23Bs204/25f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Staribacher als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Pasching und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen bedingter Entlassung aus Freiheitsstrafen über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 27. Juni 2025, GZ **-6, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der am ** geborene österreichische Strafgefangene A* verbüßt - seit 11. Februar 2025 in der Justizanstalt St. Pölten - unmittelbar aufeinanderfolgend teils nach Widerruf bedingter Strafnachsicht vier (Zusatz)Freiheitsstrafen im Gesamtausmaß von sechs Jahren und acht Monaten mit dem errechneten Strafende am 1. Dezember 2027. Derzeit stehen noch die zu AZ ** und AZ ** des Landesgerichts Eisenstadt verhängten (Zusatz)Freiheitsstrafen in Vollzug. Die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs 1 StGB liegen seit 31. Juli 2024 vor, zwei Drittel der Strafzeit werden am 11. September 2025 verbüßt sein.
Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Landesgericht St. Pölten als zuständiges Vollzugsgericht – in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft (ON 1.2) und der Anstaltsleitung (ON 2.2) – die bedingte Entlassung des Strafgefangenen zum Zwei-Drittel-Stichtag aus spezialpräventiven Erwägungen ab.
Dagegen richtet sich die sogleich nach Bekanntgabe der Entscheidung erhobene (ON 7 S 1) und zu ON 8 ausgeführte Beschwerde des Strafgefangenen.
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht stellte im bekämpften Beschluss die für die bedingte Entlassung maßgebliche Norm (§ 46 StGB), die Äußerungen/Stellungnahmen der Anstaltsleitung und der Staatsanwaltschaft, somit die wesentliche Sach- und Rechtslage treffend fest, weshalb darauf identifizierend verwiesen wird (zur Zulässigkeit vgl 12 Os 137/07z; RIS-Justiz RS0098568).
A* weist die vier vollzugsgegenständlichen, bis ins Jahr 2018 zurückreichenden Verurteilungen durch das Landesgericht Eisenstadt auf, wobei die letzten beiden im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB stehen. Zunächst wurde er zu AZ ** am 26. September 2018 wegen §§ 83 Abs 1; 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil im Ausmaß von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (ON 4.3). Für die Dauer der Probezeit wurde ihm ein Bewährungshelfer beigestellt und die Weisung erteilt, sich einer Therapie zur Behandlung seiner Spielsucht zu unterziehen.
Nachdem er zu AZ ** des Landesgerichts Eisenstadt am 25. Oktober 2018 zum Hälfte-Stichtag bedingt entlassen worden war, wurde er (laut im VJ-Register einsehbarer Urteilsausfertigung) ab Mai 2019 wiederholt straffällig und hiefür zu AZ ** am 21. Juli 2020 wegen §§ 127, 129 Abs 1 Z 2; 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2, 148 zweiter Fall, 15; 229 Abs 1; 241e Abs 1 Satz 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Vom Widerruf der zuvor gewährten bedingten Strafnachsicht wurde unter gleichzeitiger Probezeitverlängerung abgesehen, demgegenüber die bedingte Entlassung widerrufen.
Den im VJ-Register zu AZ ** einsehbaren Berichten der Bewährungshilfe ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass A* trotz förmlicher Mahnungen weder die Weisung zur Therapie noch die in der Bewährungshilfe erforderliche monatliche Kontaktfrequenz eingehalten und etwa der gerichtlichen Ladung zur förmlichen Mahnung für November 2019 unentschuldigt keine Folge geleistet hatte.
Vollkommen unbeeindruckt auch von seiner zweiten Verurteilung entschloss sich A* bereits nach wenigen Wochen – damit trotz nach wie vor in Schwebe über ihn gehaltener 12-monatiger Sanktion und bevorstehenden Haftantritts - auch weiterhin Betrügereien zu begehen, wobei er innerhalb von nur fünf Monaten bis zu seinem freiwilligen Haftantritt am 1. April 2021 insgesamt 72 (!) gleichartige (teils versuchte) Betrügereien beging. Hiefür wurde er zu AZ ** am 14. September 2021 wegen §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, in einem die bedingte Strafnachsicht seiner ersten Verurteilung widerrufen (ON 4.1).
