Op5/11 – OPMS Entscheidung
Kopf
Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Patent- und Markensenates Senatspräsidentin des OGH Dr. Brigitte SCHENK und die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Friedrich JENSIK und Mag. Wilfried KYSELKA als rechtskundige Mitglieder und die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dipl.-Ing. Christian KÖGL und Dipl.-Ing. Johannes MESA-PASCASIO als fachtechnische Mitglieder in der Patentrechtssache der Antragstellerinnen 1) A ***** G M B H , ***** und 2) A***** C O A G , *****, Schweiz, vertreten durch Herrn Patentanwalt Dipl.-Ing. Michael BABELUK, Mariahilfer Gürtel 39/17, 1150 Wien, wider die Antragsgegnerin T ***** G E S E L L S C H A F T M . B . H . , *****, vertreten durch die Herren Patentanwälte Dr. Paul N. TORGGLER, Dr. Stephan HOFINGER, Dr. Markus GANGL, Wilhelm-Greil-Straße 16, 6020 Innsbruck, wegen teilweiser Nichtigerklärung des Patentes Nr 398 055 B, über die Berufung der Antragsgegnerin gegen die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 11. April 2011, Zl N 3/2009-5, entschieden:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, den Antragstellerinnen die mit
2.721,90 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens (hierin enthalten 453,65 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
G r ü n d e :
Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist ein Motorfahrzeug betreffend das österreichische Patent der Antragsgegnerin AT 398 055 B mit dem Prioritäts- und Anmeldetag 28. August 1992. Das bekämpfte Patent betrifft ein Motorfahrzeug, bei welchem einerseits der vordere und hintere Rahmenteil (1,2) gegeneinander um eine horizontale Achse (3) verdrehbar sind, und andererseits die hinteren und vorderen Räder (4, 4’) einzeln gefedert gelagert sind.
Der ursprünglich erteilte Anspruch 5 des Patents in der Fassung gemäß dem Beschluss des Österreichischen Patentamts vom 14. November 1996 (ursprüngliche Fassung) war Gegenstand des Nichtigkeitsantrags und lautet wie folgt:
5. Motorfahrzeug, bei welchem der vordere und hintere Rahmenteil gegeneinander um eine horizontale Achse verdrehbar und die hinteren und/oder vorderen Räder einzeln gefedert gelagert sind, dadurch gekennzeichnet, dass das Rad (4, 4’) über eine hydraulische oder pneumatische Federung (11) am Rahmenteil abgestützt ist, wobei diese Federung durch Druckerhöhung des Fluids blockierbar ist.
Der strittige Anspruch 5 des Patents Nr 398 055 in der Fassung gemäß dem Beschluss des Österreichischen Patentamts vom 9. Juni 2009 (eingeschränkte Fassung) ist nunmehr Verfahrensgegenstand und lautet wie folgt:
5. Motorfahrzeug, bei welchem der vordere und hintere Rahmenteil gegeneinander um eine horizontale Achse verdrehbar und die hinteren und vorderen Räder einzeln gefedert gelagert sind, dadurch gekennzeichnet, dass das
Rad (4, 4’) über eine hydraulische oder pneumatische Federung (11) am Rahmenteil abgestützt ist, wobei diese Federung durch Druckerhöhung des Fluids blockierbar ist.
Die Antragsteller beantragten die Nichtigerklärung des Patents im Umfang des Anspruchs 5, weil es im Hinblick auf den vorveröffentlichten Stand der Technik nicht neu sei und nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhe.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Nichtigkeitsantrags und verteidigte sowohl Neuheit als auch erfinderische Tätigkeit in Ansehung des Anspruchs 5 des angegriffenen Patents.
