.05.2022). Zudem wird vermutet, dass auch enge Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst (VOA 30.08.2022; vgl. DT 07.05.2022) und den Tehreek-e Taliban (TTP), den pakistanischen Taliban, bestehen (UNSC 26.05.2022). [...]

13 Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 19.09.2023

Die Verfassung der afghanischen Republik von 2004 ist zwar formell nicht aufgehoben worden, besteht jedoch nur noch auf dem Papier. Im September 2022 betonte der Taliban-Justizminister, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei. Eine neue oder angepasste Verfassung existiert bislang nicht. Nach wie vor ist unklar, ob die von Taliban-Außenminister Amir Khan Mottaqi im Februar 2022 angekündigte Reformkommission etabliert wurde. Die in der Vergangenheit von Afghanistan unterzeichneten oder ratifizierten Menschenrechtsabkommen werden von der Taliban-Regierung, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt anerkannt; es wird ein Islamvorbehalt geltend gemacht, wonach islamisches Recht im Falle einer Normenkollision Vorrang hat (AA 26.06.2023).

Seit dem Sturz der gewählten Regierung haben die Taliban die Menschenrechte und Grundfreiheiten der afghanischen Bevölkerung zunehmend und in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Insbesondere Frauen und Mädchen wurden in ihren Rechten massiv eingeschränkt und aus den meisten Aspekten des täglichen und öffentlichen Lebens verdrängt (UNICEF 09.08.2022; vgl. AA 26.06.2023).

Die Taliban-Führung hat ihre Anhänger verschiedentlich dazu aufgerufen, die Bevölkerung respektvoll zu behandeln (AA 26.06.2023). Es gibt jedoch Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 (HRW 12.01.2023; vgl. AA 26.06.2023, USDOS 20.03.2023), darunter Hausdurchsuchungen, Willkürakte und Hinrichtungen (AA 26.06.2023). Es kommt zu Gewalt und Diskriminierung gegenüber Journalisten (AA 26.06.2023; vgl. HRW 12.01.2023) und Menschenrechtsaktivisten (FH 1.2023; vgl. FIDH 12.08.2022, AA 26.06.2023). Auch von gezielten Tötungen wird berichtet (HRW 12.01.2023; vgl. AA 26.06.2023). Menschenrechtsorganisationen berichten auch über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte (AA 26.06.2023; vgl. HRW 12.01.2023). Weiterhin berichten Menschenrechtsorganisationen von Rache- und Willkürakten im familiären Kontext - also gegenüber Familienmitgliedern oder zwischen Stämmen/Ethnien, bei denen die Täter den Taliban nahestehen oder Taliban sind. Darauf angesprochen, weisen Taliban-Vertreter den Vorwurf systematischer Gewalt zurück und verweisen wiederholt auf Auseinandersetzungen im familiären Umfeld. Eine nachprüfbare Strafverfolgung findet in der Regel nicht statt (AA 26.06.2023).

Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen. Es kam zum Einsatz von scharfer Munition (AA 26.06.2023; vgl. HRW 12.10.2022, GD 02.10.2022), und es gibt auch Berichte über Todesopfer bei Protesten (FH 24.02.2022a, AI 15.08.2022). [...]

19 Ethnische Gruppen

Letzte Änderung 2023-03-21

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 34,3 (NSIA 4.2022) und 38,3 Millionen Menschen (8am 30.03.2022; vgl. CIA 29.12.2022). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 29.12.2022), da die Behörden des Landes nie eine nationale Volkszählung durchgeführt haben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass keine der ethnischen Gruppen des Landes eine Mehrheit bildet, und die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Schätzungen sind und oft stark politisiert werden (MRG 05.01.2022).

Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42%), Tadschiken (ca. 27%), Hazara (ca. 9-20%) und Usbeken (ca. 9%), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2%) (AA 20.07.2022).

Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 12.04.2022a).

Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. So gibt es in der Taliban-Regierung z. B. nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara (AA 20.07.2022).

Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Aber selbst auf lokaler Ebene werden Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind (AA 20.07.2022). So waren zum Beispiel am 20.12.2021 alle 34 Provinzgouverneure überwiegend Paschtunen, während andere ethnische Gruppen kaum vertreten waren (UNGA 28.01.2022). Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren (AA 20.07.2022). [...]

19.1 Paschtunen

Letzte Änderung 2023-03-09

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans (MRG 05.02.2021a; vgl. AA 20.07.2022). Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime und leben hauptsächlich im Süden und Osten des Landes (MRG 05.02.2021a; vgl. Print 21.09.2021). Traditionell waren die Paschtunen nomadisierende oder halbnomadische Viehzüchter, Ackerbauern und Händler. Seit langer Zeit sind sie in Städten ansäßig geworden, wo sie verschiedensten Tätigkeiten nachgehen. Paschtunische Stämme waren stets die militärische Stütze des afghanischen Königshauses und wurden dafür mit einigen Privilegien (Steuervergünstigungen, weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten u. a.) versehen (STDOK 01.07.2016).

