JudikaturArbeits- und Sozialgericht Wien

15Cgs5/24w – Arbeits- und Sozialgericht Wien Entscheidung

Entscheidung
24. Mai 2024

Kopf

Die beklagte Partei ist schuldig, binnen 14 Tagen der klagenden Partei für die Honorarnote 23/5313 vom 02.10.2023 Dr. F* G*, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie in H* D*, I*, betreffend Kosten für eine Laserepilation im Gesicht, einen Kostenanteil von EUR 47,17 zu erstatten.

Das Mehrbegehren auf Kostenübernahme von 19 weiteren Sitzungen einer Laserepilation im Gesicht wird wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen.

Spruch

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 14.12.2023 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Kostenerstattung für die Inanspruchnahme der Frau Dr. F* G*, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie in H* D*, I*, laut Honorarnote 23/5313 vom 02.10.2023 in Höhe von EUR 130,00 mit der Begründung ab, es handle sich bei der gegenständlichen Laserbehandlung zur Haarentfernung um keine Krankenbehandlung.

Mit der als Klage zu deutenden dagegen erhobenen Beschwerde begehrte die Klägerin eine inhaltliche Überprüfung des bekämpften Bescheids, sowie den Ausspruch, dass sie 20 Sitzungen im Rahmen des Heilungsprozesses von der Beklagten teilrefundiert zu bekommen habe. Die Klägerin unterziehe sich seit 17.7.2023 bei Dr. J* im K* einer Hormontherapie im Hinblick auf die Anpassung ihres Körpers an ihre geschlechtliche Identität als Frau. Die Klägerin leide an Genderdysphorie, welche unter dem Code F.064 als psychische Krankheit anerkannt sei. Die Klägerin habe sich dazu entschieden, ihren Bart mittels Laserbehandlung bei Dr. F* G*, Fachärztin für Dermatoloie und Venerologie in H* D*, I*, entfernen zu lassen. Diese Laserbehandlung diene der Anpassung ihres Aussehens an ihr Geschlecht und sei sehr wichtig um eine psychische Entlastung zu erfahren. Der männliche Gesichtsbart sei eine klare Hervorhebung der geschlechtlichen Diskrepanz und stelle eine erhebliche psychische Belastung für die Klägerin dar. Die Beklagte sei über die Transition und die damit verbundenen medizinischen Daten und Behandlungen informiert.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, die bei der Klägerin vorliegende Diagnose ICD-10 F 64.0 werde nicht bestritten. Beim Bartwuchs der Klägerin handle es sich um eine bloß subjektiv empfundene kosmetische Beeinträchtigung, sohin nicht um eine Krankheit. Die Entfernung des bei der Klägerin auftretenden Bartwuchses diene nicht der Beseitigung anatomischer oder funktioneller Krankheitszustände, sondern es handle sich um eine geringfügige Störung des Aussehens, die keine Leistungspflicht der Krankenversicherung auslöse, weil kein regelwidriger Zustand vorliege.

Bei keinem Geschlecht würden Kosten für eine Barthaarentfernung übernommen. Auch bei biologischen Frauen sei eine Kostenübernahme für eine Barthaarentfernung nicht vorgesehen, auch nicht für die Bikinizone oder behaarte Beine, wo von vielen Frauen Haarwuchs als Belastung empfunden werde. Würden nur bei Transgenderfrauen die Behandlungskosten übernommen werden, so würde dies dem Gleichheitsgrundsatz des Art 7 der Bundesverfassung widersprechen.

Der haarlose Zustand des Gesichts könne auch mit einer täglichen Rasur, Haarentfernungscremen sowie Waxing erreicht werden, weshalb die begehrte Laserbehandlung insofern nicht als notwendig angesehen werden könne, als sie zur Erreichung des Zwecks unentbehrlich oder unvermeidbar wäre. Eine psychische Erkrankung sei nur mit jenen Mitteln zu behandeln, die dafür lege artis zur Verfügung stehen, insbesondere eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung.

