Vorwort
Artikel 1
Art. 1
Dieser Vertrag ist auf die von den Gerichten der Vertragsstaaten auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts gefällten Entscheidungen anzuwenden, mit Ausnahme von Entscheidungen in Konkursverfahren, in Ausgleichsverfahren oder in anderen gleichartigen Verfahren.
Artikel 2
Art. 2
Im Sinn dieses Abkommens sind zu verstehen:
1. unter „Entscheidung“ eine im Streitverfahren oder im Außerstreitverfahren gefällte Entscheidung, wie sie auch bezeichnet sein mag, und auch wenn sie von einem Strafgericht erlassen worden ist;
2. unter „Titelgericht“ das Gericht, das die Entscheidung gefällt hat, deren Anerkennung oder Vollstreckung begehrt wird;
3. unter „Entscheidungsstaat“ der Staat, in dessen Gebiet das Titelgericht seinen Sitz hat;
4. unter „ersuchtes Gericht“ in Tunesien das Gericht, bei dem die Vollstreckbarerklärung, in Österreich das Gericht, bei dem die Vollstreckung beantragt wird;
5. unter „ersuchter Staat“ der Staat, in dessen Gebiet die Anerkennung oder die Vollsteckung beantragt wird.
Artikel 3
Art. 3
(1) Die von einem Gericht eines der Vertragsstaaten gefällten Entscheidungen werden im Gebiet des anderen anerkannt, wenn das Titelgericht nach den Artikeln 6 bis 11 dieses Vertrages zuständig war und die Entscheidung nach dem Recht des Entscheidungsstaates rechtskräftig ist.
(2) Im Fall einer Versäumnisentscheidung muß der Beklagte ordnungsgemäß geladen worden sein. Im Fall eines Zahlungsbefehls, eines Zahlungsauftrags oder einer anderen gleichartigen Entscheidung muß die Entscheidung dem Schuldner ordnungsgemäß zugestellt worden sein.
Artikel 4
Art. 4
Die Anerkennung darf in folgenden Fällen versagt werden:
1. wenn sie der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates widerspricht;
2. wenn ein gleicher, auf denselben Rechtsanspruch gestützter Antrag zwischen denselben Parteien schon Gegenstand einer rechtskräftigen Entscheidung in der Sache selbst war, die in dem ersuchten Staat gefällt, oder die in einem dritten Staat gefällt und in dem ersuchten Staat anerkannt worden ist;
3. wenn zwischen denselben Parteien ein gleicher, auf denselben Anspruch gestützter Antrag vor einem Gericht des ersuchten Staates anhängig und dieses Gericht vor dem Titelgericht mit der Sache befaßt worden ist;
4. wenn, im Fall einer Versäumnisentscheidung, die säumige Partei vom Verfahren nicht rechtzeitig Kennntis erhalten hat, um sich zu verteidigen, oder, wenn es sich um einen Zahlunsbefehl, einen Zahlungsauftrag oder eine gleichartige Entscheidung handelt, der Schuldner nicht in der Lage gewesen ist, rechtzeitig Einwendungen zu erheben.
Artikel 5
Art. 5
(1) Die Anerkennung darf nicht deswegen versagt werden, weil das Titelgericht ein anderes Recht angewandt hat, als nach den Regeln des internationalen Privatrechts des ersuchten Staates anzuwenden gewesen wäre, es sei denn, es handelt sich um die Beurteilung des Personenstandes oder der Handlungsfähigkeit von Staatsangehörigen des ersuchten Staates. Selbst in diesen Fällen darf die Anerkennung nicht versagt werden, wenn die Anwendung der genannten Regeln zum gleichen Ergebnis geführt hätte.
(2) Die Anerkennung darf versagt werden, wenn Vorschriften des Rechtes des ersuchten Staates über die Vertretung nicht oder nicht voll handlungsfähiger Staatsangehöriger des ersuchten Staates verletzt worden sind.
Artikel 6
Art. 6
Dieses Abkommen berührt nicht die Vorschriften über die Zuständigkeit der Gerichte der Vertragsstaaten. Nach Artikel 3 Abs. 1 sind Entscheidungen jedoch nur dann anzuerkennen, wenn das Titelgericht im Sinn der Artikel 7 bis 11 zuständig gewesen ist.
Artikel 7
Art. 7
(1) Die Gerichte des Entscheidungsstaates sind für Verfahren betreffend den Personenstand und die Handlungsfähigkeit zuständig, wenn zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens eine der Personen, deren Personenstand oder Handlungsfähigkeit betroffen wird, diesem Staat angehört.
