Op6/08 – OPMS Entscheidung
Kopf
Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Peter NIEDERREITER, die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Mag. Carmen LOIBNER-PERGER und Dr. Manfred VOGEL als rechtskundige Mitglieder und den Räten des Obersten Patent- und Markensenates Dipl.-Ing. Johannes MESA PASCASIO und Dipl.-Ing. Alfred KUTZELNIGG als fachtechnische Mitglieder in der Patentrechtssache der Antragstellerin Firma D ***** Italien, vertreten durch Patentanwälte Pinter, Laminger Weiss OG, Prinz-Eugen-Straße 70, 1040 Wien, wider die Antragsgegnerin Firma S ***** G m b H , ***** Deutschland, vertreten durch Haffner und Keschmann Patentanwälte OG, Schottengasse 3a, 1014 Wien, wegen Nichtigerklärung des Patentes Nr. E 131 755 (EP 597 265) über die Berufung der Antragsgegnerin gegen die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 20. Feber 2008, Zl N 9/2006-4, entschieden:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin die mit 2.721,90 EUR (darin 453,65 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
G r ü n d e :
Die S*****GmbH (in der Folge: Antragsgegnerin) ist Eigentümer des österreichischen Teils E 131 755 des europäischen Patents EP 0 597 265 B1 (Anmeldung vom 12. Oktober 1993 unter Beanspruchung der Priorität vom 15. Oktober 1992).
Der Patentanspruch 1 des europäischen Patents lautet:
Walzgerüst mit in zwei zueinander parallelen Walzenständern (3,4), von denen der bedienungsseitige Walzenständer (4) von dem anderen Walzenständer (3) wegbewegbar ist, anstellbar gelagerten Walzen, insbesondere Universal-Walzgerüst (1) mit Horizontalwalzen (5, 6) und in Kassetten (17) angeordneten Vertikalwalzen (7), dadurch gekennzeichnet, dass ein mit dem bedienungsseitigen Walzenständer (3, richtig jedoch: 4 ) wegbewegbarer Wechselrahmen (13) die Walzen (5,6; 7) aufnimmt.
Die auf Anspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogenen Ansprüche 2 bis 7 betreffen Einzelheiten des Walzgerüsts, insbesondere des Wechselrahmens. Als Aufgabe ist angegeben, bei einem gattungsgemäßen Walzgerüst den Walzenwechsel weiter zu vereinfachen und die Stillstandszeiten der Walzstraße beim Walzenwechsel zu verringern (Spalte 2, Zeilen 4-8).
Mit Antrag vom 16. November 2006 begehrt die D***** (in der Folge: Antragstellerin), den österreichischen Teil E 131 755 des europäischen Patents EP 0 597 265 B1 für nichtig zu erklären. Der Gegenstand des Patents sei nicht neu, weil die Vorveröffentlichung US 4 907 437 (= B8) dessen wesentliche Merkmale beschreibe. Auch fehle - gemessen an den Vorveröffentlichungen JP-A-54-139866 (= B9) und WO 1988/06930 (= B2) sowie dem Stand der Technik nach B8 und IT 1 220 852 (= B10) - die erfinderische Tätigkeit.
Die Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes hat mit Entscheidung vom 20. Feber 2008 dem Antrag stattgegeben und den österreichischen Teil E 131 755 des europäischen Patents EP 0 597 265 B1 für nichtig erklärt.
Die Vorveröffentlichung B2, die bei der Erteilung des europäischen Patents als der nächstkommende Stand der Technik angesehen worden sei, zeige ein Walzgerüst mit zwei zueinander parallelen Walzenständern, in denen während des Walzbetriebes die anstellbar gelagerten Walzen abgestützt würden. Beim Walzenwechsel würden sowohl der bedienungsseitige als auch der an-triebsseitige Walzenständer von der Walzlinie fortbewegt. Insbesonders zeige diese Druckschrift auch ein Universal-Walzgerüst mit Horizontalwalzen und in Kassetten angeordneten Vertikalwalzen. Somit zeige B2 alle Merkmale des Oberbegriffs des Gegenstands von Anspruch 1 des Streitpatents. B2 zeige weiters, dass für einen Walzenwechsel bei auseinander gefahrenen Walzenständern auf einen Tisch (17) eine rahmenförmige - mit einer Öffnung versehenen - "Abstandshalterstruktur" (in der die Walzen aufgenommen seien) abgelegt, durch einen Kran weggehoben und durch eine andere "Abstandshalterstruktur" ersetzt werden könne. Diese "Abstandshalterstruktur" entspreche somit dem Wechselrahmen (13) des Streitpatents. Damit sei auch das im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 des Streitpatents angegebene Merkmal, dass ein Wechselrahmen die Walzen aufnehme, durch B2 bekannt. Die Schrift B10 zeige insbesondere in den Figuren 2 und 3 ebenfalls ein Walzgerüst entsprechend dem im Streitpatent angegebenen Stand der Technik, zusätzlich mit einem Wechselrahmen, der die Walzen aufnehme. Das Streitpatent unterscheide sich von diesem dargelegten Stand der Technik dadurch, dass beim Walzenwechsel der die Walzen aufnehmende Wechselrahmen mit dem bedienungsseitigen Walzenständer (zumindest teilweise) mitbewegt werde und nicht in der Walzlinie verbleibe. Somit sei der Gegen-stand von Patentanspruch 1 neu.
