Spruch
W299 2269803-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Elisabeth Neuhold als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU GmbH (Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen), 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl betreffend den am 20.05.2022 gestellten Antrag auf internationalen Schutz, Zl. 1308443309/221642717, zu Recht:
A)
Die Säumnisbeschwerde wird gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrens-gesetz (VwGVG), abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 20.05.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Der BF wurde am Folgetag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und sein Antrag zum Verfahren zugelassen.
3. Am 02.01.2023 erhob der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) das Rechtsmittel der Säumnisbeschwerde wegen behaupteter Verletzung der Entscheidungspflicht der Behörde.
4. Mit Beschwerdevorlage, eingelangt am 06.04.2023, wurde die Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) unter Anschluss des Verwaltungsaktes übermittelt.
Im Rahmen der Vorlage der Säumnisbeschwerde wurden seitens des BFA eine Stellungnahme der Behörde zur Verfahrensverzögerung sowie eine Stellungnahme des BMI zur Verfahrensverzögerung übermittelt. Bezüglich der Stellungnahme des BMI wurde bemerkt, dass diese zwar auf konkrete Verfahren Bezug nimmt, aber den Ausführungen auch für den vorliegenden Fall Relevanz zukommt, zumal sie die Belastungssituation des BFA im Allgemeinen darstellen.
5. Am 17.05.2023 langte beim BVwG eine Verbesserung der Säumnisbeschwerde ein, in welcher die Vorder- und Rückseite der Aufenthaltsberechtigungskarte nachgereicht wurde. Zudem wurde ergänzend vorgebracht, dass das überwiegende Verschulden bei der Behörde liege. Bereits in mehreren Stellungnahmen beim BVwG habe das BFA selbst zugestanden, trotz erhöhtem Arbeitsanfall im Jahr 2021 und 2022 keine adäquaten Personalmaßnahmen getroffen zu haben.
6. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 31.05.2023 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung am 02.06.2023 neu zugewiesen.
7. Mit Schreiben vom 18.07.2023 übermittelte das BVwG der Rechtsvertretung die vom BFA und BMI eingebrachten Stellungnahmen zum Parteiengehör. Der Rechtsvertretung wurde die Möglichkeit eingeräumt binnen 14 Tagen eine Stellungnahme hiezu abzugeben.
8. Mit Eingabe vom 21.07.2023 gab der BF bekannt, dass er nunmehr durch die BBU GmbH vertreten wird. Zudem wurde von der neuen Rechtsvertretung ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt.
9. Mit E-Mail vom 08.08.2023 übermittelte das BVwG der Rechtsvertretung die Unterlagen des BF.
10. Mit Schreiben vom 30.08.2023 wurde seitens der Rechtsvertretung eine Beschwerdeergänzung eingebracht, welche dem BFA mit Schreiben vom 01.09.2023, zum Parteiengehör übermittelt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF stellte am 20.05.2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 21.05.2022 zum Asylverfahren zugelassen.
1.2. Am 02.01.2023 erhob der BF eine Säumnisbeschwerde, welche am 06.04.2023 bei BVwG einlangte. Der oben genannte Antrag des BF war bis zu diesem Zeitpunkt nicht erledigt. Den BF trifft an der Verfahrensverzögerung kein Verschulden.
1.3. Die Verzögerung in der Erledigung des Antrages ist auf folgende Umstände zurückzuführen:
1.3.1. Im Jahr 2021 wurde ein deutlicher Anstieg der Asylantragszahlen um rund 170 % im Vergleich zum Vorjahr auf rund 40.000 Personen verzeichnet. Im Jahr 2022 stiegen die Antragszahlen weiter auf rund 109.000. Allein im Juni 2022 wurde eine Asylantragszahl von über 9.000 Anträgen verzeichnet, die kontinuierlich auf einen Höchstwert von rund 18.000 Anträgen allein im Oktober 2022 anstieg. Vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2022 kam zu einem sprunghaften Anstieg der Anträge auf internationalen Schutz – insbesondere durch die enorme Zunahme an nordafrikanischen und indischen Antragsteller:innen. Damit wurden jedenfalls die Antragszahlen aus 2015/16 (88.340 Asylantrag im Jahr 2015) erheblich übertroffen.
