JudikaturAUSL EGMR

Bsw49358/22 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
16. April 2024

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer II, Beschwerdesache Chelleri ua gg Kroatien, Zulässigkeitsentscheidung vom 16.4.2024, Bsw. 49358/22.

Spruch

Art 7 EMRK - Verurteilung wegen illegaler Fischerei in sowohl durch Kroatien als auch Slowenien beanspruchten Gewässern.

Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Gegen drei slowenische Staatsbürger wurden von kroatischen Behörden wegen ihrer Fischereitätigkeiten in maritimen Gewässern Geldstrafen iHv mehreren tausend Euro verhängt.

Sowohl Kroatien als auch Slowenien behaupten, die in Frage stehenden Gewässer seien von ihrem Territorium erfasst. Kroatien und Slowenien befinden sich seit 1992 in einem Konflikt betreffend die Bucht von Piran, wo die Küsten der beiden Staaten aufeinandertreffen. Während Slowenien die gesamte Meeresbucht beansprucht, besteht Kroatien auf der Abgrenzung der beiden Territorien entlang der Äquidistanzlinie. Bilaterale Verhandlungen blieben lange erfolglos. 2009 unterzeichneten die Staaten eine Schiedsgerichtsvereinbarung, wonach die See- und Landgrenzen durch ein Schiedsgericht festgelegt werden sollten. Demnach sollte die Entscheidung des Schiedsgerichts für beide Staaten verbindlich sein und die Parteien verpflichteten sich dazu, die Entscheidung in ihre jeweilige nationale Rechtsordnung umzusetzen. Das Schiedsgericht sprach etwa zwei Drittel der Bucht Slowenien und ein Drittel Kroatien zu. Aufgrund prozessualer Fehler in der Entscheidungsfindung des Schiedsgerichts löste Kroatien die Schiedsgerichtsvereinbarung auf und verweigerte die Umsetzung der Entscheidung.

Seit 2014 warnen kroatische Behörden slowenische Fischer vor dem Fischen auf kroatischem Hoheitsgebiet und fordern sie auf, das Gewässer zu verlassen. Die Bf der gegenständlichen Rechtssache wurden wegen Einfahrt in kroatische Territorialgewässer ohne Einhaltung des Grenzverfahrens (Bsw 49358/22) und wegen gewerblicher Fischerei ohne einer gültigen, von den kroatischen Behörden ausgestellten Lizenz (Bsw 49562/22 und 54489/22) zu Geldstrafen verurteilt. Im Rechtsmittelverfahren betonten die Berufungsgerichte, dass sich die Vorfälle in kroatischen Gewässern – und nicht in slowenischen, wie von den Bf behauptet – zugetragen hätten und dass die Strafbarkeit der Vergehen für die Bf vorhersehbar gewesen wäre. Die Rechtsmittel an den Verfassungsgerichtshof blieben erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf beriefen sich auf Art 7 EMRK (Nulla poena sine lege) und behaupteten, dass das Tun und Unterlassen, wegen dem sie verurteilt wurden, keine Vergehen nach kroatischem Recht darstellen hätten können, da sie nicht in kroatischem Hoheitsgebiet verübt worden seien. Ihre Beschwerde stützten sie ua auf die durch die Entscheidung des Schiedsgerichts festgelegte Meeresgrenze, die für beide Parteien verbindlich sei und gemäß der sich die in Frage stehenden Aktivitäten in slowenischen Gewässern zugetragen hätten.

Verbindung der Beschwerden

(81) In Einklang mit Art 42 VerfO EGMR entscheidet der GH, die Beschwerden aufgrund ihres ähnlichen tatsächlichen und rechtlichen Hintergrunds zu verbinden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art 7 EMRK

(137) Zu Beginn merkt der GH an, dass zwischen den Parteien unbestritten ist, dass die Vergehen, wegen derer die Bf von den kroatischen Behörden verurteilt wurden, von strafrechtlicher Natur sind. Aus diesem Grund finden die Garantien des Art 7 EMRK Anwendung. [...]

(138) Der GH stellt ferner fest, dass es nicht notwendig ist, die Einrede der Regierung, die Bf hätten keinen erheblichen Nachteil erlitten, zu prüfen, da die Beschwerden aus den nachstehenden Gründen jedenfalls unzulässig sind.

(139) Die allgemeinen Grundsätze der Rsp des GH zu Art 7 EMRK sind in den Rechtssachen Del Rio Prada/ES und Yüksel Yalçınkaya/TR zusammengefasst.

(140) Die Aufgabe des GH gemäß Art 7 Abs 1 EMRK ist es demnach zu prüfen, ob es in Anbetracht des anwendbaren Rechts zu dem maßgeblichen Zeitpunkt eine ausreichend klare Rechtsgrundlage für die Verurteilung der Bf gab. Insb wird der GH untersuchen, ob die Verurteilungen für die Bf in vernünftiger Weise vorhersehbar waren.

