OBp1/11 – OPMS Entscheidung
Kopf
Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Präsidentin des Obersten Patent- und Markensenats Dr. Irmgard GRISS, die Räte des Obersten Patent- und Markensenats Dr. Gerald PILZ und Dr. Gottfried MUSGER als rechtskundige Mitglieder und die Räte des Obersten Patent- und Markensenats Dr. Stefan HARASEK und Dipl.-Ing. Ferdinand KOSKARTI als fachtechnische Mitglieder in der Patentrechtssache der Antragstellerin T ***** G m b H C o K G , *****, vertreten durch die Herren Patentanwälte Dr. Ralf Hofmann und Dr. Thomas Fechner, Egelseestraße 65a, 6800 Feldkirch, wider die Antragsgegnerin L ***** G m b H , *****, vertreten durch Patentanwaltskanzlei Matschnig Forsthuber OG, Siebensterngasse 54, 1070 Wien, wegen Erteilung des österreichischen Patents Nr 500 128 „Freikonfigurierbares Bediengerät zur Steuerung von elektrischen Installationen in Gebäuden“, über die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtsmittelabteilung des Österreichischen Patentamts vom 15. März 2011, Zl B 10/2008-4, mit welchem der Beschluss der Technischen Abteilung des Österreichischen Patentamts vom 20. Mai 2008, GZ 3A A 570/2002-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Die Bezeichnung der Antragstellerin wird in „Tridonic GmbH Co KG“ richtiggestellt.
II. Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird zu den Ansprüchen 2 bis 6 des Patents Nr 500 128 zur Gänze bestätigt. Zu Anspruch 1 wird sie teils bestätigt und teils durch teilweisen Widerruf dahin abgeändert, dass dieser Anspruch insgesamt wie folgt lautet:
„1. Bedienvorrichtung (1) zur Steuerung von Geräten der Hausinstallationstechnik, vorzugsweise von Beleuchtungseinrichtungen in Gebäuden, wobei die manuelle Steuerung der Beleuchtungskörper unter Verwendung einer berührempfindlichen Sensorfläche (2) hoher Auflösung erfolgt, sodass die Anzahl, Form und Zuordnung der verschiedenen Bereiche der Sensorfläche zum Schalten bzw Steuern der einzelnen Beleuchtungskörper bzw zu bestimmten Funktionen bei der Inbetriebsetzung frei konfigurierbar und/oder während des Betriebes frei modifizierbar ist, wobei gegebenenfalls die Steuerung von quasi-kontinuierlichen Funktionen der Beleuchtungseinrichtungen, etwa die kontinuierliche Regelung der Lichtintensität, über die hochauflösende Sensorfläche (2) durch Nachbildung virtueller Dreh- oder Schiebe-regler erfolgen kann, und wobei die Übertragung der Steuerinformationen von der Bedienvorrichtung (1) an die gesteuerten Geräte mittels eines Feldbussystems, oder alternativ über das Energieversorgungsnetz (Powerline Communication), oder auch drahtlos über Infrarot- bzw Hochfrequenz-Anbindung realisiert ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Kennzeichnung der verschiedenen Funktionen bzw Funktionsbereiche der Sensorfläche (2) durch eine über bzw unter der Sensorfläche (2) angeordnete auswechselbare Beschriftungsschablone (6) erfolgt.“
Text
G r ü n d e :
Zu I.
Die Antragstellerin hat eine Firmenänderung bekannt gegeben. Ihre Bezeichnung war daher in entsprechender Anwendung von § 235 Abs 5 ZPO richtigzustellen.
Zu II.