1.3.2. Zusätzlich stellte der Ausbruch des Ukrainekriegs mit rund 90.000 Vertriebenen, die von Mitte März bis zum Jahresende 2022 zu registrieren waren und deren Aufenthaltsrecht durch das BFA mittels Ausweisen für Vertriebene gemäß § 62 AsylG 2005 zu dokumentieren war, das BFA vor weitere unvorhersehbare Herausforderungen. Für Vertriebene aus der Ukraine wurde mit der Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie auf EU-Ebene und der nationalen Umsetzung durch die Vertriebenen-Verordnung eine völlig neue Rechtsgrundlage geschaffen. Es war daher für das BFA zu Beginn des Ukraine-Krieges notwendig, neue Prozesse und Strukturen zu schaffen, um Vertriebenen aus der Ukraine rasch und unbürokratisch Schutz zu gewähren und in jedem Einzelfall auch mögliche Ausschlussgründe vom vorübergehenden Aufenthaltsrecht zu prüfen.
Insgesamt wurden im Jahr 2022 90.994 Personen gemäß der Vertriebenen-Verordnung von der Exekutive registriert und nach einem Ermittlungsverfahren in der Folge 86.737 Druckaufträge an die ÖSD zur Produktion der Ausweise für Vertriebene übermittelt.
1.3.3. Auch führten die sehr hohen Antragszahlen dazu, dass die Grundversorgungsstellen sowohl des Bundes als auch der Länder in Bezug auf die Aufnahmekapazitäten nicht immer flexibel sogleich reagieren konnten, sodass hier Verzögerungen in der Verfahrensführung (gerade zu Beginn des Verfahrens) eintreten konnten, die in einer solchen Ausnahmesituation aber unvermeidbar waren.
1.3.4. Abseits der unmittelbaren Asylverfahrensführung stiegen auch die Dublin-Out Konsultationsverfahren mit anderen Mitgliedsstaaten auf rund 15.000 ebenso wie die Dublin-In Konsultationsverfahren von anderen Mitgliedsstaaten auf rund 24.000 Verfahren an.
1.4. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wurden vom BMI beziehungsweise durch das BFA folgende Maßnahmen ergriffen:
1.4.1. Zur Erweiterung des Personalstandes wurden verfügbare Kapazitäten des Stellenplans des Bundes im Bereich des BFA genutzt und zusätzliche Kapazitäten mit Lehrlingen bzw. Verwaltungspraktikant:innen geschaffen. Ende Februar 2022 wurden dem BFA 47 Planstellen auf Ebene der verfahrensführenden Referentinnen und Referenten sowie die Aufnahme von 15 Verwaltungspraktikant:innen als Supportkräfte bewilligt. Bis Ende des Jahres 2022 kam es insgesamt zu 62 Neuaufnahmen. Der derzeitige Personalstand des BFA (aktives Personal inkl. 100 Verwaltungspraktikant:innen und Lehrlinge) beträgt 1.125 Mitarbeiter:innen, dies entspricht 1.077 VBÄ.
1.4.2. Begleitend wurde durch das BFA das Instrument BFA-interner Dienstzuteilungen für einen flexiblen Personaleinsatz in Anspruch genommen. Derzeit gibt es 32 Dienstzuteilungen BFA intern und 15 externe Dienstzuteilungen an das BFA. Hierbei wurde eine Empfehlung des Rechnungshofes betreffend die Entwicklung von abgestuften Maßnahmen zur Personalsteuerung umgesetzt und eine Maßnahme getroffen, um rasch auf Veränderungen des Arbeitsanfalls reagieren zu können.
1.4.3. Ab September 2021 wurde durch Verschiebungen des Personals vom fremdenrechtlichen Bereich zurück zur Bearbeitung von Asylverfahren („Change Back“) gezielt Ressourcen zur Arbeitsbewältigung eingesetzt. Die Anzahl der im Bereich der Asylbereich eingesetzten Mitarbeiter:innen stieg von 158 VBÄ (September 2021) auf rund 197 VBÄ (Dezember 2021).
