23Bs173/25x – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5. Februar 2025, GZ **-58.2, sowie dessen implizite Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss gemäß § 494a StPO nach der am 31. Juli 2025 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Dr. Aichinger, im Beisein der Richterin Mag. Staribacher und des Richters Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Wallenschewski, des Angeklagten A* sowie seines Verteidigers MMag. Dr. Franz Pechmann durchgeführten Berufungsverhandlung
I. zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
II. den Beschluss gefasst:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf bedingter Strafnachsichten zurückgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene afghanische Staatsangehörige A* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./A./), des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I./B./), „des Vergehens“ des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG (II./A./1./), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG (II./A./2./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster und) zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./B./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 201 Abs 1 StGB – unter aktenkonformer Vorhaftanrechnung - zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig fasste das Erstgericht gemäß „§ 53 Abs 3 StGB in Verbindung mit“ § 494a Abs 1 Z 2 StPO den Beschluss, vom Widerruf der dem Angeklagten mit Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Dezember 2020, AZ B*, und vom 11. Februar 2021, AZ C*, gewährten (teil-)bedingten Strafnachsichten abzusehen und verlängerte die diesbezüglichen Probezeiten gemäß § 53 Abs 3 StGB iVm § 494a Abs 6 StPO jeweils auf fünf Jahre.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in **
I./ am 30. Oktober 2024 D*
A./ mit Gewalt zur Duldung und Vornahme des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie von hinten an den Haaren packte und zu sich zog, sie aufforderte, sich auszuziehen, während sie ihn anflehte, dies nicht zu tun, und zu weinen begann, er ihr die Hose auszog und sie von hinten digital anal und vaginal penetrierte, anschließend vaginal mit seinem Penis in sie eindrang und sie, als sie immer wieder zurückzuweichen versuchte, wiederholt festhielt und zu sich zog sowie ihr mit der flachen Hand auf den Kopf schlug und sie letztlich aufforderte, ihn oral zu befriedigen, wobei sie ihn anflehte, sie gehen zu lassen, woraufhin er, als sie ihn kurz mit der Hand befriedigte, ihren Kopf mit Kraft zu seinem Penis drückte;
B./ nach der zu I./ beschriebenen Tathandlung mit Gewalt zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme davon, die Wohnung zu verlassen, genötigt, indem er sie an der Hüfte packte, zu Boden zerrte und in den Schwitzkasten nahm;
II./ vorschriftswidrig Suchtgift
A./ nämlich Heroin (beinhaltend zumindest 12,5 % Diacetylmorphin) anderen überlassen, und zwar
1./ seit Oktober 2023 bis 30. Oktober 2024 D* jeweils ein bis zwei Gramm zumindest fünf Mal unentgeltlich;
2./ seit einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt von Oktober 2023 bis 30. Oktober 2024 gewerbsmäßig weiteren nicht mehr auszuforschenden Abnehmern in zumindest vier Angriffen durch gewinnbringenden Verkauf, nämlich jeweils zumindest zwei bis drei Gramm für jeweils ca 50 Euro;
B./ seit einem nicht mehr konkret festzustellenden Zeitpunkt bis 30. Oktober 2024 zum ausschließlich persönlichen Gebrauch erworben und besessen, und zwar 28,9 Gramm brutto Methamphetamin, neun Tabletten Compensan 100 mg (Wirkstoff Morphin) und drei Tabletten Substitol (Wirkstoff Morphinsulfatpentahydrat).
Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und die einschlägige Vorstrafe erschwerend, mildernd hingegen die teilweise reumütig geständige Verantwortung. Weiters berücksichtigte es im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung unter anderem, dass der Angeklagte „im Zuge der Hauptverhandlung […] nicht das Gefühl vermittelt[…]“ habe, „den Ernst der Lage vollumfänglich zu begreifen“.
Nach Zurückweisung der vom Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde durch Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 3. Juni 2025, GZ 11 Os 39/25g-4, ist nunmehr über seine Berufung (ON 66.2) zu entscheiden. Gegen den Beschluss auf Verlängerung von Probezeiten richtet sich dessen implizite Beschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Zur Strafe :
Grundlage für die Bemessung der Strafe nach § 32 StGB ist die Schuld des Täters. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte. Im allgemeinen ist die Strafe umso strenger zu bemessen, je größer die Schädigung oder Gefährdung ist, die der Täter verschuldet hat oder die er zwar nicht herbeigeführt, aber auf die sich sein Verschulden erstreckt hat, je mehr Pflichten er durch seine Handlung verletzt, je reiflicher er seine Tat überlegt, je sorgfältiger er sie vorbereitet oder je rücksichtsloser er sie ausgeführt hat und je weniger Vorsicht gegen die Tat hat gebraucht werden können.
