JudikaturOLG Wien

7Ra43/25g – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Nigl und Mag. Zechmeister sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Böhm und ao. Univ.Prof. Mag.Dr. Monika Drs in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Maler, **, vertreten durch die TWS rechtsanwälte og in St. Pölten, wider die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch Dr. Martin Wandl Dr. Wolfgang Krempl, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen EUR 7.052,24 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 17.2.2025, **-25, gemäß §§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.095,12 (darin enthalten EUR 182,52 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hält die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, erachtet hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend. Damit genügt eine auf die wesentlichen Punkte beschränkte Begründung (§§ 2 Abs 2 ASGG, 500a zweiter Satz ZPO).

Die beklagte Partei verrichtete als Subauftragnehmer der Firma C* Tür- und Tormontagen. Der Kläger war seit 20.11.2023 als Monteur bei der beklagten Partei beschäftigt. Seine Haupttätigkeit bestand darin, Türen und Tore zu montieren, wobei er zumeist im Zweierteam mit D* zusammenarbeitete.

Anfang Februar 2024 besuchte E*, ein Mitarbeiter der Firma C*, den Kläger auf einer Baustelle und äußerte sich abfällig über das vom Kläger verwendete Werkzeug. Im Zuge des Gesprächs meinte der Kläger, dass „das Werkzeug halt ein billiges sei und zur Firma passe“. Der Kläger bezeichnete den Geschäftsführer der beklagten Partei Herrn F* auch als „anabolika-gesteuerten Vollidioten“. Als dem Geschäftsführer diese Äußerung zugetragen wurde, bestellte er den Kläger zu sich ins Büro. Er verwarnte den Kläger, negative Äußerungen über die beklagte Partei oder den Geschäftsführer zu tätigen. Der Kläger begann daraufhin von seinen Problemen zu sprechen, entschuldigte sich beim Geschäftsführer und versprach Besserung. Der Geschäftsführer nahm die Entschuldigung an.

Der Kläger trank auch hin und wieder in den Arbeitspausen und während der Arbeit Alkohol, was dem Geschäftsführer der beklagten Partei von anderen Mitarbeitern berichtet wurde. Der Geschäftsführer der beklagten Partei wies den Kläger darauf hin, dass Alkohol während der Arbeitszeit verboten sei und verwarnte ihn mündlich.

Obgleich der Kläger um 7:00 Uhr auf den Baustellen sein sollte, hielt sich der Kläger nicht daran und erschien öfters verspätet erst um 8:00 oder 9:00 Uhr und verließ die Arbeit früher. Der Geschäftsführer sprach immer wieder mit dem Kläger darüber, dass die Arbeitszeiten einzuhalten seien und wies im Zuge der wöchentlichen Besprechungen darauf hin und ermahnte den Kläger, sich daran zu halten. Der Kläger rechtfertigte sich, dass er Probleme mit seiner Frau habe, Stress habe und ein Problem mit Alkohol habe. Zumindest zwei Mal wurde der Kläger vom Geschäftsführer mündlich wegen Einhaltung der Arbeitszeit verwarnt.

Am Donnerstag, 21.3.2024 montierte der Kläger auf einer Baustelle in ** ein Rolltor. Da der Kläger und sein Kollege D* noch Minusstunden abzubauen hatten, vereinbarten sie mit dem Geschäftsführer, am nächsten Tag, dem 22.03.2024 nochmal auf dieselbe Baustelle in ** zu fahren, um dort die Türen einzubauen. In einer Wohnhausanlage sollten Müllraumtüren eingebaut werden. Da der Kläger keinen Plan mit hatte, wusste er nicht, ob die Müllraumtüren nach innen oder außen geöffnet werden sollten. Der Kläger schaute deshalb wie die Türen bei den anderen Häusern eingebaut waren und begann dann die Müllraumtür und die Eingangstür genauso zu montieren wie in den Nachbarhäusern. Während der Montagetätigkeit kam der Auftraggeber Herr G* vorbei, der den Kläger ansprach und ihm sagte, dass er seine Arbeit falsch mache. Der Kläger kannte Herrn G* nicht und antwortete schnippisch und kurz angebunden, dass er seine Arbeit so mache wie er sie gelernt habe. Der Kläger sagte zu Herrn G* keine Beleidigungen. Um 13:00 Uhr entschied der Kläger nach Hause zu fahren.