Da die Klägerin keine Vertragspartnerin in Anspruch genommen habe, gebühre – im Fall dass entgegen des oben Gesagten eine Pflicht zur Kostenerstattung angenommen werde – lediglich der Ersatz von 80 % jenes Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Die Leistung entspreche der Position 503 mit 70 Punkten (x 0,67), des Tarifs für Vertragsfachärzte, wofür ein Vertragshonorar von EUR 46,90 zustünde; hievon 80% ergäben EUR 37,52 (ON 18). Ein Regiezuschlag sei nicht anzurechnen.

Das Gericht holte das Gutachten des Sachverständigen Dr. L* (ON 10) aus dem Fachgebiet der Gynäkologie ein, vernahm den Sachverständigen und die Klägerin und nahm Einsicht in die vorgelegten Urkunden ./A bis ./I der Klägerin und ./1 bis ./6 der Beklagten. Danach steht folgender Sachverhalt fest:

Die Klägerin wurde am C* mit männlichem körperlichem Geschlecht geboren und führte bis zum Jahr 2023 den Namen M* B*. Mit Bescheid des N* O* D*, MA P*, vom 04.12.2023 wurde die Änderung ihres Vornamens in „A*“ bewilligt. Bei der Klägerin besteht eine Genderdysphorie (Transsexualismus, F 64.0 nach ICD-10) im Sinne einer von der Klägerin empfundenen Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht. Die Klägerin unterzieht sich seit 17.07.2023 bei Dr. J* einer gender-affirmierenden Hormontherapie (./F). Dadurch hat sich ihr Bartwachstum nur verlangsamt.

Bei Dr. F* G*, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie in H* D*, I*, ist die Klägerin zur medizinischen Laserepilation der Gesichtsbehaarung, konkret des Barthaars im unteren Teil des Gesichts, in Behandlung. Neben der verfahrensgegenständlichen Honorarnote über eine Behandlung am 2.10.2023 war die Klägerin auch zu weiteren Terminen bei Dr. G* zur Laserepilation im Gesicht. Die Behandlungen fanden jeweils in der Ordination von Dr. G* statt. Die jeweils gelegten Honorarnoten über jeweils EUR 130 wurden von der Klägerin bezahlt (./A, ./B, ./C). Die Honorarnote vom 2.10.2023 enthält Namen und Adresse der Klägerin und der Ärztin, die Versicherungsnummer der Klägerin (2781) und ihr Geburtsdatum (**), die Diagnose (Transgender), Datum und Art der Behandlung (2.10.2023, Laserepilation medizinisch), den Rechnungsbetrag, und den Hinweis, dass der Betrag am 2.10.2023 mit Bankomatkarte bezahlt wurde, welcher mit Stempel und Unterschrift der Ärztin bestätigt wurde (./2 bzw. ./C).

Die Diagnose Transsexualismus (synonym auch Genderdysphorie oder Genderinkon- gruenz), F64.0 nach ICD-10, (im Folgenden zusammengefasst Genderdysphorie) bezeichnet den Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht so weit wie möglich anzugleichen (ON 10, 6).

Für eine erfolgreiche soziale Integration ist das Erscheinungsbild von besonderer Bedeutung. Geschlechtsmerkmale wie beispielsweise die Stimmlage oder das geschlechtsspezifische Behaarungsmuster weisen für Transpersonen im Vergleich zu Cis-Gender-Personen eine höhere Wertigkeit auf und können im Falle einer Zuordnung zum Ursprungsgeschlecht durch Dritte Ursache einer persistierenden oder exazerbierenden Genderdysphorie sein. Die damit einhergehenden Beschwerden sind erheblich und nicht mit einem allfälligen Unbehagen von als Frau geborenen Personen mit deren Körperbehaarung zu vergleichen. Die Suizidalität in der Gruppe der Transpersonen liegt bei 40%, was im Vergleich zur allgemeinen Suizidalität in der Bevölkerung (4,6 %) einen deutlich erhöhten Wert darstellt (ON 17, 3).

