Op3/06 – OPMS Entscheidung
Kopf
Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Peter NIEDERREITER als Vorsitzenden und die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Theodor THANNER und Dr. Manfred VOGEL als rechtskundige Mitglieder und die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. phil. Erich TENGLER und Dipl. Ing. Eva FESSLER als fachtechnische Mitglieder in der Patentrechtssache der Antragstellerin O***** A G , ***** Schweiz, vertreten durch Kopecky Schwarz Patentanwälte, Wipplingerstraße 32/22, 1010 Wien und Schönherr Rechtsanwälte OEG, Tuchlauben 17, 1010 Wien, sowie der ihr beigetretenen Nebenintervenientin O ***** G m b H , ***** vertreten durch Kopecky Schwarz Patentanwälte, Wipplingerstraße 32/22, 1010 Wien und Schönherr Rechtsanwälte OEG, Tuchlauben 17, 1010 Wien, wider die Antragsgegnerin C *****, USA, vertreten durch Dipl. Ing. Werner BARGER, Dr. Eberhard PISO, Dipl. Ing. Dr. techn. Peter ISRAILOFF, Patentanwälte, Mahlerstraße 9, 1015 Wien, wegen Nichtigerklärung des Patentes Nr 392 905, über die Berufung der Antragsgegnerin gegen die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 2. Feber 2005, Zl N 21/2000-9, entschieden:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Antrag, das Patent Nr 392 905 B für nichtig zu erklären, abgewiesen wird.
Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 2.545,02 EUR (darin 73,39 EUR Barauslagen und 411,93 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 3.200,75 EUR (darin 626 EUR Barauslagen und 429,12 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
G r ü n d e :
Das amerikanische Unternehmen C***** (in der Folge: Antragsgegnerin) war Inhaberin des österreichischen Patents Nr 392 905 B mit Priorität vom 13. Mai 1983. Dieses Patent ist mit Wirkung vom 15. Oktober 2003 infolge Ablaufs der Höchstdauer erloschen. Mit Eingabe vom 25. November 2004 begehrte die Antragstellerin die Weiterführung des Verfahrens, weil weiterhin ein rechtliches Interesse an der Durchführung des Verfahrens gegeben sei; die Antragsgegnerin trat dem nicht entgegen. Am 28. Dezember 2004 trat die O***** GmbH dem Verfahren als Nebenintervenientin auf Seite der Antragstellerin bei.
Der Schutzumfang des betroffenen Patents erstreckte sich gemäß Anspruch 1 auf ein Verfahren zur Behandlung eines Blutgerinnungsfaktor VIII-Konzentrats zum Zwecke der Minimierung der Wirkung irgendeines im Blutgerinnungsfaktor VIII-Konzentrat vorhandenen Virus, gemäß welchem man
a) ein Konzentrat enthaltend menschlichen Blutgerinnungsfaktor VIII lyophilisiert und sodann
b) das lyophilisierte Blutgerinnungsfaktor VIII-Konzentrat auf eine vorbestimmte Temperatur von wenigstens 60 Grad C
c) während einer Zeitperiode erhitzt, die ausreicht, die Ansteckungsfähigkeit eines Virus, insbesondere eines non-A-non-B-Hepatitisvirus, eines mit Acquired Immune Deficiency Syndrom (AIDS) verwandten Virus, Cytomegalovirus oder Epstein-Barr-Virus, zu beseitigen.
Gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 wird
d) das lyophilisierte Blutgerinnungsfaktor VIII-Konzentrat auf eine Temperatur zwischen 60 Grad C und 125 Grad C erhitzt und
e) ein im Wesentlichen von Blutgerinnungsenzymen freies Konzentrat eingesetzt.
Gemäß dem Patentanspruch 2 wird ein im Wesentlichen von den Faktoren II, VII, IX, X, XII und XIII oder deren aktiven Formen freies Konzentrat eingesetzt.
Am 24. November 2000 stellte die O***** AG (in der Folge: Antragstellerin) den Antrag auf Nichtigerklärung des gegenständlichen Patents. Die Priorität der US-Patentanmeldung No 377 863 sei zu Unrecht beansprucht worden. Der Gegenstand der Ansprüche sei durch Dokumente, insbesondere die "Rubinstein Abstracts", vorweggenommen bzw nahe gelegt. Auch sei die technische Lehre mangelhaft geoffenbart.
Die Antragsgegnerin beantragte, das Patent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten. Kern des Nichtigkeitsvorbringens sei das Urkundenkonvolut D3; die darin enthaltenen "Rubinstein Abstracts" beträfen Experimente mit lyophilisiertem Faktor VIII. Die Merkmalkombination gemäß den Ansprüchen sei aber daraus nicht ableitbar. Auch die übrigen Vorhalte zeigten ebenfalls nicht die entscheidenden Merkmale der Ansprüche bzw beträfen andere Gerinnungsfaktoren. Auch gingen die Ansprüche nicht aus einer Kombination der von der Antragstellerin genannten relevanten Dokumente hervor. Die in der Patentschrift genannten Verfahrensschritte seien für den Fachmann ohne weiteres ausführbar, die Offenbarung sei daher ausreichend.