1.4.4. Zusätzlich reduzierte das BFA die Anzahl der Verhandlungsteilnahmen von BFA– Bediensteten beim BVwG (von 128 im Jänner 2021 auf 24 im Dezember 2021) nicht zuletzt, um mehr Kapazitäten für die Bearbeitung laufender Fälle verfügbar zu haben.
1.4.5. Anfang 2022 übernahmen die Regionaldirektionen – zur Vermeidung eines Aktenrück-staus in den Erstaufnahmestellen aufgrund verzögerter Übernahme der zugelassenen Asyl-werbenden in die Grundversorgung der Länder und daraus entstehender längerer Bearbeitungsdauern der Akten – die Aktenbearbeitung auch schon vor Überstellung in die Grundversorgungseinrichtungen der Länder. Das BFA strebte eine möglichst gleichmäßige Belastung der Organisationseinheiten an und berücksichtigte auch die bei den Regionaldirektionen je Bedienstete bzw. Bediensteten offenen Verfahren.
1.4.6. Durch die hohe Anzahl an Asylwerber:innen aus Staaten mit geringer Anerkennungs-wahrscheinlichkeit wurde ein stärkerer Fokus auf die Durchführung von raschen Verfahren gelegt. Hier erfolgte im Jahr 2022 eine Steigerung um mehr als 530 % im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt wurden 23.333 rasche Verfahren entschieden. Dazu zählen „FAST-Track-Verfahren“ (durchschnittliche Verfahrensdauer von 35 Tagen) sowie beschleunigte Verfahrensabwicklungen (erstinstanzlicher Bescheid innerhalb von 72 Stunden).
1.4.7. Zwischen dem dritten Quartal 2018 und dem vierten Quartal 2021 sank die durchschnittliche Erledigungsdauer von Verfahren durch das BFA von 21,6 Monaten auf 3,9 Monate.
1.4.8. Im Jahr 2022 konnten durch das BFA im Jahr 2022 89.447 Asyl-Entscheidungen – rund drei Mal so viele wie noch im Jahr 2021 – getroffen werden.
1.4.9. In seinem am 10.02.2023 veröffentlichten Bericht des Rechnungshofes über die Follow-up-Überprüfung des BFA, erachtete dieser die an BFA und BMI erteilte Empfehlung zu Maßnahmen der Personalsteuerung als umgesetzt und anerkannte die diesbezüglichen Bestrebungen des BFA, durch derartige Maßnahmen auch in Phasen erhöhten Arbeitsanfalls kurzfristig und flexibel auf sich ändernde Gegebenheiten reagieren zu können.
1.5. Das BFA kann als Folge der unter 1.3. beschriebenen Entwicklung die Einhaltung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist unverschuldet nicht in allen Verfahren gewährleisten, weswegen es letztlich auch vorliegend zu Verzögerungen kam.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen hinsichtlich der Stellung und Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz sowie der Erhebung der Säumnisbeschwerde und Nichterledigung des Antrages auf internationalen Schutz ergeben sich aus der Aktenlage. Anhaltspunkte dafür, dass die Verfahrensverzögerung auf den BF zurückzuführen ist, haben sich nicht ergeben.
2.2. Die Feststellungen zu den Umständen, welche der fristgerechten Erledigung des Antrages des BF entgegenstanden, sowie zu den von der Behörde ergriffenen Maßnahmen, ergeben sich aus der Stellungnahme des Bundesministeriums für Inneres vom 28.02.2023 in Zusammenschau mit der Stellungnahme der belangten Behörde. Diesen ist der Antragsteller im Rahmen des Parteiengehörs nicht entgegengetreten. In der Säumnisbeschwerde selbst wird lediglich auf die Überschreitung der Entscheidungsfrist hingewiesen („Die Behörde ist säumig. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem bezeichneten Akt.“ Säumnisbeschwerde S.1). Auch in der Säumnisbeschwerdeergänzung wird lediglich darauf hingewiesen, dass „keine Gründe gegeben [sind], die die Annahme zulassen, dass das überwiegende Verschulden durch den BF verursacht wurde“ (Beschwerdeergänzung S.4).
