JudikaturOLG Wien

6R312/25h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Wieser und Mag. Müller im Insolvenzverfahren der A* GmbH, FN **, **, Masseverwalter Mag. B*, Rechtsanwalt in Korneuburg, über den Rekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom 2.9.2025, **-1, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Am 30.6.2025 beantragte die Österreichische Gesundheitskasse [ÖGK] zu ** des Erstgerichtes die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A* GmbH, FN ** ( Antragsgegnerin bzw. Schuldnerin ). Diese schulde der ÖGK laut vollstreckbarem Rückstandsausweis vom 30.6.2025 einen Betrag von EUR 6.872,49 sA. Zahlungsunfähigkeit iSd § 66 Abs 1 u 2 IO werde mit dem Zeitraum der rückständigen Beiträge – laut beigelegtem Rückstandsausweis resultieren diese aus dem Zeitraum 01/2025 bis 05/2025 – unter Bedachtnahme auf § 69 Abs 2 IO glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin sei im Geschäftszweig Hochbau tätig.

Das Erstgericht trug der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 1.7.2025 auf, binnen drei Wochen eine Äußerung zum Insolvenzeröffnungsantrag abzugeben und das beigelegte Vermögensverzeichnis vollständig ausgefüllt und unterschrieben zu übermitteln, gleichzeitig wurde Rechtsbelehrung erteilt.

Nach den Erhebungen des Erstgerichts gab es keine vorangegangenen Insolvenzeröffnungsanträge. Die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse [BUAK] teilte über Anfrage mit, dass bei ihr keine offenen Rückstände bestehen, ein zu ** des Bezirksgerichtes Korneuburg geführtes Exekutionsverfahren gegen die Antragsgegnerin sei in den letzten sechs Monaten eingestellt worden.

Die Antragstellerin teilte am 29.7.2025 mit, dass auf dem Beitragskonto der Antragsgegnerin EUR 10.007,23 sA aushaften würden; der Rückstand habe sich durch anfechtungssichere AGH-Zahlungen von EUR 3.458,16 auf den genannten Betrag verringert. Es bestehe keine aufrechte Zahlungsvereinbarung. Derzeit seien drei Dienstnehmer zur Sozialversicherung angemeldet (ON 5).

Über Gerichtsauftrag, einen Kostenvorschuss zu erlegen, teilte die Antragstellerin am 1.9.2025 weiters mit, sich zur Überweisung des begehrten Kostenvorschusses von EUR 4.000,-- bereit zu erklären. Der aktuelle Rückstand betrage EUR 11.787,23 sA (ON 7).

Ein Äußerung der Antragsgegnerin langte nicht ein.

Sodann fasste das Erstgericht den angefochtenen Beschluss , mit dem es das Konkursverfahren über das Vermögen der Antragsgegnerin eröffnete und Mag. B* zum Masseverwalter bestellte. Es legte das Ende der Anmeldefrist mit 5.11.2025 fest und beraumte die Berichts- und Prüfungstagsatzung für den 19.11.2025 an.

Begründend wurde ausgeführt, die Forderung der ÖGK sei durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis vom 30.6.2025 (Beitragsrückstand ab 16.2.2025) bescheinigt. Dadurch sei zum einen die Insolvenzforderung und zum anderen wegen der Dauer des Rückstands auch die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin bescheinigt worden. Die Nichtzahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen und Abgaben sei ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen Forderungen um Betriebsführungskosten handle.

Die Bescheinigung der Regelung dieser Forderung sei nicht vollständig erfolgt. Der aktuelle Rückstand betrage EUR 11.787,23 zuzüglich Verzugszinsen. Außerdem behänge ein ungeregeltes Exekutionsverfahren betreffend einer Honorarforderung des C*, fällig laut Mahnklagsdaten seit 06/2024. Eine Äußerung der Antragsgegnerin zum Insolvenzeröffnungsantrag sowie ein Vermögensverzeichnis seien – nach elektronischer Zustellung am 2.7.2025 gemäß § 35 ZustG und trotz Belehrung ua darüber, dass nicht nur die Forderung der Antragstellerin, sondern auch alle anderen überfälligen Forderungen zu regeln seien und hierüber Bescheinigungsmittel vorgelegt werden müssten – trotz tatsächlich gewährter Nachfrist nicht eingelangt.

