JudikaturOLG Wien

23Bs220/25h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
08. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Staribacher und den Richter Mag. Trebuch, LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache des A* B* wegen Widerrufs einer bedingten Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach § 47 StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. Juli 2025, GZ **–99, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung durch persönliche Anhörung des Betroffenen in der gesetzlich vorgesehenen Besetzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 23. Oktober 2020, AZ C*, wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* B* gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (nunmehr: in ein forensisch-therapeutisches Zentrum [in der Folge: FTZ]) eingewiesen, wobei diese Einweisung zunächst gemäß § 45 Abs 1 StGB idF BGBl. I Nr. 130/2001 unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren bedingt nachgesehen wurde, weil er am 12. Juli 2020 in ** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer paranoiden Schizophrenie und einer psychischen Verhaltensstörung in Folge schädlichen Alkohol- und Substanzmissbrauchs, D* B* mit zumindest einer Verletzung am Körper und am Vermögen gefährlich bedroht hat, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ankündigte, er werde ihn umbringen, ihm die Nase brechen und dessen Wohnung im Mehrparteienhaus niederbrennen, wobei er die gefährliche Drohung beging, indem er mit einer Brandstiftung drohte, somit eine Handlung begangen hat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihm, wäre er zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB zuzurechnen wäre (ON 67).

Mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 1. Dezember 2021 wurde die bedingte Nachsicht der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 54 Abs 1 StGB widerrufen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass A* B* trotz erfolgter persönlicher Belehrung durch das Gericht Weisungen mutwillig und wiederholt nicht befolgt habe und wieder gewalttätig geworden sei, weshalb vom Fortbestehen der besonderen Gefährlichkeit auszugehen sei (ON 66).

Ab 14. Februar 2022 wurde die Maßnahme gemäß § 21 Abs 1 StGB im (nunmehr:) FTZ Asten vollzogen (ON 4 S 1). Mit Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 26. April 2024, AZ ** wurde die bedingte Entlassung aus der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB bewilligt und er am 3. Mai 2024 aus dem FTZ Asten entlassen, die Probezeit mit fünf Jahren bestimmt und neben der Anordnung von Bewährungshilfe die Weisung erteilt, in einer geeigneten Wohneinrichtung Wohnsitz zu nehmen, die dortige Hausordnung einzuhalten, an der E* Tagesstruktur teilzunehmen, regelmäßig fachärztlich-psychiatrische Kontrollen und Behandlungen in Anspruch zu nehmen, die verordnete Medikation einzunehmen, die Verabreichung der neuroleptischen Depotinjektion und die Überprüfung mit Blutspiegelkontrollen zu akzeptieren, eine Psychotherapie in einer geeigneten Einrichtung in Anspruch zu nehmen und sich von Alkohol, Drogen und sonstigen psychoaktiven Substanzen abstinent zu halten (ON 9).

A* B* nahm in der Folge weisungsgemäß (weiterhin, vgl ON 19) in der F* in **, **gasse **, Wohnsitz, absolvierte regelmäßig Therapiesitzungen beim G* (ON 16, S 3; ON 19, S 3; ON 28; ON 35) und hielt die ihm erteilten Weisungen ein.

Mit Eingabe vom 20. Jänner 2025 (ON 40) teilte F* dem Erstgericht den „starken Verdacht“ mit, dass B* psychoaktive Substanzen konsumiere und sich sein psychisches Zustandsbild in letzter Zeit verschlechtert habe. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung sei ein nicht zugelassenes Medikament gefunden worden.

Nach förmlicher Mahnung im Rahmen einer Anhörung durch das Vollzugsgericht am 13. Februar 2025 (ON 45) meldete F* am 18. Februar 2025 erneut den „starken Verdacht“ der Konsumation illegaler Substanzen (ON 47 S 3). Nach neuerlicher Meldung durch F*, dass B* positiv auf Amphetamine getestet worden sei (ON 50 S 3), wurde er vom Erstgericht mit Note vom 20. März 2025 auf den abermaligen Weisungsverstoß durch förmliche Mahnung hingewiesen (ON 51). Aufgrund einer neuerlichen positiven Testung auf Amphetamine wurde seitens F* der Erhalt des Wohnplatzes von der Absolvierung einer stationären Drogentherapie abhängig gemacht (ON 59, S 3). Nach erneuter Entdeckung eindeutiger Hinweise auf den Konsum illegaler Substanzen kündigte F* am 19. Mai 2025 den Wohnplatz schließlich mit sofortiger Wirkung auf (ON 63) und erfolgte vom Vollzugsgericht am 25. Mai 2025 eine weitere förmliche Mahnung (ON 71).

