Spruch
L501 2283317-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Vorsitzende und den Richter Mag. Hermann LEITNER sowie den fachkundigen Laienrichter Reg. Rat. Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von Herrn XXXX , SVNR. XXXX , vertreten durch Anwälte Mandl Mitterbauer GmbH, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice vom 23.11.2023, XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Die beschwerdeführende Partei (in der Folge bP) beantragte mit am 11.08.2022 im Sozialministeriumservice (in der Folge belangte Behörde) eingelangten Schreiben die Neufestsetzung des Grades ihrer Behinderung im Behindertenpass samt Aufnahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar".
Gemäß dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Allgemeinmedizin vom 08.01.2023 liegt eine Gesamtgrad der Behinderung von 50 v. H vor; die im Hinblick auf die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gestellte Frage wurde im Gutachten vom Sachverständigen wie folgt beantwortet: „Das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300-400m ist möglich, ebenso das Ein- und Aussteigen, auch das Benutzen von Haltegriffen. Die motorischen Funktionen sind für das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel ausreichend.“
Im Rahmen des mit Schreiben vom 10.01.2023 gewährten Parteiengehörs wird von der bP mit Schriftsatz ihrer rechtsfreundlichen Vertretung vom 26.01.2023 die unrichtige Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel moniert und auf das Vorliegen der chronisch entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn verwiesen, welche zu häufigem und imperativem Stuhlgang mit einer Stuhlfrequenz von bis zu 10 mal pro Tag führe, wobei der Zeitpunkt in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar sei. In der Folge wurde ein Konvolut von Krankenunterlagen vorgelegt.
In dem hierauf von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Allgemeinmedizin vom 20.09.2023 wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung am 16.08.2023, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Führend ist das Leiden Nummer 1 mit 60%. Leiden Nummer 2 steigert aufgrund negativer Wechselwirkung um eine Stufe. Die Leiden Nummer 3 und 4 steigern wegen Geringfügigkeit nicht weiter. Somit ergibt sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 70%.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Keine wesentlichen gesundheitlichen Veränderungen im Vergleich zum Vorgutachten vorliegend. Im Rahmen einer nun durchgeführten Magen - und Darmspiegelung konnten die Beschwerden verifiziert und eine entsprechende Therapie eingeleitet werden. Die Verdauungsbeschwerden und blutigen Stühle im Rahmen der Darmspiegelung auf die chronische Strahlenproktitis zurückzuführen - dazu wurde eine Lokaltherapie für einige Wochen veranlasst. Chronische Residuen im Rahmen der Darmspiegelung bei bekanntem Morbus Crohn, dazu stabiler Verlauf - Dauermedikation mit Mesagran veranlasst. Aufgrund der nun vorliegenden aussagekräftigen Fachbefunde Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung um eine Stufe bei Leiden Nummer 1 und Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung um eine Stufe bei Leiden Nummer 2. Leiden Nummer 3 wird neu aufgenommen;
Die im Hinblick auf die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gestellte Frage wurde wie folgt beantwortet: „Es konnten keine Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden, die zu einer erheblichen Einschränkung der Mobilität führen. Im Rahmen der Morbus Crohn Erkrankung ist zur Zeit laut Angaben der bP keine Versorgung mit Inkontinenzprodukten erforderlich, außerdem besteht auch keine Harninkontinenz. Es ist eine sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gewährleistet.“
Mit Schreiben vom 03.10.2023 wurde der bP Gelegenheit gegeben, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Eine Äußerung langte nicht ein.
Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab. Neben der Zitierung der rechtlichen Grundlagen wurde festgehalten, dass gemäß den dem Bescheid beiliegenden und einen Teil der Begründung bildenden Ergebnissen des ärztlichen Begutachtungsverfahrens die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen.