Im Zeitpunkt der Beschlussfassung seien weder sämtliche Verbindlichkeiten erfüllt noch geregelt gewesen. Der sichere Eingang ausreichender Mittel in naher Zukunft sei nicht bescheinigt worden. Die Antragsgegnerin habe damit die ihr obliegende Gegenbescheinigung ihrer Zahlungsfähigkeit nicht erbracht.

Die Antragstellerin habe den Erlag eines Kostenvorschusses zugesichert, weshalb kostendeckendes Vermögen als weitere von Amts wegen zu prüfende Voraussetzung für die Konkurseröffnung (§ 71 Abs 1 IO) gegeben sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Schuldnerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Insolvenzeröffnungsantrages.

Die ÖGK beantragt in ihrer Rekursbeantwortung eine Entscheidung im Sinne der Gesetze. Der Masseverwalter erstattete keine Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt .

1. Die Schuldnerin macht in formeller Hinsicht geltend, dass die Geschäftsführerin der Schuldnerin zum Antrag der ÖGK vorzuladen und eine Einvernahmetagsatzung durchzuführen gewesen wäre. In materieller Hinsicht werde mitgeteilt, dass keine Zahlungsunfähigkeit bestehe, vielmehr habe sich ein Rückstand auf dem Beitragskonto durch Zahlungsstockungen der Auftragnehmer ergeben. Aktuell bestehe weder gegenüber der Antragstellerin noch gegenüber dem Finanzamt ein Rückstand.

Beigelegt ist ein Auszug aus dem Steuerkonto der Schuldnerin zum 14.9.2025 mit einem Saldo von EUR 0,00; eine Bescheinigung des Finanzamtes vom 14.9.2025, dass gegenwärtig keine fälligen Abgabenforderungen gegen die Schuldnerin bestehen; sowie ein WEBEKU-Auszug, aus dem sich Zahlungen auf das ÖGK-Beitragskonto der Schuldnerin im Betrag von EUR 4.888,89 am 4.9.2025 (Wertstellung 2.9.2025) und von EUR 6.958,97 am 10.9.2025 (Wertstellung 9.9.2025) ergeben, der ausgewiesene Saldo beträgt infolgedessen EUR 0,00.

Dazu ist auszuführen:

2. Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine wenngleich nicht fällige Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist ( Übertsroider in Konecny , InsG § 70 IO Rz 17; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 70 KO Rz 8). Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald beschaffen kann (RS0065106; RS0064528); maßgeblich ist daher zunächst ein aktuelles Unvermögen des Schuldners, die zum Prüfungszeitpunkt fälligen Verbindlichkeiten zu zahlen ( Dellinger in Konecny/Schubert , InsG § 66 KO Rz 23 mwN).

3. Die Nichtzahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen Forderungen um Betriebsführungskosten handelt, die von den zuständigen Behörden und Institutionen so rasch in Exekution gezogen werden, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftigem wirtschaftlichen Vorgehen verbietet und im allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher aaO, § 66 KO Rz 69; Mohr , IO 11 § 70 E 70, 74).

4. Durch die Vorlage des vollstreckbaren Rückstandsausweises hat die Antragstellerin daher sowohl den Bestand ihrer Forderung als auch - aufgrund des Zeitraums der Beitragsrückstände (ab Februar 2025) - die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ausreichend bescheinigt.

5. Es lag daher an der Schuldnerin, die Gegenbescheinigung zu erbringen, dass sie zahlungsfähig ist. Um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften, ist der Nachweis erforderlich, dass die Forderungen sämtlicher Gläubiger, darunter jene der Antragstellerin, bezahlt werden konnten bzw die Schuldnerin über die zur Tilgung aller fälligen Verbindlichkeiten nötigen Geldmittel verfügt ( Mohr aaO, E 239 f) oder darüber zumindest Zahlungsvereinbarungen hat, die sie auch einhalten kann.

6. Im Rechtsmittelverfahren ist für die Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzvoraussetzungen vorliegen, wegen der Neuerungserlaubnis des § 260 Abs 2 IO die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz - hier der 2.9.2025 und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (RS0065013 [T1], RS0043943; 1 Ob 255/04p ua). Grundsätzlich gilt kein Neuerungsverbot für den Rekurs (RS0043943).