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des österreichischen Patents Nr 500 128 „Freikonfigurierbares Bediengerät zur Steuerung von elektrischen Installationen in Gebäuden“. Die ursprünglich erteilten Ansprüche lauten:
1. Bedienvorrichtung (1) zur Steuerung von Geräten der Hausinstallationstechnik, vorzugsweise von Beleuchtungseinrichtungen in Gebäuden dadurch gekennzeichnet, dass die manuelle Steuerung der Beleuchtungskörper unter Verwendung einer berührempfindlichen Sensorfläche (2) hoher Auflösung erfolgt, sodass einerseits die Anzahl, Form und Zuordnung der verschiedenen Bereiche der Sensorfläche zum Schalten bzw. Steuern der einzelnen Beleuchtungskörper bzw zu bestimmten Funktionen bei der Inbetriebsetzung frei konfigurierbar und/oder während des Betriebes frei modifizierbar ist und/oder andererseits auch die Steuerung von quasi-kontinuierlichen Funktionen der Beleuchtungseinrichtungen, etwa die kontinuierliche Regelung der Lichtintensität, über die hochauflösende Sensorfläche (2) durch Nachbildung virtueller Dreh- oder Schieberegler erfolgt und die Kennzeichnung der verschiedenen Funktionen bzw. Funktionsbereiche der Sensorfläche (2) durch eine über bzw unter der Sensorfläche (2) angeordnete auswechselbare Beschriftungsschablone (6) erfolgt, wobei die Übertragung der Steuerungsinformationen von der Bedienvorrichtung (1) an die gesteuerten Geräte mittels eines Feldbussystems, oder alternativ über das Energieversorgungsnetz (Powerline Communication) oder auch drahtlos über Infrarot- bzw Hochfrequenz-Anbindung realisiert ist.
2. Vorrichtung nach Anspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dass die Konfiguration der Bedienvorrichtung (1), also die Aufteilung und Zuordnung der Sensorfläche (2), die Festlegung der Schalt- und Steuerfunktion bzw die Einstellung der Adressierungsparameter hardwaremäßig durch Kodierungsschalter bzw Steckbrücken der internen Steuer- und Auswerteelektronik (5) erfolgt.
3. Vorrichtung nach Anspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dass die Konfiguration der Bedienvorrichtung (1), also die Aufteilung und Zuordnung der Sensorfläche (2), die Festlegung der Schalt- und Steuerfunktion bzw die Einstellung der Adressierungsparameter nach Umschaltung in einen Konfigurations-Mode über die Sensorfläche selbst, unter Verwendung einer eigenen Konfigurations-Beschriftungsschablone erfolgt.
4. Vorrichtung nach Anspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dass die Konfiguration der Bedienvorrichtung (1), also die Aufteilung und Zuordnung der Sensorfläche (2), die Festlegung der Schalt- und Steuerfunktion bzw die Einstellung der Adressierungsparameter durch die auswechselbare Beschriftungsschablone (6) selbst über entsprechende mechanische, optische oder elektronische Kodierung erfolgt.
5. Vorrichtung nach Anspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dass die Konfiguration der Bedienvorrichtung (1), also die Aufteilung und Zuordnung der Sensorfläche (2), die Festlegung der Schalt- und Steuerfunktion bzw die Einstellung der Adressierungsparameter über das Feldbussystem oder über eine separate, drahtgebundene bzw drahtlose Schnittstelle erfolgt.
6. Vorrichtung nach Ansprüchen 1-5 dadurch gekennzeichnet, dass die Kennzeichnung der Steuerungsfunktionen der Sensorfläche (2) verwendete Beschriftungsschablone (6) bei Annäherung der Hand des Bedieners bzw bei der ersten Berührung der Sensorfläche (2) selbsttätig beleuchtet wird oder eine Grundbeleuchtung der Sensorfläche intensiviert wird, sodass eine Bedienung bei Dunkelheit ermöglicht wird.
Die Antragstellerin beantragte in ihrem Einspruch den gänzlichen Widerruf des Patents wegen mangelnder Patentierbarkeit im Sinne der §§ 1 bis 3 PatG. Sie stützt sich auf den Stand der Technik, der sich aus neun mit D1 bis D9 bezeichneten Patenten ergebe. Den Ansprüchen des Streitpatents fehle insbesondere gegenüber D1 (EP 0 985 994 A1) und D2 (DE 44 23 839 A1) die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit. Zudem sei Anspruch 1 sprachlich unklar.
