Bsw49049/18 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Zöldi gg Ungarn, Urteil vom 4.4.2024, Bsw. 49049/18.
Spruch
Art 10 EMRK - Recht auf Offenlegung der Namen von Empfängern öffentlicher Förderungen.
Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Verletzung von Art 10 EMRK (einstimmig).
Entschädigung nach Art 41 EMRK: € 1.000,– für immateriellen Schaden; € 3.600,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
2013 und 2014 wurden von der Ungarischen Nationalbank sechs Stiftungen zur Unterstützung von Bildung, Forschung, Wissensaustausch und damit verbundenen Aktivitäten gegründet. Von der Nationalbank, die sich vollständig im Staatsbesitz befindet, erhielten diese Institutionen beträchtliche Geldmittel. Da es sich dabei um öffentliche Mittel handelte, entstand um diese Stiftungen eine öffentliche Debatte, die über Jahre andauerte.
Bei der Bf handelt es sich um eine investigative Journalistin, die 2015 ein Auskunftsersuchen an zwei dieser Stiftungen stellte (Pallas Athéné Geopolitikai Alapítvány – »PAGEO« und Pallas Athéné Domus Scientiae Alapítvány – »PADS«). Da sie einen Artikel über die Stiftungen schreiben wollte, beantragte sie die Offenlegung der Namen der Zuschussempfänger, der Höhe der von ihnen erhaltenen Beträge und Auskunft über die bezuschussten Aktivitäten. Die Auskunftsersuchen wurden von den Stiftungen abgelehnt.
Bei der Überprüfung der Ablehnung durch PAGEO gab das Landgericht Budapest dem Ersuchen der Bf statt. Im Rechtmittelverfahren wurde die Genehmigung insoweit aufgehoben, als sie sich auf die Gewährung der Offenlegung der Namen der Zuschussempfänger bezog. Das Berufungsgericht Budapest stützte sich bei seiner Entscheidung auf § 3 Abs 6 des Datenschutzgesetzes (Anm: Gesetz Nr CXII von 2011 über informationelle Selbstbestimmung und Informationsfreiheit.), der die Weitergabe der ersuchten personenbezogenen Daten nur bei Vorliegen einer spezifischen einschlägigen Rechtsgrundlage vorsah. Da eine solche nicht vorliege, sei das Ersuchen abzulehnen.
In der Entscheidung des Landgerichts Budapest über die Ablehnung des Informationsersuchens durch PADS wurde ebenfalls die Offenlegung der Namen der Zuschussempfänger verwehrt, da es sich dabei weder um Daten von öffentlichem Interesse noch um Daten, die der Offenlegung im öffentlichen Interesse unterliegen, iSd Datenschutzgesetzes handle. Des Weiteren führte das Gericht aus, dass dem Schutz personenbezogener Daten ein höherer Stellenwert als dem Recht auf Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Mittel zuzuschreiben sei. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.
Gegen beide Entscheidungen legte die Bf beim ungarischen Verfassungsgericht Beschwerde ein. Das Verfassungsgericht wies die Beschwerden ab, stellte jedoch fest, dass der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes zur Transparenz bezüglich der Vergabe und Verwaltung öffentlicher Mittel nicht nachgekommen sei. Es wies den Gesetzgeber an, dieses Versäumnis nachzuholen. Am 2.7.2019 kam das Parlament der Entscheidung des Verfassungsgerichts nach und änderte das Gesetz über die Transparenz von Subventionen. (Anm: Gesetz Nr LXVI von 2019 zur Änderung von § 1 des Gesetzes Nr CLXXXI von 2007 über die Transparenz der aus öffentlichen Mitteln gewährten Subventionen.)
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf behauptete eine Verletzung von Art 10 EMRK (hier: Recht auf Zugang zu Informationen).
Zur behaupteten Verletzung von Art 10 EMRK
(20) Die Bf beschwerte sich darüber, dass [...] sie keine Informationen über die Identität der Empfänger von Zuschüssen zweier von der Ungarischen Nationalbank gegründeten Stiftungen erhalten habe.