2.3. Die Feststellungen zu den seitens des BFA ergriffenen Maßnahmen ergeben sich überdies aus dem am 10.02.2023 veröffentlichten Bericht des Rechnungshofes über die Follow-up-Überprüfung des BFA (RH-Bericht). Das erkennende Gericht stützt sich gegenständlich auf die zentralen Aussagen des Rechnungshofes zur Umsetzung der Empfehlungen hinsichtlich der Erledigungsdauer von Asylverfahren (vgl. RH-Bericht, S. 14f.) sowie zur Personalsteuerung (RH-Bericht, S. 19 f.), welche erkennen ließen, dass das BFA und das BMI im Prüfzeitraum umfassende organisatorische und prozesstechnische Maßnahmen zur Verkürzung der Verfahrensdauer ergriffen haben.
2.4. Die festgestellten Daten zur Entwicklung der Antragszahlen in den Jahren 2021 und 2022 stützen sich darüber hinaus auf die durch das BMI veröffentlichten Asylstatistiken für die betreffenden Monate (abrufbar auf https://www.bmi.gv.at/301/Statistiken). Anhaltspunkte, dass die den Stellungnahmen zugrunde gelegten Daten und Fakten nicht den Tatsachen entsprechen, sind nicht ersichtlich.
2.5. Der BF hat im Verfahren keine Stellungnahme zum allfälligen Verschulden der Behörde abgegeben; in der Beschwerdeergänzung findet sich ein Bezug auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß Art. 131 Abs. 2 1. Satz B-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht – soweit sich aus Abs. 3, der die hier nicht relevante Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes regelt – nicht anderes ergibt, über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Zu A) Abweisung
3.2. Gemäß § 73 Abs. 1 1. Satz 1. Fall AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.
Da auch in den einschlägigen verfahrensrechtlichen Bestimmungen – weder das AsylG 2005 noch das BFA-VG kennen in Bezug auf eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz wie im gegenständlichen Verfahren („Normalverfahren“) Sonderfristen – keine andere hier anzuwendende Entscheidungsfrist vorzufinden ist, ist das BFA verpflichtet, in einem durch einen Antrag auf internationalen Schutz eingeleiteten Verfahren binnen sechs Monaten nach dessen Einlangen den Bescheid zu erlassen.
Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung – hier der Antrag auf internationalen Schutz – bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.
Diese Frist ist im gegenständlichen Verfahren abgelaufen und die Säumnisbeschwerde daher zulässig.
Gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG ist die Beschwerde abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
3.3. Zur Verletzung der Entscheidungspflicht hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bereits in der Vergangenheit wiederholt festgehalten, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG bzw. nach § 8 Abs. 1 VwGVG nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (VwGH 16.03.2016, Ra 2015/10/0063). Der VwGH hat ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin angenommen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087, mwN). Weiters hat der VwGH ausgesprochen, dass der allgemeine Hinweis auf die Überlastung der Behörde die Geltendmachung der Entscheidungspflicht nicht vereiteln kann (VwGH 18.04.1979, 2877/78, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Behörde kein überwiegendes Verschulden vorzuwerfen, wenn sie bemüht war, das Verfahren zügig zu betreiben, ins-besondere nicht grundlos zuwartet, sondern etwa durchgehend mit den Sachverständigen und der beschwerdeführenden Partei in Kontakt ist, auf die Dringlichkeit des Verfahrens hinweist und Stellungnahmen urgiert sowie organisatorische Vorkehrungen für die Abwicklung dieses Verfahrens trifft, indem sie konkrete Aufträge an die Amtssachverständigen zur Erstellung von für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen erteilt und mit den Sachverständigen sachlich begründete Termine vereinbart (VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087).
Zur Frage der „unüberwindlichen Hindernisse“ hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Umstand allein, dass es sich um eine komplexe Materie handelt, nicht ausreicht, um vom Vorliegen eines unüberwindlichen Hindernisses auszugehen (VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087). Es sei Aufgabe der Behörde, mit Sachverständigen und anderen in das Verfahren Involvierten sachlich begründete Termine zu vereinbaren, deren Einhaltung zu überwachen und bei Nichteinhaltung entsprechende Schritte zu setzen (VwGH 21.09.2007, 2006/05/0145).