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, mit welchem B* eine positive Gefährlichkeitsprognose attestiert sowie festgehalten wurde, dass die Gefährlichkeit nur intramural hintangehalten und eine weitere Phase einer bedingten Nachsicht der Maßnahme nicht empfohlen werden könne (ON 79), beantragte die Staatsanwaltschaft den Widerruf der bedingten Entlassung gemäß § 54 Abs 1 StGB und die Verhängung der Widerrufshaft gemäß § 180 Abs 3 StVG iVm § 173 Abs 1 und 2 Z 3 lit a und b StPO (ON 1.79). Mit Beschluss vom 8. Juli 2025 verhängte das Erstgericht über A* B* Widerrufshaft gemäß § 180 Abs 3 StVG iVm § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO (ON 86, S 3; ON 87) und wurde A* B* am 15. Juli 2025 von einer Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien zum Widerrufsantrag gehört (ON 93).

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 24. Juli 2025 (ON 99) widerrief ein Drei-Richtersenat des Landesgerichts für Strafsachen Wien, welchem die Einzelrichterin, welche die Anhörung am 15. Juli 2025 durchführte, nicht angehörte, die bedingte Entlassung des A* B* aus der mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt zu AZ C* angeordneten Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von A* B* erhobenen Beschwerde (ON 102) kann Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Gemäß der seit 18. Juni 2009 in Kraft stehenden Bestimmung des § 162 Abs 3 StVG hat über die bedingte Entlassung aus einer Unterbringung (nunmehr:) in einem forensisch-therapeutischen Zentrum sowie über den Widerruf der bedingten Entlassung das Vollzugsgericht in einem Senat von drei Richtern zu entscheiden.

Zur Entscheidung über eine bedingte Entlassung eines Untergebrachten hat das Vollzugsgericht mindestens einmal innerhalb von zwei Jahren eine Anhörung durchzuführen (§ 167 Abs 1 StVG). Aber auch vor der Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung eines Untergebrachten hat das Gericht gemäß § 180 Abs 2 StVG die Pflicht, in die Akten über das Strafverfahren Einsicht zu nehmen und „womöglich“ den Entlassenen, wenn ein Bewährungshelfer bestellt worden ist, auch diesen zu hören. Von einer Anhörung kann etwa dann abgesehen werden, wenn sie wegen seines Zustandes nicht möglich wäre, wenn er der gerichtlichen Ladung nicht Folge leistet, damit aber Gelegenheit zur Stellungnahme hatte oder wenn seine Anhörung nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand durchführbar ist (Pieber , WK 2 StGB § 180 StVG Rz 16).

Obgleich den Begriffen „Anhörung“ und „hören“ in der StPO und im StVG mitunter bloß die Bedeutung der Gewährung des Gehörs zukommt, dem auch die Einholung einer Stellungnahme genügen kann, geht aus den Materialien (AB 359 BlgNR 17. GP 60) und aus § 152a Abs 3 letzter Satz StVG, der ausdrücklich von „Vernehmungen nach Abs 1“ spricht, eindeutig hervor, dass „hören“ und „Anhörung“ in § 152a Abs 1 erster und zweiter Satz StVG die persönliche Vernehmung des Strafgefangenen durch das Vollzugsgericht bedeuten (vgl Pieber, aaO § 152a StVG Rz 3). Daraus folgt, dass im Verfahren zur Entscheidung über eine bedingte Entlassung, sofern eine Anhörung erforderlich oder vom Strafgefangenen zum ersten Mal beantragt wurde, das Vollzugsgericht in der gesetzlich vorgesehenen Besetzung eine persönliche Vernehmung des Strafgefangenen durchzuführen hat (Pieber , aaO Rz 3; OLG Wien 23 Bs 87/97y; 17 Bs 270/09v).

Nichts anderes kann aber für das Verfahren nach einer bedingten Entlassung gelten, ist doch auch in § 180 Abs 2 StVG vorgesehen, den Entlassenen vor der Entscheidung „womöglich“ zu hören. Denn auch hier besteht bei vormals Strafgefangenen bzw. in einem FTZ Untergebrachten ein echtes und berücksichtigungswürdiges Bedürfnis danach, in der so wichtigen Angelegenheit des Widerrufs einer bedingten Entlassung vor den zur Entscheidung darüber berufenen Richtern persönlich vorzusprechen (vgl AB 359 BlgNR 17. GP 60). Demnach ist vom Vollzugsgericht die Anhörung durch den gesamten zur Entscheidung berufenen Senat selbst vorzunehmen. Weder eine Anhörung durch eine an der nachfolgenden Entscheidung nicht einmal beteiligte Einzelrichterin noch eine solche durch den/die Vorsitzende allein, erfüllt - auch bei späterer Entscheidung durch den gesetzmäßigen Senat - diese gesetzlichen Vorgaben.

Fallbezogen kann daher vorweg nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung für den Untergebrachten günstiger ausgefallen wäre, wenn der als Vollzugsgericht berufene Senat von drei Richtern einen persönlichen Eindruck von ihm gewonnen hätte.

Der Beschwerde war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung durch persönliche Anhörung des Untergebrachten aufzutragen.

Rückverweise