Die Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamts erklärte das Patent Nr 398 055 im Umfang des Patentanspruchs 5 für nichtig. Im Hinblick auf einen Verletzungsprozess erachtete die Nichtigkeitsabteilung die ursprüngliche Fassung des strittigen Anspruchs 5 (gemäß Beschluss vom 14. November 1996) als maßgebend und legte sie ihrer Prüfung zugrunde. Sowohl die Variante mit der Merkmalkombination „hintere und vordere Räder einzeln gefedert gelagert“ als auch jene mit der Merkmalkombination „hintere oder vordere Räder einzeln gefedert gelagert“ sei für die Beurteilung von Neuheit und Erfindungseigenschaft heranzuziehen. Davon ausgehend gelangte sie zum Ergebnis, dass Anspruch 5 zwar in der Variante mit vorne und hinten vorgesehener Einzellagerung neu sei, nicht aber in der „oder“-Variante. Der „und“-Variante fehle überdies die Erfindungseigenschaft.
Die Antragsgegnerin beantragt in ihrer Berufung, lediglich die Nichtigerklärung des Anspruchs 5 des Patents Nr 398 055 in der Fassung gemäß dem Beschluss des Österreichischen Patentamts vom 9. Juni 2009 (beschränkte Fassung) aufzuheben. In Ansehung des Anspruchs 5 in der Fassung des Beschlusses vom 14. November 1996 (ursprünglichen Fassung) bleibt die Nichtigerklärung unbekämpft.
Die Antragsteller beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Der strittige Anspruch 5 des Patents Nr 398 055 in der im Berufungsverfahren maßgeblichen Fassung entsprechend dem Beschluss des Österreichischen Patentamts vom 9. Juni 2009 (eingeschränkte Fassung) lautet:
5. Motorfahrzeug, bei welchem
- der vordere und hintere Rahmenteil gegeneinander um eine horizontale Achse verdrehbar (Merkmal a ) und
- die hinteren und vorderen Räder einzeln gefedert gelagert sind (Merkmal b ),
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , d a s s
- das Rad (4, 4’) über eine hydraulische oder pneumatische Federung (11) am Rahmenteil abgestützt ist (Merkmal c ),
- wobei diese Federung durch Druckerhöhung des Fluids blockierbar ist (Merkmal d ).
Die Antragstellerin stützt sich auf die folgenden Dokumente:
Beilage ./A: US 4 099 733 A
Beilage ./B: FR 2 652 313 A
Beilage ./C: US 4 580 797 A
Beilage ./D: US 4 279 319 A
Zur Neuheit:
Die Beilage ./A (US 4 099 733 A) beschreibt ein Motorfahrzeug, das zwei um eine horizontale Achse gegeneinander verschwenkbare Rahmenteile aufweist. Die Vorderräder des Fahrzeugs sind jeweils als Einzelradaufhängung ausgeführt und mit dem vorderen Rahmenteil über eine Schwinge verbunden. Die Einzelradaufhängung ist hydraulisch ausgeführt (siehe Fig 1 bzw Spalte 3, Zeilen 31 bis 68). Die Schaltung des hydraulischen Federsystems kann das Ventil so schalten, dass die beiden Zylinder-Kolben-Einheiten der Vorderräder direkt gekoppelt sind (entspricht einer durchgehenden Pendelachse). Mit einer weiteren Stellung des hydraulischen Federsystems kann die Verbindung der Zylinder-Kolben-Einheiten untereinander sowie mit den zugehörigen Ausgleichsbehältern durch ein Absperrventil unterbunden werden. Damit erfolgt eine Fixierung der Kolben in den Zylindern, was eine Federung unterbindet. Daher sind der Beilage ./A die Merkmale a), c) und d) des strittigen Patentanspruchs 5 zu entnehmen. Demgegenüber wird eine derartige Einzelradaufhängung mit hydraulischer Federung für die Hinterräder nicht gezeigt. Daher weist Beilage ./A das kennzeichnende Merkmal b) eine Einzelradaufhängung nur für die Vorderräder, nicht jedoch für die Hinterräder des strittigen Patentanspruchs 5 auf. Der strittige Anspruch 5 war daher gegenüber der Beilage ./A als formal neu anzuerkennen.


