JudikaturBVwG

W255 2280168-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
28. November 2023

Spruch

W255 2280168-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkte I., II. erster Satz und III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.09.2023, Zl. 1325066609/222952005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.11.2023, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. erster Satz des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe :

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 19.09.2022 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 20.09.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er Syrien wegen des Krieges verlassen habe.

1.3. Am 04.09.2023 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA). Dabei brachte er zu seinem Fluchtgrund befragt vor, dass er Syrien verlassen habe, da dort Krieg herrsche, viele Massaker in seinem Heimatdorf verübt worden seien und der BF im Falle der Rückkehr nach Syrien eine Einberufung zum Militärdienst fürchte. Der BF brachte unter anderem vor, dass er am XXXX in der Türkei seine zum damaligen Zeitpunkt 13 Jahre alt Cousine geheiratet habe. Der BF sei zum damaligen Zeitpunkt 18 Jahre alt gewesen. Die Ehe sei von den Eltern arrangiert worden.

Im Verfahren vor dem BFA legte der BF die folgenden Dokumente vor:

Auszüge aus dem Melderegister betreffend den BF, seine Ehefrau und seinen Sohn

Auszug aus dem Melderegister einer Familie

Bescheinigung der Eheschließung

Feststellungsbescheid betreffend die Eheschließung

1.4. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 12.09.2023, Zl. 1325066609/222952005, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm. § 2 Z 13 und § 6 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Es wies den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II., erster Satz) und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Syrien gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei (Spruchpunkt II., zweiter Satz). Es erteilte dem BF keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.).

1.5. Gegen Spruchpunkte I., II. erster Satz und III. des unter Punkt 1.4. genannten Bescheides richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde.

1.6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 23.10.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.11.2023 in Anwesenheit des BF und seiner Rechtsvertreterin sowie eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des vom BF erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie der Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen Spruchpunkte I., II. erster Satz und III. des im Spruch genannten Bescheides des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 23.11.2023, der Länderberichte zu Syrien sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister, das seitens der Staatsanwaltschaft XXXX zur GZ 17 St 308/23f geführte Ermittlungsverfahren und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1. Zur Person des BF:

2.1.1. Der BF heißt XXXX und wurde am XXXX geboren.

2.1.2. Der BF ist syrischer Staatsangehöriger, sunnitischer Muslim und der Volksgruppe der Araber zugehörig. Die Muttersprache des BF ist Arabisch.

2.1.3. Der BF wurde im Ort XXXX (auch XXXX auch XXXX auch XXXX ), im Gouvernement XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern, fünf Brüdern und zwei Schwestern aufgewachsen. Der Herkunftsort des BF liegt 10km südöstlich der Stadt XXXX und 45km nordwestlich der Stadt XXXX entfernt. Der Heimatort des BF und dessen Umgebung stehen unter Kontrolle oppositioneller Gruppen. Das syrische Regime hat keinen Zugriff auf den Herkunftsort des BF und dessen Umgebung.

2.1.4. Der BF heiratete am XXXX in XXXX traditionell vor einem Imam („sheikh“) die syrische Staatsangehörige XXXX , geb. XXXX . Die Ehefrau des BF war zum Zeitpunkt der Eheschließung 13 Jahre alt, somit eine unmündig Minderjährige, der BF 18 Jahre alt. Die Ehe wurde von den Eltern und Schwiegereltern des BF arrangiert und von den Schwiegereltern des BF als Eltern und Vormund ihrer damals 13jährigen Tochter die Zustimmung zur Eheschließung erteilt. Die Ehe wurde in Anwesenheit des BF, seiner Ehefrau, seiner Eltern, seiner Schwiegereltern und mehrerer Zeugen geschlossen. Ein richterlicher Dispens lag zum Zeitpunkt der Eheschließung am XXXX nicht vor. Bei der Ehefrau handelt es sich um eine Cousine väterlicherseits des BF. Der BF kannte seine Ehefrau zum Zeitpunkt der Eheschließung nur oberflächlich. Unmittelbar nach der Ehe zogen der BF und seine Ehegattin in einen gemeinsamen Haushalt. Am XXXX wurde die Ehe durch ein syrisches Gericht nach syrischem Recht genehmigt und registriert.

2.1.5. Der BF hatte ab Ende 2016 wiederkehrend Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau. Der BF war zum Zeitpunkt des erstmaligen Geschlechtsverkehrs 18 Jahre alt, seine Ehefrau 13 Jahre alt. Der BF erfuhr im Frühjahr 2017 das exakte Alter seiner Ehefrau und wusste zum daher zum Zeitpunkt des wiederholten Geschlechtsverkehrs vor Vollendung des 14. Lebensjahres seiner Ehefrau sowohl das exakte Alter seiner Ehefrau als auch den exakten Altersunterschied zwischen ihm und seiner Ehefrau.

2.1.6. Der Ehe entstammt der gemeinsame Sohn XXXX , geb. XXXX . Zum Zeitpunkt des Beginnes der Schwangerschaft war die Ehefrau des BF 14 Jahre alt. Die Ehefrau und der Sohn des BF leben in der Türkei. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit ihnen.

2.1.7. Der BF hat die Schule sieben Jahre als ordentlicher und zwei Jahre als außerordentlicher Schüler besucht.

2.1.8. Der BF hat bisher nicht den Militärdienst in Syrien geleistet.

2.1.9. Der BF verließ Syrien im Dezember 2013 und reiste in die Türkei, wo er gemeinsam mit seiner Familie bis 2022 in XXXX lebte. Nach unrechtmäßiger Einreise in Österreich stellte der BF am 19.09.2022 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 12.09.2023, Zl. 1325066609/222952005, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm. § 2 Z 13 und § 6 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Es wies den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II., erster Satz) und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Syrien gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei (Spruchpunkt II., zweiter Satz). Es erteilte dem BF keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.).

2.1.10. Gegen Spruchpunkte I., II. erster Satz und III. des Bescheides des BFA richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde. Die Beschwerde richtet sich nicht gegen Spruchpunkt II. zweiter Satz.

2.1.11. Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Die Staatsanwaltschaft XXXX führte zur GZ 17 St 308/23f ein Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen des Verdachtes des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen (§ 206 Abs. 1 StGB) zum Nachteil seiner Ehefrau, bezogen auf den zwischen dem BF und seiner Ehefrau in der Türkei vollzogenen Geschlechtsverkehr vor Vollendung des 14. Lebensjahres der Ehefrau des BF. Dieses Verfahren wurde seitens der Staatsanwaltschaft am 21.09.2023 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt.

2.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt Staatendokumentation des BFA vom 17.07.2023:

„Eheschließung

[…]

Die Mitwirkung des Staates ist für die Wirksamkeit der Eheschließung nicht erforderlich. Vielmehr stellen die Eheschließung an sich und die Mitteilung bzw. Registrierung der Eheschließung bei Gericht oder einer anderen Behörde getrennte Vorgänge dar. Die Registrierung ist verpflichtend und kann entweder vor oder nach der Eheschließung erfolgen (MPG o.D.a). Das Scharia-Gericht (oder religiöse Behörde) meldet die geschlossenen gesetzlichen Heiraten dem Zivilregister (NMFA 5.2022).

[…]

Eine informelle Heirat mit Bezeichnungen wie sheikh, ‘urfi und katb al-kitab (NMFA 5.2022) - auch unter der Bezeichnung „traditionelle Ehe“ (SLJ 3.10.2019) - ist eine islamische Heirat, die ohne die Involvierung einer kompetenten Autorität geschlossen wird (NMFA 5.2022). Gründe für eine traditionelle Ehe können sein, dass das Paar unterschiedlichen islamischen Konfessionen angehört, dass es gegen die Wünsche der Familie heiratet, oder es sich um eine polygame Ehe handelt (mit oder ohne Wissen der ersten Ehefrau), die grundsätzlich im syrischen Personenstandsrecht erlaubt, jedoch strukturell beschränkt ist. Ein Mann kann einer solchen Ehe auch zustimmen, um dem unehelichen Kind seiner Frau einen Vater und somit einen Familiennamen zu geben (Eijk 2013). Ein Richter kann weiterhin eine informelle Heirat ratifizieren, wenn die Bedingungen im ersten Absatz (des Gesetzes) nicht gegeben sind. Das kann auch als Möglichkeit für die Heirat von Minderjährigen genutzt werden, ohne das eine Dispens durch den Richter nötig ist (NMFA 5.2022).

[…]

Da eine Ehe auch formlos zustande kommen kann, gibt es oft keine vorherige Anzeige der Eheabsicht bei Gericht. Zudem können die Brautleute in vielen Fällen die erforderlichen Dokumente nicht beibringen. Der Bedarf, die informell geschlossene Ehe zu registrieren, entsteht immer dann, wenn für ein Kind aus dieser Ehe Dokumente (z. B. eine Geburtsurkunde oder die Staatsbürgerschaftsurkunde) ausgestellt werden sollen. Das Gesetz bestimmt, dass eine Registrierung der bereits geschlossenen Ehe im Nachhinein erfolgen darf, wenn festgelegte Anforderungen erfüllt sind. Im Fall einer Schwangerschaft der Ehefrau oder des Vorhandenseins von Kindern aus dieser Ehe ist diese leichter nachweisbar. Können bestimmte Unterlagen zur Gültigkeit der außergerichtlichen Eheschließung nicht vorgelegt werden, besteht die Möglichkeit, eine einvernehmliche Feststellungsklage über das Bestehen der Ehe zu erheben. Bei der Feststellungsklage werden lediglich Tatsachen festgehalten, die von den Parteien selbst vorgebracht werden. Das Gericht überprüft die vorgebrachten Behauptungen nicht (MPG o.D.a).