Zulässigkeit
Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel
(24) [...] Nach Erschöpfung der ordentlichen Rechtsmittel wandte sich die Bf an das Verfassungsgericht. Ihre Beschwerde veranlasste das Verfassungsgericht zu der Feststellung, dass das Fehlen einer gesetzlichen Bestimmung über die Transparenz der von Stiftungen verteilten öffentlichen Mittel eine verfassungswidriges Gesetzeslücke darstelle. [...] Das Parlament änderte das Gesetz über die Transparenz von Subventionen, das mit 10.7.2019 in Kraft trat. Mit der neuen Bestimmung wurde der Umfang jener Daten, die im öffentlichen Interesse offengelegt werden müssen, auf Subventionen ausgedehnt, die von einer Stiftung gewährt werden, die von einer vollständig in staatlichem Besitz befindlichen Organisation gegründet wurde. Die Änderung trat mit Wirkung ex nunc in Kraft und hatte somit keine Auswirkungen auf das ursprüngliche Informationsersuchen der Bf.
(25) Die Regierung erklärte, dass die Bf von diesem Zeitpunkt an unter Berufung auf diese neuen Rechtsvorschriften einen neuen Antrag hätte stellen können, der den angeblichen Verstoß beseitigt hätte.
(26) Der GH sieht keinen Grund, daran zu zweifeln, dass der Bf eine solche Möglichkeit offenstand. [...] Dennoch ist der GH der Ansicht, dass es im Hinblick auf die Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe unzumutbar gewesen wäre, von der Bf zu verlangen, dass sie ihr Auskunftsersuchen erneut stellt, und zwar aus den folgenden Gründen.
(27) In Anbetracht der Art der Berichterstattung über Themen, die auf ein breites öffentliches Interesse stoßen [...], räumt der GH ein, dass es für die Bf von wesentlicher Bedeutung war, die gewünschten Informationen rasch zu erhalten, um deren Relevanz für ihre Leserschaft sicherzustellen. [...] Die Offenlegung dieser Daten wurde jedoch erst mehr als vier Jahre später möglich. Der GH stimmt der Bf in diesem Punkt zu und stellt fest, dass die Informationen nach einem solchen Zeitraum möglicherweise jede Relevanz verloren haben. [...]
(28) Der GH weist daher die Einrede der Regierung hinsichtlich der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurück.
Vereinbarkeit ratione materiae mit den Bestimmungen der Konvention
(29) Obwohl die Regierung keine Einrede bezüglich der Anwendbarkeit von Art 10 EMRK erhoben hat, hält es der GH für erforderlich, diese Frage von Amts wegen zu prüfen.
(31) [...] Da im gegenständlichen Fall keine besonderen Gründe dafür bestehen, die Frage der Anwendbarkeit von Art 10 EMRK im Zuge der Prüfung in der Sache zu behandeln, wird der GH die Frage der Anwendbarkeit vor der Prüfung in der Sache untersuchen.
(32) Wie der GH in der Rechtssache Magyar Helsinki Bizottság/HU betonte, verleiht Art 10 EMRK dem Einzelnen weder ein Recht auf Zugang zu Informationen, die sich im Besitz einer öffentlich-rechtlichen Institution befinden, noch verpflichtet er die Regierung, dem Einzelnen solche Informationen zu übermitteln. Der GH stellte jedoch fest, dass ein solches Recht oder eine solche Verpflichtung entstehen kann, »wo der Zugang zur Information für die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, insb der ›Freiheit, Informationen zu empfangen und weiterzugeben‹, von entscheidender Bedeutung ist und deren Verweigerung einen Eingriff in dieses Recht darstellt«.
(33) Der GH stellt fest, dass die von der Ungarischen Nationalbank errichteten Stiftungen zwar eine eigene Rechtspersönlichkeit hatten, jedoch von einer vollständig in staatlichem Besitz befindlichen Organisation unter Verwendung öffentlicher Mittel errichtet wurden. Der GH nimmt auch die Feststellungen des ungarischen Verfassungsgerichts zur Kenntnis, wonach die Stiftungen öffentliche Aufgaben erfüllten. In Anbetracht dessen können die Stiftungen im Hinblick auf die Beurteilung, ob es unter den gegebenen Umständen ein Recht auf Zugang zu Informationen gibt, als öffentlich-rechtliche Institutionen betrachtet werden.