Das Patent wolle erreichen, dass durch die darin zusätzlich angegebenen Maßnahmen der Walzenwechsel weiter vereinfacht und die Stillstandszeiten beim Walzenwechsel verringert werden könne. Ein Walzenwechsel nach dem Stand der Technik könne dann vereinfacht und die Stillstandszeiten verringert werden, wenn die zur Freigabe des Wechselrahmens notwendige Öffnung des Walzgerüstes und Wegbewegung der Walzenständer, das Auswechseln des Wechselrahmens und das Zusammenbewegen und Schließen der Walzenständer vereinfacht und beschleunigt werde. Der Fachmann werde - ausgehend vom Stand der Technik und nach Analyse der dazu erforderlichen einzelnen Arbeitsschritte bzw konstruktiven Notwendigkeiten - für ein rascheres und einfacheres Austauschen des Wechselrahmens nach einer
Lösung suchen, bei der der antriebsseitige Walzenständer nicht bewegt werden müsse. Die Maßnahme, den Wechselrahmen bis zu einer Zwischenposition mit dem bedienungsseitigen Walzenständer mitzubewegen, dort von diesem Walzenständer zu lösen und anschließend den bedienungsseitigen Walzenständer in seine Endposition zu bringen, sodass das Auswechseln der Wechselrahmen erfolgen könne, scheine auf den ersten Blick komplizierter und langsamer zu sein, als die aus dem Stand der Technik bekannte Vorgangsweise. Es sei aber zu bedenken, dass - im Gegensatz zur Lösung nach dem Streitpatent - nach B2 und B10 auch der antriebseitige Walzenständer wegbewegt werden müsse. Dazu müsse entweder dieser Walzenständer vom Antrieb gelöst oder der Antrieb mitbewegt werden; dies benötige entweder einen erhöhten Arbeits- und Zeitaufwand oder einen aufwändigeren Verschiebemechanismus als nach dem Streitpatent.
B8 zeige ein Universal- Walzgerüst, in dem die Walzen in einem Wechselrahmen aufgenommen seien und sich im Walzbetrieb in einem antriebsseitigen Walzenständer abstützten (Kantilever-Bauweise). Ein Austausch des Wechselrahmens erfolge dabei derart, dass der Wechselrahmen mit einem "Installation System" von dem antriebsseitigen Walzenständer wegbewegt und ausgetauscht werde. In Hinblick auf B8 sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 neu, da diese Schrift kein Walzgerüst mit zwei Walzenständern für den Walzbetrieb zeige. Aber das technische Merkmal, den Wechselrahmen, der die Walzen aufnehme, gemeinsam mit einer Halterung für den Walzenwechsel quer zur Walzlinie vom feststehenden antriebsseitigen Walzenständer wegbewegbar zu gestalten, sei dem Fachmann aus B8 bekannt. Es sei daher für den Fachmann zur Erreichung der Weiterentwicklung des Standes der Technik, wie er durch B2 gegeben sei, unmittelbar nahe liegend, die aus B8 bekannte Maßnahme, nämlich den antriebsseitigen Walzenständer feststehend auszuführen und beim Walzenwechsel den Wechselrahmen gemeinsam mit einer Halterung quer aus der Walzlinie wegzubewegen, anzuwenden. Dass es dazu bei einem Walzgerüst mit zwei Walzenständern (wie in B2) konstruktiv einfach bzw notwendig sei, den Wechselrahmen beim Walzenwechsel durch den bedienseitigen Walzenständer zu halten und dabei (zumindest teilweise) mit diesem mitzubewegen, sei für den Fachmann unmittelbar einsichtig, weil ein spezielles "Installation System" dadurch nicht notwendig sei. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ergebe sich somit für einen Fachmann unmittelbar aus der Zusammenschau von B2 bzw B10 und B8; dieser Anspruch sei daher mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentwürdig.