Beilage ./A : Figuren 1 und 2
Das Motorfahrzeug in Beilage ./B (FR 2 652 313 A) beschreibt einen vorderen und hinteren Rahmenteil, die um eine horizontale Achse gegeneinander verschwenkbar sind. Die Vorder- und Hinterräder sind jeweils einzeln gefedert am jeweils vorderen und hinteren Rahmenteil fixiert (siehe Figuren 16 und 17 und die entsprechenden Figurenbeschreibungen). Die Federung erfolgt über Tragfedern oder pneumatisch, wobei die Stoßdämpfung mit einer Zylinder-Kolben-Einheit (siehe Patentansprüche 4 bis 6 bzw Seite 4, Zeilen 24 bis 34) gewährleistet wird. Die Federung der Einzelradaufhängung erfolgt vorne und hinten, wobei die Blockierung der Federung nicht durch eine Druckerhöhung des Fluids gezeigt wird. Dabei zeigt die Beilage ./B alle Merkmale des Oberbegriffs (Merkmale a und b ) und das kennzeichnende Merkmal c ) vom strittigen Patentanspruch 5. Hingegen wird im Vorhalt ./B das kennzeichnende Merkmale d) des Anspruchs 5 in der eingeschränkten Fassung des Streitpatents nicht gezeigt. Der strittige Anspruch 5 war daher gegenüber der Beilage ./B ebenfalls als formal neu anzuerkennen.
Die Beilagen ./C (US 4 580 797 A) und ./D (US 4 279 319 A) repräsentieren einen weiter abliegenden Stand der Technik, die ebenfalls nicht alle Merkmale des Patentanspruchs 5 aufweisen.

Beilage ./B : Figur 3
Zusammenfassend: Keine der Beilagen ./A bis ./D zeigt, jeweils allein für sich betrachtet, alle Merkmale a) bis d) des strittigen Patentanspruchs 5 in der eingeschränkten Fassung. Daher ist der bekämpfte Patentanspruch 5 neu gegenüber den vorgelegten Beilagen ./A, ./B, ./C oder ./D .
Zur erfinderischen Tätigkeit:
Die Berufungswerberin führt aus, der eigentliche Fehler im angefochtenen Beschluss bestehe darin, nicht vom konkreten Inhalt der Beilage ./B auszugehen, sondern von einem aus Anspruchsmerkmalen zusammengesetzten Abstraktum, aus dem sich eine „objektive“ Aufgabenstellung zwanglos ergeben soll, welche in Wirklichkeit aus der Kenntnis der Erfindung in die Betrachtung von Beilage ./B eingeschleppt worden sei.
Dazu wurde erwogen:
„Aufgabe-Lösungs-Ansatz“ : Im Interesse einer objektiven, nachvollziehbaren Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit und um eine ex-post Betrachtungsweise auszuschließen, ist die hier strittige erfinderische Tätigkeit nach dem Konzept des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes zu beurteilen (Op 1/02-4 (N 19/99) = PBl 2003/3, 29 ff).
Das Konzept des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes gliedert sich in drei Phasen:
1.) Ermittlung des „nächstliegenden Standes der Technik“,
2.) Bestimmung der zu lösenden „objektiven technischen Aufgabe“ und
3.) Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven Aufgabenstellung für den Durchschnittsfachmann nahe liegend gewesen wäre. Dabei wird besonders auf die Frage eingegangen, ob Fachleute nicht nur die Anregung sondern auch tatsächlich die Veranlassung (Could Would Ansatz) dazu hatten aus den beiden nächstliegenden Dokumenten zum Streitgegenstand zu gelangen.
Zu 1.): Die Parteien streiten, welcher der beiden Beilagen ./A
(US 4 099 733 A) oder ./B (FR 2 652 313 A) den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.
