OGM1/12 – OPMS Entscheidung
Kopf
Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Präsidentin des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Irmgard GRISS, die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Friedrich JENSIK und Dr. Gabriele JAGETSBERGER als rechtskundige Mitglieder und die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Wolfram GÖRNER und Dipl.-Ing. Christian KÖGL als fachtechnische Mitglieder in der Gebrauchsmustersache der Antragstellerin D *****, Belgien, vertreten durch Patentanwälte Puchberger, Berger Partner, Reichsratsstraße 13, 1010 Wien, wider die Antragsgegnerinnen 1 . S ***** G m b H , ***** Deutschland und 2 . R ***** G m b H , ***** beide vertreten durch Herrn Patentanwalt Dipl.-Ing. Peter Itze, Amerlingstraße 8, 1061 Wien, wegen Nichtigerklärung des Gebrauchsmusters Nr 8 384 über die Berufung beider Parteien gegen die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 8. April 2011, NGM 6/2006-13-15, entschieden:
Spruch
Der Berufung der Antragstellerin wird nicht Folge gegeben.
Der Berufung der Antragsgegner wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss des bestätigten Teils zu lauten hat:
„Der Antrag auf Nichtigerklärung des zu Nr 8 384 angemeldeten Gebrauchsmusters wird im Umfang der Ansprüche 1 bis 10 in der durch den Teilverzicht vom 29. Oktober 2007 eingeschränkten Fassung abgewiesen und das Gebrauchsmuster insoweit aufrecht erhalten. Der (neue) Anspruch 11 lautet wie folgt:
11. Verfahren zur Herstellung eines Flaschenkastens mit einem Boden und Behälterwänden, nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Flaschenkasten aus einem ersten Kunststoff hergestellt wird, dass mindestens eine Behälterwand des Flaschenkastens aus dem ersten Kunststoff zumindest teilweise in Bezug auf eine Spritzgussform angeordnet wird, dass ein zweiter Kunststoff in den Hohlraum zwischen Spritzgussform und Behälterwand aus erstem Kunststoff eingespritzt wird, wobei der zweite Kunststoff in einem Bereich auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt wird, der durch einen Dichtanschlag begrenzt ist, welcher als Dichtleiste in Gestalt eines leicht von der Behälterwand hervorstehenden Steges ausgebildet ist, wobei der Flaschenkasten nach ausreichender Härtung des zweiten Kunststoffs von der Spritzgussform getrennt wird.
Die Verfahrenskosten erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben, die Antragsgegner sind (lediglich) schuldig, der Antragstellerin die mit 340 EUR bestimmten Barauslagen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Antragstellerin ist schuldig, den Antragsgegnern die mit 3.074,10 EUR bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung (darin 499,02 EUR Umsatzsteuer und 80 EUR Barauslagen) sowie die mit 2.069,80 EUR bestimmten Kosten der Berufung (darin 680 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
G r ü n d e :
Das bekämpfte Gebrauchsmuster Nr 8 384 betrifft einen „Kunststoffbehälter und ein Verfahren zu dessen Herstellung“.
Die mit der Veröffentlichung des Gebrauchsmusters am 15. Mai 2006 ursprünglich registrierten Ansprüche hatten folgenden Wortlaut:
1. Kunststoffbehälter, insbesondere Flaschenkasten, mit einem Boden (4) und/oder Behälterwänden (3), welche mindestens aus einem ersten Kunststoff gebildet sind, dadurch gekennzeichnet, dass an dem Boden (4) und/oder den Behälterwänden (3) mindestens ein Bereich (5) aus einem zweiten, vorzugsweise zu dem ersten Kunststoff unterschiedlichem Kunststoff stoffschlüssig mit dem ersten Kunststoff verbunden ist, wobei der zweite Kunststoff auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt ist und zwar in einem Bereich (5), der durch einen Dichtanschlag (7) begrenzt ist.
2. Kunststoffbehälter nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff flächig, insbesondere großflächig auf einer und/oder beiden Seiten des ersten Kunststoffs, insbesondere in einer Dicke von 0,1 – 10 mm, vorzugsweise 0,5 – 5 mm angeordnet ist.
3. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff flächig um eine Griffmulde (2) im ersten Kunststoff herum gespritzt ist.
4. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass als Dichtanschlag eine hervorstehende Dichtlippe, eine Dichtleiste (7), eine Dichtschulter oder eine Dichtnut ausgebildet ist.
5. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff in einem Bereich auf den ersten Kunststoff aufgespritzt ist, der eine Rippen- oder Lamellenstruktur aufweist, wobei die Rippen oder Lamellen von dem zweiten Kunststoff umschlossen sind und vorzugsweise flächig oder eben überdeckt sind.
6. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der erste Kunststoff Öffnungen aufweist, die von dem insbesondere beidseitig des ersten Kunststoffs angeordneten zweiten Kunststoff durchdrungen werden.
7. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der erste Kunststoff einen Angusskanal (6), insbesondere im Bereich des Griffstegs, aufweist, durch den der zweite Kunststoff, insbesondere beidseitig im Bereich der Griffmulde aufgespritzt wird.
8. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der erste und der zweite Kunststoff durch ineinander greifende Rippen, Zähne und dgl miteinander verzahnt sind.
9. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff durch Kleben, insbesondere Heißkleben, Schweißen und/oder Verrasten auf dem ersten Kunststoff angeordnet ist.
10. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff ein Griffteil des Behälters bildet und derart ausgebildet ist, dass durch ein gummiähnliches Verhalten ein weiches Griffverhalten erzeugt wird.
11. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff ein Griffteil des Behälters bildet, welches im Wesentlichen eine glatte Oberfläche, insbesondere eine der Handform angepasste Oberflächenausbildung aufweist.
12. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der erste Kunststoff mit Durchbrechungen, insbesondere Durchgangsöffnungen für die Verankerung mit dem zweiten Kunststoff versehen ist.
13. Kunststoffbehälter nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff sich gegenüber dem ersten Kunststoff in seinen chemischen und/oder physikalischen Eigenschaften, insbesondere hinsichtlich Härte, Dehnbarkeit, Schlagzähigkeit, Festigkeit, Farbe, Zusammensetzung oder dgl unterscheidet.
14. Verfahren zur Herstellung eines Kunststoffbehälters nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass ein Behälter (1) oder Behälterteil aus einem ersten Kunststoff hergestellt wird, dass der Behälter (1) oder das Behälterteil aus dem ersten Kunststoff zumindest teilweise in Bezug auf eine Spritzgussform angeordnet wird, dass ein zweiter Kunststoff in den Hohlraum der Spritzgussform und/oder den Hohlraum zwischen Spritzgussform und erstem Kunststoff eingespritzt wird, wobei der zweite Kunststoff in einem Bereich (5) auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt wird, der durch einen Dichtanschlag begrenzt ist, und dass der Kunststoffbehälter (1) nach ausreichender Härtung des zweiten Kunststoffs von der Spritzgussform getrennt wird.
15. Verfahren nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet, dass der Behälter (1) aus dem ersten Kunststoff einen Teil der Form für das Spritzgießen bildet.
16. Verfahren nach Anspruch 14 oder 15, dadurch gekennzeichnet, dass als Dichtanschlag eine hervorstehende Dichtlippe, Dichtleiste oder eine Nut verwendet wird, die eine Dichtlippe der Spritzgussform aufnimmt.
Die Antragstellerin begehrt die Nichterklärung dieses Gebrauchsmusters mangels Neuheit und Erfindungseigenschaft, teilweise auch wegen Fehlens der erforderlichen Offenbarung. Die beanspruchten Merkmalskombinationen seien Teil des Stands der Technik oder rein handwerkliche Maßnahmen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen, den Nichtigkeitsantrag mit der Maßgabe abzuweisen, dass die Ansprüche die unten angegebene Fassung erhalten. Der verteidigte Anspruch 1 lautet:
1. Flaschenkasten, mit einem Boden (4) und Behälterwänden (3), welche mindestens aus einem ersten Kunststoff gebildet sind und an den Behälterwänden (3) mindestens ein Bereich (5) aus einem zweiten, vorzugsweise zu dem ersten Kunststoff unterschiedlichen Kunststoff stoffschlüssig mit dem ersten Kunststoff verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt ist und zwar in einem Bereich (5), der durch einen Dichtanschlag (7) begrenzt ist, der als Dichtleiste in Gestalt eines leicht von der Seitenwand hervorstehenden Stegs ausgebildet ist, wobei der zweite Kunststoff in einem Bereich auf den ersten Kunststoff aufgespritzt ist, der eine Rippen- oder Lamellenstruktur aufweist, wobei die Rippen oder Lamellen von dem zweiten Kunststoff umschlossen und vorzugsweise flächig oder eben überdeckt sind.