Die Antragsgegnerin erstattete ein Gegenvorbringen und beantragte die Abweisung des Einspruchs.
Die Technische Abteilung modifizierte Anspruch 1 wie folgt:
1. Bedienvorrichtung (1) zur Steuerung von Geräten der Hausinstallationstechnik, vorzugsweise von Beleuchtungseinrichtungen in Gebäuden, wobei die manuelle Steuerung der Beleuchtungskörper unter Verwendung einer berührempfindlichen Sensorfläche (2) hoher Auflösung erfolgt, sodass einerseits die Anzahl, Form und Zuordnung der verschiedenen Bereiche der Sensorfläche zum Schalten bzw Steuern der einzelnen Beleuchtungskörper bzw zu bestimmten Funktionen bei der Inbetriebsetzung frei konfigurierbar und/oder während des Betriebes frei modifizierbar ist und/oder andererseits auch die Steuerung von quasi-kontinuierlichen Funktionen der Beleuchtungseinrichtungen, etwa die kontinuierliche Regelung der Lichtintensität, über die hochauflösende Sensorfläche (2) durch Nachbildung virtueller Dreh- oder Schieberegler erfolgt, und wobei die Übertragung der Steuerungsinformationen von der Bedienvorrichtung (1) an die gesteuerten Geräte mittels eines Feldbussystems, oder alternativ über das Energieversorgungsnetz, Powerline Communication, oder auch drahtlos über Infrarot- bzw Hochfrequenz-Anbindung realisiert ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Kennzeichnung der verschiedenen Funktionen bzw Funktionsbereiche der Sensorfläche (2) durch eine über bzw unter der Sensorfläche (2) angeordnete auswechselbare Beschriftungsschablone (6) erfolgt.
Die Ansprüche 2 bis 6 hielt die Technische Abteilung aufrecht. Zur Begründung führte sie aus, Anspruch 1 enthalte gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik, der sich aus D1 ergebe, ein neues technisches Merkmal, nämlich die Kennzeichnung der verschiedenen Funktionsbereiche der Sensorfläche durch eine über oder unter der Sensorfläche angeordnete, auswechselbare Beschriftungsschablone. Diese Merkmalskombination beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Neuformulierung stelle im Oberbegriff den nächstliegenden Stand der Technik klar.
In ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde führte die Antragstellerin aus, dass sich Anspruch 1 des Streitpatents in der mit dem angefochtenen Beschluss festgelegten Fassung wie folgt gliedern lasse:
a. Bedienvorrichtung (1) zur Steuerung von Geräten der Hausinstallationstechnik, vorzugsweise von Beleuchtungseinrichtungen in Gebäuden,
b. wobei die manuelle Steuerung der Beleuchtungskörper unter Verwendung einer berührempfindlichen Sensorfläche (2) hoher Auflösung erfolgt,
c. sodass einerseits die Anzahl, Form und Zuordnung der verschiedenen Bereiche der Sensorfläche zum Schalten bzw Steuern der einzelnen Beleuchtungskörper bzw zu bestimmten Funktionen bei der Inbetriebsetzung frei konfigurierbar und/oder während des Betriebes frei modifizierbar ist und/oder andererseits auch die Steuerung von quasi-kontinuierlichen Funktionen der Beleuchtungseinrichtungen, etwa die kontinuierliche Regelung der Lichtintensität, über die hochauflösende Sensorfläche (2) durch Nachbildung virtueller Dreh- oder Schieberegler erfolgt,
d. und wobei die Übertragung der Steuerungsinformationen von der Bedienvorrichtung (1) an die gesteuerten Geräte mittels eines Feldbussystems, oder alternativ über das Energieversorgungsnetz, Powerline Communication, oder auch drahtlos über Infrarot- bzw Hochfrequenz-Anbindung realisiert ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
e. die Kennzeichnung der verschiedenen Funktionen bzw Funktionsbereiche der Sensorfläche (2) durch eine über bzw unter der Sensorfläche (2) angeordnete auswechselbare Beschriftungsschablone (6) erfolgt.