Scharia-Gerichte können diese informellen Ehen ratifizieren, wobei die Bestätigung in schriftlicher Form erfolgt, aber die Dokumente werden inhaltlich wie formal je nach Gericht unterschiedlich nach Gutdünken der Richter ausgestellt. Zum Beispiel ist die Anwesenheit des Brautpaars oder seiner Repräsentanten nicht zwingend im Dokument erwähnt. Es wird auch nicht immer explizit erwähnt, ob ein Gatte oder eine Gattin durch eine andere Person vertreten wurde (NMFA 5.2022).

Das Datum der Eheschließung wird bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt, ist das Datum der traditionellen Eheschließung das Datum der Eheschließung, nicht das Datum der Registrierung. Da es auch möglich ist, Kinder ex post facto zu registrieren (oftmals gleichzeitig mit der Registrierung der Ehe), und Kinder im Kontext einer Ehe geboren werden sollten, sollte das Hochzeitsdatum hierbei jedenfalls vor dem Geburtsdatum der Kinder liegen. Daher würde es laut der Einschätzung einer Expertin für syrisches Ehe- und Familienrecht Sinn machen, dass das Gericht das Datum der traditionellen Eheschließung als das „echte Hochzeitsdatum“ festlegt (Eijk 4.1.2018).

Kinderehe und Zwangsehe

Frühe und Zwangsehen sind ein Problem in Syrien. Besonders vertriebene Familien verheiraten ihre jungen Töchter als wahrgenommene Absicherung gegen sexuelle Gewalt oder aufgrund wirtschaftlichen Drucks (FH 9.3.2023).

Nach Gesetzesänderungen liegt mittlerweile das Ehemündigkeitsalter für Männer und Frauen bei 18 Jahren (SLJ 3.10.2019, vgl. OSS 18.1.2023). Einige Ausnahmen erlauben Richtern, die Autorisierung und Registrierung von Heiraten ab dem Alter von 15 Jahren, wenn ein Zusammenleben und eine Schwangerschaft oder sexuelle Beziehungen stattgefunden haben. Diese Ausnahmen werden frei angewendet, auch wenn sie oft auf falschen Berichten beruhen (SJAC 7.10.2021). Wenn Minderjährige mit einem Dispens des Richters eines Familiengerichts heiraten, wird die Dispens in einem Zug mit der Eheschließung erteilt. Es ist nicht bekannt, in welchem Ausmaß der Dispens im Ehevertrag erwähnt wird (NMFA 5.2022).

Die meisten Ehen von Minderjährigen werden jedoch außerhalb der Scharia-Gerichte geschlossen, und dann von den Scharia-Gerichten nach den gesetzlichen Bestätigungsverfahren und der Bezahlung der Geldbuße ratifiziert. Andere Strafen wie etwa eine Haft werden selten angewendet. Ein Antrag auf Ratifizierung stellt oft das Gericht vor vollendete Tatsachen, z. B. wenn die Frau bereits schwanger ist oder bereits Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind oder die Ehe nicht angefochten wird (NMFA 6.2021).

Außerdem hat eine Frau das Recht, eine von ihrem Vormund auferlegte Ehe ohne ihre ausdrückliche Zustimmung für ungültig zu erklären. Ebenso sehen die neuen Änderungen vor, dass Frauen das Recht haben, ohne die Zustimmung ihres Vormunds zu heiraten, wenn sie 18 Jahre alt sind ( LoC 8.4.2019).

2.2.2. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 15.12.2021: „Mindestalter für Verlöbnis und Ehe; Schutzalter für Geschlechtsverkehr; Strafmaß bei schwerem sexuellen Missbrauch von Unmündigen“:

„Welches Mindestalter sieht die syrische Rechtsordnung für eine offizielle Eheschließung vor?

Zusammenfassung:

Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass eine Eheschließung für Mädchen ab dem 13. Lebensjahr und für Buben ab dem 15. Lebensjahr möglich ist, unter den Voraussetzungen, dass beide die Pubertät erreicht haben und sie die Zustimmung ihrer Vormünder haben.

Ansonsten können Männer mit Vollendung des 18. und Frauen mit Vollendung des 17. Lebensjahres die Ehe eingehen. Eine der Quellen nennt das Alter von 18 Jahren als offizielles Alter der Volljährigkeit in Syrien.

Einzelquellen:

Die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., eine der führenden deutschen Institutionen im Bereich der Grundlagenforschung, stellt auf ihrer Website zum Familienrecht im Nahen Osten spezifische Informationen zu Familienrecht für Syrien und den Irak zur Verfügung. Hinsichtlich der Ehefähigkeit in Syrien wird Folgendes angeführt:

[…]

Ehefähigkeit

Die Ehefähigkeit setzt die geistige Gesundheit und das Erreichen der Pubertät voraus (Art. 15 Abs. 1 PSG). Das Ehemündigkeitsalter wird durch das Gesetz in Art. 16 PSG konkretisiert: Danach können Männer mit Vollendung des 18. und Frauen mit Vollendung des 17. Lebensjahres die Ehe eingehen.

Es ist aber möglich, vor Erreichen dieser Altersgrenzen mit Genehmigung des Familiengerichts zu heiraten (Art. 18 PSG). Voraussetzung dafür ist, dass ein Junge das 15. Lebensjahr und ein Mädchen das 13. Lebensjahr vollendet hat. Diese Möglichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung des syrischen Kassationsgerichts bestätigt.

Für eine solche Genehmigung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Die Jugendlichen müssen die Pubertät erreicht haben.

2. Zusätzlich müssen sie auch die nötige körperliche Verfassung für einen Vollzug der Ehe aufweisen. Aus der syrischen Gerichtspraxis geht hervor, dass die geistigen Voraussetzungen weniger berücksichtigt werden. Vielmehr geht es um die Frage, ob Jungen oder Mädchen, die zwar die körperlichen Merkmale der Pubertät vorweisen, körperlich ausreichend für den Geschlechtsverkehr entwickelt sind. Das Gericht kann eine medizinische Untersuchung der zukünftigen Ehepartner anordnen, wenn es Zweifel hat, sowohl ob die Pubertät als auch ob die körperliche Verfassung erreicht ist.

3. Der Ehevormund (siehe auch: Der Ehevormund) muss der Eheschließung zustimmen. Dies ist in aller Regel der Vater des Kindes.

Die richterliche Ausnahme vom Ehemündigkeitsalter ist nicht mit der Genehmigung des Gerichts bei der Anzeige der Eheabsicht zu verwechseln. Dem Gericht obliegt bei der Erteilung der Ausnahmegenehmigung nicht nur die allgemeine Überwachung der Gesundheit der Parteien. Es hat vielmehr im Einzelfall zu untersuchen, ob der/die Minderjährige körperlich für den Vollzug der Ehe bereit ist.

Schließen jedoch ein Mädchen, das noch nicht das 17. Lebensjahr vollendet hat, oder ein Junge, der noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, eine Ehe ohne einen vorherigen Antrag bei Gericht (sog. informelle Eheschließung), dann kommt die Ehe, sofern der Ehevormund mitgewirkt hat, zwar zustande, sie ist jedoch fehlerhaft und kann auf Antrag der Parteien aufgelöst werden.

[…]

Max-Planck-Gesellschaft (o.D.): Familienrecht im Nahen Osten, Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe https://www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe, Zugriff 26.11.2021

Bezüglich des Heiratsalters berichtet die Friedrich Ebert Stiftung, dass alle Personenstandsgesetze in Syrien die Kinderehe zulassen, wobei es zwischen den einzelnen Gesetzen Unterschiede gibt. Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, die die Eheschließung von Kindern, insbesondere von Mädchen, unter 18 Jahren, dem offiziellen Alter der Volljährigkeit in Syrien, verbietet. Das syrische Personenstandsgesetz erlaubt die Eheschließung von heranwachsenden Buben über 15 Jahren und die Eheschließung von heranwachsenden Mädchen über 13 Jahren, wenn sie die Pubertät erreicht haben und die Zustimmung ihrer jeweiligen Erziehungsberechtigten erhalten haben. Im Falle der Geburt eines Kindes oder einer Schwangerschaft lässt das Gesetz die Heirat in einem noch jüngeren Alter zu. Die Existenz solcher Gesetze gibt den Eltern die Möglichkeit, ihre Töchter in einem sehr jungen Alter zu verheiraten.

Die Kinderheirat hat viele negative Folgen für die Frauen. Sie kann ihnen Chancen auf Bildung, Beschäftigung und Wiedereingliederung verwehren und gesundheitliche und soziale Nachteile mit sich bringen, was sich in ihrer Teilnahme am öffentlichen Leben niederschlägt. Früh- und Zwangsverheiratungen sind weit verbreitet und werden in einigen Gebieten, insbesondere in den ländlichen Teilen des Landes, immer noch praktiziert. Der anhaltende Krieg hat zur Verschärfung der Situation beigetragen. Viele Mädchen wurden innerhalb des Landes, in Lagern und Zufluchtsländern zwangsverheiratet, entweder weil ihre Familien nicht in der Lage waren, sie zu unterstützen, oder in der Hoffnung, dass eine Mitgift die Lebensbedingungen der Familie verbessern würde.

Welches Schutzalter sieht die syrische Rechtsordnung für den sexuellen Umgang, insbesondere dem Umgang einer unmündig Minderjährigen mit einem Volljährigen, vor?

Zusammenfassung:

Nachfolgend zitierter Quelle ist zu entnehmen, dass das Schutzalter für Geschlechtsverkehr in Syrien bei 15 Jahren liegt. Eine Person unter dieser Altersgrenze ist rechtlich nicht in der Lage, in sexuelle Handlungen einzuwilligen. Bei einem Verstoß liegt gesetzlich eine Vergewaltigung vor.

