JudikaturOLG Wien

30Bs215/25z – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
30. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Steindl und den Richter Mag. Spreitzer LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen nachträglichen Aufschubs des Strafvollzugs gemäß § 133 StVG über die Beschwerde der bestellten Erwachsenenvertreterin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. Mai 2025, GZ ** 28, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Der am ** geborene serbische Staatsangehörige A* verbüßte in der Justizanstalt * eine mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. September 2020 zu AZ ** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 1 Z 3, 130 Abs 2 zweiter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren (Einsicht in das VJ Register).

Über Anregung des Anstaltsarztes der Justizanstalt * wurde mit rechtskräftigem Beschluss vom 12. November 2021 gemäß § 133 iVm § 5 StVG ein unbefristeter Aufschub des Strafvollzugs gewährt und der Insasse am selben Tag entlassen, weil er Ende September 2021 eine Kavernom Blutung erlitt, ein schweres armbetontes Hemisyndrom sowie kognitive Einbußen bestanden, weitgehende Abhängigkeit von fremder Hilfe vorlag und eine vollständige Genesung als ausgeschlossen erachtet wurde (ON 1 – ON 3).

Im November 2024 leitete das Vollzugsgericht eine Überprüfung der Sachlage ein und bestellte einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet Gerichtsmedizin mit dem Auftrag, Befund und Gutachten über die Vollzugsuntauglichkeit des Verurteilten zu erstatten (ON 5). Dieser reagierte in der Folge auf Ladungen seitens des Sachverständigen nicht, auch wiederholte Zustellversuche durch die Polizei scheiterten (ON 7 bis ON 17a).

Schließlich erstattete der Sachverständige ein Aktengutachten auf Basis einbestellter Krankenunterlagen und kam zusammenfassend zum Schluss, dass beim Verurteilten Gefäßfehlbildungen im Gehirn, eine durch eine akute Einblutung bedingte spastische Lähmung des rechten Armes und Beines sowie eine Suchtmittelabhängigkeit bestünden, aufgrund derer die Möglichkeit eines Strafvollzugs nicht per se ausgeschlossen und eine Strafvollzugsfähigkeit als „wahrscheinlich“ zu erachten sei. Ausdrücklich werde jedoch auf die fehlende persönliche Begutachtung sowie darauf hingewiesen, dass eine adäquate Behandlung der anzunehmenden Suchtmittelabhängigkeit zu gewährleisten wäre bzw dem Strafvollzug gegebenenfalls eine stationäre Entzugsbehandlung vorausgehen müsse. Auch sei für eine regelmäßige fachärztliche neurologische Behandlung sowie im Hinblick auf die vorliegenden Gefäßfehlbildungen im Gehirn bei akuten neurologischen Symptomen für eine umgehende Krankenhausbehandlung Sorge zu tragen (ON 18, 10f). Die zur Äußerung aufgeforderte Krankenabteilung der Justizanstalt * erklärte dazu, dass eine adäquate Behandlungsmöglichkeit der Suchtmittelabhängigkeit bestehe und regelmäßige neurologische Kontrollen organisiert werden könnten, jedoch zu bemerken sei, dass das Gutachten eine Haftfähigkeit nur als „wahrscheinlich“ erachte und eine definitive Antwort auf die Frage der Vollzugstauglichkeit daher nicht vorliege (ON 22).

Mit dem angefochtenen Beschluss widerrief das Erstgericht den unbefristet gewährten nachträglichen Strafaufschub unter Berufung auf das eingeholte Gutachten und das aus freien Stücken nicht in Anspruch genommene und daher als Verzicht gewertete rechtliche Gehör(ON 28).

Der Beschluss konnte dem Verurteilten am 3. Juli 2025 polizeilich an seinem Wohnort ausgehändigt werden (ON 30).

Rechtzeitig am 17. Juli 2025 erhob Rechtsanwältin Mag. B* als bestellte Erwachsenenvertreterin des Verurteilten Beschwerde gegen diesen Beschluss. Dem Rechtsmittel wurde die bislang nicht aktenkundige Bestellungsurkunde des Bezirksgerichts Hernals vom 22. November 2023 für die Angelegenheiten Einkommens und Vermögensverwaltung einschließlich Verfügung über das Girokonto, Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten, Sozialversicherungsträgern und privaten Vertragspartnern beigefügt. Ausgeführt wurde, die Erwachsenenvertreterin habe für den Beschwerdeführer eine Bezugsbetreuerin engagiert, die diesen zu Arztterminen begleite. Er selbst sei aufgrund seiner kognitiven Beeinträchtigungen weder in der Lage, Termine ohne diese Unterstützung wahrzunehmen, noch imstande, ohne Unterstützung am Verfahren vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden teilzunehmen. Durch eine persönliche Befundaufnahme durch den Sachverständigen wäre erkannt worden, dass A* nach wie vor nicht vollzugstauglich sei (ON 32).

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein konkreter Zeitpunkt des Endes der Vollzugsuntauglichkeit ursprünglich nicht benannt werden konnte, der Gesundheitszustand des Verurteilten – wie hier geschehen – in zweckmäßigen Abständen zu überprüfen ist ( Pieber in WK 2 StVG § 5 Rz 15). Nach Eintritt der Vollzugstauglichkeit ist der Vollzug einzuleiten. Eines eigenen (den Strafaufschub widerrufenden und eine Aufforderung zum Strafantritt enthaltenden) Beschlusses bedarf es nur, wenn der Beschluss über den Aufschub einen Endzeitpunkt genannt hat, der noch nicht eingetreten ist ( Pieber aaO Rz 16 mwN). Dem ist offenkundig der Fall gleichzuhalten, in denen gar kein Endzeitpunkt genannt wurde, weil es sich wie dort um eine inhaltliche Abänderung der ursprünglichen Aufschubsentscheidung handelt.

Aufgrund der neu bekannt gewordenen Tatsachen wird das eingeholte gerichtsmedizinische Gutachten nun durch neuerliche Ladung und persönliche Begutachtung des Beschwerdeführers unter Einbeziehung der Erwachsenenvertreterin und Gewährleistung der Begleitung des Verurteilten zum Termin durch die genannte Bezugsbetreuerin zu ergänzen sein. Im Hinblick auf die vom Sachverständigen selbst geäußerte Einschränkung, die Vollzugstauglichkeit des Beschwerdeführers sei als „wahrscheinlich“ zu erachten, wird durch dessen persönliche Begutachtung abschließend zu klären sein, ob angesichts der offenbar bestehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen die dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechenden Vollzugszwecke (§§ 5, 20 StVG) zu erreichen seien.

Der Beschluss war daher gemäß § 89 Abs 2a Z 3 StPO iVm § 17 Abs 1 Z 3 StPO aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO iVm § 17 Abs 1 Z 3 StVG).

Rückverweise