Eine diese Merkmalskombination aufweisende Bedienvorrichtung, insbesondere für Heizungs- und Klimaanlagen, sei D1 zu entnehmen. Bei den Merkmalen 1.a. bis 1.d. habe das auch die Technische Abteilung anerkannt. Bei Merkmal 1.e. entspreche die Beschriftungsschablone den in D1 mehrfach beschriebenen Steckkarten.
Die Antragsgegnerin hielt dem entgegen, dass auch Merkmal 1.c. neu und erfinderisch sei. Aus dem Stand der Technik sei keine tatsächlich „freie“, also durch den Nutzer beliebig vorzunehmende Konfigurierbarkeit bekannt. Vielmehr offenbare D1 ausschließlich die Möglichkeit zur Konfiguration entsprechend der jeweils eingeschobenen Steckkarte. Merkmal 1.e. sei ebenfalls nicht in D1 enthalten. Die dort beschriebenen Einsteckkarten enthielten jeweils eine bestimmte Konfiguration der Sensorfläche. Das Streitpatent sei demgegenüber durch die freie Konfigurierbarkeit der Sensorfläche und die dieser Konfiguration jeweils anpassbaren Beschriftungsschablonen gekennzeichnet.
Die Rechtsmittelabteilung bestätigte die Entscheidung der Technischen Abteilung.
In Merkmal 1.c. spreche das Streitpatent von einer tatsächlich freien, beliebigen Konfigurierbarkeit und Modifizierbarkeit der Sensorfläche. Demgegenüber offenbare D1 lediglich eine Konfiguration entsprechend den auf den Steckkarten enthaltenen Informationen. Auch die in Merkmal 1.c. fakultativ (gemeint wohl: alternativ) beanspruchte Steuerung von quasi-kontinuier-lichen Funktionen über die Sensorfläche durch Nachbildung virtueller Dreh- oder Schieberegler sei D1 nicht zu entnehmen. D2 beziehe sich lediglich auf die Programmierung eines Touchscreen-Eingabefelds, wobei Bedien- und Anzeigefunktionen aus dem angebotenen Menü eines Programmiergeräts ausgewählt werden müssten. Das entspreche ebenfalls nicht einer freien Konfigurierbarkeit. Auch Merkmal 1.e. sei neu. Die in D1 gezeigte Steckkarte sei eine Programmierkarte. Eine freie Beschriftungsmöglichkeit hätte daher keinen Sinn, weil die Konfiguration der Sensorfläche zwingend den von der jeweiligen Steckkarte übermittelten Informationen entspreche. Es sei auch nicht ersichtlich, wie der aus D1 bekannte Stand der Technik die Lösung gemäß Merkmal 1.e. nahelegen könnte. Anspruch 1 des Streitpatents sei daher gegenüber D1 neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. D2 bis D9 stellten diese Beurteilung nicht in Frage. Wegen der Schutzfähigkeit von Anspruch 1 blieben auch die davon abhängigen Ansprüche 2 bis 6 aufrecht.
In ihrer Beschwerde an den Obersten Patent- und Markensenat strebt die Antragstellerin weiter den gänzlichen Widerruf des Streitpatents an. Die Antragsgegnerin beantragt, der Beschwerde nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist teilweise berechtigt.
1. Der Senat übernimmt für Anspruch 1 die oben dargestellte Merkmalsgliederung. Es ist unstrittig, dass die Merkmale 1.a., 1.b. und 1.d. aus D1 bekannt und daher nicht neu sind. Die Patentierbarkeit könnte sich daher nur aus der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit bei den Merkmalen 1.c. oder 1.e. oder aber aus einem kombinatorischen Effekt beim Zusammenwirken der Merkmale ergeben.