[Anm. 1: Es konnte nicht festgestellt, ob das Schutzalter auch im Fall einer Heirat ab dem 13. Lebensjahr, wie unter Frage 2 genannt, gilt]

[Anm. 2: Es wird zusätzlich auf die Artikel des syrischen Strafgesetzbuches (siehe Frage 4) hingewiesen, welche das Alter von 15 Jahren als Grenze für ein verschärftes Strafmaß nennen].

Einzelquellen:

AgeOfConsent.net, eine Website, die sich mit dem Alter der Mündigkeit hinsichtlich des Geschlechtsverkehrs befasst, berichtet, dass das Schutzalter in Syrien bei 15 Jahren liegt. Das Schutzalter ist das Mindestalter, ab dem eine Person rechtlich gesehen alt genug ist, um in die Teilnahme an sexuellen Aktivitäten einzuwilligen. Personen, die in Syrien 14 Jahre alt oder jünger sind, sind rechtlich nicht in der Lage, in sexuelle Handlungen einzuwilligen, und solche Handlungen können zu einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Vergewaltigung nach dem Gesetz führen.

Ein Verstoß gegen das syrische Gesetz zur gesetzlichen Vergewaltigung liegt vor, auch wenn eine Person einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit einer Person unter 15 Jahren hat. Die Strafe ist je nach Alter des Opfers unterschiedlich.

[…]

Welchen Strafrahmen sieht die syrische Rechtsordnung für den schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen, (vgl. § 206 StGB), vor?

Zusammenfassung:

Nachfolgend zitierter Quellen ist Vergewaltigung und sexuelle Nötigung von Frauen, Männern und Kindern strafbar, jedoch wird das Gesetz nicht wirksam durchgesetzt. Die Strafen sind unter anderem verschärft, wenn Minderjährige unter 15 Jahren beteiligt sind. (Anm.: zum Strafmaß der diversen Vergehen siehe bitte das Strafrecht der Arabischen Republik Syrien unter „Einzelquellen“).

Das Gesetz schließt die Vergewaltigung in der Ehe ausdrücklich aus und sieht eine Strafmilderung oder Strafaussetzung vor, wenn der Vergewaltiger das Opfer heiratet. Die Familie des Opfers hat diesem Arrangement manchmal zugestimmt, um das mit einer Vergewaltigung verbundene soziale Stigma zu vermeiden.

Einzelquellen:

Das Strafrecht der Arabischen Republik Syrien nennt in den Artikeln 490 bis 502 Strafen für Nötigung und Geschlechtsverkehr von und mit Personen, die sich nicht wehren können, insbesondere auch Minderjährigen.

Artikel 490

Wer mit einer anderen Person als seiner Ehefrau Geschlechtsverkehr hat, und diese (Person) sich wegen eines körperlichen oder seelischen Mangels oder aufgrund von Täuschungshandlungen nicht wehren kann, wird mit neun Jahren Zwangsarbeit bestraft.

Artikel 491

1- Wer mit einem Minderjährigen unter 15 Jahren Geschlechtsverkehr hat, wird mit neun Jahren Zwangsarbeit bestraft.

2- Die Strafe beträgt nicht weniger als fünfzehn Jahre, wenn das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

Artikel 495

1 - Wer an einem Minderjährigen unter fünfzehn Jahren eine unanständige Handlung begeht oder ihn dazu verleitet, wird mit neun Jahren Zwangsarbeit bestraft.

2 - Diese Strafe beträgt mindestens 12 Jahre, wenn das Kind das 12. Jahre Lebensjahr noch nicht vollendet hat. […]

[Allgemeines Strafgesetzbuch 148 von 1949; Geändert durch Gesetzesdekret 1 von 2011], https://learningpartnership.org/sites/default/files/resources/pdfs/Syria-Penal-Cade-1949-Arabic.pdf, Zugriff 1.12.2021

2.2.3. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 04.04.2023: „Eheschließung mit Minderjähriger“:

1. Welche Strafe steht in Syrien auf Geschlechtsverkehr mit einer minderjährigen Person unter 13 Jahren? Wie wirkt sich eine vorherige traditionelle Heirat auf die Strafbarkeit aus?

Wie wirkt sich eine (nachträgliche ) richterliche Genehmigung der Eheschließung (mit oder ohne Vorliegen einer Schwangeschaft) auf die Strafbarkeit aus?

2. Welche Strafe steht in Syrien auf Geschlechtsverkehr mit einer minderjährigen Person unter 14 Jahren?

3. Ist die Eheschließung mit einem minderjährigen Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren ohne vorherige richterliche Genehmigung strafbar? Wie wirkt sich eine (nachträgliche) richterliche Genehmigung auf die Strafbarkeit aus?

4. Wie verhält sich die Altersgrenze für Eheschließungen von 13 Jahren für Mädchen (mit richterlicher Genehmigung) rechtlich zum Schutzalter für sexuelle Handlungen von 15 Jahren?

5. Ist die Eheschließung mit einem Partner, der mit der Ehe nicht einverstanden ist (Zwangsehe) für den anderen Partner strafbar? Ist eine solche Ehe ungültig oder nur anfechtbar?

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass in Syrien der Geschlechtsverkehr mit einer minderjährigen Person - egal ob unter 13 oder 14 Jahren; das Mündigkeitsalter beträgt 15 Jahre – den Strafbestand einer Vergewaltigung unter erschwerenden Umständen erfüllt. Gemäß Art. 489 des syrischen Strafgesetzbuches verlangt hierfür ein Strafmaß von mindestens 21 Jahren Strafarbeit in einem Gefängnis, wobei das konkrete Strafmaß je nach Alter des Opfers variieren kann. Das syrische Gesetz kennt jedoch nicht den Strafbestand der Vergewaltigung in der Ehe und deklariert die Gattin explizit als Ausnahme in seiner Vergewaltigungsdefinition. Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist ex lege illegal, aber er wird Berichten zufolge nicht sanktioniert; auch gab es im Jahr 2022 keine Fälle, in welchen Vergewaltigungen von Kindern durch das Regime verfolgt wurden. Die Ehemündigkeit beträgt in Syrien für beide Geschlechter 18 Jahre [Anm: Die Ehemündigkeit wurde erst 2019 in einer Novelle von 17 auf 18 Jahre erhöht]. Eine Heirat unter Jugendlichen, d.h. mindestens 15 Jahre alt [Anm.: Hier unterscheiden sich die Quellen: Während Bergmann Online von einer Altersgrenze von 15 Jahren für beide Geschlechter spricht, konstatiert das US-amerikanische Außenministerium, dass Buben mindestens 15 und Mädchen mindestens 13 Jahre alt sein müssen.], benötigt zwingend die Mitwirkung des jeweiligen Ehevormundes, welcher im Regelfall der Vater ist. Für ein legales Zustandekommen braucht es des Weiteren einen richterlichen Dispens, welcher in einem Eheschließungsverfahren an einem Schariagericht beantragt werden kann. Es wird geprüft, ob beide Seiten sowohl ehewillig als auch „physisch reif genug“ sind. Außerdem gilt eine vom Ehevormund geschlossene Ehe einer Minderjährigen bis zu ihrer ausdrücklichen Genehmigung als schwebend unwirksam. Traditionell geschlossene Ehen (urfi), auch unter Minderjährigen, können im Nachhinein an einem Schariagericht registriert und somit legalisiert werden. Dies kommt häufig vor, falls eine Schwangerschaft vorliegt oder es bereits Kinder in der informellen Ehe gibt. Unter Art. 40 § 2 des Personenstandsgesetzes kann ein Schariarichter jede traditionelle Heirat, welche die richterliche Vorabgenehmigung nicht erfüllt, dennoch ratifizieren. Besonders oft geschieht das beim Vorhandensein einer Schwangerschaft oder von Kindern, weil in solchen Fällen eine nachträgliche Registrierung gesetzlich explizit erlaubt ist. Laut einer Quelle kann Art. 40 § 2 als Möglichkeit für eine Heirat unter Minderjährigen ohne vorab erteilten Dispens angesehen werden. Hin und wieder muss bei einer solchen Registrierung eine Geldstrafe (ca. 500 bis 2.000 syrische Lira für jeden Beteiligten) bezahlt werden, Haftstrafen kommen nur sehr selten vor. Im Allgemeinen obliegt es dem jeweiligen Richter, wie die Heiratsurkunde ausgestaltet wird: Minderjährigkeit, Schwangerschaft der Frau oder erteilter Dispens können, müssen aber nicht enthalten sein. Obwohl Ehen ohne Zwang und in ihrem Willen frei geschlossen werden müssen, ist eine durch Zwang geschlossene Ehe aber nicht nichtig, sondern fehlerhaft. D.h., dass die Ehe zustande kommt, aber dass jeder der beiden Gatten die Auflösung fordern kann. Zur diesbezüglichen Strafbarkeit wurden jedoch keine Informationen in den Quellen gefunden.

Einzelquellen:

[…]

Laut der unabhängigen Website AgeOfConsent.net ist das Mündigkeitsalter in Syrien 15 Jahre. Sexualpraktiken mit unter Vierzehnjährigen fallen daher unter den Strafbestand der Unzucht mit Minderjährigen; Strafen variieren je nach Alter des Opfers.

The Age of Consent in Syria is 15 years old. The age of consent is the minimum age at which an individual is considered legally old enough to consent to participation in sexual activity. Individuals aged 14 or younger in Syria are not legally able to consent to sexual activity, and such activity may result in prosecution for statutory rape or the equivalent local law. Syria statutory rape law is violated when an individual has consensual sexual intercourse with a person under age 15. Punishment varies depending on the age of the victim.