Die Sozialstruktur der Paschtunen basiert auf dem Paschtunwali-Kodex (oder Pukhtunwali-Kodex), der eine Mischung aus einem Stammes-Ehrenkodex und lokalen Auslegungen der Scharia ist. Dies erfordert die Beherrschung der paschtunischen Sprache und die Einhaltung der bestehenden Bräuche. Gastfreundschaft, Schutz der Gäste, Verteidigung des Eigentums, Familienehre und Schutz der weiblichen Verwandten sind einige der wichtigsten Grundsätze für Paschtunen. Sie stützen sich auf die Jirga des Stammesrates zur Beilegung von Streitigkeiten und zur lokalen Entscheidungsfindung sowie auf die Abschirmung der Frauen von allen Angelegenheiten außerhalb des Hauses (MRG 05.02.2021a; vgl. BBC 12.08.2022, STDOK 7.2016). [...]

[...]“

1.3.2. ACCORD Anfragebeantwortung unter anderem zum Männer-Boxsport unter den Taliban und der Lage tätowierter Boxer seit Machtübernahme der Taliban, vom 01.12.2022:

„Boxsport für Männer in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban

Pajhwok Afghan News berichtet im Oktober 2021, dass laut dem afghanischen Nationalen Olympischen Komitee (welches von den Taliban kontrolliert wird, Anm. ACCORD) ein Boxturnier in acht Bezirken („zones“) von Kabul abgehalten worden sei. Der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, Nazar Mohammad Mutmaen, habe angeführt, dass es eine gute Nachricht sei, dass kein Champion und Mitglied des Boxverbandes das Land verlassen habe (Pajhwok Afghan News, 10. Oktober 2021).

Der nationale Boxsport-Verband Afghanistans, Afghanistan National Boxing Federation (ANBF), betreibt eine aktive Facebookseite. Im ersten Beitrag nach der Machtübernahme der Taliban wünscht die ANBF am 27. August 2021 allen einen schönen „Tag des Boxsports“ und fügt hinzu, dass die Situation in Afghanistan keine gute sei. Zwischen August 2021 und Mai 2022 gibt es nur einen einzigen Facebook-Beitrag der ANBF.

Am 16. August 2022 veröffentlich die ANBF einen Beitrag über das Shahid Hameedullah Hameedi Gedenkturnier, das vom 12. bis 15. August 2022 im Afghanistan International Shahid Hameedullah Hameedi Boxing Stadium stattgefunden habe. Am Turnier hätten 100 Boxer aus elf Vereinen in zwei Kategorien teilgenommen. Am 18. Oktober 2022 wurde auf der Facebookseite ein Beitrag über die Teilnahme an einem Onlinekurs veröffentlicht. Im zuletzt veröffentlichen Beitrag vom 29. Oktober 2022 gratuliert die ANBF zwei australischen Boxern mit afghanischen Wurzeln zu ihren Erfolgen. Im Beitrag heißt es weiter, dass Afghanistan vor dem Regierungswechsel an den asiatischen Boxmeisterschaften in Dubai teilgenommen habe, die ANBF traurig über die Situation der Sportler der Nationalmannschaft in Afghanistan sei und sich bemühe Lösungen für sie zu finden (ANBF, aufgerufen am 25. November 2022).

Die iranische Nachrichten-Webseite, Pars Today, berichtet im Jänner 2022, dass ein Mitglied des nationalen Boxteams Afghanistans, Mortaza Ebrahimi, in Kabul von Unbekannten getötet worden sei (Pars Today, 20. Jänner 2022).

Die Asian Boxing Confederation (ASBC) schreibt im März 2022 auf ihrer Webseite, dass das Management-Team der Afghanistan Boxing Federation hart daran arbeite, den Boxsport im Land am Leben zu erhalten und den Boxern trotz der schwierigen Umstände eine Chance zu geben. Die National Boxing Federation habe in Afghanistan nach achtmonatiger Pause in Folge der Machtübernahme der Taliban, wieder einen Boxwettbewerb ausrichten können. Das „Kabul Selection Tournament“ habe aufgrund der hohen Teilnehmerzahl zwei Wochen gedauert. Insgesamt hätten 289 Boxer aus allen Vereinen der Provinz Kabul am Auswahlwettbewerb in der Hauptstadt teilgenommen. Die besten Boxer des lokalen Wettbewerbs könnten an den bevorstehenden „Afghanistan Elite National Boxing Championships“ teilnehmen, die für später im Jahr anberaumt seien. Eine weitere Veranstaltung werde in einer anderen Provinz stattfinden (ASBC, 27. März 2022).

Boxweltmeisterschaften der Herren 2021 in Belgrad

Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), Associated Press (AP) und Agence France-Presse (AFP) interviewten im Dezember 2021 Mitglieder des elf-Mann starken afghanischen Boxteams (neun Boxer, ein Trainer und ein Top-Funktionär des Boxverbandes), die nach Beendigung der Boxweltmeisterschaften der Herren 2021 in Belgrad nicht nach Afghanistan zurückkehrten (Gandhara, 16. Dezember 2021; AP News, 5. Dezember 2021; AP Archive, 5. Dezember 2021; AFP News Agency, 3. Dezember 2021).

