Op3/10 – OPMS Entscheidung
Kopf
Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Brigitte SCHENK, die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Gottfried MUSGER und Dr. Wilfried KYSELKA als rechtskundige Mitglieder sowie die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dipl.-Ing. Christian KÖGL und Mag. Maximilian GÖRTLER als fachtechnische Mitglieder in der Patentrechtssache der Antragstellerin B ***** S . p . A . , ***** Italien, vertreten durch Patentanwälte Pinter, Laminger Weiss OG, Prinz-Eugen-Straße 70, 1040 Wien, wider die Antragsgegnerin H ***** K G ***** Deutschland, vertreten durch die Herren Patentanwälte Dr. Paul N. Torggler, Dr. Stephan Hofinger, Dr. Markus Gangl, Wilhelm-Greil-Straße 16, 6010 Innsbruck, wegen Nichtigerklärung des Patents Nr AT E 75 518 über die Berufung der Antragsgegnerin gegen die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 10. Dezember 2009, Zl N 12/2006-8-14, entschieden:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin die mit 2.721,90 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 453,66 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
G r ü n d e :
Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das ein Sektionaltorblatt betreffende europäische Patent der Antragsgegnerin EP 0 304 642 B1 (AT E 75 518) mit Priorität vom 11. August 1987 und 18. Mai 1988. Das Patent ist nicht mehr aufrecht, das Verfahren ist aufgrund eines Antrags der Antragstellerin nach § 117 PatG fortzuführen.
Rechtskräftig für nichtig erklärt sind bereits die Ansprüche 1 bis 5 sowie 9 und 10, weiters die Ansprüche 12 bis 15, soweit sie nicht unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 11 rückbezogen sind, die Ansprüche 17 und 18, soweit sie nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Ansprüche 11 oder 16 rückbezogen sind, der Anspruch 19, soweit er nicht unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 6 rückbezogen ist, und die Ansprüche 20 bis 28, soweit sie nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Ansprüche 11 oder 16 rückbezogen sind. Rechtskräftig abgewiesen wurde der Nichtigkeitsantrag hinsichtlich des Anspruchs 11, der Ansprüche 12 bis 15, soweit sie unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 11 rückbezogen sind, des Anspruchs 16, der Ansprüche 17 und 18, soweit diese unmittelbar oder mittelbar auf die Ansprüche 11 oder 16 rückbezogen sind, des Anspruchs 19, soweit dieser unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 6 rückbezogen ist, und der Ansprüche 20 bis 28, soweit diese unmittelbar oder mittelbar auf die Ansprüche 11 oder 16 rückbezogen sind.
Im Berufungsverfahren strittig sind daher nur mehr die Ansprüche 6, 7 und 8 des Patents. Diese lauten:
6. Torblatt nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Paneele (4, 4’, 4’’) doppelschalig ausgebildet sind, deren eine Schale (30) die die Torblatt- Außenseite (17) bildende Breitseite aufweist und deren andere Schale (31) die die Torblatt-Innenseite (18) bildende Breitseite des Paneels (4, 4’,4’’) beinhaltet.
7. Torblatt nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass die beiden Schalen (30, 31) des doppelschaligen Paneels (4, 4’,4’’) mittels einer zwischen den Schalen (30, 31) vorgesehenen Ausschäummasse (32) oder dergleichen Isolierkörper miteinander verbunden sind.
8. Torblatt nach Anspruch 6 oder Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass die beiden Schalen (30, 31) jeweils von beiden Stirnbreitseiten (8, 9) ausgehende Randfahnen (33, 34) aufweisen, die sich jeweils parallel zu den die Torblatt-Außen- und -Innenseiten (18) bildenden Breitseiten des Paneels (4, 4', 4") in das Paneelinnere gerichtet erstrecken.
Die zugehörige Skizze ist dieser Entscheidung als Abbildung 1 angefügt.