Als Maß für eine gelungene Transition wird in der Literatur u.a. die sogenannte Passabilität herangezogen. Damit wird das Maß an Erkennung beschrieben, inwieweit jemand nach der Transition durch Dritte als Frau oder Mann identifiziert wird. Dieser Prozess folgt in vielerlei Hinsicht kulturell determinierten und tradierten Mustern und Stereotypen und ist das Resultat von vielen Merkmalen, die in Sekundenschnelle unbewusst kategorisiert werden und in Summe den Eindruck von Weiblichkeit oder Männlichkeit evozieren. Gewisse physische Merkmale werden besonders stark und eindeutig einem Geschlecht zugeordnet. So werden eine deutlich sichtbare Bartbehaarung oder ein prominent vorwölbender Adamsapfel praktisch immer dem männlichen Geschlecht zugeordnet (ON 10, 8f).

Nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft besteht die zur Behandlung von Genderdysphorie lege artis gebotene Behandlung in der sogenannten medizinischen Transition, das heißt in der physischen Angleichung des Körpers an das Geschlecht der Genderidentität durch Angleichung (Virilisierung oder Feminisierung) der körperlichen und anatomischen Merkmale an geschlechtsspezifische - „männlich“ oder „weiblich“ identifizierte bzw konnotierte - Muster, mit dem Ziel der Aufhebung der Genderdysphorie und sodann der Aufrechterhaltung der erreichten Angleichung (Virilisierung oder Feminisierung), um der betreffenden Person dadurch die soziale Transition - nämlich insbesondere auch die soziale Wahrnehmung des Geschlechts ihrer Genderidentität - zu ermöglichen.

Nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft ist ausschließlich die physische Angleichung des Körpers an das Geschlecht der Genderidentität dazu geeignet, den Erfolg einer Beseitigung oder Linderung von Genderdysphorie herbeizuführen (ON 10, 5). Als Mittel zur Durchführung der medizinischen Transition und zur physischen Angleichung des Körpers an das Geschlecht der Genderidentität stehen diverse Methoden bzw Maßnahmen zur Verfügung, so beispielsweise chirurgische Eingriffe, Hormonbehandlung oder Gesichtshaarepilation, insbesondere im Sinne der klagsgegenständlichen Laserepilation, welche integrative Bestandteile des gesamten Prozesses der medizinischen Transition sind und im Rahmen dieses Prozesses komplementär zueinander angewendet werden.

Da die Gruppe der betroffenen Personen sehr heterogen ist, können die im Einzelfall notwendigen Maßnahmen divergieren. Für praktisch alle Transgender- und genderdiverse Personen steht aber das äußere Erscheinungsbild im Vordergrund. Eine „Passability“ sollte soweit angestrebt werden, dass negative Effekte einer insuffizienten Passabilität vermieden werden. Das minimale Ziel in diesem Zusammenhang ist, dass das Äußere der Transpersonen Dritten keinen Schrecken auslöst (ON 10, 10).

Bei der Gesichtshaarentfernung mittels Laserbehandlung im Sinne der klagsgegenständlichen Laserepilation handelt es sich um eine nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannte und indizierte Methode zur Behandlung von Genderdysphorie bei Transfrauen, das heißt, bei mit männlichem körperlichem Geschlecht geborenen Personen mit weiblicher Genderidentität. Bart- und Gesichtshaare sind anatomische Merkmale und sekundäre Geschlechtsmerkmale, welche dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden und einen für das männliche Geschlecht geschlechtsspezifischen Eindruck auslösen. Die Bart- oder Gesichtsbehaarung gehört zu jenen anatomischen Körpermerkmalen, welche als eindeutiges Merkmal des männlichen Geschlechts wahrgenommen und spezifisch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Gesichtsbehaarung ist männlich konnotiert, und Personen werden infolge ihrer Bartbehaarung als männlich identifiziert.

Die Klägerin imponiert auf den ersten Blick genderneutral. Ihre untere Gesichtshälfte ist länger als die obere. Ihr Gesicht ist oval und kantig. Eine relativ große Nase, ein markantes Kinn und ein ausgeprägter Kiefer vermitteln einen „männlichen“ Eindruck. Die langen braunen Haare, die relativ glatte Haut, die dichten dunklen Wimpern und vollen Lippen der Klägerin vermitteln einen „weiblichen“ Eindruck. Bei der Klägerin besteht eine dem männlichen Muster entsprechende dunkle Bart- bzw Gesichtsbehaarung. Es zeigen sich vereinzelte weiße Haare, die wegen des fehlenden Pigments für die Laserepilation unempfindlich sind. Die gesamte Bartregion weist im Vergleich zu den haarlosen Partien des Gesichts eine dunklere Schattierung auf. Dieses Bild entsteht durch die zahllosen dunklen Punkte der melaninhaltigen Haarstoppeln.