Die Beilage ./B zeigt alle Merkmale des Oberbegriffs (Merkmale a) und b) ) und das kennzeichnende Merkmal c) vom strittigen Patentanspruch 5. Hingegen wird im Vorhalt ./B das kennzeichnende Merkmal d) des Anspruchs 5 in der eingeschränkten Fassung des Streitpatents nicht gezeigt.
Demgegenüber offenbart die Beilage ./A alle technischen Merkmale mit der einzigen Ausnahme, dass nur die vorderen Räder einzeln gefedert gelagert sind. Damit sind in Beilage ./A die Merkmale a), c) und d) enthalten, jedoch kann das Merkmal b) des Oberbegriffs nicht vollständig entnommen werden.
Bei gleicher Anzahl der getroffenen Merkmale, wird jener Vorhalt als nächstliegender Stand der Technik angesehen, der eine höhere Anzahl der Merkmale des Oberbegriffs [Merkmale a) und b) ] des bekämpften Patentanspruchs 5 aufweist.
Da die Beilage ./B alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 5 in der eingeschränkten Fassung aufweist, hingegen die Beilage ./A den Oberbegriff des Anspruchs 5 in der eingeschränkten Fassung nicht vollständig beschreibt, war die Beilage ./B als nächstliegender Stand der Technik anzuerkennen.
Die Argumente der Berufungswerberin, dass Beilage ./B in dieser einfachen und billigen Form kaum funktionieren werde oder dass die rudimentären Hinweise als Ausgangspunkt einer Konstruktion nicht geeignet seien, sind nicht nachvollziehbar. In der Beschreibung des Streitpatents sind manche der technischen Lösungen zwar einfach ausgeführt, die einzelnen Konstruktionsvarianten weisen jedoch für Fachleute eine ausreichend detaillierte Beschreibung auf. Die Funktionsfähigkeit der Beilage ./B erscheint glaubhaft. Darüber hinaus eignen sich die oben genannten Argumente nicht, die Neuheit und/oder die erfinderische Tätigkeit des strittigen Anspruchs 5 in der eingeschränkten Fassung in Frage zu stellen.
Zu 2.): Zur objektiven Bestimmung der zu lösenden technischen Aufgabe sind zunächst der Gegenstand des Anspruchs 5 des Streitpatents, die Offenbarung von Dokument ./B und die zwischen der strittigen Erfindung (= Anspruch 5 in eingeschränkter Fassung des Streitpatents) und dem nächstliegenden Stand der Technik (= Beilage ./B ) bestehenden Unterschiede in Bezug auf die (strukturellen oder funktionellen) Merkmale (= Unterscheidungs-merkmale der Erfindung) zu untersuchen.
Die einzigen Unterschiede zwischen dem Motorfahrzeug in Vorhalt ./B und dem Motorfahrzeug, das auf den Streitanspruch 5 in eingeschränkter Fassung abgestellt ist, ist, dass eine Stabilisierung des Motorfahrzeugs bei bestimmten Betriebsbedingungen durch eine Blockierung der Federung vorgesehen wird.
Es ist zu prüfen, welche technische Wirkung mit der Abänderung des nächstliegenden Standes der Technik [dem Unterscheidungsmerkmal d) ] durch das Streitpatent erzielt wird (= „Definition der objektiven Aufgabe .“).
Entscheidend bei der Formulierung der objektiven Aufgabe ist, dass jede Wirkung der Erfindung als Grundlage für die Neuformulierung der technischen Aufgabe verwendet werden kann, sofern die entsprechende Wirkung aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (siehe dazu veröffentlichte Patentschrift AT 398 055 B) einfach ableitbar ist. Dies stimmt mit der Amtspraxis des Österreichischen Patentamts überein (siehe dazu auch Weiser, Österreichisches Patentgesetz/Gebrauchsmustergesetz 2005, 55: „Wesentlich ist somit nicht die gesamte, vom Patentanmelder in der Streitpatentschrift angegebene Aufgabe, sondern nur die gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik (dem objektiven Oberbegriff) verbleibende Aufgabe; diese darf aber nicht rein fiktiv sein, da sich sonst eine unzulässige ex-post Verschiebung des Erfindungsgedankens ergeben würde.“).