3.4. Die Ausnahmesituation ab dem Jahr 2015 veranlasste den VwGH in seiner Entscheidung vom 24.05.2016, Ro 2016/01/0001, schließlich zu der Feststellung, dass die Abarbeitung der aus den hohen Asylantragszahlen im Jahr 2015 resultierenden zahlreichen offenen Verfahren jahrelange Arbeit in Anspruch nehmen werde und dass ein erneuter Zustrom Schutzsuchender den bestehenden Rückstau an Asylverfahren weiter verstärken würde.
Im Jahr 2015 wurden rund 90.000 Anträge auf internationalen Schutz gestellt, womit sich die Asylantragszahl im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht hat. Insbesondere im zweiten Halbjahr 2015 betrug die Anzahl der Anträge pro Monat oftmals deutlich über 10.000. Unbeschadet einer Personalaufstockung um 206 neue Mitarbeiter hatte sich aufgrund des starken Zustroms Schutzsuchender im Jahr 2015 die Anzahl an offenen Verfahren mehr als verdoppelt (31.000 offene Asylverfahren zu Beginn des Jahres 2015 im Vergleich zu 80.000 offenen Asylverfahren Ende Februar 2016).
Die enorm hohe Zahl an offenen Verfahren stellte – so der VwGH – eine extreme Belastungssituation dar, die sich in ihrer Exzeptionalität von herkömmlichen Überlastungszuständen grundlegend unterscheide. In einer derartigen Situation könne sich die Einhaltung von gesetzlichen Entscheidungsfristen als schwierig erweisen, zumal die Behörde im Hinblick auf ihre Verpflichtung, durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung zu gewährleisten, in dieser Ausnahmesituation zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen müsse.
Im Ergebnis seien nach Ansicht des VwGH mit dieser außergewöhnlichen Belastungssituation im Rahmen der Verschuldensbeurteilung hinreichende Gründe für das Vorliegen unüberwindlicher Hindernisse dargelegt worden und die Verletzung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist alleine auf diese Belastungssituation zurückzuführen gewesen.
Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar:
3.5. Wie festgestellt, wurde im Jahr 2021 ein deutlicher Anstieg der Asylantragszahlen um rund 170 % im Vergleich zum Vorjahr auf rund 40.000 Personen verzeichnet. Diese Lage verschärfte sich im Jahr 2022 weiter, die Zahl der Anträge stieg auf rund 109.000. Allein im Juni 2022 wurde eine Asylantragszahl von über 9.000 Anträgen verzeichnet, die kontinuierlich auf einen Höchstwert von rund 18.000 Anträgen allein im Oktober 2022 anstieg. Vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2022 kam zu einem sprunghaften Anstieg der Anträge auf internationalen Schutz – insbesondere durch die enorme Zunahme an nordafrikanischen und indischen Antragsteller:innen. Damit wurden jedenfalls die Antragszahlen aus 2015/16 erheblich übertroffen.
Zusätzlich war der Ausbruch des Ukrainekriegs mit rund 90.000 Vertriebene vom BFA und den Grundversorgungsstellen zu bewältigen. Abgesehen davon stiegen Dublin-Out Konsultationsverfahren mit anderen Mitgliedsstaaten auf rund 15.000 ebenso wie die Dublin-In Konsultationsverfahren von anderen Mitgliedsstaaten auf rund 24.000 Verfahren an.
Ein Vergleich der damit beschriebenen Situation mit jener der Jahre 2015/2016, welche dem oben zitierten Erkenntnis des VwGH zugrunde lag, führt zwangsläufig zu dem Schluss, dass sich das BFA spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2022 mit einer extremen Belastungssituation konfrontiert sah, die sich in ihrer Exzeptionalität von herkömmlichen Überlastungszuständen grundlegend unterscheidet.
3.6. Um dieser Situation zu begegnen, wurden vom BFA beginnend mit Ende 2021 im Hinblick auf den prognostizierten weiteren Anstieg von Anträgen alle möglichen und budgetär vertretbaren Maßnahmen zur Personalaufstockung gesetzt. Hierbei wurden verfügbare Kapazitäten des Stellenplans des Bundes im Bereich des BFA ausschöpft und zusätzliche Kapazitäten mit Lehrlingen bzw. Verwaltungspraktikant:innen geschaffen.