An diesen Anspruch schließen die ursprünglichen, abhängigen Ansprüche 2, 3, 6 bis 8 und 10 bis 13 wortgetreu als neue rückbezogene Ansprü-che 2 bis 10 an. Danach folgen die ursprünglich registrierten Ansprüche 14 bis 16 als neue Ansprüche 11 bis 13.
Am 29. Oktober 2007 brachten die Antragsgegnerinnen einen Teilverzicht ein, der von der technischen Abteilung zur Kenntnis genommen wurde und daher ab 30. Oktober 2007 wirksam ist. Die eingeschränkten Ansprüche entsprechen der von den Antragsgegnern verteidigten Fassung.
Die Antragstellerin bestreitet die Zulässigkeit des Teilverzichts. Der Erfindungsgegenstand werde gegenüber der ursprünglichen Offenbarung verschoben.
Mit der angefochtenen Entscheidung gab die Nichtigkeitsabteilung dem Antrag auf Nichtigerklärung teilweise statt und hielt das Streitgebrauchsmuster in der Form des Teilverzichts vom 29. Oktober 2007 im Umfang der Ansprüche 1 bis 10 aufrecht, die Ansprüche 11 bis 13 erklärte sie jedoch für nichtig. Die Ansprüche 1 bis 10 seien gegenüber den vorgelegten Druckschriften (./A bis ./K (./L )) neu und beruhten auch auf einem erfinderischen Schritt. Die Ansprüche 11 und 12 seien zwar neu, aber nicht erfinderisch und daher nichtig. Anspruch 13 sei für die Erfindungsausführung nicht ausreichend offenbart und könne deshalb nicht aufrecht gehalten werden.
Die Nichtigkeitsabteilung verwendet bei der Diskussion der als Stand der Technik vorgelegten Druckschriften folgende Merkmalsaufstellung von Anspruch 1 des Streitgebrauchsmusters (nach Teilverzicht), auf die sich auch die Parteien beziehen:
a) Flaschenkasten, mit einem Boden (4) und Behälterwänden (3), welche mindestens aus einem ersten Kunststoff gebildet sind,
b) an den Behälterwänden (3) mindestens ein Bereich (5) aus einem zweiten, vorzugsweise zu dem ersten Kunststoff unterschiedlichen Kunststoff, der stoffschlüssig mit dem ersten Kunststoff verbunden ist,
c) wobei der zweite Kunststoff auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt ist und zwar in einem Bereich (5), der durch einen Dichtanschlag (7) begrenzt ist,
d) der als Dichtleiste ausgebildet ist,
e) und zwar in Gestalt eines leicht von der Seitenwand hervorstehenden Steges,
f) wobei der zweite Kunststoff in einem Bereich auf den ersten Kunststoff aufgespritzt ist, der eine Rippen- oder Lamellenstruktur aufweist,
g) wobei die Rippen oder Lamellen von dem zweiten Kunststoff umschlossen und vorzugsweise flächig oder eben überdeckt sind.
Die Antragstellerin beantragt mit ihrer Berufung die gänzliche Nichtigerklärung des Streitgebrauchsmusters.
Die Antragsgegnerinnen beantragen mit ihrer Berufung die Abänderung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung in Ansehung der Ansprüche 11 bis 13 dahin, dass das Gebrauchsmuster im Ausmaß des neuen Anspruchs 11 aufrechterhalten werde. Hiezu werde ein neuer Anspruch 11 vorgelegt, der laute:
11. Verfahren zur Herstellung eines Flaschenkastens mit einem Boden und Behälterwänden, nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Flaschenkasten aus einem ersten Kunststoff hergestellt wird, dass mindestens eine Behälterwand des Flaschenkastens aus dem ersten Kunststoff zumindest teilweise in Bezug auf eine Spritzgussform angeordnet wird, dass ein zweiter Kunststoff in den Hohlraum zwischen Spritzgussform und Behälterwand aus erstem Kunststoff eingespritzt wird, wobei der zweite Kunststoff in einem Bereich auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt wird, der durch einen Dichtanschlag begrenzt ist, welcher als Dichtleiste in Gestalt eines leicht von der Behälterwand hervorstehenden Steges ausgebildet ist, wobei der Flaschenkasten nach ausreichender Härtung des zweiten Kunststoffs von der Spritzgussform getrennt wird.