(141) [...] [Der GH] merkt ebenfalls an, dass der Erst- und ZweitBf [...] weitere spezifische Argumente zur Untermauerung ihrer Beschwerde nach Art 7 EMRK vorgebracht haben, einschließlich der Tatsache, dass der ZweitBf eine von slowenischen Behörden ausgestellte Fischereierlaubnis besessen hätte. Da Slowenien ein »korrespondierender Küstenstaat« iSd § 7 Abs 1 und 5 des kroatischen Seefischereigesetzes sei, seien daher seine Handlungen nicht als Vergehen nach § 78 Abs 1 und 3 [dieses Gesetzes] zu klassifizieren.

(142) Der GH stellt jedoch fest, dass der Erst- und ZweitBf diese spezifischen Argumente nicht weiterverfolgten. Denn sie behaupteten in all ihren darauffolgenden Vorbringen, dass ihr angebliches Tun und Unterlassen allein deshalb keine Vergehen nach kroatischem Recht dargestellt hätte, weil sie nie die kroatische Grenze überquert oder in kroatischen Gewässern gefischt hätten. Darüber hinaus haben die Bf ausdrücklich bestätigt, dass die Frage, ob sie aufgrund ihrer slowenischen Fischereigenehmigungen in Einklang mit EU-Vorschriften [...] in kroatischen Gewässern fischen durften, irrelevant sei, da sie nie in kroatische Gewässer eingefahren seien. Der GH nimmt die Feststellung des EuGH, dass das Regime (Anm: Anhang 1 der VO (EU) 1380/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2013 über die Gemeinsame Fischereipolitik und zur Änderung der VO (EG) 1954/2003 und (EG) 1224/2009 des Rates sowie zur Aufhebung der VO (EG) 2371/2002 und (EG) 639/2004 des Rates und des Beschlusses 2004/585/EG des Rates, ABl 2013 L 354/22.), wonach Slowenien Zugang zu kroatischem Küstengewässer gehabt hätte, noch keine Anwendung fand, und die daraus folgenden Erkenntnisse der innerstaatlichen Gerichte zur Kenntnis, dass Slowenien daher kein »korrespondierender Küstenstaat« sein konnte [...].

(143) Weiters stellt der GH fest, dass aus den Vorbringen der Bf klar hervorgeht, dass ihre Beschwerde nach Art 7 EMRK auf der Prämisse basiert, dass die Meeresgrenze zwischen Kroatien und Slowenien durch die Entscheidung des Schiedsgerichts festgelegt wurde [...].

(144) Aus den Vorbringen geht ebenfalls hervor, dass die Bf indirekt ein Ergebnis anstreben, wonach die Weigerung Kroatiens, die Verpflichtungen aus der Schiedsgerichtsvereinbarung zu erfüllen [...], eine Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen Kroatiens und seiner eigenen Verfassung darstellt, und dass dies folglich nicht rechtmäßig nach Art 7 EMRK sein kann.

(145) Der GH merkt an, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts von einem Tribunal gefällt wurde, das durch eine dem Völkerrecht unterliegende bilaterale Schiedsgerichtsvereinbarung eingerichtet wurde.

(146) In diesem Zusammenhang bekräftigt der GH, dass die EMRK und ihre Protokolle in Einklang mit anderen völkerrechtlichen Bestimmungen ausgelegt werden sollten [...].

(147) Insb sollte auf jene völkerrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze Rücksicht genommen werden, die auf die Beziehungen zwischen den Konventionsstaaten Anwendung finden, einschließlich des Prinzips pacta sunt servanda.

(148) Wenn der GH, wie im vorliegenden Fall, auf die Bestimmungen anderer internationaler Instrumente verweist, beabsichtigt er jedoch nicht, deren Einhaltung als solche zu überprüfen; er untersucht den Fall nach wie vor im Licht der Konvention und ihrer Protokolle.

(149) Der GH stellt fest, dass Kroatien im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit und Gültigkeit der betreffenden Schiedsgerichtsvereinbarung heftig bestreitet. [...] Dementsprechend [...] ist Kroatien vom Schiedsgerichtsverfahren zurückgetreten [...].

(150) Der GH merkt an, dass [...] die Schiedsgerichtsvereinbarung anordnet, dass die Parteien alle notwendigen Schritte einleiten, um die Entscheidung des Schiedsgerichts umzusetzen, einschließlich der Änderung der nationalen Rechtsordnung [...]. [...] Kroatien ist der Ansicht, die Entscheidung [des Schiedsgerichts] habe keine Wirksamkeit und wendet weiterhin die Vorschriften über die Grenzen des Fischereimeeres der Republik Kroatien an, wonach [...] sich die Meeresgrenze entlang der Äquidistanzlinie [...] erstreckt.