Aufgrund arbeitsmarktspezifischer Schwierigkeiten bei der Besetzung der Planstellen und des Erfordernisses einer entsprechenden Ausbildung des neu aufzunehmenden Personals setzte das BFA – wie sich auch aus dem vorliegenden Bericht des Rechnungshofes ergibt – begleitend das Instrument interner Dienstzuteilungen für einen flexiblen Personaleinsatz ein und nützte Verschiebungen des Personals vom fremdenrechtlichen Bereich zurück zur Bearbeitung von Asylverfahren („Change Back“). Zusätzlich reduzierte das BFA die Anzahl der Verhandlungsteilnahmen von BFA– Bediensteten beim BVwG (von 128 im Jänner 2021 auf 24 im Dezember 2021) nicht zuletzt, um mehr Kapazitäten für die Bearbeitung laufender Fälle verfügbar zu haben.
Durch die hohe Anzahl an Asylwerber:innen aus Staaten mit geringer Anerkennungswahrscheinlichkeit wurde ein stärkerer Fokus auf die Durchführung von raschen Verfahren gelegt. Hier erfolgte im Jahr 2022 eine Steigerung um mehr als 530 % im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt wurden 23.333 rasche Verfahren entschieden. Dazu zählen „FAST-Track-Verfahren“ (durchschnittliche Verfahrensdauer von 35 Tagen) sowie beschleunigte Verfahrensabwicklungen (erstinstanzlicher Bescheid innerhalb von 72 Stunden).
Anfang 2022 übernahmen die Regionaldirektionen – zur Vermeidung eines Aktenrückstaus in den Erstaufnahmestellen aufgrund verzögerter Übernahme der zugelassenen Asylwerbenden in die Grundversorgung der Länder und daraus entstehender längerer Bearbeitungsdauern der Akten – die Aktenbearbeitung auch schon vor Überstellung in die Grundversorgungseinrichtungen der Länder.
3.7. Betreffend den Einsatz im Ruhestand befindlicher Bediensteter des BFA wurde durch das BMI mitgeteilt, dass bislang nur zwei Mitarbeiter:innen aus eigenem Wunsch zurück in den Dienststand aufgenommen wurden. Solche Wiederaufnahmen oder Neuaufnahmen (von ehemaligen Vertragsbediensteten) auf Konsulentenbasis hätten sich mangels Interessierter bislang nicht im größeren Maß als umsetzbar erwiesen.
Zusammenfassend wird somit festgehalten, dass von BMI und BFA damit alle vertretbaren Möglichkeiten ausgeschöpft wurden um entsprechende Personalressourcen zur Bewältigung des nicht vorhersehbaren massiven Anstieges an Anträgen innerhalb kurzer Zeit bereit zu stellen. In diesem Zusammenhang ist auf den Bericht des Rechnungshofes zu verweisen, in welchem dieser die Maßnahmen des BFA und BMI zur Personalsteuerung, welche daran ausgerichtet sind, kurzfristig und flexibel auf sich ändernde Gegebenheiten reagieren zu können, anerkannte (vgl. RH-Bericht, S. 19f.)
3.8. Ergänzend ist anzumerken, dass das BFA bereits im Vorfeld des Anstiegs der Anträge im Jahr 2021 – einer Empfehlung des Rechnungshofes folgend – wesentliche Schritte setzte, um sicherzustellen, dass die Asylverfahren im Durchschnitt innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von sechs Monaten erledigt werden. Neben den bereits beschriebenen Maßnahmen im Bereich der Personalsteuerung wurden insbesondere auch Maßnahmen betreffend Controlling und Monitoring umgesetzt, nicht zuletzt auch um stark belastete Regionaldirektionen zu entlasten (vgl. RH-Bericht, S. 14. f.: „[…] Resultierend aus den statistischen Auswertungen seien Verteilungsmaßnahmen zu den noch laufenden Verfahren getroffen worden, um stark belastete Regionaldirektionen zu entlasten und einen raschen Verfahrensabschluss gewährleisten zu können. Ebenfalls sei bei Neuzuteilungen von Asylverfahren besonders darauf geachtet worden, diese zielgerichtet auf die jeweiligen Organisationseinheiten aufzuteilen […] Darüber hinaus seien in den mit allen Regionaldirektionen im Jahr 2018 geführten Organisations–Entwicklungsgesprächen (Zielvereinbarungs–Gespräche) auch individuelle Controlling–Maßnahmen in den einzelnen Organisationseinheiten zur Erreichung des Ziels vereinbart worden.“)
Dies führte im Ergebnis dazu, dass die durchschnittliche Erledigungsdauer von Asylverfahren beim BFA zwischen dem dritten Quartal 2018 und dem vierten Quartal 2021 von 21,6 Monaten auf 3,9 Monate sank und damit zur Zeit der Follow–up–Überprüfung des Rechnungshofes im Durchschnitt unter sechs Monaten lag (vgl. RH-Bericht, S. 15).