(2) Dasselbe gilt, wenn alle Personen, deren Personenstand oder Handlungsfähigkeit betroffen wird, zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Entscheidungsstaates haben und dem ersuchten Staat angehören.
Artikel 8
Art. 8
Die Gerichte des Entscheidungsstaates sind für Verfahren zuständig, die ein dingliches Recht an einer in diesem Staat gelegenen Liegenschaft zum Gegenstand haben. Diese Zuständigkeit umfaßt auch die Nachlaßangelegenheiten betreffend ein solches dingliches Recht.
Artikel 9
Art. 9
Die Gerichte des Entscheidungsstaates sind für Nachlaßangelegenheiten betreffend bewegliches Vermögen zuständig, wenn der Erblasser Angehöriger dieses Staates war.
Artikel 10
Art. 10
In den Angelegenheiten, die nicht in den Art. 7, 8 und 9 angeführt sind, sind die Gerichte des Entscheidungsstaates zuständig:
1. wenn der Beklagte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet dieses Staates hat oder, wenn es sich um eine juristische Person oder eine Handelsgesellschaft handelt, diese ihren Sitz oder ihre Hauptniederlassung dort hat;
2. wenn der Beklagte auf dem Gebiet dieses Staates eine kaufmännische, gewerbliche oder sonstige Niederlassung oder Zweigniederlassung hat oder hatte und er dort wegen einer den Betrieb dieser Niederlassung oder Zweigniederlassung betreffenden Streitigkeit belangt wird;
3. wenn in einer Handelssache die vertragliche Verpflichtung, die Gegenstand einer Streitigkeit ist, im Gebiet dieses Staates erfüllt wurde oder erfüllt werden sollte;
4. wenn das Verfahren Schadenersatzansprüche aus einer außervertraglichen Haftung zum Gegenstand hat und die schädigende Handlung im Gebiet dieses Staates begangen wurde;
5. wenn das Verfahren eine Unterhaltsverpflichtung zum Gegenstand hat, sofern beide Parteien Angehörige dieses Staates sind oder sie dort ihren letzten gemeinsamen Aufenthalt hatten; im zuletzt genannten Fall muß jedoch der Antragsteller diesen gewöhnlichen Aufenthalt bis zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens beibehalten haben;
6. wenn der Beklagte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens im Gebiet dieses Staates Vermögen besitzt und er im Gebiet des anderen Staates weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Artikel 11
Art. 11
In den Angelegenheiten, die nicht in den Art. 7, 8 und 9 angeführt sind, ist das Titelgericht auch zuständig:
1. wenn sich der Beklagte der Zuständigkeit dieses Gerichtes, sei es durch Annahme eines Wohnsitzes (election de domicile), sei es durch irgendeine andere Zuständigkeitsvereinbarung ausdrücklich unterworfen hat, vorausgesetzt, daß das Recht des ersuchten Staates dem nicht in Anbetracht des Streitgegenstandes entgegensteht;
2. wenn sich der Beklagte in die Sache selbst eingelassen hat, ohne die Zuständigkeit des Titelgerichts bestritten oder erklärt zu haben, daß er sich dieser Zuständigkeit nur hinsichtlich des im Entscheidungsstaat gelegenen Vermögens unterwirft;
3. wenn es sich um eine Widerklage handelt und das Titelgericht nicht nach den Bestimmungen des Artikels 10 oder dieses Artikels zur Entscheidung über die Hauptklage zuständig war.
Artikel 12
Art. 12
(1) Die von den Gerichten des einen der beiden Vertragsstaaten gefällten Entscheidungen, deren Anerkennung im anderen Staat begehrt wird, dürfen nicht der Gegenstand irgendeiner anderen Prüfung als der der in den vorstehenden Artikeln genannten Bedingungen sein. Auf keinen Fall darf eine sachliche Nachprüfung dieser Entscheidungen vorgenommen werden.
(2) Das Gericht, vor dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ist an Feststellungen von Tatsachen gebunden, die in der Entscheidung enthalten sind und die der Begründung der Zuständigkeit des Titelgerichts dienen.
Artikel 13
Art. 13
Die Partei, die die Anerkennung geltend macht, hat vorzulegen:
1. eine vollständige Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Echtheit erforderlichen Voraussetzungen erfüllt;
2. a) wenn die Entscheidung in Österreich gefällt wurde, eine Bestätigung des Gerichtes, das in erster Instanz entschieden hat, darüber, daß die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist;
b) wenn die Entscheidung in Tunesien gefällt wurde, entweder den ausdrücklichen Vermerk, daß es sich um eine in letzter Instanz gefällte Entscheidung handelt, oder eine vom Leiter der Kanzlei des Titelgerichtes ausgestellte Bestätigung, daß keine Berufung erhoben worden ist;
3. im Fall einer Versäumnisentscheidung eine mit der Bestätigung der Richtigkeit versehene Abschrift der Ladung oder ein anderes zur Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung des Beklagten geeignetes Schriftstück;
4. im Fall eines Zahlungsbefehls, eines Zahlungsauftrags oder einer gleichartigen Entscheidung ein zur Feststellung der ordnungsgemäßen Zustellung der Entscheidung an den Schuldner geeignetes Schriftstück.
