BundesrechtInternationale VerträgeÜbereinkommen über die Durchleitung elektrischer Energie

Übereinkommen über die Durchleitung elektrischer Energie

In Kraft seit 20. April 1927
Up-to-date

Art. 1

Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, mit jedem anderen Vertragsstaat, der ihn darum ersuchen sollte, zwecks Abschluß von Vereinbarungen zu verhandeln, welche die Durchleitung elektrischer Energie durch sein Gebiet sicherstellen sollen.

Jedoch behalten sich die Vertragsstaaten das Recht vor, die Bestimmungen des vorhergehenden Absatzes nicht anzuwenden, falls sie gegen die Durchleitung elektrischer Energie durch ihr Gebiet Gründe geltend machen können, die sich auf eine schwere, aus einer solchen Durchleitung entstehende Schädigung ihrer Volkswirtschaft oder ihrer nationalen Sicherheit stützen.

Art. 2

Als durchgeleitet durch das Gebiet eines Vertragsstaates gilt die elektrische Energie, die mittels besonderer Leitungen durch dieses Gebiet übertragen wird, ohne innerhalb seiner Grenzen auch nur teilweise erzeugt, verwendet oder transformiert zu werden.

Art. 3

Die bei der Ausführung des ersten Absatzes des Artikels 1 in Frage kommenden technischen Lösungen haben ausschließlich Erwägungen zu berücksichtigen, die in gleichartigen Fällen von Fortleitung elektrischer Energie im Lande selbst berechtigterweise geltend gemacht werden könnten. Es herrscht jedoch darüber Einverständnis, daß ausnahmsweise auf die politischen Grenzen Rücksicht genommen werden kann, falls die erwähnten Lösungen dadurch nicht wesentlich beeinflußt werden.

Art. 4

Die im Artikel 1 vorgesehenen Abkommen können namentlich Bestimmungen enthalten über:

a) die allgemeinen Bedingungen für die Errichtung und die Erhaltung der Leitungen;

b) die angemessenen Leistungen an den Staat, durch dessen Gebiet die Durchleitung erfolgt, für Unkosten, Gefahren, Schäden und Lasten aller Art, Ausgaben für Verwaltung und Überwachung, die durch die Errichtung und den Betrieb der Leitungen entstehen, sowie gegebenenfalls für die Erstattung von Erhaltungskosten;

c) die Art der Durchführung der technischen Aufsicht und der für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit nötigen Überwachung;

d) die Einrichtung der Telephon- und Telegraphenverbindungen, die für den Betrieb der Durchleitung elektrischer Energie erforderlich sind;

e) die Art der Regelung von Streitfällen über die Auslegung und Anwendung der Vereinbarungen.

Art. 5

Der Bau der Leitungen, die Durchleitung und die zur Sicherstellung dieser Durchleitung bestimmten Anlagen sind in dem Staat, auf dessen Gebiet die Durchleitung stattfindet, den gesetzlichen Bestimmungen und behördlichen Verfügungen unterworfen, die nach der Gesetzgebung dieses Staates auf den Bau von Leitungen, die Übertragung elektrischer Energie und auf ähnliche Anlagen anzuwenden sind.

Art. 6

Die Durchleitung elektrischer Energie darf keinen besonderen Abgaben oder Gebühren unterworfen werden, die sich lediglich auf die Tatsache der Durchleitung stützen.

Art. 7

Die Vertragsstaaten werden sich bemühen, die Anwendung der in Artikel 1 vorgesehenen Vereinbarungen auf ihrem Gebiet und im Rahmen ihrer Gesetzgebung zu erleichtern.

Art. 8

Die Bestimmungen des Übereinkommens legen keinem Vertragsstaat die Verpflichtung auf, von dem Enteignungsrecht Gebrauch zu machen oder irgendeine Dienstbarkeit aufzuerlegen.

Art. 9

Das Übereinkommen ordnet nicht die Rechte und Pflichten der Kriegführenden und Neutralen in Kriegszeiten, bleibt jedoch auch in Kriegszeiten in Geltung, soweit es mit diesen Rechten und Pflichten vereinbar ist.