(151) In solchen Fällen sollte beachtet werden, dass es nicht Sache des GH ist, über die Gültigkeit der Auflösung der Schiedsgerichtsvereinbarung durch Kroatien, die Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts oder über die Gültigkeit und rechtlichen Auswirkungen des Schiedsgerichtsurteils zu entscheiden [...].

(152) [...] [In der Rechtssache Plechkov/RO] stellte der GH schließlich eine Verletzung des Art 7 EMRK fest, basierend auf der Tatsache, dass die innerstaatliche Rechtsordnung nicht mit der gebotenen Sorgfalt den Umfang der exklusiven Wirtschaftszone Rumäniens festlegte. Hinzu kam, dass es keine gefestigte innerstaatliche Rsp gab, die die Verurteilung der Bf ausreichend vorhersehbar gemacht hätte.

(153) Demgegenüber stellt der GH im vorliegenden Fall fest, dass der Umfang der kroatischen Meeresgewässer durch das kroatische Recht genau bestimmt ist. [...]

(155) Basierend sowohl auf diesen Vorschriften [über die Grenzen des Fischereimeeres der Republik Kroatiens] und den [darin enthaltenen] Karten, als auch auf der Tatsache, dass es allgemein bekannt ist, dass Kroatien die durch die Schiedsgerichtsentscheidung festgelegte Meeresgrenze nicht anerkennt, sieht der GH keine Grundlage für das Argument der Bf, sie hätten die potenziellen rechtlichen Folgen ihrer Handlungen in den umstrittenen Gewässern [...] nicht vorhersehen können.

(156) Der GH merkt an, dass darüber hinaus – im Gegensatz zur Rechtssache Plechkov/RO – die kroatische Rsp in dieser Sache umfangreich und einheitlich ist. [...]

(157) Als nächstes stellt der GH fest, dass die bilateralen Streitigkeiten betreffend die Grenze bereits über drei Jahrzehnte andauern und dass die beiden Staaten währenddessen auf bilaterale Verhandlungen und Schiedsgerichtsverfahren zurückgegriffen haben. [...]

(158) Die vorliegenden drei Beschwerden können daher nicht unter Nichtbeachtung der Lage der Dinge betrachtet werden und auch nicht als isolierter Vorfall, bei dem eine beliebige Person bei der Ausübung der Seefischerei möglicherweise keine Kenntnis von einem Grenzstreit zwischen den beiden Staaten hatte.

(159) Diese Argumentationslinie wird durch die Tatsache untermauert, dass die slowenischen Fischer seit 2014 von kroatischen Behörden regelmäßig gewarnt wurden, dass sie mit ihren Schiffen in kroatische Gewässer einfahren [...], und aufgefordert wurden, das Gebiet zu verlassen.

(161) Jedenfalls stellt der GH fest, dass jeder der Bf aufgrund mehrerer Vergehen wegen illegaler Fischerei und unrechtmäßigem Grenzübertritt verurteilt wurde. Bzw wurde festgestellt, dass die betreffenden Vergehen zwischen Dezember 2018 und Dezember 2019 begangen wurden. [...] Es kann daher nicht gesagt werden, dass die Verurteilungen der Bf [...] unvorhersehbar gewesen sind.

(162) In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen stellt der GH fest, dass die Bf vernünftigerweise vorhersehen hätten können, dass ihr Verhalten in dem umstrittenen Gewässer Vergehen nach dem anwendbaren kroatischen Recht darstellen würde.

(163) In Anbetracht des Vorstehenden befindet der GH die Beschwerden für offensichtlich unbegründet gemäß Art 35 Abs 3 lit a EMRK und hat sie daher gem Art 35 Abs 4 EMRK [als unzulässig] zurückzuweisen (einstimmig) [...].

Vom GH zitierte Judikatur:

Tănase/MD, 27.4.2010, 7/08 (GK) = NLMR 2010, 123

Del Río Prada/ES, 21.10.2013, 42750/09 (GK) = NLMR 2013, 358

Plechkov/RO, 16.9.2014, 1660/03

Vasiliauskas/LT, 20.10.2015, 35343/05 (GK) = NLMR 2015, 419

G. S. B./CH, 22.12.2015, 28601/11 = NLMR 2015, 521

Al Dulimi und Montana Management Inc./CH, 21.6.2016, 5809/08 (GK) = NLMR 2016, 241

Ukraine/RU (Krim), 16.12.2020, 20958/14, 38334/18 (ZE der GK) = NLMR 2021, 13

Yüksel Yalçınkaya/TR, 26.9.2023, 15669/20 (GK) = NLMR 2023, 443

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 16.4.2024, Bsw. 49358/22, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2024, 207) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.