OBp1/08 – OPMS Entscheidung
Kopf
Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Peter NIEDERREITER, die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Mag. Norbert KNITTLER und Dr. Brigitte SCHENK als rechtskundige Mitglieder und die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dipl.-Ing. Johannes MESA PASCASIO und Dr. Erich TENGLER als fachtechnische Mitglieder in der Patentrechtssache der Antragstellerin Firma A *****, USA, vertreten durch die Patentanwälte Dipl.-Ing. Walter HOLZER, Dr. Elisabeth SCHOBER, Schottenring 16, Börsegebäude, 1010 Wien, über die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Endentscheidung der Beschwerdeabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 27. Mai 2008, B 5/2007-2 in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Berufung der Antragstellerin wird nicht Folge gegeben.
Text
G r ü n d e :
Die Beschwerdeführerin, Inhaberin des europäischen Patents Nr 0 674 513 (österreichische Patentnummer E 143 262) „Inhibitoren der retroviralen Protease“, beantragte am 18. September 2001 die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für das Erzeugnis "Kombination der Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir" (Handelsname "Kaletra"). Die Technische Abteilung des Österreichischen Patentamts wies diesen Antrag mit Beschluss vom 24. Mai 2007 zurück. Das angemeldete Erzeugnis sei nicht vom Grundpatent erfasst.
Die Beschwerdeabteilung des Österreichischen Patentamts wies die Beschwerde der Antragstellerin ab. Die Erteilung des Schutzpatents setze nicht nur den aufrechten Bestand des Grundpatents voraus, das beanspruchte Erzeugnis - hier die Wirkstoffkombination Lopinavir/Ritonavir - müsse überdies vom Schutzbereich des Grundpatents umfasst sein. Das Grundpatent enthalte 23 Ansprüche, von denen nur die Ansprüche 12 bis 14 auf die Herstellung von Medikamenten bzw pharmazeutischen Zusammensetzungen abstellten. Für eine Kombination aus Ritonavir und einem weiteren Wirkstoff kämen daher nur diese Patentansprüche 12 bis 14 in Betracht. Mangels abschließender Formulierung und der sich daraus ergebenden fehlenden Genauigkeit und Unterscheidungskraft seien diese drei Ansprüche jedoch unklar in Bezug auf die Verwendung weiterer Inhaltsstoffe in den angesprochenen Medikamenten oder pharmazeutischen Zusammensetzungen, wie Trägerstoffe oder zusätzliche Wirkstoffe. Erst die Beschreibung des Grundpatents eröffne die Verwendung von Wirkstoffkombinationen, sie beschränke sich jedoch auf die Offenbarung der funktionellen Übergruppe von Wirkstoffen, die als Retroviralproteaseinhibitoren fungierten, und führe dazu lediglich drei Wirkstoffe an, ohne den Wirkstoff Lopinavir zu nennen. Die Formulierung "und dergleichen" trage nichts zur Identifizierung nicht genannter Wirkstoffe bei. Um den Schutzbereich des Grundpatents bestimmen zu können, sei daher die Beschreibung zur Interpretation der unklaren und nicht abschließenden Formulierungen der Ansprüche 12 bis 14 heranzuziehen. Bei der Auslegung der Patentansprüche sei vom allgemeinen Fachwissen eines in der pharmazeutischen Industrie tätigen Chemikers, Pharmazeuten oder Biologen auszugehen. Dieser werde bei Betrachtung der hier relevanten Ansprüche 12 bis 14 zunächst nur an die im Rahmen der Herstellung von Medikamenten und pharmazeutischen Formulierungen üblichen Zusatzstoffe denken und an Wirkstoffe, von denen angenommen werden könne, dass sie das erfindungsgemäße Problem lösen, die Hemmung von HIV bzw HIV-Proteaseaktivität beim Menschen. Das seien nahe liegender Weise die in den Ansprüchen 1 bis 11 und 15 bis 23 geoffenbarten Verbindungen. Der Fachmann habe zunächst keinen Grund, sich mit neuen - hinsichtlich ihrer gemeinsamen Wirkung unberechenbaren - Wirkstoffkombinationen auseinander zu setzen, weil die dem Grundpatent zugrunde liegende Problemstellung durch die offenbarten Verbindungen eine klare technische Lösung erfahre. Er werde daher die Beschreibung zur Auslegung der Ansprüche nur dann heranziehen, wenn er die Unklarheiten, die sich aus der nicht abschließenden Formulierung