AOC – AgeOfConsent (o.D.): Age of Consent in Syria, https://www.ageofconsent.net/world/syria, Zugriff 4.4.2023

Die Max-Planck-Gesellschaft berichtet in ihrem Kommentar zum syrischen Familienrecht folgendes:

„ […] Die Parteien müssen ohne Zwang und in ihrem Willen frei sein. Eine durch Zwang geschlossene Ehe ist jedoch nicht nichtig, sondern fehlerhaft. Das bedeutet, dass die Ehe grundsätzlich zustande kommt, dass aber ihre Auflösung von beiden Ehegatten gefordert werden kann. Dies geht auf das islamische Recht zurück, das PSG enthält hierzu keine ausdrückliche Bestimmung. Auch die Rechtspraxis folgt dieser Regelung. […] Um die Registrierungspflicht durchzusetzen, hat sich der Gesetzgeber der strafrechtlichen Sanktion bedient. Ein Imam, der informell an einer Ehe mitwirkt, die nicht vorher gerichtlich angezeigt worden ist, ist grundsätzlich mit einer Geldstrafe zwischen 500 und 2.000 syrischen Lira zu bestrafen (Art. 470 Strafgesetzbuch). Dasselbe gilt für beide Vertragsparteien, den Ehevormund, den Stellvertreter und die Zeugen der Eheschließung (Art. 472 Strafgesetzbuch). In der Praxis werden diese Strafen nicht angewendet. Informelle Eheschließungen werden überhaupt nicht verfolgt. […] Ein Bedürfnis, die informell geschlossene Ehe zu registrieren, entsteht in der Praxis immer dann, wenn für ein Kind aus dieser Ehe Dokumente (z.B. eine Geburtsurkunde oder die Staatsangehörigkeitsurkunde) ausgestellt werden sollen. Das Gesetz hat sich dieser Situation angenommen und bestimmt in Art. 44 Abs. 2 PSG, dass eine Registrierung der bereits geschlossenen Ehe erfolgen darf, wenn die in Art. 44 Abs. 1 PSG festgelegten Anforderungen einer vorherigen Anzeige erfüllt sind. Davon nimmt das Gesetz aber den Fall einer Schwangerschaft der Ehefrau oder des Vorhandenseins von Kindern aus dieser Ehe aus, denn nach der ständigen Rechtsprechung ist im Falle einer Schwangerschaft oder der Geburt eines Kindes die Ehe einfacher nachweisbar“.

MPG - Max-Planck-Gesellschaft (o.D.): Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, https://www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe, Zugriff 4.4.2023

Der „Bergmann“, das deutschsprachige Standardwerk zum internationalen Familienrecht, gibt Auskunft über die traditionelle Heirat und das Eherecht, welches auf Muslime anwendbar ist:

[…]

Gleichwohl ist es möglich, vor Erreichen der gesetzlichen Ehemündigkeit mit Genehmigung des Familiengerichts zu heiraten (Art 18 PSG). Art 18 Abs 1 PSG idF v ÄndG Nr 4/2019 v 7.2.2019) setzt hierfür für beide Geschlechter eine Altersuntergrenze von 15 Jahren und bestimmt, dass der Antrag von den Parteien selbst zu stellen ist. Zudem muss der Ehevormund der eheunmündigen Person der Eheschließung zustimmen (Art 18 Abs 2 PSG). Das Gericht prüft im Dispensverfahren zum einen, ob die Parteien ganz allgemein gesund sind, und zum anderen, ob im konkreten Fall der/die Eheunmündige körperlich für den Vollzug der Ehe bereit ist. Schließen Jugendliche unter 18 Jahren ohne vorherigen Antrag auf Dispens bei Gericht die Ehe (informelle Eheschließung), kommt die Ehe wirksam zustande, sofern der Ehevormund mitgewirkt hat; die Ehe ist jedoch fehlerhaft und kann auf Antrag der Parteien oder jeder anderen Person aufgehoben werden. […] Die Ehe wird grundsätzlich formfrei geschlossen, eine zwingende Mitwirkung des Staates als Wirksamkeitsvoraussetzung der Ehe besteht nicht.

[…] Jugendliche beiden Geschlechts, die mit 15 Jahren heiraten wollen, oder beschränkt Geschäftsfähige benötigen zwingend die Mitwirkung ihres Ehevormundes (walî) bei ihrer Eheschließung (Art 18 Abs 2 PSG). Die Mitwirkung des Ehevormunds dient der Wahrung der Interessen der Schutzbefohlenen. Dieses Schutzbedürfnis erwächst vor allem aus den ungleichen Scheidungsfolgen für die Ehegatten, sowohl in rechtlicher als auch in sozialer Hinsicht. […] Ehevormund ist grundsätzlich der Vater der Braut (Art 170 Abs 1 PSG). Ist er abwesend oder zur Wahrnehmung der Ehevormundschaft nicht fähig, wirkt der Großvater väterlicherseits als Ehevormund. Die weitere Reihenfolge der Ehevormunde richtet sich nach der Rangordnung in der agnatischen Erbfolge (Art 21 Abs 1 PSG). Neu eingeführt durch die Novelle 2019 ist die Berufung der Mutter zum Ehevormund, bei Abwesenheit männlicher Verwandter aus der väterlichen Linie nach der Rangordnung in der agnatischen Erbfolge (Art 23 Abs 1 PSG idF v ÄndG Nr 4/2019 v 7.2.2019). Erst wenn auch dies scheitert, übt der Richter die Ehevormundschaft aus (Art 24 PSG). Schließlich ist zu beachten, dass eine Ehe, die der Ehevormund für eine Minderjährige ohne ihre Einwilligung schließt, bis zu der ausdrücklichen Genehmigung durch das Mädchen als schwebend unwirksam gilt (Art 21 Abs 2 PSG idF v ÄndG Nr 4/2019 v 7.2.2019). Das Personalstatutsgesetz unterscheidet nach Graden der Wirksamkeit zwischen einer wirksamen (sahîh), einer fehlerhaften (fâsid) und einer nichtigen (bâtil) Ehe. Eine Ehe ist wirksam und durchsetzbar (nâfidh), wenn die wesentlichen Elemente (arkân) vorliegen und die weiteren Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Zu den wesentlichen Elementen gehören der Ehekonsens und die Begründung der Ehe durch Angebot und Annahme. Eine Ehe gilt als fehlerhaft, wenn trotz Vorliegens eines Ehekonsenses eine nicht-konstitutive Wirksamkeitsvoraussetzung der Ehe nicht erfüllt ist (Art 48 PSG) (wenn beispielsweise keine Zeugen bei der Eheschließung anwesend waren). Eine schwebend unwirksame Ehe ist hingegen grundsätzlich wirksam, wird jedoch bis zu ihrer Genehmigung wie eine fehlerhafte Ehe behandelt (Art 52). Nichtig ist die Ehe dann, wenn eine der konstitutiven Wirksamkeitsvoraussetzungen fehlt (Art 50 Abs 1 PSG idF v ÄndG Nr 4/2019 v 7.2.2019). So ist die Ehe eines Geschäftsunfähigen, der nicht vertreten wird, nichtig. Die wirksame Ehe begründet alle persönlichen und vermögensrechtlichen Ehewirkungen. Diese sind (1) die Pflicht der Ehefrau zu ehelichem Gehorsam, (2) ihr Anspruch auf die Brautgabe (Näheres zu (1) und (2) sogleich), (3) das Ehegattenerbrecht (auf nähere Ausführungen dazu wird hier verzichtet), (4) die familienrechtlichen Beziehungen der Abstammung (siehe den Abschnitt zum Kindschaftsrecht unten), (5) das Ehehindernis der Schwägerschaft (dazu die Ausführungen zu den Ehevoraussetzungen oben) sowie (6) die Unterhaltspflicht des Ehemannes (Art 49 PSG) […]“.

BO – Bergmann Online [Bergmann, Alexander/Ferid, Murad/Henrich, Dieter/Dutta, Anatol/Ebert, Hans-Georg] (6.5.2021): Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht mit Staatsangehörigkeitsrecht: Syrien, Arabische Republik, https://www.vfst.de/apps/elbib/bibliothek/IEK/IEK_SYR, Zugriff 3.4.2023

Gemäß dem Länderinformationsbericht des Niederländischen Außenministeriums (NMFA) aus dem Jahr 2021 ist eine traditionelle muslimische Heirat (urfi) rechtlich gesehen eine Eheschließung, die noch nicht von einem Schariagericht oder einem Standesamt ratifiziert wurde. Falls eine solche Ehe von einem Richter an einem Schariagericht durchgeführt werden soll, kommt es zu einem Zivilrechtsverfahren. Für eine Entscheidung (qarar) in einem Eheregistrierungsfall (tathbit zawaj) braucht es immer zwei Parteien: einen Beschwerdeführer (al-madiya) und einen Antragsgegner (al-mada alaihi), wobei beide Parteien in der Praxis häufig für eine Bestätigung der Ehe auftreten. Dasselbe Verfahren wird angewandt, falls es sich um einen Ehedispens für Minderjährige handelt. Wenn einer der Ehepartner minderjährig ist, kann das Gericht eine zusätzliche Begutachtung beantragen, z.B. eine mündliche oder visuelle Beurteilung des Minderjährigen durch den Richter. Üblicherweise werden Ehen von Minderjährigen außerhalb des Gerichts geschlossen und in der Retrospektive vom Schariagericht nach einer rechtlichen Validitätsprüfung und der Bezahlung vorgeschriebener Geldstrafen registriert; Haftstrafen werden nur selten angewandt. Oftmals stellen Eheregistrierungsverfahren zudem eine fait accompli dar: z.B. ist die Frau schon schwanger, es gibt schon Kinder oder die Ehe wird von niemanden angefochten.