Diese Neuerungserlaubnis findet ihre Grenze in § 259 Abs 2 IO. Danach können Anträge, Erklärungen und Einwendungen dann nicht mehr vorgebracht werden, wenn zu deren Erstattung eine Tagsatzung vorgesehen war, zu der eine Verfahrenspartei trotz Ladung nicht erschienen ist (8 Ob 36/04h ua; RS0115313).

Hier wurde keine Einvernahmetagsatzung durchgeführt und der Schuldnerin wurde – zulässigerweise ( Schumacher in KLS² § 70 IO Rz 43; OLG Wien 28 R 402/14i = ZIK 2015, 228 uva) – auf schriftlichem Weg Gehör gewährt. Der Schuldnerin steht daher die Neuerungserlaubnis offen.

Dass die schriftliche Äußerungsmöglichkeit von der Schuldnerin nicht wahrgenommen wurde, ändert nichts an der Zulässigkeit dieser Vorgehensweise des Erstgerichtes (vgl zur abzulehnenden Erzwingung der Einvernahme des Schuldners auch Schumacher aaO Rz 49). Ein Verfahrensmangel resultiert hieraus nicht.

7. Auch bei Berücksichtigung der im Rekurs vorgebrachten Neuerungen sind diese jedoch nicht geeignet, die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz zu bescheinigen.

Eine (vollständige) Zahlung oder Regelung der Forderung der Antragstellerin vor diesem Zeitpunkt wird von der Schuldnerin nicht behauptet.

Die nach Konkurseröffnung geleisteten Zahlungen haben außer Betracht zu bleiben, weil - wie ausgeführt – auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz abzustellen ist. Zudem wurde der Schuldnerin durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügung über die Insolvenzmasse entzogen (§ 2 Abs 2 IO), weshalb ihre Rechtshandlungen in Bezug auf die Insolvenzmasse nach Insolvenzeröffnung den Insolvenzgläubigern gegenüber unwirksam sind (§ 3 Abs 1 IO; vgl Kodek in KLS² § 3 IO Rz 1). Wirksame Zahlungen aus der Insolvenzmasse waren daher nach Konkurseröffnung nicht mehr möglich.

Ergänzt sei weiters, dass der Masseverwalter in seinem Erstbericht nicht nur die (in der Folge beschlossene) Unternehmensschließung beantragte, sondern auch die Masseunzulänglichkeit gemäß § 124a IO bekanntgab, weil bei der Schuldnerin keine liquiden Mittel vorhanden sind. Das Fehlen jeglicher liquider Mittel lässt nur den Schluss zu, dass die Schuldnerin bereits im Zeitpunkt der Konkurseröffnung nicht über die zur Tilgung ihrer fälligen Verbindlichkeiten nötigen Geldmittel verfügte. Dies wird weiters belegt durch die Tatsache, dass mittlerweile vier ehemalige Dienstnehmer Insolvenzforderungen anmeldeten (FA 3 bis FA 6) und darin ihre Löhne und Gehälter für August 2025 geltend machten bzw. im Fall der FA 5 Entgelt zurückreichend bis 27.5.2025. Da die Schuldnerin im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung keinerlei liquide Mittel (mehr) hatte, war sie offenkundig auch zur Zahlung der laufenden Gehälter nicht mehr in der Lage.

An der bestehenden Zahlungsunfähigkeit ändert der Umstand nichts, dass laut Einsicht in das Exekutionsregister seit 12.8.2025 kein aktuelles Exekutionsverfahren anhängig ist und das vom Erstgericht erwähnte, von C* betriebene Exekutionsverfahren (** des Bezirksgerichtes Korneuburg) bereits am 11.7.2025 infolge Gläubigerantrags eingestellt wurde.

8. Auch unter Berücksichtigung der Neuerungen im Rekurs ist daher von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auszugehen. Ihr ist die Gegenbescheinigung ihrer Zahlungsfähigkeit nicht gelungen.

9. Das Vorliegen kostendeckenden Vermögens ist aufgrund der Zusage der Antragstellerin, einen Kostenvorschuss in der aufgetragenen Höhe zu erlegen, im Rekursverfahren nicht weiter zu prüfen.

10. Die Konkurseröffnung erfolgte damit zu Recht, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg versagt bleiben musste.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 2 ZPO iVm § 252 IO.

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