Gandhara (der regionale Dienst von RFE/RL) berichtet, dass das Fitnessstudio, in dem das Team in Kabul trainiert habe, kurz nach der Machtergreifung der Taliban im August 2021, geschlossen worden sei. Die Boxer hätten daraufhin monatelang heimlich trainiert (Gandhara, 16. Dezember 2021). Laut Waheedullah Hameedi, dem Generalsekretär des afghanischen Boxverbandes, sei es schwierig gewesen unter der neuen Regierung zu den Boxweltmeisterschaften zu reisen. Die Boxer hätten ihren Plan nach Serbien zu reisen geheim gehalten. Sie hätten an geheimen Plätzen trainiert, hätten in Afghanistan ein Visum für den Iran und erst im Iran ein Visum für Serbien beantragt und seien vom Iran aus nach Belgrad gereist (AP News, 5. Dezember 2021). Laut Info Migrants hätten Mitglieder des „Fair Chance Teams“, unter dessen Banner die afghanischen Boxer gekämpft hätten (nähere Informationen über das „Fair Chance Team“ finden Sie im folgenden Unterkapitel), Unterstützung erhalten, um zum Turnier zu kommen (Info Migrants, 6. Dezember 2021). Gandhara berichtet, dass die Taliban nach Gesprächen mit Delegierten des Internationalen Olympischen Komitees in Kater den afghanischen Boxern erlaubt hätten, an der Weltmeisterschaft in Belgrad teilzunehmen (Gandhara, 16. Dezember 2021). Es konnten keine weiteren Informationen über eine mögliche Erlaubnis der Taliban gefunden werden.

Laut einem der afghanischen Boxer, Hasibullah Malikzada, sei das Leben der Boxer bei einer Rückkehr nach Afghanistan in Gefahr (Gandhara, 16. Dezember 2021).

In einem Videointerview mit AFP gibt Waheedullah Hameedi an, dass die Gruppe beabsichtigt hätte nach Afghanistan zurückzukehren. Sie seien am 7. November zum Flughafen in Belgrad gefahren, hätten jedoch viele Warnungen von verschiedenen Familienmitgliedern erhalten nicht nach Afghanistan zurückzukehren, da sie sonst von den Taliban getötet würden (AFP News Agency, 3. Dezember 2021). Weiteres Videomaterial über die Boxer in Belgrad, inklusive Interviews, ist auf dem YouTube-Kanal des AP Archive verfügbar (AP Archive, 5. Dezember 2021).

Laut Hameedi würden die Taliban den Boxsport nicht billigen. Boxen sei für die Taliban haram (nach islamischem Glauben verboten, Anm. ACCORD). Der Boxsport sei während der früheren Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 verboten gewesen. Laut Hameedi seien Boxer auch bei der Machtübernahme der Taliban 2021 Drohungen ausgesetzt gewesen und hätten um ihre Sicherheit gefürchtet (AP News, 5. Dezember 2021). Hameedis Vater sei 2019 von den Taliban erschossen worden, als er als oberster Manager des afghanischen Boxsport-Verbandes Frauen für den Sport angeworben habe (Gandhara, 16. Dezember 2021).

Gandhara schreibt, dass die Taliban 2021 erklärt hätten keinen Sport zu verbieten, solange er nicht gegen islamisches Recht verstoße (Gandhara, 16. Dezember 2021). Info Migrants ergänzt, dass die Taliban im Oktober 2021 bekannt gegeben hätten, dass es Sportlern weiterhin erlaubt sei ihren Sport auszuüben, wobei sie insbesondere Cricket erwähnt hätten. Es sei jedoch unklar gewesen, ob auch Boxen auf der Liste der erlaubten Sportarten gestanden habe (Info Migrants, 6. Dezember 2021). Mit Dezember 2021 habe die Taliban-Regierung noch keine formelle Entscheidung über die Zukunft des Boxsports in Afghanistan getroffen. Dad Mohammad Nawak, Chief Information Officer der Taliban beim afghanischen Nationalen Olympischen Komitee, habe gegenüber Gandhara angeführt, dass die Boxer bei einer Rückkehr nicht in Gefahr seien. Dies habe, laut Gandhara, die Ängste der afghanischen Athleten, in Anbetracht des brutalen Vorgehens der Taliban nach ihrer Machtübernahme, nicht zerstreut (Gandhara, 16. Dezember 2021).

Einer der Boxer, Hasibullah Malikzada, beschreibt außerdem, dass er sich um die Sicherheit seiner Familie Sorgen mache, da einige seiner Familienmitglieder Verbindungen mit der ehemaligen Regierung gehabt hätte. Auch hätten sich seine Brüder der Anti-Taliban-Widerstandsbewegung im Pandschschir-Tal nördlich von Kabul angeschlossen - einer Gruppe ehemaliger Regierungstruppen und Milizkämpfer, die sich gegen die Taliban zu Wehr gesetzt hätten (Gandhara, 16. Dezember 2021).

Das „Fair Chance Team“

Die International Boxing Association (IBA) erklärt in einem Beitrag auf ihrer Webseite, dass das „Fair Chance Team“ im Rahmen des sozialen Entwicklungsprogramms der IBA und als Reaktion auf Vertreibungen und humanitäre Krisen gegründet worden sei, um jedem Boxer eine faire Chance und einen fairen Kampf zu ermöglichen. Das Projekt ziele darauf ab talentierte Boxer zu unterstützen, die sich nicht in ihren Heimtaländern befänden oder diese Länder aus unterschiedlichen humanitären Gründen nicht vertreten könnten. Das erste „Fair Chance Team“, sei bei den Boxweltmeisterschaften der Männer in Belgrad angetreten. Es habe aus 14 Boxern aus verschiedenen Kontinenten bestanden. Das „Fair Chance Team“ werde in Zukunft bei der Frauen-Weltmeisterschaft in Istanbul und bei anderen internationalen Turnieren zum Einsatz kommen werden (IBA, 30. Oktober 2021).