2. Merkmal 1.c. enthält zwei durch „einerseits […] und/oder andererseits“ verknüpfte Teilmerkmale:
c.a. die freie Konfigurierbarkeit bei der Inbetriebsetzung und/oder die freie Modifizierbarkeit während des Betriebes,
c.b. die Steuerung von quasi-kontinuierlichen Funktionen der Beleuchtungseinrichtungen durch Nachbildung virtueller Dreh- und Schieberegler.
Beide Teilmerkmale sind, anders als von der Rechtsmittelabteilung angenommen, nicht neu .
2.1. Beim Teilmerkmal 1.c.a. trifft die Ansicht der Rechtsmittelabteilung zwar in Bezug auf die Neuheit gegenüber D1 zu. Die freie Konfigurierbarkeit und Modifizierbarkeit der Bedienoberfläche geht deutlich über das aus D1 Bekannte, nämlich die Programmierung mittels Steckkarten, hinaus, und D1 ist aufgrund der gänzlich anderen Aufgabenstellung – vereinfachte Eingabe von Prozessparametern in D1 und flexiblere Steuerung im Streitpatent – auch nicht geeignet, darauf hinzudeuten. Anders verhält es sich aber mit D2 . Dieses Patent beschreibt ebenfalls eine Bedienvorrichtung für Geräte der Hausinstallationstechnik. Die Möglichkeit freier Modifizierbarkeit von Bedien- und Anzeigefunktionen geht aus einer von der Antragstellerin zitierten Textstelle tatsächlich hervor: „Die Funktion der Tasten […] sowie auch die Anzeige […] kann im Betrieb geändert werden.“ Weiter heißt es in D2 (Spalte 2, Zeilen 20-27): „Bei einer bevorzugten Ausführung des Eingabegerätes […] enthält dieses einen Prozessor und einen Programmspeicher, sodass mit Hilfe des Programmiergeräts […] ein Programm zur Bedienerführung geladen werden kann. Ein Bediener kann dann Funktionen aus einem angebotenen Menü wählen. Die Anzeige und die Funktionen sind in diesem Fall durch den Bediener im Dialogbetrieb wählbar.“ Alternativ zur getrennten Ausführung von Tasten zur Bedienung und Anzeige ist eine integrierte Ausführung mit Touchscreen genannt. Die beschriebenen Funktionen entsprechen inhaltlich der freien Konfigurierbarkeit und Modifizierbarkeit in Sinne von Anspruch 1 des Streitpatents. Die Auffassung der Rechtsmittelabteilung, dass D2 „sich lediglich auf die Programmierung eines Touchscreen-Eingabe-feldes bezieht, wobei Bedien- und Anzeigefunktionen aus einem angebotenen Menü eines Programmiergerätes auswählbar sind“, trifft nicht zu, da die Programmierung der Bedien- und Anzeigefunktionen gerade die Konfigurierbarkeit und Modifizierbarkeit begründet. Dass diese Konfigurierbarkeit und Modifizierbarkeit an die Grenzen dessen stoßen kann, was in einem Auswahlmenü vorgesehen ist, unterscheidet die aus D2 bekannte Ausführung nicht von jener des Streitpatents. Denn auch beim Bediengerät des Streitpatents kann nichts grundsätzlich Unvorhergesehenes konfiguriert werden. Aus D2 ist somit eine dem Wollen der Bedienperson unterworfene Gestaltung der Konfiguration der Bedienvorrichtung und deren mögliche Abänderung bekannt. Teilmerkmal 1.c.a. ist daher nicht neu.
2.2. Die Neuheit fehlt auch beim Teilmerkmal 1.c.b. Virtuelle Dreh- und Schieberegler und ihr Einsatz auf Touchscreens von Bedienvorrichtungen zur Steuerung von Geräten der Hausinstallationstechnik sind weithin bekannt. Das ergibt sich etwa aus Figur 12f von D5 und Spalte 2, Zeilen 62-65, in Verbindung mit Figur 2 von Dokument D6, weiters aus Figuren 16 und 17 in Verbindung mit dem zweiten und dritten Absatz von Seite 13 von D8.