Die Streitteile beantragen, jeweils der Berufung der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung der Antragstellerin ist nicht berechtigt, jene der Antragsgegnerinnen ist hingegen berechtigt.
Zur Berufung der Antragstellerin:
1. Keine der Parteien bekämpft die Ansicht der Nichtigkeitsabteilung, dass der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters, in der Form, in der er aufrecht gehalten wurde, aufgrund der Merkmale d) und e) neu ist. Die Nichtigkeitsabteilung würdigte den Stand der Technik ausführlich und kommt zu Recht zum Schluss, dass aufgrund der Anforderungen hinsichtlich Stabilität, Form und Haltbarkeit, die an einen Flaschenkasten sowohl konstruktiv als auch herstellungstechnisch zu stellen sind, jene Dokumente des entgegengehaltenen Stands der Technik, die keine Flaschenkisten betreffen (./E, ./F, ./K, ./L), nicht relevant sein können.
Der von der Antragstellerin angestrebten Betrachtungsweise, die Dichtleiste und die Lamellenstruktur als voneinander unabhängige („aggregierte“) Merkmale zu betrachten, die keinen Synergieeffekt hätten, kann nicht gefolgt werden. Zwar mag die Formulierung (…einerseits…andererseits…) scheinbar Gegensätzliches ausdrücken, allerdings ist dem Fachmann klar, dass die Lamellenstruktur, welche im Griffbereich, der durch die „Dichtleiste“ abgegrenzt wird, so wie die „Dichtleiste“ selbst, der Aufbringung des zweiten Kunststoffes im entsprechenden Bereich dient (zB zur Vergrößerung der Oberfläche oder zur Materialersparnis), daher beide Merkmale eigentlich einem Zweck, nämlich dem Auftragen und Verbinden des zweiten Kunststoffes, dienen und entgegen der Auffassung der Antragstellerin ein Synergieeffekt anzunehmen ist.
2. Die für die Antragstellerin entscheidende Frage ist aber - vor allem auch wegen der von ihr gewählten Aufgabenstellung, das sogenannte „Flashing“ zu vermeiden -, ob die exakt lokalisierte Anbringung einer Dichtleiste an der Stelle, an der sie das Streitgebrauchsmuster vorsieht, implizit aus dem Stand der Technik erschlossen werden könnte.
Die Tatsache, dass ein aus einem Vorhalt bekanntes Element im erfindungsgemäßen Sinn eingesetzt werden könnte , bedeutet nicht, dass ein solches Element von der Offenbarung des Vorhalts umfasst ist oder nahegelegt wird (vergleiche PBl 1994, 133). Ebenso wenig ist ein rein struktureller Vergleich (wie der von der Antragstellerin aufgrund von ./D angestellte), ohne Beachtung der Funktion der Komponenten zulässig, weil auch die Absicht, mit der die in der Entgegenhaltung vorgesehenen strukturellen Komponenten vorgesehen werden, für die Bestimmung des Offenbarungsgehalts und des Naheliegens entscheidend ist (vergleiche PBl 1990, 151; PBl 2000, 168).
Die Parteien stimmen mit der Nichtigkeitsabteilung darin überein, dass keiner der genannten Vorhalte eine entsprechende „Dichtleiste“ (Merkmale d und e) im Zusammenhang mit einem Kunststoffformteil zur Aufbewahrung von Flaschen zeigt, was ja auch die (unbestrittene) Neuheit der Ansprüche 1 bis 10 des Streitgebrauchsmusters bedingt. Es ist daher keine (als Steg ausgeführte) „Dichtleiste“ aus einem der Vorhalte bekannt.