Auf der Heimfahrt rief der Geschäftsführer den Kläger an und teilte ihm mit, dass sich Herr G* bei ihm beschwert habe, dass die Türen nicht richtig eingebaut worden seien, der Kläger unhöflich gewesen sei und einfach heimgefahren sei. Er teilte dem Kläger erzürnt mit, „wenn er jetzt nicht umdreht und die Tür richtig einbaut, dann ist das Ganze erledigt für ihn, dann hören wir auf mit den Montagen, dann ist das eine fristlose Kündigung.“ Der Kläger fuhr daraufhin auf die Baustelle zurück und montierte den Anschlag der Türen um. Am Abend teilte ihm der Geschäftsführer mit, dass er mit dem Firmenauto in die Firma kommen soll und dass er fristlos gekündigt ist. Am Montag kam der Kläger ins Büro, wo ihm der Geschäftsführer ein mit 21.3.2024 datiertes Schreiben mit folgender Textierung überreichte:

„Betrifft: Kündigung Fristlos **

Sehr geehrter Hr. B*, hiermit kündige ich Ihr Arbeitsverhältnis durch den Dienstnehmer unter Einhaltung der gesetzlichen bzw. (kollektiv-) fristlos. Letzter Arbeitstag 21.3.2024. Das Aliquote Urlaubs-Minus und Arbeitsstunden-Minus wird nachverrechnet. Das Verlassen der Baustelle (Arbeitsverweigerung) und die Beschimpfungen im Vorfeld (Verwarnung vom 22.2.2024 unter Zeugen) gegenüber der Firma B* sind der Fristlose Kündigungsgrund.

Bitte bestätigen Sie mir den Erhalt dieser Fristlosen Kündigung und das Aufhebungsdatum des Arbeitsvertrages mit Ihrer Unterschrift.“

Der Kläger nahm das Schreiben entgegen und unterfertigte es.

Im Jänner 2024 verursachte der Kläger in der Früh auf dem **-Parkpatz einen Schaden am Firmenfahrzeug. Es war an diesem Tag sehr kalt, weswegen der Firmenbus innen und außen vereist war. Als der Kläger rückwärts ausparkte, fuhr er hinten bei einer Betonmauer an. Dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt alkoholisiert war, kann nicht festgestellt werden. Für den Schaden am Firmenfahrzeug wurden dem Kläger EUR 490 vom Lohn abgezogen.

Die beklagte Partei hatte keine Mitarbeiter mehr, die sie für Arbeiten der Firma C* verwenden konnte, weil alle Mitarbeiter so unzuverlässig waren. In weiterer Folge bekam die beklagte Partei keine Aufträge mehr von der Firma C*. Ob bzw in welcher Höhe der beklagten Partei daraus ein Schaden erwachsen ist, kann nicht festgestellt werden.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die beklagte Partei, dem Kläger EUR 7.052,24 brutto samt Zinsen zu zahlen und die Verfahrenskosten zu ersetzen.

Es legte seiner Entscheidung dabei – zusammengefasst und soweit im Berufungsverfahren von Relevanz - den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt zugrunde.

Rechtlich führte das Erstgericht – zusammengefasst und soweit im Berufungsverfahren relevant - aus, dass das Verhalten des Klägers am 22.3.2024 [richtig: 21.3.2024] nicht die erforderliche Erheblichkeitsschwelle für eine Entlassung erreiche. Da der sich auf dem Heimweg befindliche Kläger nach dem Anruf des Geschäftsführers sofort umgedreht habe und zur Arbeitsstätte zurückgekehrt sei, um die Tür umzumontieren, sei von keinem unbefugten Verlassen der Arbeit auszugehen. Eine falsche Montage einer Tür bzw Unfähigkeit bei Montagetätigkeiten seien jedenfalls kein Entlassungsgrund. Auch eine beharrliche Pflichtenvernachlässigung liege nicht vor, weil sich der Kläger nicht wiederholt geweigert habe, seine Arbeit zu verrichten.

Der Kläger habe sich am 22.3.2024 [richtig: 21.3.2024] auch nicht einer Ehrenbeleidigung gegenüber dem „Gewerbsinhaber“ schuldig gemacht. Dadurch dass der Kläger sich für seine Ehrenbeleidigung gegenüber dem Geschäftsführer im Februar 2024 („**“) entschuldigt und dieser die Entschuldigung angenommen habe, könne dies nicht mehr als Entlassungsgrund herangezogen werden. Entlassungsgründe müssten zudem unverzüglich aufgegriffen werden.

Der Kläger sei am 22.3.2024 [richtig: 21.3.2024] auch nicht alkoholisiert gewesen, weshalb auch dieser Entlassungsgrund nicht vorliege.

Der Kläger habe am 22.3.2024 [richtig: 21.3.2024] keinen Entlassungsgrund gesetzt. Die Entlassung des Klägers sei deshalb nicht gerechtfertigt gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung der beklagten Partei aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es in klageabweisendem Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1.) Bei der Entlassung handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die ihre Wirkung entfaltet, sobald sie dem Dienstnehmer zukommt. Eine bestimmte Form ist nicht erforderlich (vgl RS0021514). Entscheidend ist, dass die ernsthafte und zweifelsfreie Absicht des Dienstgebers, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden klar ersichtlich ist. Im Berufungsverfahren ist unstrittig, dass der Kläger am 21.3.2024 entlassen wurde.

2.) Essentielles, jedem Entlassungstatbestand immanentes Merkmal ist, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers so unzumutbar ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich ist (RS0029009; RS0028990). Entscheidend ist, ob das Verhalten des Arbeitnehmers nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise – also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen – als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RS0029323; RS0029107; RS0029095). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Entlassung gerechtfertigt ist, handelt es sich stets um eine Einzelfallentscheidung.