der Ansprüche 12 bis 14 ergeben, erkennen sollte. Sollte der Fachmann durch die Beschreibung auf die Möglichkeit von Wirkstoffkombinationen mit zusätzlichen Wirkstoffen aufmerksam werden, so werde er angesichts der mit neuen Wirkstoffkombinationen verbundenen Risken und des für deren umfassende Prüfung erforderlichen technischen Aufwands nur die dort ausdrücklich genannten Wirkstoffe berücksichtigen und darauf vertrauen, dass sich diese für die Verwendung in einem Kombinationspräparat besonders eignen. Andernfalls wären sie nämlich - mangels Beitrags zur technischen Lösung des erfindungsgemäßen Problems - vom Anmelder gar nicht in die Offenbarung aufgenommen oder im Prüfungsverfahren aus den Anmeldungsunterlagen entfernt worden. Eine Erweiterung des Schutzbereichs auf Wirkstoffe, die nur durch generelle Funktionsmechanismen oder durch die Bezeichnung funktioneller Überbegriffe definiert werden, führe nicht nur zu unzumutbaren erfinderischen Anforderungen an den zur Auslegung genötigten Fachmann, sondern stelle auch die von der Rechtsprechung geforderte ausreichende Rechtssicherheit für Dritte in Frage, die auf einer hinreichend sicheren Vorhersehbarkeit des Schutzumfangs beruhe. Eine Auslegung des Schutzumfangs, die allgemeine und damit vage technische Überbegriffe berücksichtige, sei nicht vorhersehbar und trage nicht zur Ausgewogenheit zwischen Schutzanspruch und Rechtssicherheit bei. Zusammenfassend ergebe sich, dass das beantragte Erzeugnis bestehend aus der Wirkstoffkombination Ritonavir/Lopinavir nicht im Schutzbereich des Grundpatents enthalten sein könne, weil der Wirkstoff Lopinavir im Grundpatent nicht genannt werde, sondern lediglich in den funktionellen Überbegriff der Retroviralproteaseinhibitoren falle und die Erkenntnis der Eignung von Lopinavir zur Herstellung eines Wirkstoffkombinationserzeugnisses zur Lösung der Problemstellung des Grundpatents einer erfinderischen Tätigkeit bedürfe.
Die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde der Patentinhaberin ist nicht berechtigt.
Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung der Beschwerdeabteilung aufzuheben und für das Erzeugnis "Kombination der Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir" antragsgemäß ein ergänzendes Schutzzertifikat zu erteilen, in eventu, diese Entscheidung aufzuheben und die Anmeldung für das weitere Verfahren an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Das Grundpatent beinhalte die Stoffansprüche 1-11, die den Stoff als solchen schützten, die Stoff- und Verfahrensansprüche 15-23, sowie die Ansprüche 12-14 (Verwendungsansprüche 12 und 13 und pharmazeutische Zusammensetzung Anspruch 14), die von der Beschwerdeabteilung als einzig relevant für die Festlegung und Beurteilung des Schutzumfangs bezeichnet und dafür herangezogen würden. Dies sei in keiner Weise gerechtfertigt, böten doch die Stoffansprüche Schutz für den Stoff als solchen, wodurch nicht authorisiertes Feilhalten oder Inverkehrbringen von Ritonavir enthaltenden Arzneimitteln - unabhängig davon, ob der Wirkstoff darin allein oder in Mischung vorliege - vom Patentinhaber unterbunden werden könne. Die Beschwerdeabteilung meine, zur Festlegung des Schutzbereichs seien ausschließlich die Ansprüche 12 bis 14 von Bedeutung. So sei die Kombination Ritonavir/Lopinavir nicht im Schutzbereich des Grundpatents enthalten, da der Wirkstoff Lopinavir darin nicht angeführt sei, sondern nur in den funktionellen Überbegriff (Retroviralproteaseinhibitoren) falle und so die Erkenntnis der Eignung von Lopinavir zur Herstellung eines Wirkstoffkombinationserzeugnisses zur Lösung der Problemstellung des Grundpatents erfinderischer Tätigkeit bedürfe. Die Überlegungen, ob hier eine in den Schutzbereich fallende äquivalente Ausführungsform vorliege stellten sich nicht, da nach Anspruch 14 erfindungsgemäß eine pharmazeutische Zusammensetzung zur Inhibition von HIV - Protease vorliege, die einen Gehalt an einem pharmazeutischen Träger und eine therapeutisch wirksame Menge einer Verbindung nach irgendeinem der Ansprüche 1-11 umfasse.