Die Antragstellerin argumentiert zwar, „Flashing“ sei ein bekanntes Problem in der Spritzgusstechnik, dies bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass ein Fachmann auf die im Streitgebrauchsmuster vorgeschlagene technische Lösung kommt, insbesondere, wenn es sich, wie beim Flaschenkasten des Streitgebrauchsmusters, um ein konstruktives Merkmal der Vorrichtung und nicht nur um eine naheliegende handwerkliche Maßnahme handelt und außerdem der Stand der Technik, obwohl er an vergleichbarer Stelle ebenfalls ein Griffteil aus einem zweiten Kunststoff vorsieht, bei der Herstellung eines entsprechenden Formteils auch ohne eine erfindungsgemäße „Dichtleiste“ auskommt (zB ./B, ./C, ./G). Wenn die Antragstellerin ausführt, der Fachmann erhalte durch Anlage ./A in Form der Absetzung/Aussparung des Griffbereiches eine Art Begrenzung („Begrenzungsschulter“), die der erfindungsgemäßen „Dichtleiste“ entspreche, so handelt es sich dabei zwar von der Wirkung her um eine Art „Dichtleiste“ - da diese nicht als Steg ausgebildet ist -, was allerdings, mit Hinblick auf den übrigen Stand der Technik, der ohne „Dichtleiste“ auskommt, nicht bedeutet, dass „Dichtleisten“ im technischen Zusammenhang implizite Vorrichtungsmerkmale sind, sondern lediglich, dass die Lehren des Stands der Technik dem Fachmann widersprüchliche Hinweise zur Gestaltung des Griffbereichs am Flaschenkasten für das Aufspritzen eines zweiten Kunststoffs geben.
Dieser Widerspruch der Lehren des Stands der Technik, dh Aufspritzen eines Kunststoffteils auf ein Kunststoffformteil mit und ohne „Dichtleiste“, spricht gegen eine zwangsläufige Interpretation des Stands der Technik dahin, dass der Fachmann eine „Dichtleiste“ im erfindungsgemäßen Sinn für die Erfindungsausführung zwingend und notwendig vorzusehen hat. Durch die Widersprüchlichkeit der Lehren dieser Dokumente wird der Fachmann verunsichert, wenn nicht sogar von der erfindungsgemäßen technischen Lösung weggeführt, jedenfalls aber nicht direkt und automatisch, dh „ohne Nachdenken“, auf die erfindungsgemäße technische Lösung der Anbringung einer „Dichtleiste“ (in Form eines Stegs) gestoßen. Die Merkmale d) und e) („Dichtleiste“ als Steg) des Streitgebrauchsmusters sind also nach dem Stand der Technik und im Zusammenhang mit einem Flaschenkasten keine Notwendigkeit oder Selbstverständlichkeit im Sinn einer impliziten Offenbarung.
3. Derartige, durch die widersprüchlichen Lehren des Stands der Technik aufgeworfene Zweifel, sind prinzipieller Natur. Sie müssen ganz offensichtlich für alle Fachleute gelten, unabhängig von den in den Schriftsätzen gebotenen Definitionsmöglichkeiten für deren technische Vorbildung, also unabhängig davon, ob der Fachmann ein Spritzgusstechniker ist, der sich mit der Form und Struktur von Flaschenkisten beschäftigt, ein Konstruktionsingenieur, der mit den zur Herstellung von Flaschenkisten notwendigen Spritzgusstechniken befasst ist, oder ob es sich um einen oder mehrere Fachleute (Team) handelt, die einander in ihrer technischen Expertise ergänzen.