Die Klägerin hat sich bereits vier Laserepilationssitzungen unterzogen. Das Ergebnis ist als äußerst erfolgreich zu klassifizieren (ON 10, 19). Es ist geplant die restlichen pigmentlosen Haare mittels Nadelepilation zu entfernen, eine zeitaufwendige, schmerzhafte aber wirkungsvolle Methode, die für Haare ohne oder mit wenigen Pigmenten (grau, weiß, blond, rötlich) die korrekte Behandlung darstellt. Das Muster der bei der Klägerin gegebenen Bart- bzw Gesichtsbehaarung ist atypisch für eine Frau vor der Postmenopause. Zwar tritt auch bei Frauen in der Postmenopause Gesichtsbehaarung entsprechend einem sogenannten „Damenbart“ auf. Allerdings ist das Auftreten von Gesichtsbehaarung bei einer Frau jüngeren Alters, insbesondere bei einer Frau im aktuellen Alter der Klägerin, und bei einer Frau im reproduktionsfähigen Alter atypisch und regelwidrig.

Die Behandlung von Personen mit Genderdysphorie ist grundsätzlich nicht auf eine Hormonbehandlung und chirurgische Eingriffe am Genital reduziert. Im Gegenteil, die Entfernung oder Camouflage von sichtbaren geschlechtsspezifischen Körpermerkmalen des Ursprungsgeschlechts und - sofern möglich - die Konstruktion oder Induktion von spezifischen Körpermerkmalen des der Genderidentität entsprechenden Geschlechts ist für den Erfolg der Behandlung essentiell. Die Hormonbehandlung verlangsamt lediglich den Haarzyklus, unterbindet das Haarwachstum jedoch nicht vollständig. Ohne Epilation von Bartregion, Handrücken und Unterarmen ist für die überwiegende Zahl von Transfrauen eine ausreichende Passabilität nicht zu erzielen und gefährdet ernsthaft die Erreichung der Zielsetzungen des gesamten „Transition“-Prozesses. Es ist davon auszugehen, dass mit drei weiteren Laserbehandlungssitzungen, mit langen Zwischenintervallen, die restlichen pigmentierten Haare der Klägerin, die sich in der Ruhephase befinden, dauerhaft destruiert werden können. Für die Nadelepilation der vereinzelten pigmentlosen Haare sollte mit ein, max. zwei Sitzungen das Auslangen gefunden werden(ON 10, 26).

Die tägliche Rasur, das Waxing oder andere temporäre Methoden zur Haarentfernung sind sehr effektiv, wirken aber nur kurzfristig und sind auch nicht ausreichend. Die Notwendigkeit der regelmäßigen Anwendung temporärer Methoden führt zu wiederholten psychischen Mikrotraumata, die wiederum eine Exazerbation der Genderdysphorie auslösen (ON 10, 32). Würde sich die Klägerin täglich im Gesicht rasieren müssen, würde ihr täglich vor Augen geführt, dass sie sich im falschen Geschlecht befindet. Auch das Erfordernis der regelmäßigen Anwendung von Enthaarungscremes oder Waxing stellt eine permanente psychische Belastung dar, die sich durch die ständige Notwendigkeit, sich sorgfältig und regelmäßig der Haarentfernung zu widmen, um überhaupt nach außen auftreten zu können, wiederholt und verfestigt (ON 17, 3). Überdies müsste, um Waxing zu ermöglichen, die Behaarung einige Millimeter wachsen gelassen werden, sodass die Klägerin an solchen Tagen nicht das Haus verlassen könnte. Dies wäre für die Klägerin krankheitswertig belastend. Eine Exazerbation der Genderdysphorie geht zum Teil mit einer Steigerung der Suizidalität einher (ON 17, 3).