Die Nichtigkeitsabteilung gab dem Löschungsantrag statt. Die Merkmale a) bis d) des Anspruchs 1 seien durch den Vorhalt D3 („Rubinstein Abstracts“) vorweggenommen. Keiner der vorveröffentlichten Entgegenhaltungen sei jedoch zu entnehmen, dass ein Faktor VIII-Konzentrat im Wesentlichen frei von Blutgerinnungsenzymen sei oder sein solle; insoweit sei Merkmal e) neu und die Patentwürdigkeit gegeben. Ob die in den Tabellen 1 und 2 des angegriffenen Patents aufgelisteten Faktor VIII-Präparate im Wesentlichen frei von Gerinnungsenzymen seien, oder ob die zum Anmeldezeitpunkt erhältlichen Handelsprodukte diese Bedingung erfüllt hätten, könne jedoch nicht beurteilt werden. Zum Anmeldezeitpunkt sei nicht klar gewesen, welches Faktor VIII-Konzentrat im Wesentlichen frei von Blutgerinnungsenzymen sei. Ein Fachmann habe nicht gewusst, welches Konzentrat er verwenden solle, um die Erfindung auszuführen. Die Erfindung sei damit nicht so deutlich und vollständig offenbart worden, dass sie von einem Fachmann ausgeführt werden könne; der technische Effekt des Einsatzes eines im Wesentlichen von Blutgerinnungsenzymen freien Faktor VIII-Konzentrats (Merkmal e) sowie die Merkmale von Anspruch 2 würden nicht durch experimentelle Daten in einem Ausführungsbeispiel belegt.
Die Berufung der Antragsgegnerin richtet sich gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung mit den Anträgen, die angefochtene Entscheidung abzuändern und den Antrag auf Nichtigerklärung abzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist berechtigt.
Die Berufungswerberin bekämpft die Auffassung der Nichtigkeitsabteilung, die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart worden, dass sie von einem Fachmann ausgeführt werden könne und der technische Effekt des Einsatzes eines im Wesentlichen von Blutgerinnungsenzymen freien Faktor VIII-Konzentrats (Merkmal e) sowie die Merkmale von Anspruch 2 würden nicht durch experimentelle Daten in einem Ausführungsbeispiel belegt. Dem sei entgegenzuhalten, dass den Patentansprüchen 1 und 2 sowie der Beschreibung des Patents (Seite 2, Zeilen 43 bis 51 und Seite 8, Zeilen 47 und 48) klare Aussagen über die vorzunehmenden Verfahrensschritte zu entnehmen seien. Auch werde in der Patentschrift (Seite 2, Zeilen 32 bis 37) der mit der Erfindung erzielbare technische Effekt dargelegt.
Der Senat hat dazu erwogen:
§ 87a Abs 1 PatG verlangt - ebenso wie der inhaltsgleiche Art 83 EPÜ -, dass die Erfindung in der Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, dass sie ein Fachmann ausführen kann.
In der hier entscheidungswesentlichen Frage, ob die Patentanmeldung der Antragsgegnerin den an eine Offenbarung zu stellenden Anforderungen genügt, ist darauf abzustellen, ob der Durchschnittsfachmann auf Grund der in der Anmeldung enthaltenen Informationen in die Lage versetzt wird, unter Inanspruchnahme des von ihm zu erwartenden Informations- und Wissensstandes und des allgemeinen Fachwissens und mit Hilfe der vom Anmelder aufgezeigten Ausführungswege die Lehre zum technischen Handeln zuverlässig, wiederholbar und ohne Umwege in die Praxis umzusetzen, ohne dabei einen unzumutbaren Aufwand treiben und eine unangemessene Zahl anfänglicher Fehlschläge hinnehmen zu müssen (4 Ob 214/04f = ÖBl 2005, 220 - Paroxat).
Erfindungswesentliches Merkmal des angegriffenen Patents ist - wie die Nichtigkeitsabteilung zutreffend ausführt - Merkmal e) des Anspruchs 1, dass nämlich ein im Wesentlichen von Blutgerinnungsenzymen freies Konzentrat eingesetzt wird. Dieses Merkmal kann aus der Patentschrift (Seite 8, Zeilen 34 – 38 und 46 – 48) erschlossen werden, wo das im geschützten Verfahren einzusetzende Ausgangsprodukt spezifiziert wird. Diese Beschreibung ist als ausreichende Offenbarung im Sinne der zuvor angeführten Grundsätze zu beurteilen.