Auch der NMFA-Bericht aus dem Jahr 2022 gibt weiterführende Auskunft zur Thematik. Legal sind Ehen in Syrien, wenn sie von einem religiösen oder familienrechtlichen Gericht – für Muslime das Schariagericht – geschlossen wurden. Anschließend muss die dort ausgestellte Heiratsurkunde am Standesamt registriert werden. Letzteres stellt zwar nur einen rein administrativen Schritt dar, er ist aber notwendig, damit die Staatsgewalt eine Ehe anerkennt. Die Ehe kann zuhause oder vor Gericht geschlossen werden und die Ehepartner müssen nicht zwangsläufig anwesend sein. Falls ein Dispens für eine Heirat, die Minderjährige involviert, erteilt werden muss, wird er im Regelfall im selben Verfahren wie die Eheschließung selbst erteilt; nur ein Richter kann die Erlaubnis für eine solche Ehe erteilen. Auch ist unklar, ob der erteilte Dispens in einer Heiratsurkunde vermerkt wird. Ebenfalls wird nicht vermerkt, ob die Frau bereits schwanger ist, weil es rechtlich wie gesellschaftlich als inakzeptabel gilt. Bei Registrierungen von traditionellen Ehen kann dies jedoch aufgrund der Zeitspanne zwischen traditioneller Eheschließung und Ratifizierung vorkommen, wobei es nicht dem Standardprozedere entspricht. Im Allgemeinen sind die Dokumente, in welchen eine traditionelle Ehe bestätigt wird, wegen richterlichem Ermessen sehr unterschiedlich in Form und Inhalt. Unter Art. 40 § 2 des Personenstandsgesetzes kann ein Richter außerdem jede traditionelle Heirat, welche die Voraussetzungen unter § 1 nicht erfüllt, ratifizieren. Daher kann ebenjenes als Möglichkeit für eine Heirat unter Minderjährigen ohne richterlichen Dispens angesehen werden.

[…]

Das US-amerikanische Außenministerium berichtet, dass Buben, die nicht älter als 15 Jahre sind, und Mädchen, die nicht älter als 13 Jahre sind, heiraten dürfen, falls ein Richter beide als heiratswillig und für „physisch reif genug“ erachtet. Auch müssen die Väter bzw. die Großväter beider Seiten zustimmen. Rechtlich beträgt das sexuelle Mündigkeitsalter 15 Jahre und es gibt keine altersnahen Befreiungen. Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist illegal, aber Beobachtern zufolge vollstrecken die syrischen Behörden dieses Gesetz nicht. Vergewaltigungen von Kindern unter 15 Jahren werden mit mindestens 21 Jahren Strafarbeit und Haft bestraft, wobei es 2022 keine Fälle gab, in welchen das Regime Vergewaltigungen von Kindern verfolgte.“

3. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zu Grunde:

3.1. Zur Person des BF (Punkt 2.1.):

3.1.1. Die Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des BF (Punkt 2.1.1.) stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften und übereinstimmenden Angaben vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht sowie die vom BF vorgelegten syrischen Dokumente (Auszüge aus dem Melderegister betreffend den BF und seine Familie, Bescheinigung der Eheschließung

und Feststellungsbescheid betreffend die Eheschließung).

3.1.2. Die Feststellungen zur Staats-, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF sowie seiner Muttersprache (Punkt 2.1.2.) gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen des BF zu zweifeln.

3.1.3. Die Feststellungen zu seinem Heimatort und seiner Herkunftsprovinz (Punkt 2.1.3.) stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften und übereinstimmenden Angaben vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht sowie die vom BF vorgelegten syrischen Dokumente (Auszüge aus dem Melderegister betreffend den BF und seine Familie, Bescheinigung der Eheschließung und Feststellungsbescheid betreffend die Eheschließung), denen der Geburtsort und Meldeort zu entnehmen sind.

Dass sein Heimatort und dessen Umgebung unter oppositioneller Truppen stehen, stützt sich auf eine Nachschau unter https://syria.liveuamap.com/ (Stand 28.11.2023) sowie auf die damit übereinstimmenden Angaben des BF.

3.1.4. Die Feststellungen zur Eheschließung des BF (Punkt 2.1.4.) stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie die vom BF vorgelegten und mit seinen Aussagen inhaltlich übereinstimmenden Dokumenten (insbesondere Bescheinigung der Eheschließung und Feststellungsbescheid betreffend die Eheschließung).

3.1.5. Zu den Feststellungen betreffend den Geschlechtsverkehr des BF mit seiner Ehefrau (Punkt 2.1.5) ist beweiswürdigend wie folgt auszuführen:

Der BF führte in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 23.11.2023 aus, unmittelbar nach der am XXXX erfolgten Eheschließung mit seiner Ehefrau in einen gemeinsamen Haushalt gezogen zu sein und zusammengelebt zu haben. Er habe bis zur Schwangerschaft Mitte 2018 wiederholt Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt, wie oft könne er nicht genau sagen.

Der BF behauptete zwar einerseits in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erst ab ca. Ende 2017 Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau gehabt zu haben, revidierte dies aber zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der selben Verhandlung dahingehend, dass er vor ca. 7 Jahren – somit ca. Ende 2016 – erstmals Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt habe. Dies wirkt insofern schlüssig, als der BF zu diesem Zeitpunkt geheiratet hat und mit seiner Ehefrau zusammengezogen ist, ohne dass er diesbezüglich jegliche Zweifel angesichts des jungen Alters seiner Ehefrau gehabt hat.

Als der BF als Beschuldigter seitens der Landespolizeidirektion XXXX am 15.09.2023 zum Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs einer Unmündigen (seiner Ehefrau) einvernommen wurde, bestätigte der BF, dass seine Ehefrau zum Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft erst 14 Jahre alt gewesen sei. Er widersprach nicht dem Tatvorwurf, mit seiner Ehefrau auch schon vor Vollendung ihres 14. Lebensjahres Geschlechtsverkehr vollzogen zu haben. Hierzu wollte er keine Aussage machen.

Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die Ehefrau des BF zum Zeitpunkt des erstmaligen Geschlechtsverkehrs erst 13 Jahre alt war und somit das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Weiters führte der BF in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus, dass er nach der Eheschließung versucht habe, mehr über seine Ehefrau zu erfahren und ungefähr ein paar Monate nach der Eheschließung ihr Alter erfahren habe. Da die Eheschließung am XXXX erfolgte, hat der BF demnach ca. im Frühling 2017 vom Alter seiner Ehefrau erfahren. Da er zu diesem Zeitpunkt und auch danach wiederholt Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau vollzog und seine Ehefrau zu diesem Zeitpunkt erst 13 Jahre alt war, war dem BF somit bewusst, dass er als damals 18jähriger Mann Geschlechtsverkehr mit einer 13jährigen vollzog.

3.1.6. Die Feststellungen zum Sohn und dem derzeitigen Aufenthaltsort der Ehefrau und des Sohnes des BF (Punkt 2.1.6.) stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 23.11.2023 sowie den vom BF vorgelegten Auszug aus dem Personenregister betreffend seinen Sohn.

3.1.7. Die Feststellungen zur Schulbildung (Punkt 2.1.7.) stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht.

3.1.8. Die Feststellungen zum Militärdienst (Punkt 2.1.8.) stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie dem Umstand, dass der BF Syrien bereits im Dezember 2013, somit im Alter von 15 Jahren verlassen hat und seither nicht mehr nach Syrien zurückgekehrt ist.

3.1.9. Die Feststellungen zur Ausreise des BF aus Syrien, seinem Aufenthalt in der Türkei, seiner Einreise in Österreich sowie seinem Asylverfahren in Österreich (Punkt 2.1.9. und 2.1.10.) stützen sich auf die Angaben des BF in der Erstbefragung und seiner Einvernahme vor dem BFA, den Bescheid des BFA vom 12.09.2023, Zl. 1325066609/222952005, sowie die vom BF am 07.04.2023 erhobene Beschwerde.

3.1.10. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit (Punkt 2.1.11.) stützt sich auf die Einsichtnahme in das Strafregister. Die Feststellungen zur Einstellung des gegen den BF geführten Ermittlungsverfahrens in Österreich stützt sich auf die vom BF eingeholte Auskunft der Staatsanwaltschaft XXXX vom 06.11.2023.

3.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Punkt 2.2.):

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Dem BF und seiner Rechtsvertreterin wurde in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit eingeräumt zu den Länderfeststellungen Stellung zu nehmen. Der BF und seine Rechtsvertreterin sind diesen Erkenntnisquellen nicht entgegengetreten.

4. Rechtliche Beurteilung:

4.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

4.1.1. Rechtliche Beurteilung der Eheschließung des BF

Wie unter Punkt 2.1.4. festgestellt, heiratete der BF am XXXX in XXXX traditionell vor einem Imam („sheikh“) die syrische Staatsangehörige XXXX , geb. XXXX . Die Ehefrau des BF war zum Zeitpunkt der Eheschließung 13 Jahre alt, somit eine unmündig Minderjährige, der BF 18 Jahre alt. Von den Schwiegereltern des BF als Eltern und Vormund ihrer damals 13jährigen Tochter wurde die Zustimmung zur Eheschließung erteilt. Ein richterlicher Dispens lag zum Zeitpunkt der Eheschließung am XXXX nicht vor. Erst am XXXX wurde die Ehe durch ein syrisches Gericht nach syrischem Recht genehmigt und registriert.

Wie den Länderfeststellungen unter Punkt 2.2.1. und 2.2.2. zu entnehmen ist, handelt es sich bei einer informellen Heirat mit Bezeichnungen wie sheikh, ‘urfi und katb al-kitab - auch unter der Bezeichnung „traditionelle Ehe“ - um eine islamische Heirat, die ohne die Involvierung einer kompetenten Autorität geschlossen wird. Ein Richter kann eine informelle Heirat ratifizieren.