Die Antragstellerin behauptet (auch) zu diesen Ansprüchen Nichtigkeit wegen des Fehlens einer erfinderischen Tätigkeit. Die von den Ansprüchen erfasste Konstruktion sei im Prioritätszeitpunkt für einen Fachmann nahe gelegen. Zur Begründung stützt sie sich insbesondere auf ein die US-amerikanische Patentschrift US 2 372 792 A (Beilage ./B4) und auf ein älteres Patent der Antragsgegnerin (Beilage ./13) als nächstliegenden Stand der Technik. Die für die hier strittigen Ansprüche maßgebende Darstellung aus der Beilage ./B4 ist dieser Entscheidung als Abbildung 2 angefügt.
Die Antragsgegnerin hält dem entgegen, dass sich die in den Ansprüchen 6 bis 8 beschriebene Konstruktion aus dem Stand der Technik nicht ohne erfinderische Tätigkeit ergeben habe.
Die Nichtigkeitsabteilung erklärte (auch) die Ansprüche 6 bis 8 für nichtig. Ein Tor mit doppelschaligen Paneelen sei im Stand der Technik mehrfach beschrieben (Anspruch 6), ebenso das Ausschäumen eines solchen Paneels (Anspruch 7). Doppelschalige Paneele seien meist mit Randfahnen ausgestattet, sodass auch insofern keine erfinderische Tätigkeit vorliege (Anspruch 8).
In ihrer Berufung strebt die Antragsgegnerin zu den Ansprüchen 6 bis 8 die Abweisung des Nichtigkeitsantrags an. Entgegen der Rechtsprechung des Obersten Patent- und Markensenats habe die Nichtigkeitsabteilung das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz geprüft. Die Antragstellerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Anspruch 6 ist auf die Ansprüche 1 bis 4 rückbezogen. Durch die insofern rechtskräftig gewordene Entscheidung der Nichtigkeitsabeilung steht fest, dass die letztgenannten Ansprüche nichtig sind. Die Rechtsbeständigkeit des Anspruchs 6 kann sich daher nur aus dessen weiteren Merkmalen ergeben. Das sind (a) die doppelschalige Ausbildung der Paneele, (b) deren eine Schale die die Torblatt-Außenseite bildende Breitseite aufweist, und (c) deren andere Schale die die Torblatt-Innenseite bildende Breitseite des Paneels beinhaltet. Die Ansprüche 7 und 8 sind auf Anspruch 6 bzw Anspruch 6 oder 7 rückbezogen. Anspruch 7 ist durch das zusätzliche Merkmal der Verbindung der beiden Schalen des Paneels durch Ausschäumung oder Isolierkörper gekennzeichnet; Anspruch 8 durch Randfahnen der Stirnseiten, die sich jeweils parallel zu den Breitseiten des Paneels in dessen Inneres gerichtet erstrecken. Soweit die Oberbegriffe dieser Ansprüche (also insbesondere Anspruch 6) nichtig sind, kann sich deren Rechtsbeständigkeit wiederum nur aus den jeweils eigenen kennzeichnenden Merkmalen ergeben.
2. Fehlende Neuheit ist zu diesen Merkmalen nicht nachgewiesen.
Eine Erfindung gilt nach Art 54 Abs 1 EPÜ als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Nach Art 54 Abs 2 EPÜ bildet den Stand der Technik alles, was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist. Es ist unstrittig, dass die Merkmale (a) bis (c) des Anspruchs 6 in Beilage ./B4 nicht aufscheinen. Damit sind diese Merkmale gegenüber dem in Beilage ./B4 dargestellten Stand der Technik formal neu. Gleiches gilt für die kennzeichnenden Merkmale der Ansprüche 7 und 8. Das wird von der Antragstellerin in der Berufungsbeantwortung auch nicht bestritten.