Dem Argument von Antragstellerin und Nebenintervenientin, die Patentschrift offenbare nicht, auf welche Weise ein im Wesentlichen von Blutgerinnungsfaktoren freies Konzentrat herzustellen sei, ist zu erwidern, dass Gegenstand des Patents ja nicht die Herstellung eines Faktor VIII-Konzentrats, sondern ein Verfahren zur Virendeaktivierung ist. Ein derartiges Verfahren ist schon dann ausreichend geoffenbart, wenn zum Anmeldezeitpunkt ein derartiges Konzentrat zur Verfügung gestanden ist, also beschaffbar oder herstellbar war.
Ob dies der Fall war, steht nicht fest und wird von den Streitteilen unterschiedlich beurteilt: Nach dem Standpunkt der Antragsgegnerin stand dem Fachmann im Mai 1983 ein solches Konzentrat zur Verfügung, die Antragstellerin bestreitet dies. Die Beweislast in dieser Frage trifft nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen die Antragstellerin, die aus diesem Umstand die für ihren Rechtsstandpunkt günstige Rechtsfolge der mangelnden Offenbarung (und damit der Nichtigkeit) des angegriffenen Patents abzuleiten versucht. Sie hat zu diesem Beweisthema keine Beweismittel angeboten. Damit hat sie den Beweis, dass das angegriffene Patent mangels ausreichender Offenbarung nichtig ist, weder angetreten, noch erbracht.
Es ist daher zu prüfen, ob die weiteren von der Antragstellerin ins Treffen geführten Nichtigkeitsgründe der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit vorliegen.
Der Nichtigkeitsabteilung ist darin zuzustimmen, dass die Merkmale a) bis d) des Anspruchs 1 durch Vorhalt D3 („Rubinstein Abstracts“) vorweggenommen sind, der Einsatz von im Wesentlichen von Blutgerinnungsenzymen freiem Konzentrat (Merkmal e) hingegen keiner der vorgelegten Literaturstellen entnommen werden kann. Dies gilt umso mehr für das Merkmal des Anspruchs 2, der präzisiert, dass ein im Wesentlichen von den Faktoren II, VII, IX, X, XII und XIII oder deren aktiven Formen freies Konzentrat eingesetzt wird. Neuheit ist somit für beide Ansprüche des angefochtenen Patentes gegeben.
Eine Erfindung beruht auf erfinderischer Tätigkeit, wenn sie die technische Aufgabe auf eine Weise löst, die für den Fachmann angesichts des nächstliegenden Stands der Technik nicht nahe liegend ist (OPM Op 1/02 = PBl 2003, 29; Op 7/05). Ob es für den Fachmann zum Anmeldezeitpunkt nahe liegend gewesen wäre, für ein Verfahren zur Virendeaktivierung ein im Wesentlichen von Blutgerinnungsenzymen freies Konzentrat einzusetzen, ist anhand von Vorhalt D3 („Rubinstein Abstracts“) in Zusammenschau mit den Vorhalten D5 und D6 zu beurteilen. Aus dem Vorhalt D3, insbesondere FC-5, geht ua der Einsatz von Koate als Ausgangsprodukt in einem entsprechenden Verfahren zur Virendeaktivierung hervor. Im Vorhalt D5 wird die Aktivität verschiedener Faktor VIII-Präparate untersucht, wobei angeführt ist, dass sogar in hochreinen Konzentraten der Faktor VIII-Gehalt lediglich 1 – 2 % des Gesamtproteingehalts beträgt. Ein Hinweis auf eine spezielle Abwesenheit von Blutgerinnungsenzymen ist diesem Vorhalt nicht zu entnehmen. Dass eine Virendeaktivierung eines Faktor VIII-Konzentrats mittels der patentgemäßen Verfahrensschritte speziell dann verbesserte Ergebnisse liefert, wenn das Ausgangsprodukt keine Blutgerinnungsenzyme enthält, kann weder dem Vorhalt D6 noch einem anderen Vorhalt entnommen werden. Demnach ist für den Durchschnittsfachmann - als solcher ist im Anlassfall ein Hämatologe oder sogar ein fachspezifisches Entwicklerteam zu betrachten - der Lösungsvorschlag des angefochtenen Patents, ein von Blutgerinnungsenzymen im Wesentlichen freies Faktor VIII-Konzentrat einzusetzen, durch den aus den vorgelegten Entgegenhaltungen ersichtlichen Stand der Technik nicht nahe gelegt. Dies gilt gleichermaßen für den Gegenstand von Anspruch 2. Es lag demnach eine patentierbare Erfindung (§ 1 Abs 1 PatG) vor.
Der Berufung ist Folge zu geben und der Nichtigkeitsantrag abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht - ausgehend vom einvernehmlich zugrunde gelegten Streitwert von 72.700 EUR - auf §§ 122 Abs 1 und 140 PatG iVm § 41 Abs 1 und § 50 Abs 1 ZPO. Die mit der Verrichtung der Berufungsverhandlung verbundenen Leistungen sind mit dem dreifachen Einheitssatz für die Berufung abgegolten (§ 23 Abs 9 RATG). Der Ansatz nach TP 3B RATG beträgt 858,25 EUR.