Die in Anspruch 2 angeführte Maßnahme, dass der Wechselrahmen mit einem Armaturenträger versehen sei, sei aus B8 (Figur 2, Spalte 2, Zeilen 39-43) bekannt. Daher fehle auch dem Gegenstand des Anspruchs 2 die für ein Patent erforderliche erfinderische Tätigkeit. Betreffend Anspruch 3 sei auf B10 zu verweisen; Figur 3 dieser Druckschrift und die dazugehörige Beschreibung in US 5 497 644 A zeigten, dass der Walzenbund der oberen Horizontalwalze (14) auf einem Querträger des Wechselrahmens und der Walzenbund der unteren Horizontalwalze (14) auf einer unteren Stützfläche des Wechselrahmens abgestützt würden. Auch die Figur 3 in B2 zeige, dass die untere Walze auf einer Stützplatte 29 des Wechselrahmens und die obere Walze auf Stützplatten 30 des Wechselrahmens abgestützt werde. Somit sei auch der Gegenstand des Anspruchs 3 nicht patentwürdig. Nach Anspruch 4 sollten die Ablagen der oberen Horizontalwalzen als Schwenkhebel ausgebildet sein. Nach B2 (Seite 5, Zeilen 10-12) seien die die oberen Horizontalwalzen abstützenden Stützplatten 30 verfahrbar, somit in ihrer Wirkung - ein Hochheben der oberen Horizontalwalzen zu ermöglichen, um sie dann in ihrer angehobenen Position abzustützen - äquivalent zu den im Anspruch 4 des Streitpatents vorgesehenen Schwenkhebeln. Daher sei auch Anspruch 4 nicht erfinderisch. Auch der Gegenstand des Anspruchs 5 ergebe sich aus dem Stand der Technik in einfacher Weise. In diesem Zusammenhang seien die Figuren 2 und 3 in B8 zu beachten, die in Kassetten (22) angeordnete Vertikalwalzen (23) zeigten, wobei der Wechselrahmen (13) Ansätze (21,121) aufweise, und der Ansatz (121) in den antriebsseitigen Walzenständer hineinrage. Die in den Ansprüchen 6 und 7 geforderte Verriegelung des Wechselrahmens sei für einen Fachmann ebenfalls nahe liegend, weil in B8 ein Rastmechanismus (Rastmechanismus 36,24) für die Verras-tung des Wechselrahmens am antriebsseitigen Walzenständer geoffenbart sei. Das angefochtene Patent sei daher in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Berufung der Antragsgegnerin richtet sich gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung mit dem Antrag, diese aufzuheben und das angefochtene Patent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten. Sie macht geltend, der Gegenstand des Patents sei neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Antragstellerin begehrt, die Berufung abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Ein Patent ist für nichtig zu erklären, wenn der Gegenstand nach den §§ 1 - 3 PatG nicht patentierbar war (§ 48 Abs 1 Z 1 PatG). Nur für Erfindungen, die neu sind, sich für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben und gewerblich anwendbar sind, werden Patente erteilt (§ 1 Abs 1 PatG). Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Den Stand der Technik bildet alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der Anmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benützung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (§ 3 Abs 1 PatG).
Die WO 1988/06930 A1 (Beilage B2) wurde bei der Erteilung des europäischen Patents 597 265 B1 (E 131 755) als nächstkommender Stand der Technik angesehen (Spalte 1, Absatz 1). Sie zeigt ein Walzgerüst mit zwei zueinander parallelen Walzenständern (in Fig 1: 1,3; auch: 5, 5), in welchen während des Walzbetriebes die anstellbar gelagerten Walzen abgestützt werden. Diese beiden Walzenständer sind zum Walzenwechsel voneinander wegbewegbar, wobei sowohl der bedienungsseitige, als auch der antriebsseitige Walzenständer von der Walzlinie fortbewegt wird. Auch das fakultative Merkmal des Oberbegriffes "Universal-Walzgerüst" ist erfüllt (vergleiche Sei-te 4 sowie Seite 6 mittlerer Absatz). Somit zeigt dieses Dokument alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1.