Laut Gandhara hätten die afghanischen Boxer nicht unter der Flagge Afghanistans antreten können, damit nicht der Anschein erweckt würde, dass die IBA die Taliban de facto als legitime Regierung Afghanistans anerkennen würde (Gandhara, 16. Dezember 2021).

Der Sportstar berichtet im Mai 2022, dass das „Fair Chance Team“ nach den Boxweltmeisterschaften der Männer in Belgrad auch bei den Kontinentalen Meisterschaften der American Boxing Confederation (AMBC) Anfang 2022 zum Einsatz gekommen sei (Sportstar, 13. Mai 2022).

Negative Konsequenzen für die afghanischen Teilnehmer der Box-WM

Es konnten keine Informationen über negative Konsequenzen für die afghanischen Teilnehmer der Box-WM gefunden werden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass es solche negativen Konsequenzen nicht gegeben hat. Gesucht wurde auf Dari, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Afghanistan, Boxer, Belgrad, Box-WM, 2021, Taliban, Konsequenzen, Drohungen, Familien

Die Taliban und Tattoos

Es konnten keine Informationen dazu gefunden werden, ob tätowierte Boxer aus Sicht der Taliban als „Ungläubige“ gelten. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie dies nicht tun. Gesucht wurde auf Dari, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Afghanistan, Boxer, Tattoos, Tätowierungen, Taliban, ungläubig, kafir, haram, verboten

Die folgenden Quellen enthalten generelle Informationen über den Standpunkt der Taliban zu Tätowierungen:

Die Autorin Rahela Nayebzadah schreibt in einem Artikel für The Globe and Mail über ein Telefonat vom 15. August 2022 mit ihrem Cousin in Kabul. Dieser habe die Angst geäußert, dass die Taliban ihm seinen Arm abhacken, sollten sie seine Tattoos sehen (The Globe and Mail, 12. August 2022).

The New York Times (NYT) veröffentlicht im Februar 2022 Portraits von sechs Afghan·innen, die nach der Machtübernahme der Taliban geflohen seien. Einer davon, der 16-jährige Bakhtullah Noor Wali habe die Initialen seiner Freundin auf seiner Hand tätowiert. Er habe nach der Machtübernahme der Taliban von seiner Heimatstadt Khost nach Kabul fahren müssen, um in die USA zu fliehen. Das Tattoo hätte laut Wali zum Problem werden können, hätten die Taliban es bei einem der vielen Checkpoints entdeckt. Laut Wali würden die Taliban Tattoos mit Säure entfernen und sollten sie keine Säure zur Verfügung haben, würden sie es mit einem Messer entfernen. Er und sein Bruder, der auch ein Tattoo habe, hätten ihre Tattoos mit Pflastern überklebt, Handschuhe angezogen und sich in traditionellen afghanischen Gewändern gekleidet und seien so durch die Checkpoints gekommen (NYT, 28. Februar 2022).

Independent Persian, die persische Version der britischen Zeitung The Independent, berichtet im Jänner 2022 von dem Betreiber eines Make-Up und Tattoo-Studios in Kabul, den die Taliban schon im Juli 2021 vor ihrer Machtübernahme [im August 2021] aufgefordert hätten seinen Laden zu schließen, da sie ihn sonst in die Luft sprengen würden. Er sei daraufhin in den Iran geflohen. Nachdem er Kabul verlassen habe, habe er von Freunden mit Tätowierungen gehört, die von den Taliban gefoltert worden seien. Die Taliban hätten die tätowierten Körperstellen mit Messern verwundet (Independent Persian, 5. Jänner 2022).

Die internationale schiitische Nachrichten-Webseite Shafaqna schreibt im Juni 2022, dass die Taliban laut einer lokalen Quelle in Pandschschir die tätowierte Haut mit einem Skalpell von den Händen eines Einwohners entfernt hätten. Der Mann habe stark geblutet und habe ins Krankenhaus müssen (Shafaqna, 21. Juni 2022).

Die afghanische Medienorganisation Khaama berichtet im Juli 2022, dass Einwohner von Kabul sich wiederholt über Aktionen der Taliban, wie zum Beispiel Schlägen wegen Tätowierungen, beschwert hätten (Khaama, 30. Juli 2022).“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zu der vom Beschwerdeführer angeführten Identität ergibt sich aus seinen Angaben im Verfahren (Seite 1 der Niederschrift der Erstbefragung, Seite 2 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seiten 3 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Mangels Vorlage von Identitätsdokumenten im Original war die Identität des Beschwerdeführers nicht zweifelsfrei festzustellen.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zu seinen Sprachkenntnissen, seiner Schulbildung, seiner Arbeitserfahrung und seiner sonstigen Betätigung gründen ebenso wie die Feststellungen zu seinem Familienstand und seinen Kindern auf den diesbezüglich plausiblen, widerspruchsfreien und sohin glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Seiten 1 ff der Niederschrift der Erstbefragung, Seiten 3 f und 9 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seiten 3 bis 5 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung); das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen Angaben zu zweifeln. Zusätzlich legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 05.09.2023 ein Konvolut an Fotografien, die augenscheinlich im Zusammenhang mit Boxkämpfen stehen, Mitgliedsnachweisen, Teilnahmebestätigungen und Beglaubigungen vor. Nicht zuletzt aufgrund dieser Unterlagen und der entsprechenden Stellungnahme wurde dem Beschwerdeführer seine Betätigung als Boxkämpfer in Afghanistan geglaubt.