Laut VJ-Register hatte er zu AZ ** noch einen Antrag auf Strafaufschub gemäß § 39 SMG gestellt, welcher am 30. Juni 2021 (dort ON 43) mit der wesentlichen Begründung abgelehnt worden war, dass er weder nach dem SMG noch wegen Straftaten, die der Beschaffungskriminalität zuzuordnen sind, verurteilt worden sei. Aus dem Strafakt ergebe sich nämlich - trotz wiederholter Vernehmungen vor Polizei und Gericht - kein Hinweis darauf, dass A* die Straftaten verübt hätte, um sich Geld zur Finanzierung einer Suchtmittelabhängigkeit zu verschaffen. Vielmehr habe er in der Hauptverhandlung nachvollziehbar deponiert, er habe „eine“ (gemeint ein Mädchen) kennengelernt und die betrügerisch erworbenen Mobiltelefone verkauft, weil er Geld zum „Aussehauen“ benötigt habe. Aus dem Bericht seiner Bewährungshelferin ergebe sich ebenfalls kein Hinweis auf eine Suchtmittel-abhängigkeit bzw. Beschaffungskriminalität; Thema sei jedoch gewesen, dass er der Weisung zur Behandlung seiner Spielsucht nur schleppend nachkomme und seine Problematik – ob der fehlenden Berufsausbildung, der schweren Erreichbarkeit, der Schulden und psychischen Schwierigkeiten - sehr komplex sei. Im August 2021 hatte er einen weiteren Antrag gemäß § 39 SMG gestellt, der am 10. September 2021 abgelehnt worden war (dort ON 55).
Demgegenüber verantwortete er sich im Verfahren AZ ** anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung am 10. Mai 2021 erstmals damit, seit drei Jahren auf Kokain süchtig zu sein. Sein früherer Drogenkonsum bzw. Suchtgiftankäufe im Zeitraum von zumindest September bis Dezember 2020 sind dem VJ-Register auch zur Zahl ** der Staatsanwaltschaft Wien zu entnehmen.
Schließlich wurde er zu AZ ** wegen §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB zu einer achtmonatigen Zusatzfreiheitsstrafe verurteilt (ON 4.2).
Dem Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 31. Dezember 2024 zu AZ ** (ON 5), mit welchem die bedingte Entlassung zum Hälfte-Stichtag aus spezial- und generalpräventiven Gründen abgelehnt wurde, ist zu entnehmen, dass A* zuvor im forensisch-therapeutischen Zentrum (FTZ) Wien-Favoriten im gelockerten Vollzug gemäß § 126 Abs 2 Z 1 bis Z 4 StVG und im Entlassungsvollzug angehalten wurde. Ab 12. Juni 2023 wurden ihm dort 190 Vollzugslockerungen (Ausgänge sowie Aufenthalte im Freien außerhalb des FTZ und ambulante Behandlungen) gewährt, wobei es nur einmal zu einem Missbrauch kam, sonst jedoch alle Alkohol- sowie Drogentestungen im Ergebnis negativ verliefen. Ab 7. April 2021 wurde er im Handwerksbetrieb 2 beschäftigt, wobei er die ihm zugewiesenen Arbeiten sorgfältig und gewissenhaft erledigte, zuletzt war er dort im Betrieb als Reiniger beschäftigt und erbrachte eine außerordentlich gute Arbeitsleistung. Auch nahm er an Group Counselling teil und absolvierte ab 14. März 2024 regelmäßig eine Therapie beim Verein P.A.S.S.. Die Leiterin des FTZ Wien-Favoriten hatte sich aufgrund der guten Entwicklung, der Mitarbeit an seiner Drogensucht, seiner ausgezeichneten Arbeitsleistung und dem Verhalten in der Haft für eine bedingte Entlassung des A* verbunden mit der Weisung einer stationären Therapie ausgesprochen.