Die Formulierung sei bezüglich der Komponenten nicht abschließend (was auch von der Beschwerdeabteilung anerkannt werde), womit jede Ritonavir und einen Träger umfassende Zusammensetzung unter den Anspruch 14 falle, gleich, ob Ritonavir allein oder in Mischung vorliege. So sei für den Patentinhaber durch Anspruch 14 sichergestellt, dass er gegen nicht authorisiertes Feilhalten oder Inverkehrbringen eines Ritonavir und einen oder mehrere Wirkstoffe enthaltendes Arzneimittel vorgehen könne. Somit falle eine Ritonavir und auch Lopinavir enthaltende pharmazeutische Zusammensetzung zur Inhibition von HIV - Protease selbstverständlich ebenfalls unter den Anspruch 14; eine solche Zusammensetzung erfülle diesen wortwörtlich. Ob eine äquivalente Form vorliege oder nicht, sei daher nicht von Belang. Im Grundpatent werde die Möglichkeit des Zusatzes anderer Stoffe zu den von den Ansprüchen umfassten hingewiesen, Seite 176 Zeile 8 führe wortwörtlich Retroviralproteaseinhibitoren als mögliche weitere Komponenten an.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist nicht berechtigt.
1. Die Beschwerdeführerin besitzt - als zwingende Voraussetzung für die Erteilung des beantragten Schutzzertifikats - ein aufrechtes Grundpatent für Ritonavir. Der hier geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Schutzzertifikats für das Erzeugnis "Kombination der Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir" setzt nicht nur den aufrechten Bestand des Grundpatents voraus, vielmehr muss (auch) das nunmehr beanspruchte Erzeugnis vom Schutzbereich des Grundpatents umfasst sein (Artikel 3 lit a) und Artikel 4 der VO (EWG) Nr 1768/92).
2. Gemäß § 22a PatG wird der Schutzbereich eines Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, zu deren Auslegung die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Das Protokoll über die Auslegung des Artikels 69 EPÜ ist dabei sinngemäß anzuwenden. Danach soll die Auslegung zwischen zwei extremen Auffassungen und zwar zwischen der Auffassung, der Schutzbereich ergebe sich aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche, Beschreibung und Zeichnungen seien nur zur Behebung allfälliger Unklarheiten heranzuziehen, und dem anderen Extrem, die Patentansprüche dienten nur als Richtlinie, der Schutzbereich erstrecke sich auf das, was sich dem Fachmann nach Prüfung von Beschreibung und Zeichnungen als Schutzbegehren darstelle, liegen und einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Sicherheit für Dritte verbinden.
3. Die Anforderung für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats "dass das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist" (Art 3 VO (EWG) Nr 1768/92 iVm § 1 SchZG) bedingt notwendigerweise die Betrachtung des Schutzbereiches und damit eine Festlegung desselben unter Beachtung der durch das PatG vorgegebenen Regelungen.
3.1. Die Beschwerdeabteilung hatte sich in ihrer Entscheidung ausführlich mit dem Schutzbegehren befasst und dazu zutreffend festgehalten:"Das Grundpatent enthält 23 Ansprüche, wobei die Ansprüche 1-11 und 15-23 sich auf die strukturelle Definition von chemischen Verbindungen beziehen, darunter auch die des Ritonavir. Die Ansprüche 12-14 sind auf die Herstellung von Medikamenten bzw pharmazeutischen Zusammensetzungen abgestellt. Da nur diese Ansprüche für die Bestimmung des Schutzbereichs des Grundpatents hinsichtlich der Kombination des Ritonavir mit einem weiteren Wirkstoff wesentlich sind, werden die weiteren Ausführungen auf diese beschränkt.