Art. 10

Das Übereinkommen hat keineswegs die Aufhebung von Erleichterungen zur Folge, die in einem weitergehenden Maße, als es durch seine Bestimmungen geschehen ist, für die Durchleitung elektrischer Energie durch das Hoheits- oder Herrschaftsgebiet irgendeines der Vertragsstaaten unter Bedingungen bereits zugestanden sein sollten, die mit seinen Grundsätzen vereinbar sind. Ebensowenig will es die Gewährung solcher Erleichterungen für die Zukunft ausschließen.

Art. 11

Das Übereinkommen berührt in keiner Weise die Rechte und Pflichten der Vertragsstaaten, die sich ergeben aus früheren Übereinkommen oder Verträgen über die Fragen, die den Gegenstand des vorliegenden Übereinkommens bilden, oder aus Bestimmungen allgemeiner Verträge über dieselben Fragen, namentlich der Verträge von Versailles, Trianon und anderer Verträge, die dem Kriege von 1914 bis 1918 ein Ende gesetzt haben.

Art. 12

Entsteht zwischen Vertragsstaaten wegen der Anwendung oder Auslegung des Übereinkommens ein Streitfall, der weder unmittelbar zwischen den Parteien noch auf irgendeinem anderen Wege gütlich beigelegt werden kann, so können die Parteien den Streitfall zur Begutachtung der Stelle vorlegen, die von dem Völkerbund als beratendes fachmännisches Organ der Mitglieder des Bundes in Fragen der Verkehrswege und des Durchgangsverkehrs eingesetzt sein sollte, es sei denn, daß sie im gemeinsamen Einvernehmen beschlossen haben oder beschließen, ein anderes Verfahren begutachtender, schiedsrichterlicher oder gerichtlicher Art zu wählen.

Die Bestimmungen des vorhergehenden Absatzes finden keine Anwendung auf einen Staat, der, um sich der Durchleitung von elektrischer Energie zu widersetzen, Gründe geltend machen kann, die sich auf schwere Schädigungen seiner Volkswirtschaft oder nationalen Sicherheit stützen.

Art. 13

Es besteht Einverständnis darüber, daß das Übereinkommen nicht in dem Sinne ausgelegt werden darf, als ob es in irgendeiner Beziehung die Rechte und Pflichten von Gebieten unter sich (inter se) berühre, die Bestandteile eines und desselben souveränen Staates bilden oder unter seinem Schutze stehen, gleichviel, ob diese Gebiete jedes für sich Vertragsstaaten sind oder nicht.

Art. 14

In den vorstehenden Artikeln darf keine Bestimmung so ausgelegt werden, als ob sie irgendwie die Rechte oder Pflichten irgendeines Vertragsstaates in seiner Eigenschaft als Mitglied des Völkerbundes berühre.

Art. 15

Das Übereinkommen, dessen französischer und englischer Wortlaut in gleicher Weise maßgebend ist, trägt das Datum des heutigen Tages und bleibt bis zum 31. Oktober 1924 zur Unterzeichnung offen für jeden auf der Konferenz von Genf vertretenen Staat, für jedes Mitglied des Völkerbundes und für jeden Staat, dem der Völkerbundsrat zu diesem Zweck eine Ausfertigung des Übereinkommens zugestellt hat.

Art. 16

Das Übereinkommen bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden sind dem Generalsekretär des Völkerbundes zu übermitteln, der ihre Hinterlegung allen Staaten mitteilt, die es unterzeichnet haben oder ihm beigetreten sind.

Art. 17

Vom 1. November 1924 an kann jeder auf der Genfer Konferenz vertretene Staat, jedes Mitglied des Völkerbundes und jeder Staat, dem der Völkerbund zu diesem Zweck eine Ausfertigung des Übereinkommens zugestellt hat, diesem beitreten.

Dieser Beitritt geschieht durch eine dem Generalsekretär des Völkerbundes zu übermittelnde Urkunde, die im Archiv des Sekretariats zu hinterlegen ist. Der Generalsekretär gibt die Hinterlegung sofort allen Staaten bekannt, die das Übereinkommen unterzeichnet haben oder ihm beigetreten sind.

Art. 18

Das Übereinkommen tritt erst nach Ratifikation durch drei Staaten in Kraft, und zwar am neunzigsten Tage nach dem Eingang der dritten Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär des Völkerbundes. In der Folge erlangt das Übereinkommen für jeden Vertragsteil Rechtswirkung neunzig Tage nach dem Eingang seiner Ratifikationsurkunde oder der Bekanntgabe seines Beitritts.

