Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Jilke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., in der Strafsache gegen A* wegen §§ 207a Abs 3 zweiter Satz; 207a Abs 1 Z 2 fünfter Fall StGB über die Beschwerde des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. September 2025, GZ **-5, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss, der im Übrigen unberührt bleibt, bezogen auf die Umschreibung des Zeitraums für die Datenkategorie „Multimedia“ (Spruchpunkt I./B/) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung gemäß § 89 Abs 2a Z 4 StPO an das Erstgericht zurückverwiesen .
Begründung:
Die Staatsanwaltschaft Wien führt zu AZ ** ein Ermittlungsverfahren gegen den am ** geborenen syrischen Staatsangehörigen A* wegen des Verdachts der Vergehen der bildlich sexualbezogenen Darstellung minderjähriger Personen nach § 207a Abs 1 Z 2 fünfter Fall und Abs 3 zweiter Satz StGB.
Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligte der Haft- und Rechtsschutzrichter – neben weiteren, für das gegenständliche Rechtsmittel nicht relevanten Anordnungen – gemäß §§ 109 Z 2a, 115f Abs 1 und 2 StPO die Beschlagnahme folgender Datenträger und Daten zum Zweck der Auswertung der Daten, und zwar
B./ gemäß §§ 109 Z 2a, 115f Abs 1 und Abs 2 StPO die Beschlagnahme folgender Datenträger und Daten zum Zweck der Auswertung der Daten an:
- Datenträgern und darauf gespeicherten Daten, und zwar Computer, Laptop, Mobiltelefon, sonstige Datenträger, Foto- und Videokameras samt entsprechender Videokassetten sowie sämtliche auf den sichergestellten Datenträgern abgespeicherten Daten;
- Daten, die an anderen Speicherorten als einem Datenträger gespeichert sind, soweit auf sie von diesem aus zugegriffen werden kann, und zwar Daten gespeichert in Clouds und externen Speicherorten, von denen auf oben genannten Datenträgern aus zugegriffen werden kann.
Die Beschlagnahme hat folgende Datenkategorien und Dateninhalte in Bezug auf folgenden Zeitraum (§ 115f Abs 3 letzter Halbsatz StPO) einschließlich wiederhergestellter Daten zu umfassen:
- Datenkategorien:
- Geräteinformationen, insbesondere
Hardwareinformationen (IMEI, IMSI, …)
Softwareinformationen (inkl. Betriebssystem-Daten)
Metadaten über Nutzung des Geräts (insb. Registry-Daten)
Metadaten zu verbunden Geräten (Netzwerk- und Bluetooth-Verbindung)
Metadaten zu virtuellen Maschinen und Backups
Maschinen-Maschinen-Kommunikation
Inhalte der Autovervollständigung
Inhalte von Tastatur-Wörterbüchern
Gerätespezifische Suchverläufe
Systemlogdateien
Caches des Betriebssystems und von Programmen
Memory Dumps
Spuren von Daten-Löschungen
- Authentifizierungs- und Authentisierungsdaten, und zwar Zugangsdaten, insbesondere Passwörter, Sperrcodes, Sperrmuster, Tokens, Keys, Zertifikate, Seedphrasen, Passwortdatenbanken inkl. Passwortmanager, etc.
Hinweis: Für diese Datenkategorie ist keine Einschränkung auf einen Zeitraum vorzunehmen, weil die letzte Verwendung von Zugangsdaten nicht verifizierbar ist bzw. zu diesen Daten idR keine Zeitstempel vorliegen.