Es ist für die Klägerin somit medizinisch notwendig, ihre Bartbehaarung im Wege der Laserepilation zu entfernen. In anderen europäischen Staaten werden von den jeweiligen Sozialversicherungen zumeist 10 Sitzungen der Laserepilation der Bartregion bei Transfrauen übernommen (ON 10, 30).

Beweiswürdigung:

Soweit sich die Feststellungen auf den Inhalt unbedenklicher Urkunden beziehen, sind diese bei den jeweiligen Feststellungen in Klammerausdrücken angeführt. Zu den Feststellungen zum Personenstand der Klägerin gelangte das Gericht aufgrund des Meldezettels (./D) und des Bescheids der O* D* (./E). Die Feststellungen zur Transsexualität (ICD-10 F 64.0) der Klägerin gehen aus den vorgelegten Unterlagen (./F, ./G, ./H, ./I) hervor. Das Vorliegen dieser Diagnose bei der Klägerin wurde nicht bestritten (ON 2, 5)

Die Feststellungen zum Wesen und der Bedeutung der im Verfahren relevierten Diagnosen bzw des Leidens „Transsexualismus“ - bzw nach modernerer Diktion „Genderdysphorie“ oder „Genderinkongruenz“ (ON 10, 6) stützen sich auf die ausführlichen und gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. L* im schriftlichen Sachverständigengutachten (ON 10) sowie in der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2024.

Aus den aufschlussreichen und fachkundigen Ausführungen sowohl im schriftlichen Gutachten als auch im Rahmen der mündlichen Erörterung des Gutachters geht weiters hervor, dass nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft die geeignete Methode der Behandlung bzw Linderung von Genderdysphorie zusammengefasst die physische Angleichung des Körpers an die empfundene Genderidentität durch die Methoden der medizinischen Transition darstellt, um der betreffenden Person auf diesem Weg die soziale Transition ermöglichen (insb ON 10, 5f). Der Umstand, dass es sich gegenständlich um die einzige Erkrankung psychischer Natur handelt, für die eine physische Behandlung die einzig zielführende Behandlung darstellt (ON 17, 2), wurde unter anderem unter Hinweis auf die in Deutschland geltende Richtlinie „Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualismus (ICD-10, F64.0)“ des Q*-Spitzenverbandes logisch nachvollziehbar dargelegt.

Zum persönlichen Eindruck und dem Erscheinungsbild der Klägerin konnten Feststellungen auf Grund ihres Erscheinens in der mündlichen Verhandlung (ON 17) sowie des Gutachtens (ON 10, 21f) getroffen werden.

Der Sachverständige hat weiters eindeutig festgehalten, dass eine Gesichtshaarentfernung mittels Laserbehandlung (als integrativer Bestandteil der gesamthaften Behandlung von Genderdysphorie) state of the art in der Behandlung von Transfrauen ist und durch diese eine höhere subjektive Zufriedenheit erreicht werden kann als mit lebenslanger Hormontherapie oder genitalen Operationen (ua ON 10, 10), zumal Bart- und Gesichtshaare anatomische Merkmale und typisch männliche Behaarungsmuster sind, die ein Hindernis für die Aufhebung der Genderdysphorie von Transfrauen bzw für deren soziale Transition bilden (zB ON 10, 16, 25). Dies erscheint vor dem Hintergrund der Ausführungen des Sachverständigen zur Passabilität gut nachvollziehbar, zumal Menschen, die einander nicht kennen, einander zu allererst ins Gesicht sehen.

All dies wird auch durch den Umstand verdeutlicht, dass in den für die Niederlande und für zahlreiche weitere europäische Staaten maßgeblichen Kriterienkatalogen die Epilation der Bartregion insofern als Sozialversicherungsleistung angesehen wird, als der Haarwuchs in dieser Region in der Regel bei Frauen als Deformation anzusehen ist (ON 10, 16).

Unter Hinweis auf die gesteigerte Suizidalität in der Gruppe der Betroffenen wurde einleuchtend dargelegt, dass andere Haarentfernungstechniken wie beispielsweise Enthaarungscremes oder Waxing keine langfristige und damit keine gleichermaßen zweckmäßige Alternative zur Lasereplialtion darstellen, da diese zu wiederholten psychischen Mikrotraumata führen können (ON 10, 17 und 32, ON 17, 3), während durch die Laserepilation im Idealfall ein dauerhaft haarfreier Zustand hergestellt wird.