Tatsächlich darf die zu berücksichtigende Aufgabe nur eine Einschränkung gegenüber der sich aus der gesamten Offenbarung der Streitpatentschrift AT 398 055 B ergebenden (dh nicht nur der vom Anmelder explizit als „Aufgabe“ so bezeichneten) Aufgabenstellung der Erfindung sein.
Der Beschreibung des Streitpatents zufolge, lag diesem die Aufgabe zugrunde, für gewisse Betriebssituationen sei es günstig, wenn das Rad bzw die Schwinge über eine hydraulische oder pneumatische Federung am Rahmenteil abgestützt ist, wobei diese Federung blockierbar ist (siehe dazu Beschreibung des Streitpatents, Seite 2, Zeilen 30 bis 32). Dabei geht aus der Streitpatentschrift nicht eindeutig hervor, ob es sich dabei um eine „Betriebssituation bei fahrendem Fahrzeug“ oder um eine „Betriebssituation bei stillstehendem Fahrzeug“ handelt. Daher sind auch die beiden oben genannten Fälle der Auslegung zulässig.
Zu 3.): Die Beilage ./A zeigt ein Motorfahrzeug, dessen vorderer und hinterer Rahmenteil um eine horizontale Achse gegeneinander verschwenkbar gelagert sind, wobei die vorderen Räder jeweils einzeln am vorderen Rahmenteil federnd gelagert sind. Diese hydraulische Federung wird durch Druckerhöhung des Fluids – in diesem Fall mit einem Absperrventil – blockiert, wobei in bestimmten Betriebssituationen (zB Beladen des Fahrzeuges, Einsatz eines am Motorfahrzeug montierten Krans, etc) eine zusätzliche Stabilisierung des Fahrzeugs erreicht werden muss (siehe besonders Spalte 4, Zeilen 36 bis 50). Dem Durchschnittfachmann sind die Vorteile der Verwendung einer blockierbaren Federung für eine verbesserte Stabilität des Motorfahrzeuges bei gewissen Betriebssituationen bereits vor dem Anmeldetag bekannt gewesen, was beispielsweise die vorveröffentlichte Beilage ./A belegt.
Fachleute entnehmen der Beilage ./A mehrere Hinweise auf vorteilhaft ausgestaltete Federungen. Dabei wird eine blockierbare, hydraulische Federung der Vorderräder angeführt, wodurch eine Ventilsteuerung der Zylinder-Kol-ben-Einheiten untereinander sowie mit den zugehörigen Ausgleichsgefäßen unterbunden werden. Dabei wird die Stellung der Kolben im Zylinder fixiert und damit die Federung blockiert.
Es ist daher für Fachleute nahe liegend, die in der gattungsgleichen Beilage ./A gezeigte Maßnahme als Lösung der objektiven Aufgabenstellung eins zu eins auf die Beilage ./B zu übertragen, wobei keinerlei erfinderische Tätigkeit erforderlich ist, zumal Fachleute aus Beilage ./A sowohl die Zielsetzung – für gewisse Betriebssituationen die stabile Abstützung des Fahrzeuges der Aufstandsfläche durch die Räder zu erreichen – als auch die technischen Lösung – eine durch Druckerhöhung des Fluids blockierbare Einzelradfederung – entnehmen können. Die Beilagen ./A und ./B gehören einerseits zum selben Fachgebiet und weisen andererseits einen sehr hohen Grad an Übereinstimmung auf, sodass eine Zusammenschau der Dokumente ./B und ./A für Fachleute naheliegend ist. Dem Fachmann ist es daher nicht nur prinzipiell möglich, zum Gegenstand des Anspruchs 5 in der eingeschränkten Fassung zu gelangen, sondern er hat auch tatsächlich die Veranlassung (Could Would Ansatz) dazu, den nächstliegenden Stand der Technik (Beilage ./B ) und die technische Lösung mit einer Blockierung der Vorderräder durch eine Druckerhöhung des Fluids der Einzelradfederung aus der Beilage ./A zu ergänzen. Fachleute kommen daher ohne Anwendung irgendeiner erfinderischen Tätigkeit zum Gegenstand des bekämpften Anspruchs 5.