Die Strafzumessungslage ist zunächst zum Nachteil des Berufungswerbers dahin zu ergänzen, als der rasche Rückfall nach Verbüßung des zu AZ C* des Landesgerichts für Strafsachen Wien verhängten, zunächst bedingt nachgesehenen, in Folge jedoch widerrufenen Strafteils (bis 4. Juli 2023) zusätzlich erschwerend wirkt ( Riffel, WK² StGB § 33 Rz 11 mwN).
Weiters erhöht die teilweise Tatbegehung während offener Probezeiten die persönliche Schuld des Angeklagten (RIS-Justiz RS0090597).
Demgegenüber wirkt die teilweise objektive Schadensgutmachung durch Sicherstellung von Suchtgift (vgl ON 5.21) – wenn auch (da ohne Zutun des Angeklagten erfolgt) nur marginal – zusätzlich mildernd (12 Os 122/23t Rz 11 mwN; RIS-Justiz RS0088797).
Der Angeklagte vermochte hingegen keine weiteren Milderungsgründe aufzuzeigen.
Denn die Berufungsausführungen, wonach „[…] die Vorverurteilung […] nicht zum strafsatzbestimmenden Delikt nach § 201 Abs. 1 StGB […]“ einschlägig sei, gehen daran vorbei, dass die Weitergabe von Suchtgift an Dritte gegen die körperliche Integrität anderer gerichtet ist (RIS-Justiz RS0091972 [T6]) und sich auch Sittlichkeitsdelikte gegen dieses Rechtsgut richten (RIS-Justiz RS0091943).
Bei objektiver Abwägung der wie dargelegt überwiegend zum Nachteil des Angeklagten korrigierten Strafzumessungslage und allgemeiner Strafzumessungserwägungen im Sinne des § 32 Abs 2 und 3 StGB erweist sich – auch ohne Berücksichtigung des seitens des Erstgericht ins Kalkül gezogenen Verhaltens des Angeklagten in der Hauptverhandlung (vgl dazu Riffel, WK² StGB § 32 Rz 43) sowie unter Miteinbeziehung seines Nachtatverhaltens - bei einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von zwei bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe die verhängte Sanktion im Ausmaß von 40 % der Strafobergrenze durchaus als schuld und tatangemessen sowie dem sozialen Störwert, der Rechtsgutbeeinträchtigung und generalpräventiven Aspekten entsprechend und damit nicht korrekturbedürftig.
Zum Beschluss :
Zum Zeitpunkt der vorliegenden Beschlussfassung nach § 494a StPO war die zu AZ B* des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährte bedingte Strafnachsicht bereits mit rechtskräftigem Beschluss vom 8. Juli 2024 (ON 123 im Bezugsakt) für endgültig erklärt worden (§ 43 Abs 2 StGB). Es durfte daher weder das erkennende noch ein anderes Gericht ohne vorangegangene prozessordnungsgemäße Kassation über den Entscheidungsgegenstand der bedingten Strafnachsicht neuerlich absprechen (RIS-Justiz RS0091864 [insb T8 und T10]). Die zu AZ C* des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährte teilbedingte Strafnachsicht war zum erstgerichtlichen Entscheidungszeitpunkt hinwieder bereits mit rechtskräftigem Beschluss vom 27. Mai 2022 (ON 94 im Bezugsakt) widerrufen (und die Freiheitsstrafe bis 4. Juli 2023 vollzogen) worden, weswegen einer neuerlichen Entscheidung diesbezüglich die materielle Rechtskraft des angeführten Beschlusses entgegenstand (vgl 14 Os 45/89).
Der dennoch (offenkundig irrig) ergangene Beschluss, der wegen der Bindungswirkung der vorher ergangenen Beschlüsse keine Rechtswirkung entfalten konnte, war daher - in Stattgebung der impliziten Beschwerde – aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Strafnachsichten (ON 39 S 2) zurückzuweisen.
Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.