(34) Um festzustellen, ob die Bf im vorliegenden Fall ein solches Recht beanspruchen kann, wird der GH die im Urteil Magyar Helsinki Bizottság/HU niedergelegten Grundsätze anwenden und den Fall im Lichte seiner besonderen Umstände und unter Berücksichtigung der folgenden Kriterien beurteilen: (a) der Zweck des Informationsersuchens; (b) die Art der angeforderten Informationen; (c) die Rolle der Bf; und (d) ob die Informationen bereit und verfügbar waren.
(35) Der Zweck des Auskunftsersuchens der Bf bestand darin, Material zu erhalten, das sie später für einen Artikel über die Vergabe öffentlicher Mittel an Einzelpersonen durch die öffentlichen Zuschüsse der Stiftungen verwenden wollte. [...] Der GH ist der Ansicht, dass in Anbetracht des Umfangs des Auskunftsersuchens der Bf und des Inhalts des von ihr verfassten Artikels die Frage nach der Identität der Personen, die öffentliche Gelder erhalten haben, eines der drei Hauptelemente ihrer Recherchen war, [...] neben den konkreten geförderten Tätigkeiten und der Höhe der Förderungen. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die begehrten Informationen für die Ausübung des Rechts der Bf auf freie Meinungsäußerung, einschließlich ihrer Freiheit, Informationen zu einem bestimmten Thema zu erhalten und weiterzugeben, erforderlich waren.
(36) Darüber hinaus entspricht das Auskunftsersuchen dem [...] öffentlichen Interesse. Obwohl die Namen der Subventionsempfänger in Ermangelung einer entsprechenden innerstaatlichen Rechtsvorschrift nicht als »im öffentlichen Interesse offenzulegende Daten« [...] eingestuft werden konnten, war das öffentliche Interesse an den gewünschten Informationen offensichtlich. Die Offenlegung der angeforderten Daten hätte zur Transparenz bei der Verwendung von Steuergeldern und zur Transparenz im öffentlichen Leben beitragen können. Die Gründung und die Finanzierung der Stiftungen der Nationalbank sowie die Aufforderungen zur Einreichung von Förderungsanträgen standen zum Zeitpunkt der Informationsanfrage im Mittelpunkt einer öffentlichen Debatte. [...]
(37) Was die Rolle der Bf betrifft, so handelt es sich um eine Journalistin, die Zugang zu den Informationen suchte, um sie in ihrer Eigenschaft als »public watchdog« an die Öffentlichkeit weiterzugeben.
(38) Schließlich ist unumstritten, dass die beanstandeten Informationen bereit und verfügbar waren.
(39) Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte ist der GH davon überzeugt, dass die Bf ihr Recht auf Zugang zu Informationen über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ausüben wollte [...]. Da Art 10 EMRK somit anwendbar ist, ist die Beschwerde nicht ratione materiae unvereinbar mit der Konvention.
(40) Der GH stellt fest, dass diese Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet und auch nicht aus einem sonstigen Grund nach Art 35 EMRK zurückzuweisen ist. Die Beschwerde ist daher für zulässig zu erklären (einstimmig).
In der Sache
(43) In Anbetracht der Feststellung, dass das Informationsersuchen der Bf ratione materiae mit Art 10 EMRK vereinbar war, ist der GH der Auffassung, dass die innerstaatlichen Behörden dadurch, dass sie der Bf den Zugang zu den erbetenen Informationen verweigerten, in ihre Rechte nach Art 10 Abs 1 EMRK eingegriffen haben.
(44) Ein solcher Eingriff ist nach Art 10 Abs 2 EMRK nur dann gerechtfertigt, wenn er »gesetzlich vorgesehen« war, ein oder mehrere in dieser Bestimmung festgelegte legitime Ziele verfolgte und »in einer demokratischen Gesellschaft notwendig« war.