Artikel 14
Art. 14
(1) Die Gerichte jedes der Vertragsstaaten haben, je nach den Vorschriften ihres innerstaatlichen Rechts, einen Antrag entweder zurückzuweisen oder die Entscheidung aufzuschieben, wenn ein gleicher, auf denselben Rechtsanspruch gestützter Antrag zwischen denselben Parteien schon vor einem Gericht des anderen Staates anhängig ist und darüber eine nach diesem Abkommen anzuerkennende Entscheidung gefällt werden kann.
(2) Im Fall der Dringlichkeit können jedoch bei den Gerichten jedes der Vertragsstaaten vorläufige oder sichernde Maßnahmen begehrt werden, gleich, welches Gericht mit der Sache selbst befaßt ist.
Artikel 15
Art. 15
(1) Jede von einem tunesischen Gericht gefällte Entscheidung ist in Österreich vollstreckbar, wenn sie in Tunesien vollstreckbar ist und die Voraussetzungen für ihre Anerkennung erfüllt sind.
(2) Jede von einem österreichischen Gericht gefällte Entscheidung ist in Tunesien für vollstreckbar zu erklären, wenn sie in Österreich vollstreckbar ist und die Voraussetzungen für ihre Anerkennung erfüllt sind.
Artikel 16
Art. 16
Die Partei, welche die Vollstreckung einer in Tunesien gefällten Entscheidung in Österreich oder die Vollstreckbarerklärung einer in Östereich gefällten Entscheidung in Tunesien begehrt, hat, außer den im Artikel 13 angeführten Urkunden, die erforderlichen Unterlagen zum Nachweis dafür vorzulegen, daß die Entscheidung im Gebiet des Entscheidungsstaates vollstreckbar ist.
Artikel 17
Art. 17
(1) Die in Tunesien errichteten und dort vollstreckbaren öffentlichen Urkunden sind in Österreich vollstreckbar. Die in Österreich errichteten und dort vollstreckbaren Urkunden werden in Tunesien für vollstreckbar erklärt.
(2) In jedem der beiden Staaten hat sich das Gericht auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urkunde die erforderlichen Voraussetzungen für ihre Echtheit erfüllt und ob die Vollstreckung nicht der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates widerspricht.
(3) Die Bestimmungen dieses Artikels sind auch auf die vor Gerichten in Zivil- oder Handelssachen geschlossenen Vergleiche und auf die vor österreichischen Behörden als Trägern der Amtsvormundschaft geschlossenen Vergleiche in Unterhaltssachen anzuwenden.
Artikel 18
Art. 18
(1) Die nach diesem Vertrag vorzulegenden Urkunden sind von der Beglaubigung und jeder anderen gleichartigen Formalität befreit.
(2) Diese Urkunden sind mit einer Übersetzung zu versehen, deren Richtigkeit entweder von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter des Entscheidungstaates oder von einem beeideten Übersetzer eines der beiden Vertragsstaaten bestätigt sein muß.
Artikel 19
Art. 19
(1) Das vorliegende Abkommen berührt nicht die Bestimmungen anderer Abkommen oder Vereinbarungen, denen die beiden Vertragsstaaten angehören und die die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen oder öffentlicher Urkunden regeln.
(2) Das vorliegende Abkommen ist nur auf die nach dem Tag seines Inkrafttretens gefällten gerichtlichen Entscheidungen und die nach diesem Tag errichteten öffentlichen Urkunden anzuwenden.
Artikel 20
Art. 20
(1) Dieser Vertrag ist zu ratifizieren und die Ratifikationsurkunden sind so bald wie möglich in Tunis auszutauschen.
(2) Der Vertrag wird sechzig Tage nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft treten.
(3) Jeder Vertragsstaat kann den Vertrag durch eine an den anderen Vertragsstaat gerichtet schriftliche Notifikation kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate nach dieser Notifikation wirksam.
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet.
Geschehen zu Wien, am 23. Juni 1977, in zweifacher Ausfertigung, in französischer Sprache, welcher Text allein authentisch ist. Diesem Text werden Übersetzungen in die deutsche und in die arabische Sprache angeschlossen.