Aus dem RH-Bericht ergibt sich, dass Verteilungsmaßnahmen und zielgerichtete Neuzuteilungen auf die einzelnen Organisationseinheiten ein zentraler Faktor in den Bemühungen des BFA zur Beschleunigung der Verfahrensdauer gewesen sind.
Das BFA konnte somit aufgrund der bereits getroffenen Maßnahmen die durchschnittliche Dauer der Verfahren in einer Phase geringer Asylantragszahlen (bis zum erneuten Anstieg Ende 2021) deutlich reduzieren. Durch den massiven Anstieg der Antragszahlen im Jahr 2022 in Zusammenspiel mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine musste die belangte Behörde jedoch trotz umfassender Implementierungen zur Verfahrensbeschleunigung in ihren Vorkehrungen zur Gewährleistung einer kurzen Verfahrensdauer zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen.
3.9. Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass aus dem Ausbleiben einer allein dem Gesetzgeber obliegenden Verlängerung der Entscheidungspflicht nicht der Schluss gezogen werden kann, dass gegenständlich anders als in den Jahren 2015/16 nicht vom Vorliegen unüberwindlicher, einer im Sinne des § 8 VwGVG iVm § 73 Abs. 1 AVG fristgerechten Entscheidung entgegenstehender Hindernisse auszugehen ist.
Aus den dargelegten Erwägungen folgt somit, dass das BFA an der Versäumnis der Entscheidungsfrist von sechs Monaten kein überwiegendes Verschulden trifft. Diese ist im Wesentlichen auf unbeeinflussbare und unüberwindbare Hindernisse zurückzuführen.
Im Ergebnis war die Säumnisbeschwerde daher abzuweisen.
3.10. Absehen von einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Ungeachtet eines entsprechenden Antrags kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung auch dann unterbleiben, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC nicht entgegenstehen:
Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Gemäß Art. 47 Abs. 2 GRC hat zwar jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Die in § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgesehene Einschränkung der Verhandlungspflicht iSd Art. 52 Abs. 1 GRC ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch zulässig, weil sie eben - wie in der GRC normiert - gesetzlich vorgesehen ist und den Wesensgehalt des in Art. 47 Abs. 2 GRC verbürgten Rechts achtet. Die möglichst rasche Entscheidung über Asylanträge ist ein Ziel der Union, dem ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa Erwägungsgrund 11 der Präambel der RL 2005/85/EG). Das Absehen von einer Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt festgestellt werden kann, ohne dass der Entfall der mündlichen Erörterung zu einer Verminderung der Qualität der zu treffenden Entscheidung führt, trägt zur Erreichung dieses Zieles bei. Damit erfüllt die in § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgesehene Einschränkung auch die im letzten Satz des Art. 52 Abs. 1 GRC normierte Voraussetzung (vgl. dazu auch VfGH 14.3.2012, U 466/11 ua.).
Gemäß der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK, dessen Garantien nach Art. 47 Abs. 12 GRC auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, kann eine mündliche Verhandlung unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten, und der schriftlichen Äußerungen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR 12.11.2002, 28.394/95, Döry vs. Schweden; 8.2.2005, 55.853/00, Miller vs. Schweden).
Der Sachverhalt ist aufgrund der Aktenlage geklärt und konnte daher eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.