Schließt – wie im gegenständlichen Fall – eine 13jährige syrische Staatsangehörige eine Ehe mit einem Volljährigen, so bedarf es zwecks gültigem Zustandekommen der Eheschließung unter anderem der Zustimmung des Vormundes der unmündigen Minderjährigen sowie einem richterlichen Dispens. Im gegenständlichen Fall lag zum Zeitpunkt der Eheschließung kein richterlicher Dispens vor.

Scharia-Gerichte dürfen informelle Eheschließungen und fehlerhafte Eheschließungen auch später ratifizieren, wobei die Bestätigung in schriftlicher Form erfolgt.

Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt, ist das Datum der traditionellen Eheschließung das Datum der Eheschließung, nicht das Datum der Registrierung. Im gegenständlichen Fall wurde die Ehe des BF am XXXX durch ein syrisches Gericht (Scharia-Gericht) nach syrischem Recht genehmigt und registriert. Damit wurde die am XXXX geschlossene Ehe als gültig anerkannt.

4.1.2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat (§ 3 Abs. 3 Z 2 AsylG).

4.1.3. Gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt.

Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden (Abs. 2).

Gemäß Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention findet dieses Abkommen keine Anwendung auf Personen, in Bezug auf die aus schwer wiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden.

4.1.4. Die EU-Richtlinie 2011/95/EU („Statusrichtlinie“), ABl. L Nr. 337 vom 20.12.2011, S. 9, lautet auszugsweise:

„Artikel 12

Ausschluss

(1) …

(2) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von

der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er

a) …

b) eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, das heißt vor dem Zeitpunkt der Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; insbesondere grausame Handlungen können als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden

c) …

(3) … “

4.1.5. § 206 StGB, i.d.F. BGBl. I Nr. 116/2013, lautet samt Überschriften:

„Schwerer sexueller Mißbrauch von Unmündigen

§ 206. (1) Wer mit einer unmündigen Person den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternimmt, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine unmündige Person zur Vornahme oder Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung mit einer anderen Person oder, um sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, dazu verleitet, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen.

(3) Hat die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) oder eine Schwangerschaft der unmündigen Person zur Folge oder wird die unmündige Person durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt oder in besonderer Weise erniedrigt, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren, hat sie aber den Tod der unmündigen Person zur Folge, mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.

(4) Übersteigt das Alter des Täters das Alter der unmündigen Person nicht um mehr als drei Jahre, wird die unmündige Person durch die Tat weder längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt noch in besonderer Weise erniedrigt und hat die Tat weder eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) noch den Tod der unmündigen Person zur Folge, so ist der Täter nach Abs. 1 und 2 nicht zu bestrafen, es sei denn, die unmündige Person hätte das 13. Lebensjahr noch nicht vollendet.“

4.1.6. In Entsprechung des § 6 Abs. 2 AsylG 2005 kann ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden, wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt.

4.1.7. Gegenständlich sah die belangte Behörde in ihrem Bescheid den in § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 genannten Ausschlussgrund als verwirklicht an. Begründend führte sie aus, dass der BF als Volljähriger mit seiner damals minderjährigen Ehefrau Geschlechtsverkehr gehabt habe und dies gemäß Art. 491 des syrischen Strafgesetzbuches strafbar sei („Wer mit einem Minderjährigen unter 15 Jahren Geschlechtsverkehr hat, wird mit neun Jahren Zwangsarbeit bestraft.“).

Zur subjektiven Tatseite führte die belangte Behörde aus, dass dem BF das Alter und die strafrechtlichen Bestimmungen bewusst gewesen sein müssten und das gesetzliche Schutzalter zur Teilnahme an sexuellen Aktivitäten und der rechtlichen Einwilligungsfähigkeit in solche bei fünfzehn Jahren liege.

4.1.8. Der BF führte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus, dass ihm das Alter seiner Ehefrau zum Zeitpunkt des ersten (und danach wiederholten) Geschlechtsverkehrs bekannt gewesen sei, er sich jedoch nicht so gut mit dem syrischen Gesetz auskenne und glaube, dass im Falle der Ehe weder eine Vergewaltigung noch eine sonstige geschlechtliche Handlung strafbar wäre. Auch in seiner Beschwerde argumentierte der BF, dass Vergewaltigung im Speziellen und Geschlechtsverkehr im Allgemeinen unter Eheleuten – unbeschadet deren Alter – nicht strafbar wäre.

Diese Behauptung bezieht sich auf den hier nicht anzuwendenden Art. 490 des syrischen Strafgesetzbuches, wonach Männer nicht bestraft werden, die Geschlechtsverkehr mit ihrer Ehefrau haben, wobei sich die Ehefrau wegen eines körperlichen oder seelischen Mangels oder aufgrund von Täuschungshandlungen nicht wehren kann.

Art. 491 des syrischen Strafgesetzbuches regelt wiederum den Fall, dass ein Mann mit einer Minderjährigen unter 15 Jahren – auch einvernehmlichen – Geschlechtsverkehr hat. Art. 491 des syrischen Strafgesetzbuches unterscheidet sich insofern von Art. 490 StGB, als zum einen auf das junge Alter des Opfers abgestellt und das Vorliegen einer Ehe zum anderen gerade nicht als Ausnahmetatbestand normiert wird. Die Argumentation des BF geht daher ins Leere.

4.1.9. § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 normiert, dass ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen ist, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F GFK genannten Ausschlussgründe vorliegt. Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK sieht vor, dass die Bestimmungen der GFK auf Personen nicht anwendbar sind, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass diese, bevor sie als Flüchtling in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben. Auch die Statusrichtlinie normiert in ihrem Art. 12 Abs. 2 lit. b, dass ein Drittstaatsangehöriger von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde.

4.1.10. Bei der Beurteilung, ob der Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zu bejahen ist, sind folgende – insbesondere bereits von der Rechtsprechung aufgestellte – Grundsätze und Leitlinien zu beachten:

4.1.10.1. Der EuGH sprach zu Art. 12 Abs. 2 lit. b und lit. c der Statusrichtlinie (Anm. noch zur im Wortlaut unverändert gebliebenen Richtlinie 2004/83/EG) bereits aus, dass der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung mit der Schwere der begangenen Handlungen zusammenhängt, die von einem solchen Grad sein muss, dass die betreffende Person nicht in berechtigter Weise Anspruch auf den Schutz erheben kann, der mit der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 2 lit. d der Statusrichtlinie verbunden ist. Da bereits in der Beurteilung der Schwere der begangenen Handlungen und der individuellen Verantwortung der betreffenden Person alle Umstände berücksichtigt werden, die für diese Handlungen und für die Lage dieser Person kennzeichnend sind, kann die Behörde, wenn sie zu dem Ergebnis gelangt, dass Art. 12 Abs. 2 Anwendung findet, nicht zur Vornahme einer Verhältnismäßigkeitsprüfung verpflichtet sein, die eine erneute Beurteilung des Schweregrads der begangenen Handlungen einschließt. Der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 lit. b oder lit. c leg. cit. setzt jedenfalls keine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus (vgl. das Urteil des EuGH vom 09.11.2010, Rechtssache Bundesrepublik Deutschland gg. B und D, C-57/09 und C-101/09).

Nach diesem Urteil setzt der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling nach Art. 12 Abs. 2 lit. b der Statusrichtlinie nicht voraus, dass vom Fremden eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmestaat ausgeht. Den Ausführungen des EuGH zufolge, die sich gleichermaßen auf den Ausschlussgrund des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen beziehen, wurden die Ausschlussgründe mit dem Ziel geschaffen, von der Flüchtlingsanerkennung Personen auszuschließen, die hinsichtlich des Schutzes, der sich aus der Anerkennung ergibt, als unwürdig angesehen werden, und zu verhindern, dass die Anerkennung den Urhebern bestimmter schwerer Straftaten ermöglicht, sich ihrer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen. Nach der Systematik der Statusrichtlinie ist eine möglicherweise von einem Flüchtling für den betreffenden Mitgliedstaat ausgehende gegenwärtige Gefahr nicht im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie zu berücksichtigen, sondern im Rahmen von deren Art. 14 Abs. 4 bzw. des Art. 21 Abs. 2. Mit den Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie sollen hingegen nach ihrem Wortlaut Handlungen geahndet werden, die in der Vergangenheit begangen wurden. Auf eine fortbestehende, von dem Betreffenden ausgehende aktuelle Gefahr kommt es daher nicht an (vgl. zum Ganzen dt. BVerwG 07.07.2011, 10 C 26.10, Rn. 25, unter Hinweis auf das zuvor erwähnte Urteil des EuGH).

4.1.10.2. Der Verwaltungsgerichtshof spricht in seiner Rechtsprechung zu § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus, dass in Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die ein Asylausschluss für die betreffende Person hat, die Ausschlussklauseln restriktiv auszulegen sind. Auch bedarf es ausreichender Sachverhaltsfeststellungen, um beurteilen zu können, durch welches Verhalten der Asylwerber einen Ausschlusstatbestand erfüllt hat. Im Zusammenhang mit dem Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK hat der Verwaltungsgerichtshof überdies betont, dass dieser Ausschlusstatbestand eine Abwägung zwischen der Verwerflichkeit der Tat, derer der Asylwerber verdächtig ist, und seinen Schutzinteressen (Grad der befürchteten Verfolgung) erfordert. Das setzt wiederum eine umfassende Klärung des Sachverhaltes voraus. So sind z.B. Milderungsgründe, Schuldausschließungs- und Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen und muss die Tat auch in subjektiver Hinsicht schwerwiegend sein. § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, so der Verwaltungsgerichtshof außerdem, ist vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie zu sehen. Nach der Rechtsprechung des EuGH dazu ist bei der Beurteilung der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie eine „individuelle Prüfung der genauen tatsächlichen Umstände“ erforderlich (vgl. zu alldem VwGH 18.05.2020, Ra 2019/18/0354, Rn. 17 f, m.w.N.).