Anspruch 12 lautet: Verwendung einer Verbindung nach irgendeinem der Ansprüche 1-11 zur Herstellung eines Medikamentes zur Inhibition von HIV-Protease beim Menschen.
Anspruch 13 lautet: Verwendung einer Verbindung nach irgendeinem der Ansprüche 1-11 zur Herstellung eines Medikamentes zur Inhibition von HIV beim Menschen.
Anspruch 14 lautet: pharmazeutische Zusammensetzung zur Inhibition von HIV-Protease, die einen pharmazeutischen Träger und eine therapeutisch wirksame Menge an einer Verbindung nach irgendeinem der Ansprüche 1-11 umfasst.
Für alle drei Ansprüche werden nicht abschließende Formulierungen verwendet, wie "Herstellung eines Medikamentes" oder "pharmazeutische Zusammensetzung..., die umfasst". Dadurch werden zumindest sprachlich Schutzbereiche impliziert, die in den Ansprüchen per se keine Definition erfahren, und damit auch prinzipiell über die im Grundpatent in den Ansprüchen 1-11 und 15-23 beschriebenen Verbindungen und deren pharmazeutische Verwendung hinausgehen können. Ansprüche, aus deren Wortlaut eine Kombination unterschiedlicher Wirkstoffe unter Einbeziehung der in den Ansprüchen beschriebenen direkt abzuleiten ist, enthält das Grundpatent jedenfalls nicht.
Die nicht abschließende Formulierung der Ansprüche 12-14 und deren daraus erwachsende fehlende Genauigkeit und Unterscheidungskraft macht diese unklar bezüglich der Verwendung weiterer Inhaltsstoffe in den angesprochenen Medikamenten oder pharmazeutischen Zusammensetzungen, wie Trägerstoffe oder aber auch zusätzlicher Wirkstoffe. Der Schutzbereich eines Patentes ist, gemäß § 22a PatG und dem Auslegungsprotokoll zu Artikel 69 EPÜ sowie der ständigen österreichischen Rechtssprechung, durch die Ansprüche und insbesondere bei deren Unklarheit unter Hinzuziehung der Beschreibung und der Zeichnungen zu bestimmen (vergleiche beispielsweise die zu FN 629 zitierten Entscheidungen in Weiser, 2005, Seite 159 2.1). Um den Schutzbereich des Grundpatentes bestimmen zu können, ist im gegenständlichen Fall jedenfalls die Beschreibung zur Interpretation der unklaren nicht abschließenden Formulierungen der Ansprüche 12-14 heranzuziehen."
3.2. Der Oberste Patent- und Markensenat hält fest, dass in der bloßen Angabe der bestimmten Wirkung und der weiteren Angabe, dass es einen Trägerstoff (für den Wirkstoff) sowie einen diese Wirkung hervorrufenden Wirkstoff umfasst, nicht die unbedingt notwendige, eine Abgrenzung ermöglichende klare und deutliche Kennzeichnung für ein beliebiges, eine bestimmte Wirkung aufweisendes Mittel erkannt werden kann. Formulierungen dieser Art werden oft so ausgelegt, dass sie nicht nur eine beliebige Zahl an weiteren Komponenten des Mittels, sondern auch das gesamte Spektrum an Verbindungen - und zwar sowohl bereits bekannte Verbindungen als auch alle noch hinkünftig verfügbar gemachten Verbindungen - als mögliche weitere Komponenten des Mittels enthalten. Bei Vorliegen solcher Anspruchsformulierungen wird es daher unumgänglich sein, weitere Festlegungen zu treffen, um einen einigermaßen definierten Schutzbereich zu definieren.