Multimedia, insbesondere
Audio inkl. Sprachmemos
Video
Bild inkl. Screenshots
Dokumente, insbesondere
Textdateien inkl. Word, PDF
Tabellenkalkulationen
Präsentationen
Notizen inkl. Aufgaben
Kommunikation, insbesondere
Telefonverhalten, insb. Anruflisten
Nachrichteninhalte, insb. Chats, SMS inkl. Anhänge
E-Mails
Kontakte bzw. Adressbuch
Kalendereinträge
Social Media Inhalte
Finanzdaten bzw. Crypto, insbesondere Daten mit Bezug zu Zahlungen und Zahlungssystemen
Webaktivitäten, insbesondere
Browser-Historie
Suchverläufe
Gespeicherte Webformulare
Cookies Browser-Caches Favoriten und anderweitig gespeicherte Internet-Adressen Download History
Anwendungen und Datenbanken, insbesondere
Applikationen inkl. Schadsoftware und Malware
Code-Bestandteile inkl. Inhalte aus Versionsverwaltungssystemen Eigenständige Datenbanken
Applikationen zum antiforensischen Löschen
Applikationen zum Verschlüsseln oder Verstecken von Daten ● Zeitraum: ab 01.07.2025 bis zur Beschlagnahme ● wobei auch solche Daten umfasst sind,
deren Zeitstempel nicht vorhanden ist (insbesondere bei wiederhergestellten Daten)
die in anderen Daten enthalten sind (Containerformate wie ZIP, Anhänge zu E-Mails udgl.)
deren Zeitstempel offensichtlich nicht korrekt ist, weil etwa der Datenträger auf ein falsches Datum/eine falsche Uhrzeit eingestellt bzw. die Daten offensichtlich manipuliert wurden;
welche – beschränkt auf die Datenkategorie „Multimedia“ im Zeitpunkt der Beschlagnahme am Datenträger vorhanden sind, unabhängig vom Speicherdatum, Erstelldatum, Datum des letzten Zugriffs und Datum der letzten Änderung, zumal der Tatbestand des § 207a Abs. 3 StGB auch dann erfüllt ist, wenn im oben angeführten, gerichtlich bewilligten Zeitraum kein Zugriff auf die inkriminierten Daten protokolliert wurde.
● Dateninhalte, die für Aufklärung der Straftat nach § 207a Abs 1 und 3 StGB wesentlich sind, nämlich bildlich sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial und bildlich sexualbezogene Darstellungen minderjähriger Personen oder entsprechende Nachrichtenverläufe, welche derartiges Material oder diesem zugrundeliegende Handlungen betreffen und/oder Vermittlungen zu derartigen Kontakten sowie geographische Standorte und Verschriftlichungen bzw. Protokolle oder sonstige Textdateien und Dokumente, welche bildlich sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial und bildlich sexualbezogene Darstellungen minderjähriger Personen oder diesem zugrundeliegende Handlungen betreffen.
Weiters ist der Zugriff des Beschuldigten auf inkriminierte Clouds, Messengerdienste, Webportal und/oder Filetransferdiensten durch Änderung der Zugangsdaten zu unterbinden.
Nach der staatsanwaltschaftlichen Anordnung - deren Begründung sich das Erstgericht durch Verweis darauf zu eigen machte (vgl. RIS-Justiz RS0124017) - stelle die Beschlagnahme und Auswertung den einzigen zielführenden Ermittlungsansatz zur Aufklärung der gegenständlichen Straftaten dar, wobei sich die Auswertung auf die oben genannten Fragestellungen, somit auf die Suche nach bildlichem sexualbezogenen Darstellungen minderjähriger Personen samt bezughabenden Handlungen (Besitz, Überlassen, Zugriff) und Chat-Verläufe beschränken werde. Die gegenständlichen Vergehen seien mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht und stellen insbesondere mit Blick auf den sozialen Störwert der Taten, der sich auch in dem gegen die Verbreitung von entsprechenden Abbildungen und Darstellungen ergriffenen gesellschaftlichen Abwehrmaßnahmen dokumentiere, Straftaten mit nicht bloß leichten Folgen (vgl. 13 Os 88/06z) gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung dar. Die Sicherstellung und spätere Auswertung dieser Datenträger und Datenbestände sei demnach trotz des Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz und das Privatrecht auf Familienleben verhältnismäßig.
Gegen die Unterlassung der Einschränkung des Auswer-
tungszeitraums betreffend die Datenkategorie Multimedia
richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz (ON 6.3).
Die Oberstaatsanwaltschaft Wien erstattete im Rahmen der ihr eingeräumten Gelegenheit keine Stellungnahme.
Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.
Nach § 115f Abs 1 StPO ist die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten zulässig, wenn sie aus Beweisgründen erforderlich scheint oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dadurch Informationen ermittelt werden können, die für die Aufklärung einer Straftat wesentlich sind.
Die Beschlagnahme darf daher weder „zur Sicherheit“, noch „bloß zur Vorsicht“ oder erst aus Anlass einer sehr vagen Sachverhaltskonstellation durchgeführt werden, um dadurch erst einen (Anfangs-)Verdacht zu begründen. Vielmehr muss ein begründeter Verdacht vorliegen, dass durch die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten iSd § 115f StPO beweiserhebliche Tatsachen gewonnen werden können, die für die Aufklärung der Straftat wesentlich sind (AB 16 BlgNr. 28.GP 16). Um die Aufklärung von Straftaten nicht zu erschweren, sollen allerdings – auch mit Blick auf den Wissensstand von Strafverfolgungsbehörden – keine (weiteren) erhöhten Voraussetzungen festgelegt werden.
Nach § 115f Abs 3 StPO haben die Anordnung und die gerichtliche Bewilligung der Beschlagnahme von Datenträgern und Daten die Bezeichnung des Verfahrens, den Namen des Beschuldigten, soweit dieser bekannt ist, die Tat, deren der Beschuldigte verdächtig ist, und ihre gesetzliche Bezeichnung sowie die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Anordnung und Bewilligung zur Aufklärung der Tat voraussichtlich erforderlich und verhältnismäßig sind, anzuführen und über die Rechte des von der Anordnung und Bewilligung Betroffenen zu informieren; darüber hinaus haben sie die Umschreibung der Datenkategorien und Dateninhalte, die zu beschlagnahmen sind, und in Bezug auf welchen Zeitraum dies zu erfolgen hat, zu enthalten.
Die Beschlagnahme darf jeweils nur für jenen Zeitraum angeordnet und bewilligt werden, in Bezug auf welchen dies zur Erreichung ihres Zwecks voraussichtlich erforderlich ist. Die Verpflichtung zur Einschränkung bietet nicht nur eine Überprüfbarkeit, sondern auch eine Vorhersehbarkeit für betroffene Personen, welcher Datenumfang konkret ausgewertet werden soll. Die maßgebliche Richtschnur für die Beurteilung im Einzelfall ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall sind insbesondere die Schwere der Straftat, die Begehungsform, die Intensität des Tatverdachts, der Umstand, ob es sich um eine Haftsache handelt und der Personenkreis, bei dem die Maßnahme durchgeführt werden soll, zu berücksichtigen. Auch der Zeitraum der Auswertung, die Art der betroffenen Daten (z.B. höhere Eingriffsintensität bei Kommunikations-, Standort- und Verkehrsdaten) und der Speicherort (nur lokal oder extern auf Cloud-Diensten) haben in diese Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließen (AB 16 BlgNr. 28.GP 18 f).
I. sich zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt verschafft und sodann bis laufend besessen, indem er die Dateien auf seinen elektronischen Datenträgern speicherte;
II. am 25. August 2025 anderen sonst zugänglich gemacht, indem er die Datei mit dem Namen „**“ auf ** anderen noch auszuforschenden Personen übermittelt habe.
Der Tatverdacht gründet auf die Ermittlungen des Landeskriminalamts ** vom 1. September 2025 (ON 2).
Zur subjektiven Tatseite ist der Tatverdacht aus dem objektiven Geschehen abzuleiten.
Unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten, der dargestellten Dichte des (Anfangs-)Verdachts und der vorgenommenen Eingrenzung des Datenumfangs ist die Beschlagnahme zur Ermittlung von für die Aufklärung dieser bzw. weiterer Straftaten wesentlichen Informationen erforderlich und nicht unverhältnismäßig.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist die vom Erstgericht ausgesprochene Beschlagnahme von Datenträgern und darauf gespeicherten Daten des Beschuldigten nicht zu beanstanden, wobei auch die ausgewählten Datenkategorien sowie die Auswahl der Dateninhalte nachvollziehbar und schlüssig sind.