3. Strittig ist demgegenüber die Frage, ob bei den zusätzlichen Merkmalen ein erfinderischer Schritt vorliegt.
3.1. Eine Erfindung gilt nach Art 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Fachmann aufgrund des Standes der Technik zu ihr hätte gelangen können, sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte ( Jestaedt in Benkard , EPÜ [2002] Art 56 Rz 60; Kroher in Singer / Stauder , EPÜ5 [2010] Art 56 Rz 54 ff; OGH 17 Ob 24/09t = ÖBl 2010,134 [ Beetz 110] - Nebivolol). Diese Prüfung kann insbesondere nach dem vom Europäischen Patentamt herangezogenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz erfolgen (OPM Op 1/02, PBl 2003, 29 mwN; Op 6/08, PBl 2009, 107). Dafür ist zuerst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, dann die zu lösende objektive technische Aufgabe zu bestimmen und schließlich zu prüfen, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven Aufgabenstellung für den Durchschnittsfachmann naheliegend gewesen wäre. Ein Durchschnittsfachmann für Sektionaltorblätter besitzt ein allgemeines Fachwissen in den Bereichen des Maschinenbaus, der Fertigungstechnik von Tor- bzw. Sektionaltorblättern und Grundkenntnisse der dazugehörenden Sicherheitstechnik (z.B. den Fingerschutz) in diesem Technologiefeld.
3.2. Nächstliegender Stand der Technik zu den kennzeichnenden Merkmalen von Anspruch 6 sind unstrittig die Beilagen ./B4 und ./B13. Beide gehören demselben technischen Gebiet an. Beilage ./B4 zeigt ein Paneelstruktur (insbesondere) für Tore und Fenster; Beilage ./B13 zeigt ein zweischaliges Bauelement für Tore, wobei die Vorder- und Rückenteile aus Metall sind, die an ihren Längsseiten formschlüssig miteinander unter Bindung eines Elements verbunden sind, wobei die Vorder- und Rückenteile zwei gesonderte Teile sind. Aufgabe des Streitpatents war nach dessen Beschreibung allgemein die Herstellung eines Sektionaltores, bei dem die Gefahr einer Fingerquetschung weitgehend ausgeschlossen sein sollte. Anspruch 6 diente der Weiterentwicklung der Holzpaneele aus Beilage ./B4 durch die doppelschalige Ausführung im Sinn der kennzeichnenden Merkmale (a) bis (c). Technischer Vorteil dieser Vorgangsweise (Aufgabe) war das gegenüber einem Holzpaneel geringere Gewicht und die dadurch weiter verringerte Gefahr des Einklemmens von Fingern.
Um diese Wirkung zu erzielen, hätte der Durchschnittsfachmann im maßgebenden Zeitpunkt zumindest die gattungsgleiche Beilage ./B13 herangezogen, um den nächstliegenden Stand der Technik (Beilage ./B4) entsprechend der objektiven Aufgabenstellung zu verbessern. Für diese simple Übertragung ist nur allgemeines Fachwissen und handwerkliches Können erforderlich, nicht aber eine erfinderische Leistung. Vom Stand der Technik nach Beilage ./B4 lag es für den Durchschnittsfachmann, der ausgehend von der gattungsgleichen Beilage ./B13 nach einer zeitgemäßen Alternative zur massiven Holzausgestaltung der Paneele suchte, nahe, diese Paneele statt aus Holz aus zweiteiligen Blechprofilen zu bilden. Ob bei diesen zweiteiligen Blechpaneelen die Vorder- und die Rückseite gleich oder unterschiedlich ausgeführt sind, ist dafür unerheblich. In Anspruch 6 wird das das nicht näher spezifiziert; in Beilage ./B13 sind beide Ausführungsvarianten genannt (Seite 2 Absatz 3 bzw Seite 1 Absatz 3), sie gehörten daher beide zum Stand der Technik. Die in der Berufung genannte schwierigere industrielle Fertigung der Paneele nach Anspruch 6 ergibt sich aus dem Streitpatent nicht; träfe diese Behauptung zu, wäre eine ausführliche Beschreibung des nicht trivialen Herstellungsprozesses erforderlich gewesen. Anspruch 6 ist daher mangels einer erfinderischen Tätigkeit nichtig.