Warum der Strafgefangene am 11. Februar 2025 in die Justizanstalt St. Pölten überstellt wurde, ist dem gegenständlichen Akt nicht zu entnehmen. Die Einsicht in das VJ-Register zu AZ ** der Staatsanwaltschaft Wien zeigt jedoch, dass am 13. Februar 2025 vom FTZ Wien-Favoriten eine Sachverhaltsdarstellung gegen ihn eingebracht wurde, derzufolge ein am 2. Jänner 2025 vorgenommener Harntest positiv war. Der Beschwerdeführer räumt selbst ein, dass seinen fünf Ordnungswidrigkeiten in zwei Fällen die positive Testung auf Kokain zugrunde lag (ON 7 S 2). In der Justizanstalt St. Pölten wurden ihm bislang keine Vollzugslockerungen gewährt (ON 2.2 S 2).
Nach Mitteilung des psychologischen Dienstes der Justizanstalt St. Pölten vom 18. Juni 2025 (ON 2.1) bemühte sich A* gleich nach seiner Überstellung um die Teilnahme an einer intramuralen Drogentherapie, die allein aus anstaltsinternen, strukturellen Gründen noch nicht ermöglicht werden konnte. Eine therapeutische Auseinandersetzung zur Reduzierung seines Rückfallrisikos bzw. die Bindung einer bedingten Entlassung an eine Weisung zur stationären Suchttherapie wurde dringend empfohlen.
Angesichts der neuerlichen massiven Delinquenz trotz gewährter Resozialisierungschance in Form bedingter Strafnachsicht und bedingter Entlassung sowie trotz bevorstehenden Strafantritts, des Umstands, dass er die ihm angebotene Unterstützung durch die Bewährungshilfe und die Weisung zur Therapierung seiner (damals allein thematisierten) Spielsucht selbst nach Mahnungen nicht zu nutzen verstand, nach dem Vorgesagten der Suchtmittelkonsum nicht der einzige Grund für sein doloses Verhalten über einen Zeitraum von immerhin viereinhalb Jahren war (auch das FTZ Wien-Favoriten erwähnte laut VJ-Register zu oberwähnter AZ ** im Merkblatt noch im Dezember 2024 als Risikofaktoren „Abhängigkeit von illegalen Substanzen, in Verbindung damit phasenweise pathologisches Glücksspiel“), er sich selbst intramuros nicht von Suchtgift zu enthalten verstand und seit seiner Verlegung in die Justizanstalt St. Pölten im Rahmen von Vollzugslockerungen noch nicht bewähren konnte, die Wohnmöglichkeit und die (nicht näher dargestellte oder bescheinigte) „Aussicht“ auf eine Arbeit schon bei seiner bedingten Entlassung im Jahre 2018 ins Treffen geführt wurden, dennoch nicht deliktsverhindernd waren, besteht kein Grund zur Annahme, A* werde durch die bedingte Entlassung unter Einbeziehung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafen von neuerlicher Delinquenz abgehalten. Vielmehr lässt eine Gesamtwürdigung der angesprochenen Aspekte die ihm zu erstellende Kriminalprognose – in Übereinstimmung mit dem Erstgericht - noch negativ ausfallen.
Zum Einwand, nicht angehört worden zu sein, ist dem Beschwerdeführer zu entgegnen, dass er zu AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Wien anlässlich der Entscheidung über seine bedingte Entlassung zum Hälfte-Stichtag angehört wurde und seine nunmehrige Anhörung nicht beantragt hat (siehe ON 2.1 S 1). Die Behauptung, bereits im Jahr 2015 Crack probiert bzw. dann 10 g Crack pro Tag konsumiert zu haben, ist – finanziell, logistisch und physisch betrachtet - geradezu lebensfremd und widerstreitet in Bezug auf den Beginn seiner Sucht seinen früheren obzitierten Angaben.
Da der Beschwerdeführer obigem Kalkül sohin nichts Stichhaltiges entgegenhalten kann, war seiner Beschwerde ein Erfolg zu versagen.