Auch die Anwendung des Aufgabe-Lösungsansatzes ergibt keine Anhaltspunkte, dass die Nichtigkeitsabteilung den Could-Would Ansatz unzureichend und/oder fehlerhaft angewendet hätte.
Vielmehr zeigt sich auch bei der Anwendung des Aufgabe-Lösungsansatzes, dass keinerlei erfinderische Tätigkeit des strittigen Patentanspruchs 5 des Patents Nr 398 055 in der Fassung gemäß dem Beschluss des Österreichischen Patentamts vom 9. Juni 2009 (beschränkte Fassung) vorliegt.
Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass Beilage ./A den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, liegt keine ausreichende erfinderische Tätigkeit des Streitpatentanspruchs 5 in der beschränkten Fassung vor.
In Beilage ./A wird eine blockierbare, hydraulische Federung der Vorderräder gezeigt, die die Ventilsteuerung der beiden Zylinder-Kolben-Einheiten untereinander fixiert. Außerdem unterbindet die Ventilsteuerung den Flüssigkeitsaustausch zwischen den Zylinder-Kolben-Einheiten mit den jeweiligen Ausgleichsgefäßen. In beiden eben genannten Fällen blockiert die Ventilsteuerung die hydraulische Federung. Die Beilage ./A zeigt ein Motorfahrzeug mit sämtlichen Merkmalen des strittigen Patentanspruchs 5 mit der einzigen Ausnahme, dass ausschließlich die vorderen Räder gefedert sind, die hinteren Räder jedoch keine Federung aufweisen. Die objektive Aufgabe wäre in diesem Zusammenhang, eine bessere Federung des Motorfahrzeugs zu gewährleisten. Für Fachleute ist es naheliegend, das Konzept der Vorderräder auch auf die Hinterräder anzuwenden, um die Federung des Motorfahrzeugs insgesamt zu verbessern.
Auch die alternative Betrachtungsweise kommt zum selben Resultat, dass keinerlei erfinderische Tätigkeit des strittigen Patentanspruchs 5 des Patents Nr 398 055 in der Fassung gemäß dem Beschluss des Österreichischen Patentamts vom 9. Juni 2009 (beschränkte Fassung) vorliegt.
Insbesondere die Beilage ./B in Zusammenschau mit Beilage ./A bei den im Berufungsverfahren strittigen Anspruch 5 des Patents Nr 398 055 in der Fassung gemäß dem Beschluss des Österreichischen Patentamts vom 9. Juni 2009 (beschränkte Fassung) genügen, um das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des strittigen Patentanspruchs 5 zu verneinen.
Die in den Beilagen ./C und ./D beschriebenen Motorfahrzeuge stellen einen weiter abliegenden Stand der Technik dar. Auf diesen ist daher nicht mehr näher einzugehen.
Die Berufung der Antragsgegnerin muss daher scheitern.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 122 Abs 1 und 140 PatG iVm § 41 Abs 1 und § 50 ZPO; die mit der Berufungsverhandlung verbundenen Leistungen sind mit dem dreifachen Einheitssatz – dieser beträgt gemäß § 23 Abs 3 RATG bei dem hier zugrunde zu legenden Streitwert von 36.000 EUR einfach 50 % - abgegolten (§ 23 Abs 9 RATG).