Die Feststellungen zum Geburtsort des Beschwerdeführers, seinen Wohnorten in Afghanistan sowie seiner Reiseroute, der Ausreise nach Pakistan und schließlich der Reise in Richtung Europa konnten den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung (Seiten 1 und 3 bis 5 der Niederschrift der Erstbefragung), der Einvernahme vor dem Bundesamt (Seiten 2 und 4 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde) sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (Seiten 4 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) entnommen werden.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer – anders als er vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung angab (Seite 5 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seiten 7 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) – nicht bereits im August 2021, sondern, wie von ihm in der Erstbefragung angegeben, (Seite 4 der Niederschrift der Erstbefragung) erst ca. zwei Monate vor dem Zeitpunkt der Erstbefragung, sohin ca. im Oktober 2022 ausreiste, ergibt sich zunächst daraus, dass der Beschwerdeführer in der – in einer für den Beschwerdeführer verständlichen Sprache rückübersetzten (Seite 7 der Niederschrift der Erstbefragung) – Erstbefragung exakte Angaben zu seiner Reiseroute tätigte, die stimmig mit einem Ausreisezeitpunkt ca. im Oktober 2022 zusammenpassen. So führte er an, zunächst durch Pakistan durchgereist zu sein, dann 25 Tage im Iran, fünf Tage in der Türkei, zwölf Tage in Bulgarien und fünf Tage in Serbien verbracht zu haben, bevor er durch Ungarn durch- und schließlich nach Österreich eingereist sei (Seite 5 der Niederschrift der Erstbefragung). Zu diesem Umstand in der mündlichen Verhandlung befragt, gab der Beschwerdeführer an: „Ich habe damals sehr wohl die ungefähre Dauer meines Aufenthaltes in den jeweiligen Ländern angegeben, ich habe aber nicht angeführt, wie oft ich insgesamt wieder zurückgeschoben wurde und wieder neu von vorne beginnen musste.“ (Seite 8 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Dieser Erklärungsversuch erscheint der erkennenden Richterin völlig unplausibel und wird dem daher auch kein Glauben geschenkt.

Die Feststellungen zum Aufenthalt seiner Familienangehörigen (in Afghanistan und dem Iran) und zum Kontakt zu diesen gründen sich ebenfalls auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Seite 3 der Niederschrift der Erstbefragung, Seiten 3 f und 9 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seiten 6 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Dass der Vater des Beschwerdeführers bereits verstorben ist, konnte diesen Angaben ebenso entnommen werden.

Die Feststellungen zur Einreise nach Österreich, zur Asylantragstellung, zur Gewährung von subsidiärem Schutz, zur befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet ergeben sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt, dem Bescheid vom 02.10.2023 und einer Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister sowie das Zentrale Melderegister (Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2023 zur Zl. XXXX , Seite 2 der Niederschrift der Erstbefragung).

Die Feststellungen zur Berufstätigkeit des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergeben sich aus einer Einsicht in das AJ-WEB, den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Seite 5 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde) und der Stellungnahme vom 26.07.2023, der auch ein GISA-Auszug beigelegt war.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beruht auf seinen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Seite 2 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde) sowie in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (Seite 3 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) und stützt sich zudem auf den Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus welchen körperliche oder psychische Beeinträchtigungen, regelmäßige medizinische Behandlungen oder eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit abzuleiten wären.

Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das Bundesverwaltungsgericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des dabei gewonnenen persönlichen Eindrucks der erkennenden Richterin davon aus, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan im Fall einer Rückkehr nicht individuell und konkret bedroht oder verfolgt würde. Dies ergibt sich aus nachstehenden Erwägungen:

2.2.1. Zunächst fällt auf, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung zu seinem Fluchtgrund lediglich angegeben hatte, wegen der Taliban und des Krieges sowie der damit zusammenhängenden Unsicherheit aus Afghanistan geflüchtet zu sein, ohne auch nur im Ansatz Angaben zu seinem Boxclub, einer Entführung, Misshandlungen oder gar Folter zu tätigen (Seite 6 der Niederschrift der Erstbefragung).

In weiterer Folge stützte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen vorrangig darauf, aufgrund der Ausbildung von Soldaten bzw. Polizisten in einem vom Beschwerdeführer geführten Boxclub einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt zu sein. Als konkret fluchtauslösendes Ereignis gab er an, ca. fünf Tage nach der Machtübernahme durch die Taliban entführt und misshandelt worden zu sein (Seite 6 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seiten 9 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Das erkennende Gericht hält dem Beschwerdeführer zwar grundsätzlich zu Gute, dass eine Erstbefragung in einem fremden Land eine für jeden Asylwerber außergewöhnliche Situation darstellt. Eine gewisse, anfängliche Verlegenheit in der Erzählung persönlicher Erlebnisse erscheint daher im Allgemeinen nachvollziehbar. Ebenso ist klar, dass im Rahmen einer Erstbefragung in keine allzu große Detailtiefe bei der Schilderung des eigentlichen Fluchtgrundes vorgestoßen werden kann. Trotzdem trifft auch den Schutzsuchenden im Asylverfahren eine Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, über welche der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung auch nachweislich aufgeklärt wurde (vgl. Seiten 2 f der Niederschrift der Erstbefragung). Das vom Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung erfolgte Weglassen sämtlicher Aspekte des in weiterer Folge nahezu ausschließlich geltend gemachten Fluchtgrundes steht dieser Mitwirkungspflicht eindeutig entgegen. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann es einem erwachsenen Menschen durchaus zugemutet werden, bei den Behörden jenes Landes, von dem er sich Schutz und Hilfe vor behaupteter Verfolgung und Tod erwartet, möglichst zeitnahe zum Antrag auf internationalen Schutz zumindest ansatzweise Angaben zu den eigentlichen Gründen der behaupteten, gegenständlichen Verfolgung im Heimatland zu tätigen.