Text

Rechtlich folgt daraus:

Gemäß § 116 Abs 1 Z 2 ASVG trifft die gesetzliche Krankenversicherung unter anderem Vorsorge für den Versicherungsfall der Krankheit. Aus diesem Versicherungsfall führt § 117 Z 2 ASVG als Leistungen der Krankenversicherung unter anderem die Krankenbehandlung an. Nach der Definition in § 120 Abs 1 Z 1 ASVG versteht man unter Krankheit einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht. Ziel der Krankenbehandlung ist es, die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern (§ 133 Abs 2 ASVG). Die Krankenbehandlung soll ausreichend und zweckmäßig sein, darf aber das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Wie aus den Feststellungen abzuleiten ist, dient die klagsgegenständliche Laserepilation nicht lediglich der Beseitigung des Bartwuchses der Klägerin im Sinne der bloßen Beeinflussung ihres optischen Zustandes. Vielmehr ist diese Laserepilation ein (zusätzliches) Mittel der physischen Angleichung des anatomisch männlichen Körpers der Klägerin an ihre weibliche Genderidentität und dient in erster Linie der Aufhebung bzw Linderung der diagnostizierten Genderdysphorie. Die gegenständliche Laserepilation tritt somit im Zuge des gesamten lege artis indizierten Prozesses der medizinischen Transition zu der bereits angewandten Hormontherapie hinzu. Die durch die Laserepilation bewirkte Bekämpfung des Gesichtshaarwachstums stellt dabei einen essentiellen Schritt zur Angleichung des - insbesondere für die soziale Transition und Passabilität bedeutsame - anatomischen Geschlechtsmerkmals der Gesichtsbehaarung der Klägerin in Richtung einer weiblich konnotierten Erscheinung dar und soll so der Entlastung von der bestehenden psychischen Erkrankung dienen.

Da die Behandlungsbedürftigkeit der bei der Klägerin bestehenden Genderdysphorie an sich und damit deren Krankheitswertigkeit im Sinne des § 120 Z 1 ASVG (RS0085164) gar nicht in Zweifel gezogen wurden, erweist sich die klagsgegenständliche Laserepilation im Hinblick auf den in Form der Genderdysphorie tatsächlich gegebenen Versicherungsfall der Krankheit als Krankenbehandlung im Sinne des § 117 Z 2, § 133 Abs 1, 2 ASVG. Sie ist nach den Feststellungen, die sich auf die fundierten Ausführungen des Sachverständigen stützen, bei der Klägerin auch konkret notwendig und angemessen.

Ergänzend, und weil die beklagte Partei sich darauf bezogen hat (ON 2, 5) ist darauf hinzuweisen, dass die Situation der Klägerin nicht mit jener einer ursprünglich biologischen Frau gleichgestellt werden kann, die ihre (Körper-)Behaarung als Belastung erlebt, ohne (deshalb) an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Der jeweilige Leidensdruck unterscheidet sich enorm und ist nicht vergleichbar. Auch sind dem Gericht keine Fälle von Suizidalität aus diesem Grund bekannt.

Dem Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Dermatologie war aus rechtlichen Gründen nicht stattzugeben. Es stellen sich im vorliegenden Verfahren keine Fragen, die in das Fachgebiet der Dermatologie fallen. Dass die Laserepilation, bei ausreichender Anzahl von Sitzungen, eine erfolgreiche dauerhafte Haarentfernungsmethode sein kann, war zwischen den Parteien nicht strittig. Vielmehr geht es darum, ob der verfahrensgegenständlichen Honorarnote eine Behandlung zugrundeliegt, die – im Rahmen des Notwendigen – der Linderung der Genderdysphorie der Klägerin diente. Es war daher ein Sachverständiger zu befassen, der über Fachkenntnisse in der Transgendermedizin verfügt.