In der fristgerecht erhobenen Beschwerde verweist die bP erneut auf den häufigen und imperativen Stuhlgang mit einer Stuhlfrequenz von bis zu 20 mal pro Tag, wobei der Zeitpunkt in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar sei. Bei Stuhldrang müsse sie innerhalb einer Minute Stuhl absetzen, sonst komme es zu Stuhlinkontinenz.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die bP ist österreichische Staatsangehörige, sie hat ihren Wohnsitz im Inland und ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Folgende Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern, liegen vor:
Prostata CA pT2c cNo cMo, St.p. Bestrahlungstherapie 9/2022, makroskopisch chronische radiogene Proctitis, Chronische Darmstörungen mittleren Grades mit chronischen Schleimhautveränderungen, Leicht chronisch ausgeprägte, nicht aktive helicobacternegative Antrumgastritis mit leicht ausgeprägter reifer intestinaler Metaplasie, in erster Linie Typ C-Gastritis, extraintestinale Manifestation des Morbus Crohn
Die bP leidet immer wieder an einem imperativen Stuhlgang mit einer Stuhlfrequenz von zumindest 10 mal pro Tag. Vor diesem Hintergrund ist die Erreichung des mit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels angestrebten Ziels nicht gewährleistet.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich zweifelsfrei aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakt der belangten Behörde sowie des Gerichtsaktes.
Die zu den Verdauungsschwierigkeiten führenden Leiden wurden durch den Arztbericht CED-Ambulanz des Uniklinikums Salzburg, Spezialambulanz für chron. entzündl. Darmerkrankungen, vom XXXX nachgewiesen; insbesondere wurden im Bericht folgende Diagnosen festgehalten: makroskopisch chronische radiogene Proctitis, Morbus Crohn EM 09/2017 (stenosierende terminale Ileitis, Colonbefall). In einem ärztlichen Attest vom 7.12.2023 wird zudem eine jahrelange Behandlung aufgrund der Morbus Crohn Erkrankung, eine radiogene Proktitis mit Blutabgängen bei jedem Stuhlgang sowie das Vorliegen eines imperativen Stuhldrangs, mindestens 10 x tgl. bestätigt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG) Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist (§ 42 Abs. 2 BBG).
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG). Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG).
Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen (§ 47 BBG).
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes [...]
2. die Feststellung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes [...]
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)
Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich bereits wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, ob Inkontinenz zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führt und eine entsprechende Zusatzeintragung in den Behindertenpass rechtfertigt (vgl. Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, 2007/11/0142, vom 17.06.2013, 2010/11/0021, und vom 21.04.2016, Ra 2016/11/0018). In den genannten Erkenntnissen hielt der Verwaltungsgerichtshof die Annahme der dort belangten Behörden, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Betroffenen sei zumutbar, im Hinblick auf Art und Ausmaß der Inkontinenz für nicht nachvollziehbar. Es wurde ausgeführt, dass es zur Beantwortung dieser Frage - sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt - eines ärztlichen Sachverständigengutachtens bedarf, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Im Erkenntnis Ra 2016/11/0018 wurde zudem ausgeführt, dass dem § 1 Abs. 2 Z. 3 der Verordnung und die dort - demonstrative ("insbesondere") - Aufzählung solcher Fälle, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegenstehe (vgl. vielmehr § 1 Abs. 3 leg. cit. zur gebotenen individuellen (ganzheitlichen) Beurteilung auf Basis eines ärztlichen Sachverständigengutachtens). Die (der Website des zuständigen Bundesministeriums entnommenen) Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 dieser Verordnung führen aus, dass "bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes" in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei.
Die bP leidet immer wieder an einem imperativen Stuhlgang mit einer Stuhlfrequenz von zumindest 10 mal pro Tag. Das Einsetzen des Stuhldrangs erfordert den sofortigen Gang zur Toilette, ansonsten es zu unkontrollierbaren Kotabgang kommt. Die Auswirkung der bestehenden Funktionseinschränkung bedingt sohin gemäß ständiger Rechtsprechung die Unzumutbarkeit, zumal die Erreichung des mit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels angestrebten Ziels nicht gewährleistet ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.