(45) Was die Rechtmäßigkeit des Eingriffs anbelangt, so stützte sich die beanstandete Verweigerung des Zugangs zu den Namen der Förderungsempfänger der Stiftungen auf die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes, dh auf die gemeinsame Auslegung von § 3 Abs 5 und Abs 6 und § 26 dieses Gesetzes durch die inländischen Gerichte. Sie kann daher als rechtmäßig angesehen werden.
(46) Hinsichtlich des legitimen Ziels des Eingriffs nimmt der GH das Argument der Regierung zur Kenntnis, dass der Eingriff in das Recht der Bf dem legitimen Ziel diente, die Rechte anderer zu schützen (Gewährleistung des Rechts der Förderungsempfänger auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten), und sieht keinen Grund, etwas anderes zu vertreten.
(47) Es bleibt zu klären, ob die Einschränkung des Rechts der Bf auf Zugang zu Informationen »in einer demokratischen Gesellschaft notwendig« war. [...]
(49) Bei der Entscheidung, ob im vorliegenden Fall das Interesse am Schutz der Namen der Förderungsempfänger von solcher Art und solchem Ausmaß war, dass es die Anwendung von Art 8 EMRK rechtfertigen könnte, verweist der GH auf die Erwägungen, die er in den Urteilen Magyar Helsinki Bizottság/HU (Rz 191–196) und L. B./HU (Rz 102–103) dargelegt hat. Der Schutz personenbezogener Daten ist von grundlegender Bedeutung für die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Art 8 EMRK sieht somit eine Form der informationellen Selbstbestimmung vor, die es dem Einzelnen ermöglicht, sich auf sein Recht auf Privatsphäre zu berufen, wenn seine Rechte nach Art 8 EMRK betroffen sind. [...] In der Rechtssache Magyar Helsinki Bizottság/HU stellte der GH fest, dass die berechtigten Erwartungen einer Person hinsichtlich ihrer Privatsphäre ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung der Frage sein können, ob Handlungen außerhalb der Wohnung oder privaten Räumlichkeiten einer Person deren Privatleben betreffen. [...]
(50) Im vorliegenden Fall enthielten die angeforderten Daten zwar die Namen der Subventionsempfänger, ihre Identität war jedoch nur als »Empfänger« öffentlicher Gelder relevant, somit unter dem Aspekt der Vergabe von öffentlichen Mitteln. Die Regierung hat außer dem Verweis auf die staatlichen Verpflichtungen im Bereich des Datenschutzes kein Argument dafür vorgebracht, wie die Offenlegung ihrer Namen die Subventionsempfänger im Genuss des Schutzes ihres Privatlebens beeinträchtigen würde. [...] Vor diesem Hintergrund wäre es schwierig zu behaupten, dass die Empfänger von Förderungen – wenn sie von den Aufforderungen der Stiftungen zur Einreichung von Anträgen Gebrauch machen – nicht damit rechnen konnten, dass ihre Namen als Empfänger öffentlicher Gelder öffentlich bekannt gemacht werden würden. In Anbetracht dieser Erwägungen ist der GH daher der Ansicht, dass die Interessen des Schutzes der Rechte anderer nicht von solcher Art und solchem Ausmaß sind, dass sie die Anwendung von Art 8 EMRK verlangen und dessen Abwägung mit dem Recht der Bf auf freie Meinungsäußerung begründen könnten.
(51) Dennoch verweist der GH auf seine Feststellung, wonach der Schutz der personenbezogenen Daten von Förderungsempfängern ein legitimes Ziel darstellt, das eine Beschränkung der Meinungsfreiheit nach Art 10 Abs 2 EMRK zulässt. Es bleibt die Frage zu klären, ob die zu diesem Schutz eingesetzten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen.