Darüber hinaus lehrt B2, dass für einen Walzenwechsel bei auseinander gefahrenen Walzenständern eine rahmenförmige - mit einer Öffnung (27) versehene - Abstandshalterstruktur ("spacer structure 15"), in der die Walzen (21, 25) aufgenommen sind, auf einen Tisch (17) abgelegt, durch einen Kran entfernt und durch eine andere ersetzt werden kann. Diese Abstandshalterstruktur (15) entspricht somit dem Wechselrahmen (13) des streitverfangenen Patents. Wie die Nichtigkeitsabteilung zutreffend erkannt hat, ist also auch das als kennzeichnend angegebene Merkmal, dass ein Wechselrahmen (13) die Walzen (5, 6, 7) aufnimmt, durch dieses Dokument bekannt.
Zuzustimmen ist der Nichtigkeitsabteilung weiters darin, dass die IT 1 220 852 (Beilage B10) ebenfalls ein Walzgerüst entsprechend dem im streitverfangenen Patent angegebenen Stand der Technik zeigt, dies zusätzlich mit einem Wechselrahmen (13), der die Walzen (14) aufnimmt (vergleiche Fig 2 und 3). Unterschiedlich gegenüber diesem Stand der Technik ist beim Gegenstand des Anspruchs 1 hingegen, wie in der angefochtenen Entscheidung richtig erkannt wird, jener eine Schritt, dass beim Walzenwechsel der die Walzen aufnehmende Wechselrahmen mit dem bedienungsseitigen Walzenständer - zumindest teilweise - mitbewegbar ist und dadurch nicht in der Walzlinie verbleibt.
Die US 4 907 437 A (Beilage B8) betrifft ein Universal-Walzgerüst, bei dem die Horizontalwalzen (12) fliegend auf Wellen (41) gelagert sind. Es ist somit nur ein Walzenständer vorhanden, weshalb es sich um ein gattungsfremdes Walzgerüst handelt. In Übereinstimmung mit als kennzeichnend angeführten Angaben werden die Horizontalwalzen zum Walzenwechsel in einem als Wechselrahmen anzusprechenden "universal device 13" aufgenommen (Spalte 2, Zeilen 39-46 und 61-65). Dieser Wechselrahmen ist von dem einzigen Walzenständer wegbewegbar, wobei ein nicht näher erläutertes - an sich bekanntes (vergleiche Spalte 2, Zeilen 33-34) - Installationssystem (15) verwendet wird. Sohin ist aus diesem Dokument die Aufgabenstellung an sich bekannt.
Die JP 54-139866 A (Beilage B9) betrifft ein Universal-Walzwerk, bei dem der Abstand zwischen zwei parallelen Walzenständern (4, 5) verändert werden kann, um Horizontalwalzen der erforderlichen Länge einsetzen zu können. Zum Auswechseln der Walzen (vergleiche Seite 3, Absatz 2 der Übersetzung) werden die Vertikal-Walze und die Horizontal-Walze zur gleichen Zeit entfernt, nachdem das vertikale Walzgerüst (10) geöffnet worden ist, oder es werden eine Horizontal-Walzen-Einheit und eine Vertikal-Walzen-Einheit unter Anwendung von C-Haken oder ähnlichem aus den Walzenständern (4, 5) entfernt. Ein Wechselrahmen im Sinne des streitverfangenen Patents kann nicht erblickt werden. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Walzen in den Walzenständern anstellbar gelagert sind, betrifft das Dokument sohin nur einen Gegenstand gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Zusammenfassend ergibt sich somit, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 formal neu ist.
Eine Erfindung beruht auf erfinderischer Tätigkeit, wenn sie die technische Aufgabe auf eine Weise löst, die für die Maßfigur einer durchschnittlichen Fachperson angesichts des nächstliegenden Stands der Technik nicht nahe liegend ist (OPM Op 1/02 = PBl 2003, 29; Op 7/05; Op 3/06). Nahe liegend ist eine Maßnahme, die nicht über die normale technologische Weiterentwicklung hinausgeht, sondern sich ohne weiteres oder folgerichtig aus dem bisherigen Stand der Technik ergibt, also keine Geschicklichkeit oder Fähigkeit verlangt, die über das bei der beschriebenen Fachperson voraussetzbare Maß hinausgeht (OPM Op 5/05 = PBl 2006, 127, 140).
Im Interesse einer objektiven Beurteilung der Erfindung, die einer rückschauenden Betrachtungsweise vorbeugen soll, wird die Frage der erfinderischen Tätigkeit nach dem Aufgabe- und Lösungskonzept (problem and solution approach) beurteilt. Dabei wird als erstes der nächstliegende Stand der Technik festgelegt, sodann die technische Aufgabe definiert, die aufbauend auf dem nächstliegenden Stand der Technik mit der beanspruchten Erfindung gelöst werden soll, und anschließend die Frage geprüft, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der technischen Aufgabe für eine Fachperson nahe liegend gewesen wäre. Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit kommt es nach diesem Prüfungskonzept nicht darauf an, ob es einer Fachperson prinzipiell möglich wäre, die im Patent beschriebenen Maßnahmen einzusetzen; entscheidend ist vielmehr die Frage, ob diese Fachperson eine Veranlassung hatte, dies auch tatsächlich zu tun (could-would-test; OPM Op 1/02 = PBl 2003, 29 mwN).