Die sofortige Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ist aber stets das letzte Mittel. Soweit dies dem Dienstgeber zumutbar ist, hat er zunächst auf andere Maßnahmen wie eine Ermahnung oder eine Verwarnung zurückzugreifen (vgl OLG Wien 7 Ra 37/10b uva).

Nicht jede Ordnungswidrigkeit ist bereits ein Entlassungsgrund. Dafür ist vielmehr erforderlich, dass der Dienstnehmer Interessen des Dienstgebers so schwer verletzt, dass diesem eine weitere Zusammenarbeit auch nicht für die Zeit der Kündigungsfrist weiter zugemutet werden kann. Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dient der Abgrenzung bloß geringfügiger Verstöße von entlassungstatbestandsmäßigen Begehungshandlungen.

Auch fortgesetzte Verfehlungen, die ihrer Natur nach durch eine einzelne Begehungshandlung noch nicht ausreichend ins Gewicht fallen, sondern ihre Bedeutung erst durch ständige Wiederholung gewinnen und erst infolge Massierung für den Arbeitgeber unzumutbar werden, können in ihrer Gesamtheit eine Entlassung rechtfertigen. Aber auch hier muss der Anlassfall (das ist jenes Ereignis, das die Entlassung unmittelbar ausgelöst hat) eine gewisse Mindestintensität aufweisen, um die jeder vorzeitigen Beendigung immanente objektive Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu begründen (RS0029600 [T2]; 9 ObA 41/02y; 8 ObA 64/12p; 8 ObA 65/16s).

Wird dem Arbeitnehmer bloß eine Verwarnung erteilt und nur für den Wiederholungsfall die Entlassung angedroht, so ist darin nach ständiger Rechtsprechung ein Verzicht auf die Entlassung zu erblicken (RS0029023). Da der Dienstgeber durch die Ermahnung auf sein Entlassungsrecht verzichtet hat, könnte nur ein danach gesetztes oder allenfalls ein dem Dienstgeber erst später zur Kenntnis gelangendes Verhalten die Entlassung rechtfertigen (vgl RS0082268 [T1]; RS0029023 [T5]). Gründe, aus denen der Arbeitnehmer bereits verwarnt wurde, können zwar bei späterer Wiederholung dieses Verhaltens noch im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens Berücksichtigung finden (RS0110657 [T1]), nur ein nach der Verwarnung gesetztes oder dem Dienstvorgesetzten zur Kenntnis gelangendes Verhalten, das eine gewisse Mindestintensität aufweist, kann aber die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung begründen (RS0029600 [T2, T4, T5]; 8 ObA 9/25v).

3.) Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt vermag der von der beklagten Partei zur Begründung der Entlassung des Klägers angezogene Anlassfall am 21.3.2024 diese notwendige Mindestintensität jedoch nicht zu erfüllen, sofern man überhaupt von einem pflichtwidrigen Verhalten ausgehen kann. Stichhaltige Argumente dagegen werden von der Berufungswerberin im Rahmen der Rechtsrüge nicht ins Treffen geführt.

Dass sich der Kläger „entschieden hätte, nach Hause zu fahren, obwohl die Türen falsch eingebaut waren“ entspricht so nicht dem festgestellten Sachverhalt. Dem Kläger war dieser Umstand beim Verlassen der Baustelle nicht bewusst, als er davon in Kenntnis gesetzt wurde kehrte er um und korrigierte seine Arbeit. Ein „willkürliche Verlassen der Baustelle“ lag nicht vor.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass (auch) die Erheblichkeit eines Arbeitsversäumnisses vom Arbeitgeber nachzuweisen ist (RS0029600). Zu ergänzen ist weiters, dass die von der beklagten Partei behaupteten länger zurückliegenden Verfehlungen aufgrund des Unverzüglichkeitsgrundsatzes (RS0029131, RS0031799, RS0029249) als Anlassfall nicht in Betracht kommen (vgl OLG Wien 9 Ra 2/23i ua).

Dass sich Verspätungen nicht nur auf die Arbeitszeit des Klägers auswirkten, sondern auch auf Kollegen, welche mit dem Kläger im Firmenbus mitfuhren findet im Übrigen ebenso wenig Deckung im festgestellten Sachverhalt wie der Umstand, dass die Arbeitsleistung des Klägers derart fehleranfällig und mangelhaft war, dass diese dazu beigetragen hat, dass die beklagte Partei einen wichtigen Kunden verloren hat.

4.) Die Entlassung des Klägers ist damit insgesamt als ungerechtfertigt zu qualifizieren. Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

5.) Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf die §§ 2 Abs 1 ASGG, 41 Abs 1 und 50 ZPO.

6.) Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil eine Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG geforderten Qualität nicht zur Beurteilung vorlag, zumal es sich bei der Beurteilung von Entlassungsgründen regelmäßig um Einzelfallentscheidungen handelt (RS0106298).

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