3.3. Für die Beurteilung des Schutzbereichs des Grundpatents E 143 262 und die Frage, ob dieser Schutzbereich auch den Gegenstand der Schutzzertifikatsanmeldung umfasst sind vor allem die Ansprüche 12-14, insbesondere der Anspruch 14 von Bedeutung:
Dieser Anspruch weist eine offene Formulierung auf, nach der er alle pharmazeutischen Zusammensetzungen aus einem (pharmazeutischen) Träger und einem Wirkstoff nach den Ansprüchen 1-11 umfassen soll. Diese Formulierung bedeutet, dass die Zusammensetzung nach Anspruch 14 jeden beliebigen weiteren Stoff, ob pharmazeutisch aktiv oder nicht, enthalten kann, dies auch in unbegrenzter Anzahl, demnach eine unbestimmbar große Menge an pharmazeutischen Zusammensetzungen mit einer einzigen feststehenden Komponente, nämlich Ritonavir umfasst. Eine aus mehreren Komponenten bestehende und Ritonavir enthaltende pharmazeutische Zusammensetzung wird nicht explizit beansprucht. In den Ansprüchen finden sich auch keine genauen Angaben oder Hinweise bezüglich weiterer möglicher Komponenten. Um bei Vorliegen solcher Formulierungen dessen ungeachtet den Schutzbereich eines Patentes festlegen zu können, sind die in § 22a PatG vorgesehenen (oben beschriebenen) Auslegungsrichtlinien heranzuziehen.
In der Beschreibung des Grundpatents, die nach § 22a PatG zur näheren Auslegung heranzuziehen ist, finden sich auf den Seiten 176 bis 178, fünfter Absatz eine Aufzählung möglicher weiterer Komponenten, großteils durch Angabe genereller Funktionsmechanismen oder Anführung von funktionellen Überbegriffen definiert. Auch die Beschwerdeführerin geht selbst davon aus, dass die Verwendung von Wirkstoffkombinationen erst in der Beschreibung deutlich eröffnet wird. Wie schon die Beschwerdeabteilung zutreffend aufzeigte, beschränkt sich die Beschreibung dabei auf die Offenbarung der funktionellen Übergruppe von Wirkstoffen, die als Retroviralproteaseinhibitoren fungieren, und nennt dazu lediglich drei Wirkstoffe als Beispiele, wobei der Wirkstoff Lopinavir nicht unter den genannten ist. Abgesehen davon, dass sich Lopinavir nicht unter den im oben angeführten Teil der Beschreibung namentlich angeführten chemischen Verbindungen findet, fällt dieser Wirkstoff auch nicht unter die nach den Ansprüchen 1 bis 11 und 15 bis 25 geschützten Verbindungen.
Dem Einwand der Beschwerdeführerin, eine explizite Nennung des im Erzeugnis neben Ritonavir verwendeten Wirkstoffes Lopinavir sei nicht notwendig gewesen, um vom Schutzbereich des Grundpatents umfasst zu sein, ist noch ein weiterer Aspekt entgegenzuhalten. Die im Gegenstand des beantragten Schutzzertifikats genannte weitere Verbindung Lopinavir war nämlich zum Prioritätszeitpunkt des Grundpatents E 143 262 noch gar nicht bekannt und kann somit schon aus diesem Grund nicht als zur erfinderischen Idee des Grundpatents gehörend angesehen werden. Ein Schutzbegehren auf zum Prioritätszeitpunkt der Patentanmeldung noch nicht bekannte und erst zu entwickelnde Bestandteile auszudehnen, ist nicht gerechtfertigt, weil das Schutzbegehren in einem solchen Fall noch nicht in den Anmeldungsunterlagen beschriebene, also fiktive Bestandteile bzw fiktive Gegenstände umfassen würde. Eine derartige Ausdehnung des Schutzbereichs eines Patents ist daher als ein nicht konkretisiertes und auch nicht konkretisierbares Begehren mit dem Gesetzesauftrag des § 22a PatG nicht in Einklang zu bringen. Es ist und als solches nicht geeignet, zur Festlegung des Schutzbereiches herangezogen zu werden.