3. Beim Merkmal 1.e. haben die Vorinstanzen den Begriff „Beschriftungsschablone“ richtig ausgelegt. Die Neuheit dieses Merkmals haben sie aber ebenfalls unrichtig beurteilt.
3.1. Aus dem Zusammenhang des Streitpatents ergibt sich, dass die Schablone dazu dient, die Bedienperson visuell über die Konfiguration der Sensorfläche zu informieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Beschriftbarkeit der von der Bedienperson selbst zu erstellenden Schablone schon grundsätzlich naheliegend, darüber hinaus ist sie auch der Beschreibung zu entnehmen, die ausdrücklich eine Beschriftung und deren mögliche Erstellung durch die Bedienperson über Computer und Drucker erwähnt (Seite 3, Zeilen 6-10 und 35-38). Die Bedeutung des Begriffs „Beschriftungsschablone“ ist daher, wenn auch nicht ausdrücklich definiert, für die Durchschnittsfachperson unmittelbar und eindeutig zugänglich: Die Beschriftungsschablone informiert die Bedienperson visuell über die Konfiguration der Sensorfläche; sie kann von dieser oder einer anderen Bedienperson entsprechend der jeweiligen Konfiguration der Sensorfläche erstellt werden. „Beschriftung“ ist dabei weit zu verstehen; der Begriff erfasst nicht nur Schriftzeichen, sondern auch andere Symbole und Kennzeichnungen.
3.2. Anspruch 4 des Streitpatents steht nicht im Widerspruch zu dieser Auslegung. Die Durchschnittsfachperson würde nämlich die in Anspruch 4 gekennzeichnete Variante derart realisieren, dass Schablonenrohlinge vorliegen, die von der Bedienperson zur Beschriftungsschablone weiterbearbeitet werden können und bereits eine Kodierung tragen, deren Bedeutung der Bedienvorrichtung im Rahmen der Konfiguration einprogrammiert werden kann.
3.3. Die Beschwerdeführerin zeigt allerdings zutreffend auf, dass „mit einem entsprechenden Hilfsmittel jede Schablone […] beschriftbar“ ist. Ebenso trifft zu, dass es auch schon vor der Anmeldung des Streitpatents üblich war, Papierblätter mittels Computer und Drucker zu beschriften. Diese Erkenntnisse sind geradezu banal. Das Merkmal 1.e. war daher als solches ebenfalls nicht neu .
4. All das hilft der Antragstellerin aber nicht weiter. Denn eine patentfähige Erfindung kann auch dann vorliegen, wenn sich aus dem (neuen) Zusammenwirken mehrerer an sich bekannter Einzelmerkmale ein besonderer Kombinationseffekt ergibt, der über die Summe der Einzelwirkungen hinausgeht (Op 6/92 = PBl 1994, 146 - Ski zum Fortbewegen auf Schnee; Kucsko , Geistiges Eigentum [2003] 849, Mes , Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz3 (2011) § 1 PatG Rz 197, beide mwN). Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ist in diesem Fall für diesen Kombinationseffekt zu prüfen.
4.1. Im vorliegenden Fall ist keine der Kombinationen, die durch die zwingenden Merkmale und die Fakultativ- oder Alternativmerkmale in Anspruch 1 gebildet werden, dem Stand der Technik zu entnehmen. Anspruch 1 ist daher jedenfalls neu .
4.2. Auch eine erfinderische Tätigkeit liegt für die Mehrzahl dieser Kombinationen vor.
4.2.1. Zur Überprüfung der erfinderischen Tätigkeit müssen die in Anspruch 1 unter Schutz gestellten Merkmalskombinationen einzeln betrachtet werden. Diese Merkmalskombinationen umfassen jeweils die Merkmale 1.a. bis 1.e., wobei Merkmal 1.c. in drei Varianten zerfällt: Es kann
c.a. ausschließlich die freie Konfigurierbarkeit und/oder freie Modifizierbarkeit,
c.b. ausschließlich die Steuerung von quasi-kontinuierlichen Funktionen der Beleuchtungseinrichtungen durch Nachbildung virtueller Dreh- und Schieberegler, oder
c.c. beides (und damit jedenfalls auch die freie Konfigurierbarkeit und/oder freie Modifizierbarkeit)
realisiert sein.