4.1.10.3. Auch die Richtlinie zum internationalen Schutz des UNHCR zur Anwendung der Ausschlussklauseln: Artikel 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 04.09.2003 (abrufbar unter: https://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf?reldoc=y docid=51c98f714 [abgerufen am 28.11.2023] S. 6f) hält zu Art. 1 Abschnitt F GFK fest, dass ein Ausschluss nur dann gerechtfertigt sei, wenn die persönliche Verantwortung für ein Verbrechen nach Art. 1 Abschnitt F GFK nachgewiesen sei. Eine strafrechtliche Verantwortung liege dann vor, wenn die betreffende Person wissentlich und vorsätzlich wesentliche Tatbestandselemente begangen hat. Ist der subjektive Tatbestand nicht gegeben, etwa, weil der Person eine wesentliche Tatsache nicht bekannt war, könne keine persönliche strafrechtliche Verantwortung angenommen werden. In manchen Fällen besitze die Person vielleicht nicht die geistigen Fähigkeiten, um für ein Verbrechen verantwortlich gemacht zu werden, etwa wegen Unzurechnungsfähigkeit, geistiger Behinderung, unfreiwilliger Intoxikation oder, im Fall von Kindern, wegen mangelnder Reife. Es sollten Faktoren in Betracht gezogen werden, die allgemein bei der Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe in Betracht kommen.

4.1.10.4. Die EUAA (damals noch in der Vorläufereinrichtung EASO – European Asylum Support Office) führt in ihrem Leitfaden über die Ausschlussgründe der Art. 12 und 17 der Statusrichtlinie aus dem Jahr 2020 – in Entsprechung der obigen Rechtsprechung des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofs – aus, dass in Bezug auf die Ausschlussgründe in Art. 12 Abs. 2 lit. a bis c Statusrichtlinie zu prüfen sei, ob ausreichende Beweise vorliegen, um der betreffenden Person die individuelle Verantwortung für Handlungen zuzuweisen, die in den Anwendungsbereich der in Art. 12 Abs. 2 lit. a bis c der Statusrichtlinie genannten Ausschlussgründe fallen. Der Beweismaßstab für den Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 2 Statusrichtlinie sei nicht derjenige des in „dubio pro reo“ wie im nationalen und internationalen Strafrecht. Vielmehr handle es sich um „schwerwiegende Gründe für die Annahme“, dass die betreffende Person individuell für eine ausschließbare Straftat oder Handlung verantwortlich ist. Weiters führt die genannte Analyse aus, dass der EuGH in der in der Rechtssache Shajin Ahmed gg. Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal, C‑369/17, in der es um den Ausschluss vom subsidiären Schutz ging, feststellte, dass „jeder Entscheidung über den Ausschluss einer Person von der Flüchtlingseigenschaft eine umfassende Prüfung aller Umstände ihres Einzelfalls vorausgehen muss und nicht automatisch getroffen werden kann“. Da der Ausschlussgrund eine Ausnahme darstelle, erfordere er eine enge Auslegung. Der EuGH wies darauf hin, dass zwar das Kriterium der im Strafrecht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Strafe bei der Beurteilung der Schwere der Straftat, die den Ausschluss vom subsidiären Schutz gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. b rechtfertigt, von besonderer Bedeutung ist. Die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats dürfe den in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausschlussgrund nur anwenden, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Bewertung der ihr zur Kenntnis gebrachten spezifischen Tatsachen vorgenommen hat, um festzustellen, ob es ernsthafte Gründe für die Annahme gibt, dass die von der betreffenden Person, die ansonsten die Voraussetzungen für den beantragten Status erfüllt, begangenen Handlungen unter diesen besonderen Ausschlussgrund fallen.

Die Schwere der fraglichen Straftat – so die EUAA in ihrem Leitfaden außerdem – ist anhand einer Reihe von Kriterien zu beurteilen. Zu diesen Kriterien gehören die Art der fraglichen Handlung, die Folgen dieser Handlung, die Form des Verfahrens zur Verfolgung der Straftat, die Art der vorgesehenen Strafe und die Berücksichtigung der Frage, ob die meisten Rechtsordnungen die fragliche Handlung ebenfalls als schwere Straftat einstufen. Betont wird jedoch, dass es nicht nur darauf ankomme, wie die Straftat bezeichnet werde, weil alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssten, bevor man zu dem Schluss kommen könne, dass die betreffende Person individuell für eine „schwere“ nichtpolitische Straftat verantwortlich sei (zum Ganzen vgl. EUAA, Richterliche Analyse zum Ausschluss nach den Art. 12 und 17 der Statusrichtlinie, 2. Auflage 2020 [„EUAA Analyse“; abrufbar unter https://euaa.europa.eu/sites/default/files/EASO_Exclusion_second_edition_JA_EN.pdf, abgerufen am 28.11.2023], S. 55 und 80 ff).

4.1.11. Vor diesem Hintergrund war zunächst zu beurteilen, ob es sich der Tat des BF tatsächlich um ein „schweres nichtpolitisches Verbrechen“ handelt:

4.1.11.1. Dazu ist zunächst über das bereits Gesagte hinaus darauf hinzuweisen, dass nach dem Schrifttum für die Feststellung, ob eine bestimmte Straftat tatsächlich als „schwer“ im gegenständlich relevanten Zusammenhang anzusehen ist, internationale Standards maßgeblich sind, wobei mehrere Faktoren wie die Art der Handlung, der tatsächlich zugefügte Schaden, die Art des zur strafrechtlichen Verfolgung des Verbrechens eingesetzten Verfahrens, die Form der Strafe sowie die Frage, ob das Verbrechen in den meisten Rechtsordnungen ein schweres Verbrechen darstellen würde, eine Rolle spielen. Mord, Vergewaltigung und bewaffneter Raub fallen jedenfalls unter schwere Verbrechen (vgl. Böckmann-Winkler/Lipphart-Kirchmeir in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 6 AsylG 2005 Rn. 5b sowie die bereits oben zitierte Richtlinie zum internationalen Schutz des UNHCR zur Anwendung der Ausschlussklauseln: Artikel 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 04.09.2003, S. 5 f). Für Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer sind unter schweren Verbrechen ein Kapitalverbrechen oder eine besonders schwerwiegende Straftat zu verstehen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Kommentar Asyl- und Fremdenrecht [2016], AsylG, § 6, K13, unter Hinweis auf das Handbuch des UNHCR).

4.1.11.2. Die EUAA nennt als Beispiel für ein schweres nichtpolitisches Verbrechen den sexuellen Missbrauch einer minderjährigen Nichte (EUAA, Richterliche Analyse – Ausschluss nach den Art. 12 und 17 der Statusrichtlinie [2020], 2. Ausgabe, S. 81).

4.1.11.3. Die belangte Behörde weist in ihrem Bescheid ua darauf hin, dass auch das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF die Kinderheirat als eine schwere Verletzung der Menschenrechte ansieht, welche die am meisten verbreitete Form von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung von Mädchen ist, auch wenn auch Buben davon betroffen sind. UNICEF weist auch darauf hin, dass das Recht auf die freie und volle Zustimmung zur Ehe in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) anerkannt wird und eine Zustimmung nicht gegeben ist, wenn einer der beiden Betroffenen nicht die angemessene Reife besitzt, eine sachkundige Entscheidung für einen Lebenspartner zu treffen. Die Konvention über die Abschaffung aller Formen von Diskriminierung gegenüber Frauen (1979) sagt aus, dass Verlobung und Heirat eines Kindes keinen legalen Status haben dürfen und dass jede notwendige Maßnahme und eine Gesetzgebung erfolgen müssen, um ein Mindestalter zur Eheschließung festzulegen. Das Komitee über die Abschaffung aller Formen von Diskriminierung gegenüber Frauen spricht sich für das Mindestalter von 18 Jahren aus (vgl. Child Protection Information Sheet, abrufbar unter: https://unicef.at/fileadmin/media/Infos_und_Medien/Info-Material/Maedchen_und_Frauen/Kinderheirat_fact_sheet.pdf [abgerufen am 28.11.2023]).

4.1.11.4. Der Geschlechtsverkehr mit einer minderjährigen Person, die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht hat, ist – wie ausgeführt – nach Art. 491 des syrischen Strafgesetzbuches mit neun Jahren Zwangsarbeit zu bestrafen.

4.1.11.5. Die österreichische Rechtsordnung normiert den Straftatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB. Dieser sieht für das Unternehmen des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzen eine Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Hat die Tat eine Schwangerschaft der unmündigen Person zur Folge so ist der Täter mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren zu bestrafen. Die Ehefrau des BF war zum Zeitpunkt des erstmaligen Beischlafs 13 Jahre alt. Zum Zeitpunkt des Beginns ihrer Schwangerschaft war sie („schon“) 14 Jahre alt war, demnach hat („erst“) der wiederholte Geschlechtsverkehr im Alter von 14 Jahren zur Schwangerschaft geführt und ist die qualifizierte Form des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen gemäß § 206 Abs. 3 StGB nicht erfüllt.

4.1.11.6. Vor dem Hintergrund der zuvor wiedergegebenen allgemeinen wie auch spezifischen Leitlinien – und auch bei Berücksichtigung der autonomen Auslegung der Statusrichtlinie – geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der mit einer Person vor Vollendung des 14. Lebensjahres mehrfach unternommene Beischlaf, falls der andere Partner jedenfalls mehr als drei Jahre älter ist, und dieser Beischlaf zudem zu einer Schwangerschaft – wenngleich „erst“ im Alter von 14 Jahren – geführt hat, als „schweres nichtpolitisches Verbrechen“ zu qualifizieren ist. So handelt es sich um eine Tat, die in die sexuelle Integrität einer unmündig Minderjährigen eingreift. Sowohl in Österreich wie auch in Syrien – und wie dargelegt weiteren Rechtsordnungen (siehe die Analyse der EUAA) – steht eine solche Handlung unter gerichtlicher Strafandrohung und ist etwa nicht bloß verwaltungsstrafbewehrt. Angedroht sind in Syrien Zwangsstrafen in der Dauer von neun Jahren und in Österreich Gefängnisstrafen in der Höhe von bis zu zehn Jahren. Die Tatsache, dass in Syrien die Zahl der Verheiratung jüngerer Mädchen zunahm, vermag daran nichts zu ändern.

