JudikaturOPMS

OBp1/09 – OPMS Entscheidung

Entscheidung
28. April 2010

Kopf

Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Präsidentin des Obersten Patent- und Markensenats Dr. Irmgard GRISS als Vorsitzende und die Räte des Obersten Patent- und Markensenats Dr. Gottfried MUSGER und Mag. Wilfried KYSELKA als rechtskundige Mitglieder sowie die Räte des Obersten Patent- und Markensenats Mag. Maximilian GÖRTLER und Dipl.-Ing. Ferdinand KOSKARTI als fachtechnische Mitglieder in der Patentrechtssache der Antragstellerin   A*****   G m b H ,   ***** vertreten durch die Patentanwälte Puchberger, Berger Partner, Reichsratsstraße 13, 1010 Wien, wider die Antragsgegnerin   A *****  G e s e l l s c h a f t   m . b . H . ,   ***** vertreten durch Patentanwalt Dipl.-Ing. Andreas RIPPEL, Maxingstraße 34, 1130 Wien, wegen Erteilung eines Patents „Verfahren zur Herstellung einer Platte aus Hartschaumstoff zur Wärmedämmung“, über die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtsmittelabteilung des Österreichischen Patentamts vom 28. April 2009, Zl B 6/2007-5, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert , dass das von der Antragsgegnerin zu Nummer A 218/1999 angemeldete Patent nicht erteilt wird.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin binnen 14 Tagen die mit 4.913,81 EUR bestimmten Kosten des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens (darin 662,20 EUR Barauslagen, 708,60 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Patent- und Markensenat haben beide Parteien selbst zu tragen.

Text

G r ü n d e :

Die Antragsgegnerin meldete am 15. Feber 1999 das Patent „Platte aus Hartschaumstoff zur Wärmedämmung von Wänden und/oder Decken von Gebäuden“ an. Gegenstand dieses Patents ist nach Einschränkung der Ansprüche und einer Umformulierung durch die Rechtsmittelabteilung ein Verfahren zur Herstellung einer Platte (1) aus Hartschaumstoff zur Wärmedämmung von Wänden und/oder Decken von Gebäuden, wobei die Platte mit durchgehenden Perforierungen (2) versehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass vorerst eine nicht perforierte Platte (1) hergestellt wird und anschließend die Perforierungen (2) durch beheizte Nadeln eines Nadelbettes bzw durch erhitzte Röhrchen oder durch Laserstrahlen hergestellt werden.

Die Antragstellerin erhob gegen diese Anmeldung Einspruch. Die japanische Offenlegungsschrift JP 56-8237 A (Oshita K) beschreibe ebenfalls ein Verfahren zur Herstellung von perforierten Schaumstoffplatten. Die Löcher seien danach mit nadelförmigen Stiften in den Schaumstoff zu stechen. Die von der Anmelderin genannten Perforierungsmittel (beheizte Nadeln, erhitzte Röhren oder Laserstrahlen) seien für den Fachmann nahe liegende Alternativen zu den in der japanischen Patentschrift genannten Stiften. Die Antragsgegnerin hielt dem entgegen, dass die japanische Patentschrift nicht auf warme Nadeln hinweise. Sie sei daher nicht geeignet, das Vorliegen eines erfinderischen Schritts zu widerlegen.

Im weiteren Verfahren brachte die Antragstellerin vor, dass es eine glatte Selbstverständlichkeit sei, Schaumstoffplatten mit heißen Werkzeugen zu bearbeiten. Sie belegte dies mit zwei Druckschriften aus den 1980er Jahren, die solche Methoden beschrieben, sowie mit einem Arbeitsprotokoll aus dem Jahr 1998, das auf die Verwendung von Laserstrahlen Bezug nahm. Die Antragsgegnerin erwiderte, dass diese Urkunden als verspätet vorgelegt unbeachtlich seien und überdies die Einspruchsbehauptungen nicht stützten.