Es ist daher davon auszugehen, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann, da wohl kein tatsächlich in seiner Heimat verfolgter Asylwerber eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt verstreichen lassen würde.

Zusätzlich weisen die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers auch zahlreiche Ungereimtheiten sowie Widersprüche auf und wurden zudem laufend gesteigert.

Die vorgebliche Tätigkeit des Beschwerdeführers als Boxtrainer in einem eigenen Studio sowie das angebliche Faktum, dass er dort Armee- und Polizeiangehörige trainiert habe, wurde erstmals im Schreiben seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung vom 05.09.2023 erwähnt. Dort wurde weiter ausgeführt, dass die Taliban verlangt hätten, dass der Beschwerdeführer Jugendliche zu ihnen schicken und Informationen über die trainierenden Polizisten bzw. Soldaten liefern sollte. Weil er dies verweigert hätte, habe er Probleme mit den Taliban bekommen und sein Heimatland verlassen müssen. Auffällig ist dabei, dass der Beschwerdeführer an keiner anderen Stelle im Verfahren mehr anführte, dass er Jugendliche zu den Taliban schicken hätte sollen.

Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte er nachfolgend aus: „Sie fragten wo die Soldaten sind und ich die Taliban unterstützen muss, sie zu finden. Aber ich wusste nicht, wie ich helfen kann, die Soldaten sind alle weggelaufen. Sie sagten, ich soll ihnen zeigen wo die Soldaten leben. Ich habe ihnen gesagt, dass sie mich gehen lassen sollen, dass ich die Taliban unterstützen möchte.“ (Seite 6 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde)

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer hingegen an: „Ich habe den Entschluss gefasst, dass ich mit ihnen zusammenarbeiten würde und habe ihnen diesen Entschluss gesagt: Wenn sie mich freilassen würden und diese Schüler wieder in den Boxclub zurückkommen würden, dann würde ich dies bekannt geben. Somit schloss ich mit den Taliban eine Vereinbarung. Diese war schriftlich und wurde auch in Form eines Videos aufgenommen.“ (Seiten 9 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung)

Während der Beschwerdeführer also zunächst angab, die Zusammenarbeit mit den Taliban überhaupt verweigert zu haben (Stellungnahme vom 05.09.2023), gab er im Widerspruch dazu vor dem Bundesamt an, den Taliban seine Unterstützung zugesagt zu haben sowie weiter erst auf Anraten seiner Mutter das Land verlassen zu haben. Dabei habe er jedoch nicht gewusst, wie er die Taliban unterstützen könne (Seite 6 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte in klarem Widerspruch dazu an, sehr genau gewusst zu haben, wie er die Taliban unterstützen könne und dass sogar eine schriftliche Vereinbarung darüber samt Videoaufzeichnung geschlossen worden sei (Seiten 9 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Auch hinsichtlich seiner Entführung und der Festhaltung steigerte der Beschwerdeführer sein Vorbringen eindrücklich. Während eine solche weder in der Stellungnahme vom 05.09.2023 noch in der Erstbefragung eine Erwähnung fand, sprach der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt davon, geschlagen worden zu sein (Seite 6 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde) und behauptete schließlich vor dem Bundesverwaltungsgericht sogar, davon drei Tage im Keller gefoltert und mit einem Schlauch geschlagen worden zu sein (Seiten 9 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Es erscheint dem erkennenden Gericht völlig unschlüssig, dass der Beschwerdeführer – hätte er tatsächlich eine entsprechende Foltererfahrung gemacht – dies erst in der mündlichen Beschwerdeverhandlung – somit zum letztmöglichen Zeitpunkt im Verfahren – klar zum Ausdruck bringen sollte. Vielmehr scheint es so, als hätte der Beschwerdeführer sein Vorbringen sukzessiv gesteigert, um vermeintlich seine Chancen auf eine Zuerkennung des Asylstatus zu verbessern.

Es ist außerdem darauf Bedacht zu nehmen, dass der Beschwerdeführer Afghanistan erst ca. im Oktober 2022, sohin über ein Jahr nach der Machtübernahme durch die Taliban, verlassen hat. Wie bereits unter Punkt 2.1. dargelegt, wurde dabei den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung gefolgt (Seiten 4 f der Niederschrift der Erstbefragung). Seine späteren Ausführungen (Seite 5 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seiten 7 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) waren hingegen mit Unglaubhaftigkeit belastet. Insbesondere ist nochmals auf den völlig unschlüssigen Erklärungsversuch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Zurückschiebungen bei seinen Zeitangaben im Rahmen der Erstbefragung nicht erwähnt zu haben, zu verweisen (Seiten 8 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Es ist anzunehmen, dass dem Beschwerdeführer klargeworden ist, dass die Kenntnis über seinen Aufenthalt in Afghanistan für die Dauer von über einem Jahr nach der Machtübernahme durch die Taliban seine Chancen auf eine positive Asylentscheidung schmälern würde und dass er daher sein Vorbringen aus verfahrenstaktischen Gründen entsprechend adaptiert hat.