Die Transgendermedizin ist ein interdisziplinäres Fachgebiet mit Schnittpunkten zu insgesamt 14 Fachrichtungen (ON 17, 3). Da die Diagnose nach ICD-10 F 64.0 nach den Urkunden bereits psychiatrisch, psychologisch und psychotherapeutisch abgeklärt war (./G, ./H, ./I), bereits Grundlage für die von der Klägerin unternommene Hormonbehandlung bildet (./F) und überdies von der Beklagten auch nicht bestritten wurde (ON 2, 5), musste die im Verfahren zu klärende Frage der konkreten Notwendigkeit dieser Laserepilation einem Sachverständigen mit Fachkenntnis in der Transgendermedizin gestellt werden. Der konkrete Sachverständige wurde von diesem Gericht bereits im Verfahren ** mit ähnlichen Fragen befasst und im genannten Verfahren aufgrund seiner einschlägigen Fachkenntnis von Ärzten des K* D* hiefür empfohlen.

§ 133 Abs 3 ASVG legt fest, dass kosmetische Behandlungen nur dann als Krankenbehandlungen gelten, wenn sie zur Beseitigung anatomischer oder funktioneller Krankheitszustände dienen ( Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 39). Bei der Laserepilation handelt es sich oftmals um eine kosmetische Behandlung, nicht jedoch im vorliegenden Fall, wie oben bereits ausgeführt. Dabei ist der Begriff der Passabilität ins Treffen zu führen. Entscheidend für den Erfolg der Behandlung ist es, ob man von einem unbeteiligten Dritten in seiner Genderidentität wahrgenommen wird, bzw. dass – zumindest -sich ein unbeteiligter Dritter nicht durch ein inkongruentes Aussehen erschreckt. Die Bartbehaarung ist dabei entscheidend, da es sich um ein typisches, dem männlichen Geschlecht zuordenbares Merkmal handelt.

Die in Deutschland und den Niederlanden dazu einschlägigen medizinischen Guidelines betreffend die Diagnostik empfehlen die Epilation der Barthaare als notwendige Maßnahme. Demgemäß ist auch im hier gegenständlichen Fall der Versicherungsfall der Krankheit nach § 120 Z 1 ASVG eingetreten. Die Entfernung des bei der Klägerin auftretenden Bartwuchses mittels Laserepilation dient insofern der Beseitigung anatomischer und funktioneller Krankheitszustände, da der Bartwuchs einen Widerspruch zur Genderidentität der Klägerin steht und somit ein Hindernis zur Bekämpfung der Genderdysphorie darstellt.

Die klagsgegenständliche Laserepilation überschreitet im vorliegenden Fall auch nicht das Maß des Notwendigen im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG. Dieses Maß bestimmt sich aus dem Zweck der Leistung, weshalb notwendig in diesem Sinne nur jene Maßnahme ist, die zur Erreichung des angestrebten Zwecks unentbehrlich oder unvermeidbar ist. Ein Überschreiten des Maßes des Notwendigen und Zweckmäßigen ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn eine überflüssige oder mit den Regeln der ärztlichen Wissenschaft nicht zu vereinbarende Maßnahme durchgeführt wird, oder wenn zwischen den Kosten unterschiedlicher Maßnahmen ein Missverhältnis besteht, das in der den Versicherten schonenderen Behandlungsweise kein Äquivalent findet. Die Beschränkung auf das notwendige Maß läuft daher im Ergebnis darauf hinaus, dass bei Verfügbarkeit mehrerer gleichermaßen zweckmäßiger Maßnahmen jeweils diejenige zu wählen ist, die die geringsten Kosten verursacht, bzw bei der die Relation der Kosten zum Nutzen am günstigsten ist (OGH 22.10.2013, 10 ObS 111/13s; RS0106240 [insb T2], RS0083816 [insb T4], RS0083823; Felten/Mosler aaO § 133 ASVG Rz 51, 53; Schober aaO § 133 ASVG Rz 7) (ASG Wien, 28.06.2022, **, 13).

Die begehrte Behandlung bezweckt einen Zustand des Gesichts frei von männlich konnotierter Bartbehaarung, welcher langfristig ausschließlich mittels Laserepilation und nicht mit täglicher Rasur, Haarentfernungscremen oder Waxing erreicht werden kann. Letztere sind nach den Feststellungen nicht gleichermaßen zweckmäßig, weil sie nur kurzfristig wirken und durch die Notwendigkeit der oftmaligen Wiederholung eine Exazerbation der Genderdysphorie und das Auftreten von Mikrotraumata, mit potentiellen weiteren negativen Folgen, zu erwarten sind. Die Laserepilation im Gesicht ist daher unentbehrlich bzw unvermeidbar, sodass das Maß des Notwendigen nicht überschritten wird.