4.2.2. Die dem Gegenstand des Streitpatents zugrundeliegende Aufgabe, eine Bedienvorrichtung zu schaffen, die einerseits eine freie Konfigurierbarkeit und/oder freie Modifizierbarkeit erlaubt und andererseits die damit gegebene Flexibilität mit einer kostenminimalen Anordnung vereint, wird bei den Kom-binationen mit den Varianten 1.c.a. und 1.c.c . auf überraschend einfache Weise gelöst. Die Wirkung der Kombination der an sich bekannten Merkmale geht bei diesen Varianten deutlich über die Summe der jeweiligen Einzelwirkungen hinaus. Bei der freien Konfigurier- und Modifizierbarkeit, wie sie dem Stand der Technik nach D2 zu entnehmen ist, werden die Informationen, die im Streitpatent einfach auf der Beschriftungsschablone eingetragen werden, auf der Sensorfläche selbst dargestellt und müssen (daher) zusätzlich programmiert werden. Dies verursacht einen erhöhten Programmieraufwand, wodurch die Bedienungsfreundlichkeit gerade für eine nicht spezialisierte Bedienperson beeinträchtigt ist. Zudem ist auch die in der Bedienvorrichtung vorzusehende Software komplexer und damit teurer, da sie auch die Beschriftung ermöglichen muss. Demgegenüber eröffnet die Kombination von freier Konfigurierbarkeit und/oder freier Modifizierbarkeit (1.c.a.
und 1.c.c.) einerseits und einer auswechselbaren, durch die Bedienperson einfach zu erstellenden Beschriftungsschablone (1.e.) andererseits kostengünstige und bedienungsfreundliche Lösungen. Dem relevierten Stand der Technik ist kein Hinweis zu entnehmen, aufgrund dessen die Durchschnittsfachperson diese Lösungen in Erwägung gezogen hätte. Insofern liegt daher eine schutzfähige Kombinationserfindung vor.
4.2.3. Anders verhält es sich bei der Kombination mit Variante 1.c.b. , also bei Fehlen der freien Konfigurierbarkeit und/oder freien Modifizierbarkeit. Hier verliert die auswechselbare Beschriftungsschablone durch die ohnehin feste Konfiguration ihren Sinn; die Merkmalskombination löst auch nicht die im Streitpatent formulierte Aufgabe. Bei dieser Variante gibt es daher keinen mit einer erfinderischen Tätigkeit verbundenen kombinatorischen Effekt (Mehrwert); vielmehr wäre die Beschriftbarkeit der Schablone hier ebenso sinnlos wie jene der Steckkarten in D1.
5. Diese Erwägungen führen bei Anspruch 1 zu einem teilweisen Erfolg der Beschwerde . Das Patent ist gemäß § 104 Abs 4 PatG insofern zu widerrufen, als es durch die alternative Formulierung im Merkmal 1.c. auch eine Variante erfasst, bei der die freie Konfigurierbarkeit und/oder freie Modifizierbarkeit nicht gegeben ist. Anspruch 1 ist aus diesem Grund dahin neu zu fassen, dass der Hinweis auf die Steuerung von quasi-kontinuierlichen Funktionen der Beleuchtungseinrichtungen durch Nachbildung virtueller Dreh- und Schieberegler als bloß fakultatives Merkmal aufscheint, das ohne freie Konfigurierbarkeit und freie Modifizierbarkeit der Sensoroberfläche nicht für den Patentschutz ausreicht.
6. Da Anspruch 1 in modifizierter Form aufrecht bleibt, haben auch die von ihm abhängigen Ansprüche 2-6 Bestand. Insofern muss die Beschwerde daher zur Gänze scheitern.