Eine Bedrohung seitens der Taliban in der Zeit zwischen seiner vorgeblichen Entführung wenige Tage nach der Machtübernahme durch die Taliban (August 2021) und seiner Ausreise ca. im Oktober 2022 brachte der Beschwerdeführer gar nicht vor. Mitberücksichtigt wird jedoch, dass dem Beschwerdeführer ein solches Vorbringen freilich auch nicht möglich gewesen wäre, ohne zu offenbaren, im Verfahren unrichtige Angaben gemacht zu haben.

Letztlich scheint auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, die Taliban hätten ihm im Jahr 2019 zwei Drohbriefe innerhalb weniger Tage geschickt und sich dann nicht mehr gemeldet (Seiten 6 bis 8 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seite 10 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) wenig schlüssig.

Vor allem wird dem Beschwerdeführer – in Übereinstimmung mit der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Seite 43 des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2023 zur Zl. XXXX ) – aber schon nicht geglaubt, dass er überhaupt einen eigenen Boxclub besessen bzw. geleitet hat und in Schlussfolgerung daraus auch, dass er dort Soldaten oder Polizisten trainiert hat. Glaubhaft machen konnte der Beschwerdeführer hingegen seine Betätigung als Boxkämpfer (vgl. dazu auch die Punkte 2.1. und 2.2.2.).

Zunächst konnte der Beschwerdeführer zahlreiche Fotografien, die ihn offenbar nach Boxkämpfen zeigen, vorlegen, brachte aber gar nicht vor, dass auf den Fotos sein Boxclub abgebildet sei (vgl. Seite 3 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde). Auch Fotografien, die den Beschwerdeführer beim Trainieren von anderen Personen zeigen, wurden nicht vorgelegt.

Zudem gab der Beschwerdeführer wiederholt von sich aus – nach seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit befragt – lediglich den Handel mit Hühnern an [in der Erstbefragung: „Letzter ausgeübter Beruf: Verkäufer“ (Seite 2 der Niederschrift der Erstbefragung); vor dem Bundesamt: „F: Haben Sie auch gearbeitet in Afghanistan?“, „A: Ja, ich habe Hühner gekauft und verkauft.“ (Seite 3 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde); vor dem Bundesverwaltungsgericht: „RI: Haben Sie danach einen Beruf ausgeübt und wenn ja, welchen?“, „BF: Daneben war ich Sportler und nebenbei habe ich dann noch Hühner verkauft.“ (Seite 5 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung)]. Erst nach wiederholter und konkretisierter Befragung in der Beschwerdeverhandlung dazu führte der Beschwerdeführer an, auch Einnahmen durch seinen Boxclub lukriert zu haben (Seiten 5 f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Der Beschwerdeführer machte auch, anders als etwa zu seiner Betätigung als Boxkämpfer (vgl. Seite 9 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde) nur oberflächlich, vage und im Grunde überschriftartig Angaben zu seinem vorgeblichen Boxclub. Von seiner Rechtsvertretung dazu aufgefordert, die Einrichtung seines vorgeblichen Boxclubs zu beschreiben, tätigte er im Wesentlichen Angaben, die auch zu einem völlig beliebigen Boxclub passen würden. Als einzig individuelles Detail nannte er eine Tafel, auf der der Beschwerdeführer mit Mike Tyson abgebildet sei und die vor dem Boxclub stehe (Seite 10 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde). Damit konnte der Beschwerdeführer nicht überzeugen.

Es erscheint zudem zweifelhaft, wie es dem Beschwerdeführer angeblich (Seite 9 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seite 11 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) möglich gewesen sein soll, die Mittel für die eigenständige Eröffnung eines Boxclubs allein durch selbst erwirtschaftete Mittel bis zum Alter von 20 Jahren selbst aufzubringen, zumal er angab, zwölf Jahre – sohin zumindest bis im Alter von 18 Jahren – die Schule besucht zu haben (Seite 2 der Niederschrift der Erstbefragung, Seite 3 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde, Seite 5 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung, das in Kopie vorgelegte Schulabschlusszeugnis).

Daraus, dass dem Beschwerdeführer sohin nicht geglaubt wird, dass er einen eigenen Boxclub besessen hat und demzufolge auch nicht, dass er dort Soldaten oder Polizisten trainiert hat, kann wiederum logisch geschlossen werden, dass er auch keiner Bedrohung durch die Taliban aus diesem Grund ausgesetzt sein kann.

2.2.2. Wie bereits unter den Punkten 2.1. und 2.2.1. dargelegt, konnte der Beschwerdeführer durchaus glaubhaft machen, sich in Afghanistan als Boxkämpfer betätigt zu haben. So legte er nicht nur zahlreiche Fotografien, die ihn offenbar im Rahmen von bestrittenen Kämpfen zeigen, vor (Stellungnahme vom 05.09.2023), sondern konnte er auch präzise Angaben etwa zur Anzahl der bestrittenen Kämpfe oder auch der Situation von afghanischen Boxern im Hinblick auf internationale Wettkämpfe treffen (Seite 9 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde).