4. Der Schluss der Antragstellerin, eine erfindungsgemäße „Dichtleiste“ (Merkmale d und e) wäre implizit offenbart, also eine zwingende Maßnahme, welche der Fachmann bei der Erfindungsausführung automatisch in Betracht zieht, ist nach obigen Erwägungen, auch im Sinne der Argumentation der Antragsgegnerinnen in ihrer Berufungsbeantwortung, eher die Folge einer ex-post facto Betrachtung als einer impliziten konstruktiven Maßnahme. Diese Ansicht wird dadurch gestützt, dass die Antragstellerin die Problemstellung nicht in einer Flaschenkiste mit bestimmten Eigenschaften, den damit verbundenen konstruktiven und strukturellen Merkmalen sowie deren Herstellung sieht, sondern diese als zu allgemein ablehnt und die Aufgabenstellung des Streitgebrauchsmusters im Fachbereich der Spritzgusstechnik sucht, also offensichtlich auf das erfindungsgemäße unterscheidende Merkmal konzentriert („Dichtleiste“), in der Vermeidung des sogenannten „Flashings“ sieht - und daher auch keinen Synergieeffekt betreffend Auftrag und Halt des zweiten Kunststoffs auf dem ersten Kunststoff durch die Merkmale d) bis g) gelten lässt. Deshalb und aufgrund des hinsichtlich der Merkmale d und e widersprüchlichen Stands der Technik, ist nicht davon auszugehen, dass der Fachmann die notwendige Veranlassung gehabt hätte, die erfindungsgemäße technische Lösung anzuwenden (Op 1/05, PBl 2006, 34; Op 4/07, PBl 2008, 83).
5. Dass der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters in Form der Ansprü-che 1 bis 10 zu Recht aufrecht gehalten wurde, ergibt sich daher bereits aus den Erwägungen zu den Merkmalen d) und e), welche für sich sowohl (von den Parteien unbestritten) Neuheit als auch erfinderische Tätigkeit bedingen. Entsprechend wird zu den übrigen Merkmalen - auch zu dem von der Antragstellerin extra diskutierten Merkmal f) aus Vorhalt ./C -, auf die Ausführungen der Nichtigkeitsabteilung verwiesen.
Der Berufung der Antragstellerin musste daher ein Erfolg versagt werden.
Zur Berufung der Antragsgegnerinnen:
Die Gebrauchsmusterinhaberinnen bringen vor, ihr Berufungsbegehren sei keine Neuerung, durch die Aufnahme von Anspruch 13, der auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, weise Anspruch 11 nunmehr ebenfalls erfinderische Tätigkeit auf.
1. Die Nichtigkeitsabteilung erklärt die Ansprüche 11 und 12 für nichtig, hält Anspruch 13 jedoch aufgrund mangelnder Offenbarung des Merkmals, dass „…die Dichtleiste …eine Dichtlippe der Spritzgussform aufnimmt“, für nicht gewährbar, weil es in der Gebrauchsmusterschrift außer im Anspruch nicht erwähnt, damit nicht von der Beschreibung gestützt werde und weder ein Hinweis noch eine Anregung enthalten sei, wie die Aufnahme einer Dichtlippe der Spritzgussform durch die hervorstehende Dichtleiste konstruktiv umgesetzt werden solle, weshalb ein Fachmann dieses Merkmal ohne weitere Überlegungen nicht ausführen könne.
Diese Interpretation ist nach der Anspruchsformulierung unbegründet. Das Merkmal Dichtanschlag in der Ausführung als „Dichtlippe“ betrifft ebenso wie eine „Dichtleiste“ etwas Erhabenes, wie eine Aus- oder Vorstülpung (zB auch einen Steg). Das zusätzliche Merkmal „…die eine Dichtlippe der Spritzgussform aufnimmt“, kann sich daher eigentlich nur auf das Merkmal „Nut“, dh eine Vertiefung, und nicht auf etwas Erhabenes wie eine „Dichtleiste“ beziehen (Anspruch 13: „…oder eine Nut verwendet wird, die eine Dichtlippe der Spritzgussform aufnimmt“). Zudem sind die Merkmale „Dichtlippe“, „Dichtleiste“ oder „Nut“ Merkmale des ersten Formteils, also des Flaschenkastens, während die zur Aufnahme in der Nut vorgesehene „Dichtlippe“ sich auf der Spritzgussform befindet („…Dichtlippe der Spritzgussform…“). Eine solche ist, worauf die Nichtigkeitsabteilung zu Recht verweist, außerhalb der Erwähnung im Anspruch im Streitgebrauchsmuster nicht beschrieben. An der Offenbarung einer (als Steg) am Flaschenkasten ausgebildeten „Dichtlippe“ oder „Dichtleiste“ besteht allerdings kein Zweifel (zB Streitgebrauchsmuster Seite 5, Zeilen 34-36).