Die von der Klägerin zur Kostenerstattung eingereichte Honorarnote entspricht allen Voraussetzungen des § 37 Abs 1 der Krankenordnung. Da die Klägerin nicht am **.1. oder **. geboren ist und auch aus keinem geburtenstarken Jahrgang stammt (**) war die Versicherungsnummer, die sich im Fall der Klägerin nur aus den Ziffern 2781 und daran anschließend aus den sich aus dem Geburtsdatum ergebenden Ziffern 100889 zusammensetzen kann, ausreichend deutlich erkennbar.

Nach § 131 Abs. 1 ASVG gebührt dem Anspruchsberechtigten, falls er nicht die Vertragspartner (§ 338), die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) in Anspruch nimmt, der Ersatz der Kosten dieser Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 % des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Die Klägerin hat zur Durchführung der Laserepilation keine Vertragspartnerin (./3, ./4) in Anspruch genommen, weshalb lediglich 80 % der für einen Vertragspartner zur Anwendung kommenden Honorierung zu erstatten sind.

Gemäß dem Tarif für allgemeine Vertragsfachärzte und Vertragsfachärztinnen (Beilage ./6) hätte eine Vertragspartnerin den Eingriff nach Position 503 „Operation von oberflächlichen Geschwülsten (z.B. Atherom, Fibrom, kleines Lipom), operative Entfernung oberflächlich gelegener Fremdkörper (scharfer Löffel ausgenommen), je Sitzung pro Region“ mit 70 Punkten zuzüglich eines Regiezuschlags R II verzeichnen können (./6, 31). Ein Regiezuschlag kann verzeichnet werden, wenn die Leistung in der Ordination der Ärztin, in der Wohnung des Patienten oder in Heimen aller Art erfolgt (./6, 2). Im vorliegenden Fall erfolgte die Behandlung in der Ordination der behandelnden Ärztin. Die Höhe der Regiezuschläge ist in Punkt V. des Vertragsfacharzttarifs geregelt. Der Regiezuschlag II zählt demnach 18 Punkte (./6, 69). Der Punktewert betrug im Jahr 2023 EUR 0,67 (./6, 1). Die Beklagte hätte somit einem Vertragspartner für diesen Eingriff EUR 58,96 (88 x EUR 0,67) gezahlt. 80% davon betragen EUR 47,17. Dem Klagebehren war daher für diese Honorarnote in diesem Ausmaß stattzugeben.

Gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG kann eine Klage bei Gericht nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. Der Grundsatz der sukzessiven Kompetenz beschränkt den möglichen Streitgegenstand in dreifacher Weise, nämlich einerseits im Hinblick darauf, was im Verwaltungsverfahren begehrt wurde, weiters durch den Bescheidinhalt und drittens betreffend den Inhalt der Klage. Die zusätzlich begehrte Teilrefundierung von weiteren 20 Laserepilation-Sitzungen war nicht Gegenstand des bekämpften Bescheids. Die Klägerin wird die jeweiligen Honorarnoten bei der Beklagten geltend zu machen und diese darüber (einen oder mehrere) Bescheid(e) auszustellen haben. Sobald diese vorliegen, kann dazu eine gerichtliche Klage eingebracht werden.

Sofern trotz entsprechenden Antrags kein Bescheid ausgestellt wird, besteht auch die Möglichkeit einer Säumnisklage gemäß § 67 Abs 1 Z 2 ASGG, sofern nicht binnen drei Monaten der Bescheid erlassen wird.

Da die Beklagte im Bescheid nur über die im Spruch angeführte Honorarnote abgesprochen hat, konnte sich das Verfahren nur auf diese beziehen. Für die weiteren Behandlungen ist der Rechtsweg in diesem Verfahren unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Elektronische Ausfertigung gemäß § 79 GOG

Rückverweise