(52) In früheren ähnlichen Fällen hat der GH im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung verschiedene Umstände berücksichtigt: (i) ob es sich bei den von dem Auskunftsersuchen betroffenen Personen um besonders prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens handelt; (ii) ob sie die ersuchten Informationen selbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben; (iii) das Ausmaß der möglichen Beeinträchtigung der Privatsphäre der betroffenen Personen im Falle einer Offenlegung; (iv) die Folgen für die wirksame Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung des Ersuchenden im Falle der Nichtveröffentlichung; (v) ob der Ersuchende Gründe für das Auskunftsersuchen vorgebracht hat; (vi) das Gewicht des öffentlichen Interesses an der betreffenden Angelegenheit; und (vii) ob die Möglichkeit einer angemessenen Einschätzung der Beschränkungen der Rechte des Ersuchenden nach innerstaatlichem Recht gegeben war und, falls ja, ob eine solche Einschätzung von den innerstaatlichen Behörden durchgeführt wurde.
(53) In diesem Zusammenhang verweist der GH auf seine vorherigen Feststellungen, wonach die betreffenden Personen unabhängig davon, ob es sich um private oder öffentliche Persönlichkeiten handelt, ihre Anträge für eine vom Staat über die beiden Stiftungen finanzierte Ausschreibung in einem rechtlichen Umfeld eingereicht haben, das Transparenz bei der Verwaltung und Zuweisung öffentlicher Mittel vorsah. Darüber hinaus wurde von der Regierung nichts vorgebracht, was auf die Gefahr einer potenziell schädlichen Auswirkung der Offenlegung der Namen der Förderungsempfänger auf deren Privatsphäre hinweisen könnte.
(54) Des Weiteren möchte der GH darauf hinweisen, dass das Auskunftsersuchen, das zur Transparenz bei der Verwendung von Steuergeldern beitragen soll, eindeutig das Kriterium des öffentlichen Interesses erfüllt. Die Bf, eine Journalistin, beantragte die fraglichen Daten, weil sie von ihrem Recht auf Informationsfreiheit Gebrauch machen und zu einer öffentlichen Debatte über ein Thema von erheblichem öffentlichen Interesse beitragen wollte. Ihre Ersuchen wurden nur deshalb abgelehnt, weil die damalige Rechtsordnung keine Bestimmung enthielt, die die Offenlegung der Identität der Zuschussempfänger vorsah. Folglich war es den Behörden verwehrt, in irgendeiner Form eine Abwägung zwischen den Rechten der Bf nach Art 10 EMRK einerseits und den Persönlichkeitsrechten und dem Datenschutz andererseits vorzunehmen.
(55) Darüber hinaus stellte das Verfassungsgericht in der Folge eine verfassungswidrige legislative Lücke fest, da der Gesetzgeber es versäumt hatte, Gesetze zu erlassen, die eine möglichst ausgeglichene Ausübung der beiden konkurrierenden Verfassungsgrundrechte, nämlich des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten und des Rechts auf Zugang zu Informationen im öffentlichen Interesse, gewährleistet hätten.
(56) Unter diesen Umständen stellt der GH fest, dass die nationalen Behörden keine hinreichenden Gründe für die Notwendigkeit des beanstandeten Eingriffs angeführt haben. Die innerstaatlichen Behörden haben die in Frage stehenden konkurrierenden Interessen nicht angemessen abgewogen, um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu gewährleisten.
(57) Es liegt somit eine Verletzung von Art 10 EMRK vor (einstimmig).
Entschädigung nach Art 41 EMRK
€ 1.000,– für immateriellen Schaden; € 3.600,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Centre for Democracy and the Rule of Law/UA, 26.3.2020, 10090/16
Magyar Helsinki Bizottság/HU, 8.11.2016, 18030/11 = NLMR 2016, 536
Denisov/UA, 25.9.2018, 76639/11 = NLMR 2018, 446
Saure/DE, 19.10.2021, 6106/16 (ZE)
L. B./HU, 9.3.2023, 36345/16 (GK) = NLMR 2023, 135
Saure/DE (Nr 2), 28.3.2023, 6091/16 = NLMR 2023, 159
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 4.4.2024, Bsw. 49049/18, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2024, 143) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Original des Urteils ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.