Fachperson nach diesem Prüfungskonzept ist im Anlassfall eine Person mit grundlegenden Kenntnissen auf dem Gebiet des Maschinenbaus oder Hüttenwesens und Erfahrung, in der Konstruktion bzw im Betrieb von Walzwerken. Zu fragen ist, ob für diese Maßfigur der im Patent aufgezeigte Schritt, dass der die Walzen aufnehmende Wechselrahmen mit dem bedienungsseitigen Walzenständer wegbewegbar ist, als nahe liegende Maßnahme zu beurteilen ist.
Das Patent stellt sich die bekannte Aufgabe, den Walzenwechsel weiter zu vereinfachen und die Stillstandszeiten der Walzstraße beim Walzenwechsel zu verringern. Wie in der Beschreibung (vergleiche Spalte 2, Zeilen 16-44, Spalte 5, Zeilen 9-30) erläutert, wird durch Verbringen des bedienungsseitigen Walzenständers in seine Endposition der Wechselrahmen in einer Zwischenposition (zB auf dem Fundament oder auf Schienen) völlig frei und somit zugänglich für einen Kran (etwa über Hebezeug 29) oder eine Verschiebebühne, wodurch ein rascher Austausch gegen einen bereits bestückten
Wechselrahmen möglich ist. Dieser Gedanke findet in den Patentansprüchen allerdings keinen Niederschlag.
Für das Verbringen des Wechselrahmens in die erwähnte Zwischenposition stehen einer Fachperson nur drei Möglichkeiten offen: Sie kann a) den bedienungsseitigen oder b) zusätzlich auch den antriebsseitigen Walzenständer samt dem Wechselrahmen wegbewegen, um diesen sodann von ersterem bzw von beiden zu trennen (beide Varianten fallen unter den Wortlaut des Anspruchs 1), oder sie kann c) den bereits von den Walzenständern getrennten Wechselrahmen aus der Walzlinie wegbewegen, indem etwa der Tisch (17) in B2 verschiebbar ausgebildet ist. Jede dieser Möglichkeiten ist nahe liegend in dem Sinne, dass sie nicht über die normale technologische Weiterentwicklung hinausgeht, sondern sich für eine Fachperson ohne weiteres oder folgerichtig aus dem bisherigen Stand der Technik ergibt und keine Geschicklichkeit oder Fähigkeit verlangt, die über das bei einer Fachperson voraussetzbare Maß hinausgeht. Einer Fachperson wäre es nicht nur prinzipiell möglich gewesen, eine dieser drei Möglichkeiten zur Erzielung des gewünschten Effekts einzusetzen, sondern sie hatte auch Veranlassung, dies tatsächlich zu tun. Eine Auswahl aus wenigen (hier: nur drei) vorhandenen Möglichkeiten zu treffen, liegt im Bereich fachmännischen Ermessens, dh eine Fachperson konnte nicht nur davon Gebrauch machen, sondern hätte dies auch getan. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist deshalb als nahe liegend einzustufen.
Die Ansprüche 2 bis 7 des Patents sind sämtliche direkt oder indirekt auf Anspruch 1 rückbezogen und damit echte Unteransprüche, deren rechtliches Schicksal jenem von Anspruch 1 folgt. Bei den Einzelheiten dieser Unteransprüche handelt es sich um im fachmännischen Ermessen liegende und als an sich bekannt belegte Maßnahmen. Auf die auch insoweit zutreffenden Ausführungen der Nichtigkeitsabteilung ist zu verweisen. Selbst die Berufungswerberin hat nicht aufgezeigt, inwieweit einem (oder mehreren) dieser Ansprüche patentbegründende Bedeutung zukäme.
Der Berufung ist deshalb insgesamt ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht - ausgehend von einem Streitwert gemäß § 5 Z 14 AHK 2005 von 36.000 EUR - auf §§ 122 Abs 1 und 140 PatG iVm § 41 Abs 1 und § 50 Abs 1 ZPO. Die mit der Verrichtung der Berufungsverhandlung verbundenen Leistungen sind mit dem dreifachen Einheitssatz für die Berufung abgegolten (§ 23 Abs 9 RATG).