4.1.11.7. Es handelt sich dabei auch um ein nichtpolitisches Verbrechen, weil der Zweck, der mit dem Delikt verfolgt wurde bzw. wird, klar erkennbar, nicht politischer Natur ist. Das zu schützende Rechtsgut ist die sexuelle Integrität unmündiger Personen.

4.1.12. Nach der Bejahung des „schweren nichtpolitischen Verbrechens“ ist nun zu beurteilen, ob dem BF individuelle Verantwortung für die den Tatbestand ausmachenden Handlungen zuzuweisen ist bzw. durch welches Verhalten er den Ausschlusstatbestand erfüllt haben könnte:

4.1.12.1. Festzustellen war, dass der BF mit seiner Ehefrau in Syrien, zu einem Zeitpunkt als diese das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, den Beischlaf unternahm und dieser Beischlaf eine Schwangerschaft zur Folge hatte.

Die objektive Tatseite (also die objektiven Kriterien) – des zuvor dargestellten Tatbestands des Verbrechens – kann damit als erfüllt gesehen werden.

4.1.12.2. Zur subjektiven Tatseite ist auszuführen, dass der BF selbst im Zeitpunkt des erstmaligen Geschlechtsverkehrs 18 Jahre und somit fünf Jahre älter als seine Ehefrau war. Er war zu dem zuvor dargestellten Tatzeitpunkt (Zeitpunkt des [ersten] Beischlafs) auch gesund und hatte dabei bereits in Syrien, wo er bis dahin aufwuchs, neun Jahre die Schule besucht.

Das erkennende Gericht geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass der BF mit zumindest bedingtem Vorsatz handelte, weil er wusste, welche Handlung(en) er vornahm und diese auch setzen wollte.

Einem gesunden volljährigen Mann, der in Syrien sozialisiert wurde und auch über eine neunjährige Schulbildung verfügt, kann – entgegen seinen Ausführungen – unterstellt werden, dass ihm die syrische Rechtslage, einschließlich strafrechtlich, zum Schutz der sexuellen Integrität von Unmündigen, verpönter Handlungen, grundsätzlich bekannt ist. Ferner, dass er sich gesetzeskonform verhalten kann. Wie festgestellt, war der BF im Zeitpunkt des unternommenen Beischlafs über das Alter seiner Ehefrau in Kenntnis.

Ein Tatbilds- oder Verbotsirrtum ist sohin nicht ersichtlich.

Damit ist auch die subjektive Tatseite (also die subjektiven Kriterien) zu bejahen bzw. ist das Verbrechen dem BF auch diesbezüglich zuzurechnen.

Im Übrigen ist auch noch festzuhalten, dass an der Vorwerfbarkeit der Handlung im dargestellten Sinn die Tatsache, dass der BF und seine Ehefrau – sollte man dies feststellen – im Entscheidungszeitpunkt miteinander glücklich seien und an der Ehe festhalten möchten – nicht von Relevanz ist. Anders könnte dies bei anderen, die individuelle Lage bei Tatbegehung betreffende Umstände wie etwa ein auf den Beschwerdeführer ausgeübter besonderer (sozialer oder familiärer) Druck oder Zwang sein. Solche Umstände sind jedoch, auch bei entsprechenden Ermittlungstätigkeiten des erkennenden Gerichts, nicht hervorgekommen (siehe i.d.Z. neuerlich das Urteil des EuGH vom 09.11.2010, Rn., sowie EUAA-Analyse, Abschnitt 3.6.4).

4.1.13. Der Sachverhalt wurde fallbezogen hinsichtlich der individuellen Zurechnung des Verbrechens zur Person des BF – also sowohl zur objektiven wie auch zur subjektiven Tatseite – auch ausreichend ermittelt bzw. die nach der oben dargestellten Rechtsprechung erforderlichen Feststellungen oben getroffen.

4.1.14. Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bereits ausgeführt hat, liegt im Fall des BF der Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 i.V.m. Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK vor, weil ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass der BF als Volljähriger den Geschlechtsverkehr erstmals und danach wiederholt mit seiner Ehefrau zu einem Zeitpunkt vollzogen hat, als diese das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wobei die damals 13jährige in Entsprechung des syrischen Rechts noch nicht in sexuelle Handlungen hätte einwilligen können.

4.1.15. Aufgrund der festgestellten Tatumstände und unter Berücksichtigung der richterlichen Analyse der EUAA über die Ausschlussgründe der Art. 12 und 17 der Statusrichtlinie und der Richtlinien zum internationalen Schutz der UNHCR zur Anwendung der Ausschlussklauseln: Artikel 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 04.09.2003, kommt das erkennende Gericht – wie auch die belangte Behörde in ihrem Bescheid – zu dem Schluss, dass es sich gegenständlich jedenfalls um ein objektiv schweres Verbrechen handelt, welches dem BF auch subjektiv zuzurechnen ist.

4.1.16. Da damit gegenständlich ein Asylausschlussgrund gemäß Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK vorliegt, kommt die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht in Betracht. Der EuGH sprach diesbezüglich auch aus, dass der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie nicht voraussetzt, dass von der betreffenden Person eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat ausgeht. Ebenso verlangt diese Norm, wie auch der EuGH ausdrücklich aussprach, nicht – anders als dies etwa bei den in Art. 14 Abs. 4 lit. b der Statusrichtlinie der Fall ist –, dass die Tatumstände (wie auch der individuelle Unwert bzw. die individuelle Verwerflichkeit) und die Schutzinteressen des Asylwerbers in Verhältnis gesetzt werden.

Eine Prüfung der individuellen Fluchtgründe des Beschwerdeführers konnte gemäß § 6 Abs. 2 AsylG 2005 aufgrund des Vorliegens des Ausschlussgrunds nach § 6 Abs. 1 Z 2 leg. cit. unterbleiben.

4.1.17. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist sohin als unbegründet abzuweisen.

4.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

4.2.1. Die §§ 8 und 9 AsylG 2005 lauten auszugweise:

„Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) … (7) …

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) … (4) …“

4.2.2. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II., erster Satz) und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Syrien gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei (Spruchpunkt II., zweiter Satz).

4.2.3. Hinsichtlich der Frage, ob der BF einen Asylausschlussgrund gemäß Art. 1 Abschnitt F GFK gesetzt hat, ist auf die zu Spruchpunkt I. 4.1.3. bis 4.1.17. getroffenen Erwägungen zu verweisen und das Vorliegen eines solchen zu bejahen.

Das BFA hat daher zu Recht den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a AsylG abgewiesen.

Dies war wiederum – wie vom BFA mit Spruchpunkt II., zweiter Satz des angefochtenen Bescheides entsprochen – mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat Syrien unzulässig ist. Dieser zweite Satz des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides wurde vom BF auch nicht angefochten.

4.2.4. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II., erster Satz des angefochtenen Bescheids ist sohin als unbegründet abzuweisen.

4.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides

4.3.1. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 leg. cit. von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

4.3.2. Der VwGH stellte in seinem Erkenntnis vom 25.07.2023, Zl. Ra 2021/20/0246-21, im Lichte der unionsrechtlichen Vorgaben klar, dass der eindeutige Wortlaut des § 8 Abs. 3a sowie des § 9 Abs. 2 AsylG 2005, wonach die nach einer dieser Bestimmungen erfolgte Antragsabweisung, Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten oder Aberkennung dieses Status mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verbinden ist, einer unionsrechtskonformen Interpretation nicht zugänglich ist. Die angeführten unionsrechtlichen Vorgaben verlangen nämlich im Gegenteil, dass in einer solchen Situation die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unterbleibt (vgl. Rz 107ff).

Es ist daher in Anbetracht des dem Unionsrecht zukommenden Vorranges geboten, künftig die in § 8 Abs. 3a zweiter Satz und § 9 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 enthaltene - den Rechtsunterworfenen ausschließlich belastende - Anordnung, die vorsieht, dass die gemäß diesen Bestimmungen erfolgte Antragsabweisung, Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten oder Aberkennung dieses Status mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verbinden ist, unangewendet zu lassen, um eine den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechende Rechtslage herzustellen.

Sohin haben nach dem zitierten Erkenntnis des VwGH aber auch jene Aussprüche, die rechtlich von der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme abhängen, zu unterbleiben.

In dieser Konstellation – so der VwGH im zitierten Erkenntnis weiter – hat auch kein Ausspruch über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 zu erfolgen, wenn die Erlassung einer Rückkehrentscheidung von vornherein überhaupt unterbleibt, weswegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben ist.

4.3.3. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des Bescheides ist daher stattzugegeben und dieser ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe dazu die oben zu Spruchpunkt A) zitierten Entscheidungen des EuGH sowie des Verwaltungsgerichtshofs); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Insbesondere konnten die sich stellenden Rechtsfragen, insbesondere zur Bejahung einer wohlbegründeten Furcht vor einer Verfolgungshandlung oder auch die Verknüpfung einer solcherart zu prognostizierenden Handlung mit einem Grund nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, unter Beachtung vorhandener Auslegungslinien unter Bezugnahme auf die im gegenständlichen Fall getroffenen Sachverhaltsfeststellungen gelöst werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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