3.4. Der Oberste Patent- und Markensenat kann auch der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung, die Verbindung Lopinavir werde - wegen der wortwörtlichen Nennung von Retroviralproteaseinhibitoren auf Seite 176, Zeile 8 der Beschreibung des Patents E 143 262 - vom Schutzbereich dieses Patents umfasst, nicht beitreten.
Schon die Beschwerdeabteilung hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Erweiterung des Schutzbereichs auf Wirkstoffe, die nur durch generelle Funktionsmechanismen definiert sind oder durch die Bezeichnung funktioneller Überbegriffe von Wirkstoffen - wie im gegenständlichen Grundpatent Retroviralproteaseinhibitoren bzw HIV-Proteaseinhibitoren - nicht nur unzumutbare erfinderische Anforderungen an den zur Interpretation genötigten Fachmann stellte, sondern auch die in der Entscheidung des OGH 4Ob178/03k bei der Interpretation des Schutzumfangs eines Patents geforderte ausreichende Rechtssicherheit für Dritte in Frage stellte, die ja auf der hinreichend sicheren Vorhersagbarkeit des Schutzumfanges beruht. Eine Interpretation, die allgemeine und damit vage technische Überbegriffe berücksichtigt, ist unvorhersehbar und willkürlich. Sie trägt jedenfalls nicht zur Ausgewogenheit zwischen Schutzanspruch und Rechtssicherheit bei und ist daher unter Berücksichtigung der bei Auslegung von Patentansprüchen heranzuziehenden Grundsätze (§ 22a PatG) abzulehnen.
Darüber hinaus ist dem Fachmann bekannt, dass Ritonavir auch als Einzelwirkstoff angewendet wurde und wird, wogegen Lopinavir nur in Kombination mit Ritonavir anwendbar ist, da Lopinavir im menschlichen Körper sehr rasch metabolisiert wird und erst durch die gemeinsame Gabe mit Ritonavir eine ausreichende Konzentration an Lopinavir im Organismus erreichbar ist und so eine ausreichende Hemmung der HIV-Proteasen bewirkt wird. Lopinavir ist die jüngere Entwicklung und zur Entfaltung ihrer Wirksamkeit bedarf eine diese Verbindung aufweisende pharmazeutische Zusammensetzung der Unterstützung durch die bei ihrer Entwicklung schon existente Verbindung Ritonavir. Die der Entwicklung der im Schutzzertifikat beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzung aus Lopinavir und Ritonavir zugrunde liegende Idee bzw Intention war nicht die, das die Verbindung Ritonavir allein enthaltende Medikament zu verbessern, sondern die negativen metabolischen Eigenschaften von Lopinavir in einem dieses allein enthaltenden Medikaments mittels einer weiteren aktiven Komponente zu unterdrücken bzw so weit als möglich zurückzudrängen. Auch diese Tatsachen lassen nicht den Schluss zu, dass eine Ritonavir/Lopinavir pharmazeutische Zusammensetzung vom Grundpatent umfasst ist.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung des BGH, wonach das Schutzzertifikat auch für - im Grundpatent als solches nicht genannten - Derivate eines Wirkstoffs und dessen physiologisch annehmbare Salze und Solvate erteilt werden könne, nicht einschlägig ist. Sie hatte derivative Formen ein und desselben Wirkstoffs mit denselben Heilungs- bzw Vorbeugungseffekten zum Gegenstand.
In den Schutzbereich des vorliegenden Patents fällt der Wirkstoff Ritonavir, der zusätzliche Wirkstoff Lopinavir ist hingegen kein Derivat des Ritonavir, sondern eine strukturell und chemisch davon völlig verschiedene chemische Verbindung.
3.5. Aus den genannten Gründen wird deutlich, dass das beantragte Erzeugnis, die Wirkstoffkombination Ritonavir/Lopinavir nicht im Schutzbereich des Grundpatents enthalten sein kann, das Erzeugnis liegt also nicht in den Grenzen des durch das Grundpatent gewährten Schutzes und entspricht daher weder dem Erfordernis von Artikel 3 lit a) VO (EWG) Nr 1768/92, noch Artikel 4 VO (EWG) Nr 1768/92.
Die Beschwerde der Patentinhaberin musste erfolglos bleiben.