Die Begründung der Erforderlichkeit einer Datenauswertung zur Aufklärung der strafbaren Handlungen erweist sich (grundsätzlich) als zutreffend und wurde in der Beschwerde auch nicht in Kritik gezogen.
Es kann begründet davon ausgegangen werden, dass dadurch beweiserhebliche Tatsachen gewonnen werden können, die für die Aufklärung der Straftat wesentlich sind (vgl. AB 16 BlgNr. 28.GP). Da einzelne relevante Dateien möglicherweise zwischenzeitig gelöscht wurden, ist diesbezüglich auch die Wiederherstellung von Daten zweckmäßig, wobei wiederhergestellte Daten in der Regel über keinen Zeitstempel verfügen.
Zutreffend weist der Beschwerdeführer allerdings darauf hin, dass die zeitlich uneingeschränkte Auswertung von Multimedia-Daten nicht dem Gesetz entspricht.
Denn das Absehen von der Festlegung eines Zeitraums hinsichtlich der Aufbereitung und Auswertung von Daten der Kategorie „Multimedia“ ist weder in den §§ 115f ff StPO gesetzlich vorgesehen, noch gibt es Hinweise auf eine solche Gesetzesauslegung in den Gesetzesmaterialien oder im hier relevanten Einführungserlass des BMJ vom 23. Dezember 2024 zu StPRÄG 2024 (eJABL Nr. 22/2024). Vielmehr unterscheidet § 115f Abs 3 StPO hinsichtlich der Festlegung eines Zeitraums nicht zwischen den Datenkategorien, wobei der Einführungserlass des BMJ lediglich anführt, dass für „Zugangsdaten“ – also die Datenkategorien „Geräteinformationen“ sowie „Authentifizierungs- und Authentisierungsdaten“ – keine Einschränkung auf einen Zeitraum festzulegen ist, weil diese in der Regel keinen Zeitstempel haben.
Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenausführung zur Beschwerde moniert, dass es für eine forensisch korrekte Erfassung erforderlich sei, den Zugriff hinsichtlich der Datenkategorie „Multimedia“ im Hinblick auf nach § 207a Abs 4 StGB inkriminierte Dateien in Bezug auf den Zeitraum auszuweiten, da die Datei sonst nicht in das Aufbereitungsergebnis falle, wenn die dahinterliegende Metadaten einen Zugriffs- bzw. Speicherzeitpunkt protokollieren, der nicht im bewilligten Zeitraum liege, ist darauf hinzuweisen, dass dem bekämpften Beschluss (ebenso wie der zu Grunde liegenden staatsanwaltschaftlichen Anordnung) eine Begründung für die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit für die zeitlich vollkommen uneingeschränkte Auswertung von Multimedia-Daten nicht zu entnehmen ist. Das gilt auch für das Argument der Staatsanwaltschaft in Ansehung der andernfalls notwendigen Vorfilterung der Dateien auf Grund des Zeitstempels unter Hinweis auf den Umstand, dass der Zeitstempel von Dateien „bei gewissen Geräten, insbesondere Mobiltelefonen“, oftmals nicht aktualisiert werde, um Systemressourcen zu sparen.
Der Beschwerde kommt daher – gemäß § 89 Abs 2a Z 4 StPO in Form einer kassatorischen Entscheidung (vgl. Tipold, WK-StPO § 89 Rz 7 und 14) – im spruchgemäßen Umfang Berechtigung zu, weshalb das Erstgericht neuerlich über den Antrag zu entscheiden und eine (begründete) Abwägung zu treffen haben wird, ob die von der Staatsanwaltschaft ins Treffen geführten technischen Schwierigkeiten bei der forensischen Auswertung (allenfalls erforderliche „Vorfilterung“) fallkonkret tatsächlich eine zeitlich unbeschränkte Auswertung der Datenkategorie „Multimedia“ rechtfertigen bzw. eine zeitliche Eingrenzung vorzunehmen haben wird.
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