Die Technische Abteilung wies den Einspruch ab. Die Perforierung durch beheizte Nadeln, erhitzte Röhrchen oder Laserstrahlen werde durch die japanische Patentschrift weder vorweggenommen noch nahe gelegt. Die anderen Beweismittel habe die Antragstellerin verspätet vorgelegt; sie seien daher im Einspruchsverfahren nicht zu behandeln.

Die Rechtsmittelabteilung wies die Beschwerde der Antragstellerin ab, wobei sie eine im Verfahren vor dem OPM nicht strittige redaktionelle Korrektur des verbliebenen Patentanspruchs vornahm. Für die Beurteilung von Neuheit und Erfindungseigenschaft sei ausschließlich die japanische Patentschrift maßgebend, auf die der Einspruch gestützt gewesen sei; die weiteren, teilweise erst mit der Beschwerde vorgelegten Beweismittel könnten dafür nicht herangezogen werden. Der japanischen Schrift sei nicht zu entnehmen, dass die Nadeln auf irgendeine Weise erhitzt würden, daher sei die Neuheit des strittigen Anspruchs gegeben. Da kein Grund bestehe, weshalb ein Fachmann die Lehre der japanischen Schrift mit weiteren Maßnahmen kombinieren sollte, liege auch ein erfinderischer Schritt vor.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde der Antragstellerin ist berechtigt.

1. Die Rechtsmittelabteilung hat an sich zutreffend ausgeführt, dass bereits im Einspruch alle Gründe, die der angefochtenen Anmeldung entgegenstehen, genannt werden müssen. Davon unabhängig ist jedoch die Frage zu beurteilen, ob eine im Einspruch behauptete Tatsache überhaupt des Beweises bedarf. Das trifft nicht zu, wenn diese Tatsache allgemeinkundig (notorisch) ist (§ 269 ZPO). Dies setzt voraus, dass sie einer beliebig großen Anzahl von Menschen bekannt oder doch ohne Schwierigkeiten jederzeit zuverlässig wahrnehmbar ist (Rechberger in Rechberger, ZP03 § 269 Rz 2). Zu den allgemeinkundigen Tatsachen gehören insbesondere die Erfahrungssätze der allgemeinen Lebenserfahrung (Rechberger in Fasching/Konecny2 § 269 Rz 3).

2. Allgemeinkundige Tatsachen können auch in Verfahren des Patentamts und des Obersten Patent- und Markensenats Bedeutung erlangen. Insbesondere kann hier der Stand der Technik zum Zeitpunkt der Patentanmeldung derart offenkundig sein, dass er keines weiteren Beweises bedarf. Wegen der Besonderheit dieses Rechtsgebiets ist in diesem Zusammenhang allerdings für die Beurteilung der Allgemeinkundigkeit nicht auf den Wissensstand von technischen Laien abzustellen. Vielmehr ist maßgebend, ob eine Person mit einem gewissen technischen Grundverständnis die strittige Tatsache im maßgebenden Zeitpunkt (Patentanmeldung) als selbstverständlich ansah oder sich doch auf einfachste Weise darüber informieren konnte. Ob das zutrifft, können die im Patentverfahren zuständigen Behörden schon deswegen problemlos beurteilen, weil sie - anders als in der ordentlichen Gerichtsbarkeit - in Senaten entscheiden, denen auch fachtechnische Mitglieder angehören.

3. Allgemeinkundigkeit liegt hier vor. Das Patent der Antragsgegnerin unterscheidet sich vom Verfahren, das in der japanischen Patentschrift offenbart worden war, ausschließlich durch die Verwendung erwärmter Werkzeuge. Dass solche Werkzeuge für die Bearbeitung von Schaumstoffplatten nutzbringend verwendet werden können, ist jedoch geradezu selbstverständlich. Das in der japanischen Patentschrift beschriebene Verfahren würde, was sich schon aus physikalischem Schulwissen ergibt, mit kalten Nadeln nicht oder nur mangelhaft funktionieren: Werden solche Nadeln in eine Dämmplatte gestochen, dann stecken sie in der Platte fest und können nur unter Krafteinsatz wieder herausgezogen werden. Bei einer mehrere Zentimeter dicken Platte und einer Vielzahl von Löchern ist dafür eine erhebliche Kraft erforderlich. Zudem droht ein Einreißen der Löcher oder eine Beschädigung der Platte bei Abziehen des Perforators.