Gemäß den Bestimmungen des Artikels 18 der Völkerbundsatzung hat der Generalsekretär die Eintragung des Übereinkommens am Tage seines Inkrafttretens vorzunehmen.

Art. 19

Der Generalsekretär des Völkerbundes führt unter Beachtung des Artikels 21 ein besonderes Verzeichnis derjenigen Staaten, die das Übereinkommen unterzeichnet oder ratifiziert haben, ihm beigetreten sind oder es gekündigt haben. Das Verzeichnis steht den Mitgliedern des Völkerbundes jederzeit zur Einsicht offen und wird nach näherer Weisung des Völkerbundsrates möglichst oft veröffentlicht.

Art. 20

Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 11 kann das Übereinkommen von jedem Vertragsteil nach Ablauf einer Frist von fünf Jahren, gerechnet vom Tage des Inkrafttretens für den betreffenden Teil, gekündigt werden. Die Kündigung erfolgt in Form einer an den Generalsekretär des Völkerbundes gerichteten schriftlichen Erklärung. Eine Abschrift dieser Erklärung nebst Angabe ihres Eingangsdatums wird den übrigen Vertragsteilen vom Generalsekretär sofort zugestellt.

Die Kündigung tritt ein Jahr nach dem Tage ihres Eingangs beim Generalsekretär in Kraft und hat nur in bezug auf den kündigenden Staat Rechtswirkung.

Art. 21

Jeder Staat, der das Übereinkommen unterzeichnet oder ihm beitritt, kann entweder bei der Unterzeichnung oder bei der Ratifikation oder beim Beitritt erklären, daß die Annahme des Übereinkommens weder die Gesamtheit noch einen Teil seiner Schutzgebiete, Kolonien, überseeischen Besitzungen oder Gebiete, die seiner Staatshoheit oder Herrschaft unterstellt sind, verpflichtet; er kann später gemäß Artikel 17 gesondert beitreten im Namen irgendeines Schutzgebiets, einer Kolonie, einer überseeischen Besitzung oder eines überseeischen Gebietes, die durch diese Erklärung ausgeschlossen sind.

Ebenso kann die Kündigung gesondert für jedes Schutzgebiet, jede Kolonie, jede überseeische Besitzung oder jedes überseeische Gebiet erfolgen; für diese Kündigung gelten die Bestimmungen des Artikels 20.

Art. 22

Die Revision des Übereinkommens kann jederzeit von einem Drittel der Vertragsstaaten beantragt werden.

Zu Urkund dessen haben die obengenannten Bevollmächtigten das Übereinkommen unterzeichnet.

Geschehen zu Genf, den 9. Dezember 1923, in einer einzigen Ausfertigung, die im Archiv des Völkerbundsekretariats hinterlegt bleibt.

Unterzeichnungsprotokoll zum Übereinkommen über die Durchleitung elektrischer Energie.

Anl. 1

Im Begriff, das heute abgeschlossene Übereinkommen über die Durchleitung elektrischer Energie zu unterzeichnen, haben die gehörig bevollmächtigten Unterzeichneten folgendes vereinbart:

Das Übereinkommen enthält für keinen Vertragsstaat die Verpflichtung, den Eigentümern oder Unternehmern von Leitungen, die der Durchfuhr elektrischer Energie dienen, eine günstigere Behandlung auf seinem Gebiet zuteil werden zu lassen, als den Eigentümern oder Unternehmern von Leitungen, die der Fortleitung elektrischer Energie im Innern des Landes dienen.

Das Übereinkommen betrifft nicht Leitungen, die ausschließlich für Übermittlung von Zeichen und Lauten bestimmt sind.

Das vorliegende Protokoll hat dieselbe Wirksamkeit, rechtliche Bedeutung und Geltungsdauer wie das am heutigen Tage abgeschlossene Übereinkommen und bildet einen wesentlichen Bestandteil desselben.

Zu Urkund dessen haben die obengenannten Bevollmächtigten das Protokoll unterzeichnet.

Geschehen zu Genf, den 9. Dezember 1923, in einer einzigen Ausfertigung, die im Archiv des Völkerbundsekretariats hinterlegt bleibt; gleichlautende Abschrift wird allen auf der Konferenz vertretenen Staaten zugestellt werden.

(Anm.: Es folgen die gleichen Unterschriften wie am Schluß des Übereinkommens.)