2. Da es sich bei den Merkmalen des Anspruchs 13 wie ihn die Nichtigkeitsabteilung diskutiert (ursprünglicher Anspruch 16) um fakultative Merkmale handelt („als Dichtanschlag eine hervorstehende Dichtlippe, Dichtleiste oder eine Nut verwendet wird“) ist auch davon auszugehen, dass alle möglichen Kombinationen dieser Merkmale mit den Merkmalen der übergeordneten Ansprüche geprüft worden sind.
Die übrigen Änderungen des neuen Anspruchs 11 entsprechen einer Anpassung an die veränderte Gestaltung von Anspruch 1 nach dem Teilverzicht. Dazu wird auf die ausführliche Diskussion der Zulässigkeit des Teilverzichts durch die Nichtigkeitsabteilung verwiesen, wonach bei der Einschränkung von Anspruch 1 durch den Teilverzicht im Vergleich zum ursprünglichen Anspruch 1 lediglich Merkmal e) hinzugefügt wurde, was, von den Parteien unbestritten, als zulässig zur Behebung einer nicht bedeutungslosen Unklarheit oder als zwingend notwendige Klarstellung erachtet wurde.
3. Das Merkmal „Dichtleiste“ ist zwar, wie die Antragstellerin zu Recht anmerkt, ein Gegenstandsmerkmal (Vorrichtungsmerkmal), allerdings ist die Aufnahme von konstruktiven Merkmalen in ein Verfahren möglich, insbesondere wenn diese einen wichtigen verfahrenstechnischen Aspekt betreffen ( Weiser , Patentgesetz, 279; vergleiche PBl 2000, 158 mwN).
4. Dem Argument der Antragstellerin, der neue Verfahrensanspruch 11 sei nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen und der Abänderungsantrag daher jedenfalls abzuweisen, kann nicht gefolgt werden. Die Aufnahme des Merkmals „Dichtleiste“ in den ursprünglichen Anspruch 11 (nach Teilverzicht) ist eine Zusammenziehung von Anspruch 11 mit einem fakultativen und daher in Kombination mit Anspruch 11 geprüften Merkmal des ursprünglichen Anspruchs 13 („Dichtleiste“) und bedeutet eine Einschränkung des Schutzbegehrens. Die Anpassung an den Wortlaut des übergeordneten Anspruchs 1 in der Fassung nach dem Teilverzicht bzw die Aufnahme des Merkmals e) dient der Klarstellung und ist deshalb zulässig.
5. Gemäß § 140 Abs 3 PatG hat der Oberste Patent- und Markensenat eine Rechtssache nur dann an die Nichtigkeitsabteilung zurückzuverweisen, wenn er eine Verletzung von Verfahrensvorschriften feststellt, die die Schöpfung eines gesetzmäßigen Erkenntnisses verhindert hat, oder wenn er eine Ergänzung des Beweisverfahrens für erforderlich hält. Keiner dieser Fälle trifft hier zu.
Der Berufung gegen die Nichtigerklärung der Ansprüche 11 bis 13 war daher Folge zu geben und der neue (eingeschränkte) Anspruch 11 in seiner nunmehr begehrten Form aufrecht zu halten.
Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf § 36 Abs 1 GMG iVm § 122 Abs 1 PatG und § 43 Abs 1 ZPO, für die Verfahrenskosten zweiter Instanz iVm §§ 41, 50 ZPO. Im Hinblick auf die beträchtliche Einschränkung des Schutzumfangs der Vorrichtungsansprüche, aber auch der Verfahrensansprüche ist von einem etwa gleichteiligen Obsiegen beider Parteien im erstinstanzlichen Verfahren auszugehen, weshalb die Vertretungskosten gegeneinander aufzuheben und der Antragstellerin lediglich die Hälfte der von ihr allein getragenen Barauslagen zuzusprechen waren. Die Antragstellerin scheiterte mit ihrer Berufung, die Antragsgegnerinnen sind infolge Einschränkung ihres Begehrens (neu formulierter Anspruch 11) mit ihrer Berufung (im eingeschränkten Umfang) durchgedrungen, weshalb die Antragstellerin ihr die Kosten der Berufungsbeantwortung (zuzüglich 150 % Einheitssatz zur Abgeltung der Teilnahme an der mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 23 Abs 9 RATG) sowie die Berufungskosten zu ersetzen hat.