Nicht verkannt wird, dass sich die Situation für den Boxsport in Afghanistan durch die Machtübername durch die Taliban verschlechtert hat. Die Situation ist aber keineswegs derart gestaltet, dass es zur Verfolgung von Boxkämpfern aufgrund deren sportlicher Betätigung kommt. Im Gegenteil ergibt sich aus der – auch vom Beschwerdeführer selbst angeführten ACCORD-Anfragebeantwortung, unter anderem zum Männer-Boxsport unter den Taliban und der Lage tätowierter Boxer seit Machtübernahme der Taliban, vom 01.12.2022, dass die „Afghanistan National Boxing Federation“ in Afghanistan nach achtmonatiger Pause in Folge der Machtübernahme der Taliban wieder einen Boxwettbewerb ausrichten konnte und auch weitere Wettkämpfe geplant sind.

Sohin besteht auch unter der Herrschaft der Taliban die Möglichkeit, den Boxsport auszuüben, wenn auch nicht im selben Ausmaß und unter widrigeren Bedingungen als vor der Machtübernahme. Die Behauptung der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, der Boxsport sei nunmehr in Afghanistan nach religiösen und staatlichen Normen verboten (Seite 13 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung), ist vor dem Hintergrund der aktuellen Länderinformationen nicht haltbar. Es kommt zu keiner Verfolgung von Personen in Afghanistan lediglich aufgrund deren Betätigung als Boxkämpfer.

2.2.3. Die Feststellungen zum Tattoo des Beschwerdeführers ergibt sich aus dessen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Seite 10 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde) und dem Vorbringen seiner Rechtsvertretung in der mündlichen Verhandlung (Seite 13 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Wenn der Beschwerdeführer behauptete, dass die Taliban ihm wegen der Tätowierung die Hand abhacken wollten und dass einem seiner Freunde die Haut wegen einer Tätowierung abgezogen worden sei (Seite 10 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde), blieb er dafür nachvollziehbare und damit glaubhafte Nachweise schuldig. Der Beschwerdeführer stellte in diesem Zusammenhang lediglich entsprechende Behauptungen auf.

Dazu wird insbesondere erneut auf die vom Beschwerdeführer vorgelegte ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.12.2022 hingewiesen. Bereits einleitend wird darin ausgeführt, dass auch ACCORD bei einer Recherche in mehreren Sprachen nach konkreten Informationen zu tätowierten Boxern gesucht worden sei, jedoch keine diesbezüglichen Berichte gefunden hätten werden können. Es wird nur von Behauptungen vom Hörensagen berichtet, die nach Auffassung des erkennenden Gerichtes jeden validen Nachweis, dass diese Behauptung der Realität entspräche, schuldig geblieben sind. Mögliche Probleme sind keine tatsächlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende Probleme.

Zudem ist erneut darauf zu verweisen, dass es dem Beschwerdeführer möglich war, bis im Oktober 2022 in Afghanistan aufhältig zu sein, ohne derartigen Misshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein.

Nicht zuletzt besteht auch die Möglichkeit, Tätowierungen entfernen zu lassen und der Beschwerdeführer gab implizit selbst an, dass die Taliban eine solche Entfernung auch akzeptieren würden, indem er ausführte, dass die „[Die Taliban] erlauben es nicht, sie wollten mir die Hand abhacken. Ich sagte, ich werde es entfernen.“ (Seite 10 der Niederschrift vom 22.09.2023 im Verfahren vor der belangten Behörde).

Zusammenfassend gelangt das Bundesverwaltungsgericht damit zur Auffassung, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungsgefahr wegen seiner Tätowierung droht.

2.2.4. In einer Gesamtschau erscheint es aus den vorangegangenen Gründen nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit individuell und konkret aufgrund bestimmter – in seiner Person gelegener – Eigenschaften bedroht oder verfolgt würde und vermochte er keine anderslautenden Befürchtungen glaubhaft zu machen.

2.3. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Auch wurde den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellungen in der Beschwerde nicht (substantiiert) entgegengetreten.

Auf die ACCORD-Anfragebeantwortung, unter anderem zum Männer-Boxsport unter den Taliban und der Lage tätowierter Boxer seit Machtübernahme der Taliban, vom 01.12.2022 wurde vom Beschwerdeführer mit Schreiben vom 05.09.2023 – unter Anführung eines Links zum Abruf – selbst verwiesen. Für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kann diese Anfragebeantwortung als amtsbekannt vorausgesetzt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.

Zu Spruchteil A)

3.2. Abweisung der Beschwerde:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 mwN). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Herkunftsstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055; vgl. auch VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Herkunftsstaates bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Herkunftsstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Herkunftsstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 12.06.2018, Ra 2018/20/0177; 19.10.2017, Ra 2017/20/0069). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinne der ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, das heißt, er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichtes vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (VwGH 28.06.2016, Ra 2018/19/0262; vgl. auch VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0237-0240, mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

3.2.2. Wie beweiswürdigend dargelegt, vermochte der Beschwerdeführer keine wie immer geartete Verfolgung in Afghanistan glaubhaft darzulegen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den UNHCR-Richtlinien besondere Beachtung zu schenken. Auch in diesem Zusammenhang ist keine konkrete asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan ersichtlich.

Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur individuellen Situation des Beschwerdeführers ist auch sonst nicht zu erkennen, dass ihm in seinem Herkunftsstaat aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Es ist daher insgesamt nicht zu erkennen, dass ihm in seinem Herkunftsstaat aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention droht und die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid ist somit als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchteil B)

3.3. Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (vgl. z.B. VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0149, mwN).

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

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