3.3. Wegen dieser Nichtigkeit kann sich die Rechtsbeständigkeit des auf Anspruch 6 rückbezogenen Anspruchs 7 nur aus dessen eigenem kennzeichnenden Merkmal ergeben. Dieses Merkmal, wonach „die beiden Schalen des doppelschaligen Paneels mittels einer zwischen den Schalen vorgesehenen Ausschäummasse oder dergleichen Isolierkörper verbunden sind“, geht aber ebenfalls klar aus der Beilage ./B13 hervor (vergleiche etwa Zusammenfassung und Figur 8). Das Ausschäumen erhöht die Steifigkeit (Aufgabe) und lag daher für einen Durchschnittsfachmann nahe. Trotz formal fehlender Neuheit weist Anspruch 7 daher ebenfalls keine erfinderische Tätigkeit auf. Auch dieser Anspruch ist daher nichtig.
3.4. Anspruch 8 ist auf die nichtigen Ansprüche 6 oder 7 rückbezogen. Seine Rechtsbeständigkeit könnte sich daher ebenfalls nur aus seinem eigenen kennzeichnenden Merkmal ergeben. Es liegt darin, dass „die beiden Schalen jeweils von beiden Stirnbreitseiten ausgehende Randfahnen aufweisen, die sich jeweils parallel zu den die Torblatt-Außen- und -Innenseiten bildenden Breitseiten des Paneels in das Paneelinnere gerichtet erstrecken“. Die in Beilage ./B13 (Figuren 5b, 6, 7 und die dazugehörigen Beschreibungen) dargestellten Schalen weisen allerdings ebenfalls Randfahnen auf, die in das Paneelinnere gerichtet sind. Der Beschreibung von ./B13 ist zu entnehmen, dass „… die Längsseiten zum formschlüssigen Verbund so ausgebildet [sind], dass der zurückspringende Schenkel des Teils eine von der Stirnseite abgewandte Abbiegung aufweist, die die Abbiegung des anderen aufgesetzten Teils zumindest teilweise hintergreift…“ Dass dort der nach innen gerichtete Schenkel (24) zusätzlich noch eine Abbiegung (25) aufweist, ist unerheblich. Doppelschalige Blechpaneele waren und sind schon wegen der erforderlichen Versteifung und zur Vermeidung von Schnittverletzungen aufgrund scharfer Kanten (Aufgabe) in aller Regel mit in Längsrichtung angeordneten, nach innen gefalzten Randfahnen ausgebildet. Es lag daher für den Durchschnittsfachmann nahe, die Ausführung der Schalen nach Beilage ./B13 auf ein Tor der gattungsgleichen Beilage ./B4 zu übertragen. Somit weist auch Anspruch 8 zwar formale Neuheit auf, nicht aber eine ausreichende erfinderische Tätigkeit.
4. Aus diesen Gründen muss die Berufung der Antragsgegnerin scheitern. Da die Beilagen ./B4 und ./B13 bei den im Berufungsverfahren strittigen Ansprüchen genügen, um das Vorliegen eines erfinderischen Schrittes zu verneinen, kommt es auf die weiteren Vorhalte der Antragstellerin nicht an.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 122 Abs 1 und § 140 Abs 1 PatG 1970 iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Berufungsbeantwortung ist analog TP 3B RATG und § 5 P 15 AHR mit 907,30 EUR zu honorieren. Der hinzukommende dreifache Einheitssatz deckt nach § 23 Abs 9 RATG auch die Verrichtung der Berufungsverhandlung.
Abbildung 1 (Streitpatent):
Abbildung 2 (US-Patent):