Bei Verwendung erwärmter Werkzeuge tritt dieses Problem nicht auf. Schaumstoffe erweichen bei der Erwärmung und können daher mit erwärmten Werkzeugen unter geringem Krafteinsatz in eine andere Form gebracht werden. Durch das Zusammenschmelzen der vom Werkzeug berührten Bereiche entsteht eine verdichtete glatte Schicht, die ein Einreißen beim Entfernen des Werkzeugs verhindert. Daher werden für die Perforierung von Schaumstoffen (Thermoplasten) üblicherweise hot pin perforators verwendet. Dabei handelt es sich um Nadelbette mit heißen Nadeln zum Perforieren von Kunststoffplatten oder Kunststoffkörpern oder um Rollen mit heißen Nadeln zum kontinuierlichen Perforieren von Kunststoffbahnen. Diese Werkzeuge waren schon vor der Anmeldung des strittigen Patents weit verbreitet und daher einem Durchschnittsfachmann bekannt. Es war daher schon damals geradezu selbstverständlich, dass ein solcher Durchschnittsfachmann auch das Verfahren des japanischen Patents mit heißen Werkzeugen durchgeführt hätte. Ein diesbezügliches Beweisanbot war wegen der Allgemeinkundigkeit dieses Umstands nicht erforderlich.

4. Damit erfüllte die strittige Anmeldung nicht das Erfordernis des § 1 Abs 1 PatG 1970, wonach sich die Erfindung für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben darf. Aus diesem Grund ist der Beschwerde der Antragstellerin Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss ist dahin abzuändern, dass das von der Antragsgegnerin angemeldete Patent nicht erteilt wird (§ 104 PatG 1970 in der Fassung vor dem BG BGBI I 2004/149 iVm § 174 Abs 1 PatentG 1970).

5. Bei der Kostenentscheidung ist auf die Übergangsbestimmungen der §§ 174 Abs 1 und 175 Abs 2 PatG 1970 Bedacht zu nehmen.

Da der Bekanntmachungsbeschluss vor dem Inkrafttreten des BG BGBl I 2004/149 gefasst wurde, sind auf das Verfahren vor der Technischen Abteilung und der Beschwerdeabteilung noch die §§ 105 und 108 Abs 2 PatG 1970 in der Fassung vor dem BG BGBl I 2004/149 anzuwenden. Da-her gelten hier die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den Kostenersatz. Da die Antragstellerin mit ihrem Einspruch zur Gänze durchgedrungen ist, hat ihr die Antragsgegnerin nach §§ 41, 50 ZPO die gesamten Kosten zu ersetzen. Die Höhe des Kostenersatzes ist im Rahmen der begehrten Beträge in sinngemäßer Anwendung des Rechtsanwaltstarifs zu bestimmen. Die Bemessungsgrundlage ergibt sich aus § 5 Z 14 AHK. Für den Einspruch gebührt ein Honorar nach TP 3A RA TG zuzüglich 50 % Einheitssatz und 20 % Umsatzsteuer; der weitere im Einspruchsverfahren eingebrachte Schriftsatz ist mit den verzeichneten 360 EUR zu honorieren. Die Kosten für das Verfahren vor der Beschwerdekammer ergeben sich aus TP 3B iVm § 23 Abs 9 RATG. Mangels Beweisaufnahme oder Verfahrensergänzung in der Beschwerdeverhandlung ist diese nicht gesondert zu honorieren, sondern es ist bei der Beschwerde dreifacher Einheitssatz zuzusprechen.

Für das Verfahren vor dem Obersten Patent- und Markensenat ist demgegenüber nach § 175 Abs 2 PatG 1970 das Datum der Beschwerdeentscheidung maßgebend. Da dieses nach dem Inkrafttreten des BG BGBl I 2004/149 liegt, ist § 145b Abs 6 PatG 1970 in der Fassung dieses Gesetzes anzuwenden. Danach haben die Parteien die Kosten des Verfahrens vor dem OPM selbst zu tragen.

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